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Einleitung 1982

Einleitung 1982
Martin Stief

1. Das Jahr 1982: Ein historischer Überblick

Die 1970er-Jahre begannen hoffnungsvoll: Die beiden Machtblöcke verständigten sich, die Ostverträge und der deutsch-deutsche Grundlagenvertrag wurden geschlossen und nach zweijährigen Verhandlungen wurde 1975 in Helsinki die KSZE-Schlussakte unterzeichnet. Doch die Dekade mündete in eine Abkühlung der Beziehungen, die sich Anfang der 1980er-Jahre zu einem zweiten Kalten Krieg wandelte. Ab 1977 hatte die Sowjetunion begonnen, ihr Arsenal atomarer Mittelstreckenraketen in Europa schrittweise auf moderne SS-20-Raketen umzurüsten. Dadurch war sie in der Lage, zentrale militärische Ziele in Westeuropa auf einen Schlag zu vernichten. Diese Gefährdungslage stellte die NATO vor eine Zerreißprobe. Die westeuropäischen Bündnispartner sahen sich angesichts der sowjetischen Maßnahmen unmittelbar von sowjetischen Raketen bedroht. Aus ihrer Perspektive fehlte es an angemessenem Schutz durch die USA.1 Namentlich Bundeskanzler Helmut Schmidt war es, der eine entschlossene Reaktion des westlichen Bündnisses und der amerikanischen Partner einforderte. Seiner Überzeugung nach war gegenüber dem Kreml trotz der offiziellen Entspannungspolitik auch Entschlossenheit notwendig. Deshalb sollten entweder die zwischen den Supermächten ausgehandelten Rüstungsbeschränkungen auf Europa ausgedehnt oder durch Nachrüstung von mobilen NATO-Mittelstreckenraketen ein militärisches Gegengewicht zu den sowjetischen Mittelstreckenraketen geschaffen werden.2 Politisch durchgesetzt wurde die letztere Option. Im Dezember 1979 fällte das westliche Bündnis den sogenannten NATO-Doppelbeschluss, welcher eine Stationierung von amerikanischen Pershing-II-Raketen und bodengestützten Marschflugkörpern in Europa vorsah. Zugleich wurden der Sowjetunion Verhandlungen über die Reduzierung nuklearer Waffen angeboten.3 Für die Entspannung des amerikanisch-sowjetischen Verhältnisses waren diese Schritte kaum geeignet. Nur wenige Tage nach dem Doppelbeschluss marschierte die Sowjetunion in Afghanistan ein, um die dortigen bürgerkriegsähnlichen Zustände zu beenden und das 1978 installierte kommunistische System zu stabilisieren. Die USA griffen in diesen Stellvertreterkrieg ein, indem sie die mit der Sowjetunion verfeindeten Mudschaheddin mit umfassenden Waffenlieferungen unterstützten.

Mit Ronald Reagan trat 1981 zudem ein US-Präsident auf die weltpolitische Bühne, der ein erklärter Antikommunist war und vor offenen Drohungen gegenüber der Sowjetunion nicht zurückschreckte. Zwar kühlte sich das Klima zwischen den Supermächten bereits unter Reagans Vorgänger, dem Demokraten Jimmy Carter, ab.4 Doch war es Reagan, dessen »Politik der Stärke« nun auch rhetorisch auf Konfrontation statt Entspannung setzte. Reagans Kalkül ging über bloße militärische Drohkulissen hinaus. Angesichts der in Washington zu Recht vermuteten ökonomischen Schwierigkeiten der Sowjetunion sollte der kommunistische Machtblock durch eine massiv vorangetriebene Aufrüstung an die Grenzen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gebracht werden, was letzten Endes zum Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums führen sollte. Der neue Kalte Krieg zeigte sich auch in Genf, wo die seit November 1981 laufenden Verhandlungen über eine Reduzierung der in Europa stationierten atomaren Mittelstreckenraketen nicht vorankamen. Ab Herbst 1983 begann die NATO mit der Stationierung ihrer hochmodernen Marschflugkörper und Pershing-II-Raketen in Großbritannien, Italien, Belgien und der Bundesrepublik.

Die neuerliche Konfrontation der Großmächte blieb selbstverständlich nicht ohne Wirkung auf die DDR.5 Aus Moskauer Sicht war sie der Frontstaat nach Westen. Aus militärischer Sicht standen sich an der innerdeutschen Grenze die beiden Militärblöcke NATO und Warschauer Pakt unmittelbar gegenüber, was im Falle eines Krieges die Gefahr einer weitgehenden Verwüstung der beiden deutschen Staaten und weiter Teile Zentraleuropas bedeutet hätte. Die militärische Hochrüstung der Supermächte mobilisierte deshalb auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs die Bevölkerungen. Westlich entstanden nicht nur in der Bundesrepublik breite Friedensbewegungen. Kontroverse Debatten, ungekannte Massendemonstrationen und zahlreiche Regierungswechsel zeugen von den teils »dramatischen inneren Konflikten« dieser Zeit.6 Östlich des Eisernen Vorhanges waren solche gesellschaftlichen Debatten freilich nicht öffentlich möglich. Die staatssozialistischen Regime verteidigten mit den bewährten Mitteln von Repression und Unterdrückung ihre Macht, wenngleich die Ereignisse in Polen bewiesen, dass auch im Osten der Druck zur Veränderung stetig wuchs.7 Auch in der DDR entstanden in den frühen 1980er-Jahren Friedenskreise und -initiativen, die gegen die Aufrüstung dies- und jenseits der Grenzen sowie die Militarisierung in der DDR protestierten. Sie griffen die staatliche Propaganda für Frieden und Abrüstung auf, forderten aber eine Deeskalation auf beiden Seiten und stellten damit die Politik der SED, die nur die Abrüstung der Gegenseite forderte, offen infrage. Die Proteste der zumeist kirchlich geprägten Friedensgruppen in der DDR erreichten aus naheliegenden Gründen nie das Ausmaß der westeuropäischen und transatlantischen Friedensbewegungen. Doch schon ihre bloße Existenz wurde von der SED-Führung und der Staatssicherheit als potenziell gefährlich wahrgenommen.8 Das wird auch in den MfS-Berichten des Jahres 1982 deutlich: Etwa die Hälfte aller Einzelinformationen, welche die Stasi an den Partei- und Staatsapparat lieferte, behandelten die Kirche und die mit ihr verbundenen Friedensgruppen.

Die gefühlte innenpolitische Bedrohung durch die Friedensbewegung war nur ein Problem, mit dem sich die Partei- und Staatsführung im Jahr 1982 konfrontiert sah. Die eigentliche Herausforderung war die desolate Wirtschafts- und Finanzlage der DDR, die durch das neuerliche Wettrüsten existenziell bedrohlich wurde. Das Problem war in Teilen jedoch älter und hausgemacht. Die ausschweifende Ausgabenpolitik in der Ära des »Konsumsozialismus« unter SED-Chef Erich Honecker hatte die Westverschuldung der DDR auf ein Rekordhoch anwachsen lassen. Vor dem Hintergrund des NATO-Doppelbeschlusses und der nun auch für die DDR anfallenden zusätzlichen Rüstungskosten wurde der Staatshaushalt belastet und infolge der Ereignisse in Polen drohte der DDR in letzter Konsequenz die Zahlungsunfähigkeit. Wie dramatisch die Lage war, zeigte die Entscheidung von KPdSU-Chef Leonid Breschnew, die Rohstoffexporte in die DDR ab Ende 1981 zu drosseln. Infolge von Missernten sowie der massiven Kosten für Forschung, Entwicklung und Produktion im Rüstungsbereich musste die Sowjetunion in den frühen 1980er-Jahren ihre eigenen Ausgaben konsolidieren und war nicht mehr bereit und in der Lage, die DDR um jeden Preis zu unterstützen.9 Einige Kennzahlen veranschaulichen, welche finanziellen Belastungen die Sowjetunion in der Spätphase des Kalten Krieges allein im Rüstungsbereich zu bewältigen hatte: Das sowjetische Militär wuchs von 3,9 Millionen Personen im Jahr 1965 auf 5,9 Millionen im Jahr 1985, was immense Kosten verursachte. Hinzu kam die eigentliche Aufrüstung: So wurde bei Helikoptern die Produktion von 80 Stück pro Jahr 1965 auf 750 Stück im Jahr 1980 gesteigert, bei Boden-Luft-Raketen gar von 5 200 auf 50 000 Stück.10 Die Rüstungsausgaben des Kreml stiegen schätzungsweise zwischen 1965 und 1988 von 33 auf 163,3 Milliarden Rubel, hatten sich also mehr als verfünffacht.11 Bei der Bewältigung der daraus resultierenden ökonomischen Verwerfungen ließ die Moskauer Führung ihre Satellitenstaaten zunehmend allein.

2. Ausgewählte Themenfelder der Berichte

Die skizzierten Grundkonflikte dieses zweiten Kalten Krieges spiegeln sich auch in den Berichten der Staatssicherheit an die SED-Führung. Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) fertigte im Jahr 1982 insgesamt 659 Berichte. Davon entfielen 182 auf das Inland und 477 Stück auf das Ausland,12 letztgenannte sind nicht Teil dieser Edition.13 Zu den Inlandsberichten kommen die zwei Berichtsreihen »K« und »O« (jeweils 10 Stück) hinzu, bei denen es sich um »Hinweise« handelt, die für den internen Dienstbetrieb gefertigt wurden, in Ausnahmefällen aber auch Lesern außerhalb des MfS zugänglich gemacht wurden.14 Zentral für die Unterrichtung der Partei- und Staatsführung waren die Informationsberichte.

Die Informationen lassen sich in periodische und anlassbezogene Berichte unterteilen: Die periodischen Berichte behandelten Themen, zu denen das MfS wiederholt berichtete und die in der Regel an einen festen Empfängerkreis gingen. Hierzu zählen die statistischen Übersichten zum Mindestumtausch (52 Stück) oder Statistiken über den grenzüberschreitenden Verkehr (12 Stück). Auch die Berichte zu den Aktivitäten von westalliiertem Personal in der DDR (10 Stück) können zu diesen periodischen Berichten gezählt werden, da sie in der Regel quartalsweise und nicht anlassbezogen gefertigt wurden. Die übrigen Informationen, insgesamt 108 Berichte, waren anlassbezogen und behandelten verschiedene Themen. Eine grobe inhaltliche Zuordnung ergibt etwa folgendes Bild: Probleme in Wirtschaft und Industrie behandeln elf Informationen, davon allein fünf Berichte über Brände und Störungen. Dem Themenbereich Grenze, Flucht und Ausreise lassen sich neun Informationen zuordnen, wobei in sieben Ausarbeitungen konkrete Fluchten und Fluchtversuche geschildert werden. Besondere Aufmerksamkeit erfuhren Medizinerinnen und Mediziner, die nach Einschätzung des MfS verstärkt in den Westen ausreisen wollten.15 Weitere acht Informationen behandeln westliche »Provokationen«, besonders Berichte über Propagandamaßnahmen wie »Ballon«- und »Hetzblattaktionen«. Ebenfalls acht Informationen können dem Bereich der deutsch-deutschen Beziehungen zugeordnet werden, häufig wird hier über die Besuchsreisen westdeutscher Politiker in die DDR berichtet.

Etwa die Hälfte der Informationen entfällt auf Berichte über die evangelische und katholische Kirche in der DDR. Aus Sicht der Staatssicherheit musste diesem Themenfeld also eine besondere Beachtung geschenkt werden. Mit über 40 Informationen standen zudem die evangelischen Kirchen deutlich im Fokus, anders als die katholische Kirche, die mit nur sechs Informationen bedacht wurde. Dieser Überhang resultiert einerseits aus dem Umstand, dass in der DDR mehr Menschen Mitglied der evangelischen als der katholischen Kirche waren, andererseits ist er mit der Berichterstattung über die unabhängigen Friedensinitiativen zu erklären, die in den 1980er-Jahren unter den Dächern der evangelischen Kirchen Schutz und Unterstützung suchten und fanden sowie mit den Diskussionen innerhalb der Landeskirchen zu vielfältigen innenpolitischen Themen wie Erziehung, Wehrdienst und »Kirche im Sozialismus«. Die Dominanz kirchenpolitischer Berichte gilt für die gesamten 1980er-Jahre, auf die weiter unten noch genauer eingegangen wird.16 Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass die Berichte der Staatssicherheit Ereignisse, Sachverhalte und Entwicklungen abbildeten, die für die Geheimpolizei eine sicherheitspolitische Relevanz besaßen und zugleich von Themen dominiert waren, welche die Staatssicherheit zu dieser Zeit als ihre Kernkompetenz formulierte, nämlich die Bekämpfung westlicher Einflüsse – in den Worten der Stasi: politisch-ideologische Diversion, Überwachung und Bekämpfung politisch abweichenden Verhaltens im Inland sowie die Beobachtung der Kirchen.17 Im Folgenden werden einige ausgewählte Themenbereiche der Berichte des Jahres 1982 vorgestellt.

2.1 Wirtschaft und Versorgung

In seiner Neujahrsansprache führte Partei- und Staatschef Honecker im Hinblick auf das zentral gelenkte Wirtschaftsprogramm für den Zeitraum 1981 bis 1985 aus, dass zwar ein jedes der fünf Jahre sein eigenes Gewicht habe, doch wenn »eines im besonderen Maße über den Erfolg des Ganzen entscheidet, dann 1982«.18 Auch für Stasi-Minister Erich Mielke zählten die Wirtschaftsprobleme zu den zentralen Herausforderungen des Jahres. Auf einer Zentralen Dienstkonferenz des MfS im Oktober 1982 betonte er: »Die Wirtschaft ist das entscheidende Kampffeld für das revolutionäre Handeln der Partei.«19 Dies, so Mielke weiter, gelte aktuell umso mehr, da die Wirtschaft »eine Reihe komplizierter Probleme zu bewältigen« habe, die ausschließlich auf die sich »verschärfenden außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Bedingungen«, also die Folgen des zweiten Kalten Krieges samt des Rüstungswettlaufes, zurückzuführen seien.20 Die DDR befände sich in einem »Wirtschaftskrieg«, der Teil der »Konfrontationspolitik der aggressivsten imperialistischen Kreise« sei, vor allem repräsentiert durch die »herrschenden, extrem reaktionären Kreise der USA« – also der Reagan-Administration.21 Der Stasi-Minister warnte eindringlich davor, den Einfluss des »Gegners« zu unterschätzen, denn »in der VR Polen [sei ihm] ein Einbruch mit weitreichenden Folgen gelungen« – gemeint waren umfassende Streiks und Proteste in Polen, die u. a. zur zeitweisen Legalisierung der freien Gewerkschaft Solidarność geführt hatten.

Die als bedrohlich wahrgenommene Konstellation aus Wirtschaftskrise und gesellschaftlichem Protest in Polen weist starke Analogien zur Lage zehn Jahre zuvor auf: Anfang der 1970er-Jahre sah sich die SED schon einmal mit einer krisenhaften Wirtschafts- und Versorgungssituation konfrontiert. Damals entbrannte innerhalb der SED-Führung ein Richtungskampf, der im Machtwechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker mündete. Honecker setzte zur Behebung der Krise tiefgreifende Änderungen in der Wirtschaftspolitik durch. Auch damals waren es Proteste in Polen, die mit dem Rücktritt eines Teils der dortigen KP-Führung endeten und der SED-Führung die Dramatik einer solchen Situation vor Augen führten.22 In Ostberlin wurden die durch Versorgungsengpässe und Preiserhöhungen ausgelösten Unruhen in Polen aufmerksam verfolgt. Honecker sah sich in seiner Auffassung bestätigt, dass es auch in der DDR eine neue Wirtschaftspolitik brauche.23 Unter Ulbrichts Ägide waren die Investitionen auf ausgewählte Industrien konzentriert worden wie die Chemie, den Werkzeugmaschinenbau oder die Elektrotechnik, um – so die Hoffnung – damit die Grundlagen einer beschleunigten Entwicklung zu legen. Zugleich erhielten die Betriebe eine gewisse Eigenständigkeit und sollten durch Anreize zu effektivem Handeln angehalten werden. Daraus ergab sich aber eine nicht intendierte Entwicklung: Die Betriebe produzierten vorrangig Güter für die besonders stark geförderten Sektoren, da hier die größten Erlöse zu erwarten waren. Hierunter litten vor allem die Zulieferbetriebe und die Konsumgüterindustrie, weil sie im Wettbewerb um Rohstoffe, Investitionsgüter, Beschäftigte usw. das Nachsehen hatten. Die Folge war eine veritable Versorgungskrise.24

Die Massenproteste und Demonstrationen im Dezember 1970 in Polen hatten die Ulbricht-Kritiker um Honecker in ihrer Auffassung bestärkt, dass die Stabilität im eigenen Lande und damit die Herrschaftssicherung der SED unbedingt ein Umlenken in der Wirtschafts- und Sozialpolitik erfordere. Auch Stasi-Minister Mielke reihte sich in die Fraktion der Ulbricht-Kritiker ein und führte auf einer Dienstkonferenz aus: Es sei »nicht völlig ausgeschlossen«, dass es in der DDR zu polnischen Verhältnissen kommen könne oder auch dass in Anbetracht der angespannten Versorgungslage in der DDR mit »beträchtlichen Auswirkungen auf die Werktätigen und breite Bevölkerungskreise« gerechnet werden müsse.25 Dazu kam es bekanntlich nicht. Stattdessen wurde Ulbricht von Honecker abgelöst und diesem gelang es mit einer neuen wirtschaftspolitischen Linie, die als »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« bezeichnet wurde, die Versorgungskrise zu überwinden und die DDR in eine kurze Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs zu führen. Von diesem Erfolg beflügelt, baute die SED-Führung Sozialleistungen und die Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern immer weiter aus. Doch die Finanzierung dieser ambitionierten Sozialprojekte stemmte die DDR nicht aus eigener Kraft, sondern verschuldete sich dafür bei westlichen Kreditgebern.

Lag die Verschuldung 1973 noch bei 3 Milliarden DM, war sie 1979 bereits auf 21 Milliarden DM hochgeschnellt, um 1982 ganze 25,1 Milliarden DM zu betragen.26 Hinzu kamen makroökonomische Verwerfungen wie die Ölpreiskrisen, volkswirtschaftliche Probleme, die Innovationsschwäche der DDR-Industrien und die daraus resultierenden Absatzprobleme auf den Weltmärkten sowie nicht zuletzt die Abhängigkeit von Rohstofflieferungen aus der Sowjetunion.27 Mitte der 1970er-Jahre zeichnete sich ab, dass der »Konsumsozialismus« der Ära Honecker auf Dauer nicht finanzierbar war. Im Partei- und Staatsapparat warnten führende Experten frühzeitig vor einer Zuspitzung der Krise.28 Doch die SED-Führung um Honecker nahm aus machtpolitischen Erwägungen keine grundlegenden Weichenstellungen vor, um aus der Schuldenspirale zu entkommen. Zwei äußere Ereignisse zwangen die SED-Führung dann schließlich doch zum Handeln: Im Oktober 1981 kündigte die Sowjetunion an, ihre Erdöllieferungen an die DDR um 2 Millionen Tonnen auf 17 Millionen Tonnen zu reduzieren und beraubte die DDR damit einer zentralen und fest eingeplanten Exportmöglichkeit zur Erwirtschaftung dringend benötigter Devisen.29 Auch wurden Getreide- und Steinkohlelieferungen sowie Kredite für den zwischenstaatlichen Handel gekappt. Hinzu kam, dass die westlichen Finanzmärkte Ende 1981 mit einem Kreditboykott gegenüber den Staaten des Ostblocks reagierten, nachdem Polen, Rumänien, Ungarn und Kuba ihre Zahlungsunfähigkeit hatten erklären müssen. Entsprechend konnte auch die DDR 1982 nicht auf langfristige Kredite zurückgreifen, um ihre Volkswirtschaft zu stabilisieren. Die Partei- und Staatsfunktionäre standen in »einem täglichen Kampf um die Gewährleistung der Zahlungsfähigkeit«.30

Die katastrophale Entwicklung im ökonomischen Bereich wurde auch von der Stasi »exakt und frühzeitig registriert«.31 Innerhalb des Apparates wurden bereits seit den 1970er-Jahren Untersuchungen zum zunehmenden ökonomischen Niedergang der DDR gefertigt und die zuständige HA XVIII versorgte die ZAIG immer öfter mit ungeschönten Einschätzungen.32 Stasi-Chef Erich Mielke ließ sich z. B. Vorschläge für die »Lösung volkswirtschaftlicher Schlüsselprobleme 1981« unterbreiten.33 Die angefertigte Untersuchung benannte offen u. a. strukturelle Defizite, insbesondere die doppelten Leitungsstrukturen von Staatsapparat und Parteiapparat. Um kurzfristig die akutesten Probleme anzugehen, empfahl das Papier, einen weitgehenden Importstopp aus westlichen Ländern, eine Auflösung der Delikat- und Exquisit-Läden, das Ende der Sondergeschäfte im Bereich des Außenhandels (Bereich Kommerzielle Koordinierung, KoKo)34 sowie die Konzentration aller Valutaeinnahmen und -ausgaben in einer Institution.35 Im Ergebnis sollten die Regierung und die ihr nachgeordneten Einrichtungen gegenüber dem Parteiapparat gestärkt werden, was als indirekte Kritik vor allem am mächtigen SED-Wirtschaftsfunktionär Günter Mittag und dem Leiter der KoKo Alexander Schack-Golodkowski36 verstanden werden musste und letztlich auch als Kritik an Parteichef Erich Honecker selbst.

Ende 1981 hatte Alfred Kleine, Leiter der HA XVIII, zahlreiche Warnungen aus dem Wirtschaftsapparat erhalten und zum Anlass genommen, die Untersuchungen der Stasi aktualisieren zu lassen. Am 2. Januar 1982 übergab er Erich Mielke die Ergebnisse und schrieb an den Minister, dass er sich veranlasst sähe, ihn darüber zu informieren, dass »Wirtschaftsfunktionäre, die aus jahrelangem kameradschaftlichem Zusammenwirken als standhafte und zuverlässige Genossen bekannt sind, sich zunehmend mit Besorgnis im Hinblick auf die Realisierbarkeit für erforderlich gehaltener zentraler volkswirtschaftlicher Entscheidungen an mich und in Einzelfällen an Abteilungsleiter der HA XVIII wenden«.37 Dies habe er zum Anlass genommen, die vom Minister 1980 in Auftrag gegebene Untersuchung »besonders im Hinblick auf die zunehmend wachsende Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit der DDR im Jahre 1982« fortzuschreiben. In der Quintessenz wurden erneut die doppelten Anleitungsstrukturen in der Volkswirtschaft zum Nachteil der staatlichen Einrichtungen und der außerplanmäßige Handel der KoKo kritisiert. Zur Abwendung der drohenden Zahlungsunfähigkeit sollten die Westimporte auf niedrigem Niveau gedeckelt und die Sowjetunion für eine Schuldenübernahme gewonnen werden. Im Gegenzug sollte Moskau mit dringend benötigten und bis dahin nach Westen verkauften Waren versorgt werden.38 Diese Strategie war angesichts der schwächelnden Sowjetunion sowie der Abhängigkeit der ostdeutschen Wirtschaft von westlichen Importen völlig weltfremd, sie waren »irrsinnig« und »absolute Idiotie«, wie der Leiter der Staatlichen Plankommission Gerhard Schürer rückblickend urteilte.39 Das bestätigte im August 1982 der sowjetische Parteichef Breschnew, der gegenüber Honecker deutlich machte, dass Moskau nicht als Retter auftreten werde. Vielmehr gab Breschnew zu verstehen, dass er eine gewisse Unterstützung vonseiten der DDR erwarte und einen Abbruch der Handelsbeziehungen ins westliche Ausland als »absurde Schlussfolgerung« abkanzelte.40

Angesichts dieser Lage musste sich die SED selbst helfen. Das drängende Problem einer Entschuldung wurde durch Reduzierung von Westimporten und Erhöhung der Exporte angegangen.41 Die Umsetzung erfolgte allerdings alles andere als planvoll: In »spontanen und abenteuerlichen Aktionen« wurden Rohstoffe, chemische Produkte, Heizöl, Kraftstoffe, aber auch Nahrungsgüter und Konsumprodukte kurzfristig exportiert und damit dem Binnenmarkt entzogen, um eine Zahlungsfähigkeit der DDR zu verhindern.42 Diese Eingriffe verstärkten die wirtschaftlichen Disproportionen, anstatt sie zu beheben. Ungeachtet des unübersehbaren Handlungsdrucks der SED und den intern erstellten Untersuchungen hielt sich die Staatssicherheit bei Wirtschaftsproblemen sichtlich zurück. Offiziell legte das MfS 1982 nur ganze elf einschlägige Berichte vor. Fünf von diesen befassten sich mit Bränden und Störungen,43 wie der Stillstand eines Reaktors im Kernkraftwerk Greifswald, und klammerten damit die Krise eher aus als sie zu benennen.44 Charakteristisch für die Berichterstattung über Brände und Störungen ist, dass sich die Stasi auf die Benennung unmittelbarer Ursachen und der Verantwortlichen konzentrierte, ohne dabei die größeren Zusammenhänge wie Investitionsstau, strukturell überforderte Betriebsleitungen usw. in ihre Berichte mit aufzunehmen, obwohl sich der massive Verschleiß von Industrieanlagen, aber auch der Infrastruktur zu einer der größten Herausforderungen vieler Industriezweige der DDR entwickelte.45 Allein zwischen 1982 und 1988 dokumentierte die ZAIG über 5 500 Brände, knapp 2 000 sogenannte Havarien und mehr als 320 Explosion in der DDR-Industrie, wobei mehr als 100 Menschen ihr Leben verloren, etwa 460 Personen teils schwer verletzt wurden und nicht zuletzt ein Gesamtschaden von mehr als 1,3 Milliarden Mark zu Buche schlug.46 In Anbetracht dieser Situation und des zunehmenden Bedeutungszuwachses eines wie es im MfS-Jargon hieß »stabilen Produktionsregimes« standen die ausschließlichen Einzelfallbetrachtungen sowie die zahlenmäßig geringen Berichte in krassem Widerspruch zu den tatsächlichen Problemen.

Der Verschleiß von Industrieanlagen war zudem nur eine Folge, die sich in den kommenden Jahren der SED-Herrschaft zu einem nicht bewältigten Problem auswuchs: Mindestens ebenso schwer wogen die Umweltbelastungen, derer sich die SED-Führung nie annahm, obwohl die Verschmutzung der Luft und der Gewässer, die Zerstörung von Lebensraum durch die immer weiter ausgebaute Nutzung der Braunkohle erhebliches gesellschaftliches Konfliktpotenzial barg. Diese Ignoranz führte zur Entstehung zahlreicher Umweltgruppen, die neben der Friedensbewegung ein zentraler Teil der inneren Opposition wurden.47

Im Unterschied zum Jahr 1970 hielt sich das MfS auch bei der Thematisierung der Folgen der Wirtschaftskrise für die Bevölkerung zurück.48 Die zunehmenden Versorgungsprobleme infolge der kurz- und mittelfristigen Entschuldungspolitik wurden nur innerhalb der Staatssicherheit als K-49 bzw. O-Berichte50 verteilt. Nur in einem Fall gibt es den Hinweis, dass Mielke vermutlich ein Exemplar an ZK-Wirtschaftssekretär Günter Mittag weiterleitete.51 Ansonsten war die Verteilung dieser Stimmungsberichte auf einen exklusiven internen Verteilerkreis beschränkt: Mielke und dessen Stellvertreter Mittig, Wolf und Neiber, der Leiter der Arbeitsgruppe des Ministers Otto Geisler sowie der Leiter der HA XVIII Alfred Kleine und ZAIG-Chef Werner Irmler.

Schon im ersten Bericht zur Stimmungslage aus dem Mai 1982 wird festgehalten, dass die »Diskussionen über Versorgungsfragen im Vergleich zu aktuellen internationalen und nationalen Ereignissen einen dominierenden Platz einnehmen«.52 Bemerkenswert ist, dass nicht mehr nur die Versorgung mit Autos, Kühlschränken, Fernsehern oder anderen hochwertigen Konsumwaren stockte, sondern auch die Lebensmittelversorgung »Lücken« bei Fleisch- und Wurstwaren, Frisch- und Konservenobst sowie -gemüse aufwies. Auch Molkereiprodukte und Dauerbackwaren fehlten. Die von der Staatssicherheit referierten Meinungsäußerungen illustrieren sehr anschaulich das Dilemma, in das sich die SED in den 1970er-Jahren manövriert hatte: Kritisiert wurde, dass zu viele Waren in den Westen exportiert würden, dass die DDR »in den letzten Jahren ›zu gut‹ gelebt« habe und nun »müsse die Bevölkerung dafür den Preis zahlen«; nicht zuletzt würden die »Funktionäre aus mittlerer und zentrale Ebene […] die reale Lage nicht« kennen. Auch in einem weiteren Stimmungsbericht, diesmal zum 4. Plenum des ZK der SED am 23./24. Juni 1982, wurden »kritische und skeptische Meinungsäußerungen« zur Versorgungslage dokumentiert, doch selbst in diesen nur intern verteilten Berichten wurden vermeintlich positive Reaktionen vorangestellt, die völlig konträr zu den viel umfassender präsentierten Negativäußerungen stehen. So heißt es in dem Bericht, dass Erich Honecker und ZK-Sekretär Paul Verner in ihren Beiträgen zu den ökonomischen Fragen »die in der DDR erreichten Erfolge klar umrissen« und »das Voranschreiten« der DDR durch das Wohnungsbauprogramm sowie die Konsumgüterproduktion bewiesen hätten. Die Tagung habe »eine eindrucksvolle Bilanz der volkswirtschaftlichen Entwicklung der ersten Monate des Jahres 1982 ziehen können«.53 Erst auf diese der Parteiräson geschuldete Berichtsprosa folgen die relevanten Informationen: So gibt es in den Berichten klare Anspielungen auf die »konterrevolutionären Erscheinungen« in Polen; es wird deutlich gemacht, dass Resignation und Zweifel bei leitenden Kadern und Parteimitgliedern um sich greifen; dass häufiger gefragt werde, ob die Partei- und Staatsführung die tatsächliche Lage überhaupt kenne.54

Die zuletzt aufgeworfene Frage kann anhand der ZAIG-Berichte nicht beantwortet werden, denn sie bilden nur einen Informationsstrang der Partei- und Staatsführung ab. Für die Staatssicherheit kann aber festgehalten werden, dass sie über die ökonomischen Probleme im Lande sehr gut im Bilde war und auch kritische Ursachenanalysen angestellt hatte,55 aber gegenüber der Parteiführung nicht darüber berichtete. Im Hinblick auf den Informationsauftrag gegenüber der Parteiführung, meint Andreas Malycha, habe Mielke Honecker »die Wahrheit über die reale Wirtschaftslage nicht zumuten« wollen. Eine umfassende Analyse, welche das MfS aufgrund seiner vielen Detailinformationen aus den Betrieben hätte fertigen können, legte es dem Politbüro nie vor.56

Ähnlich wie 1970/71 war der Wirtschaftskurs innerhalb der SED-Führung nicht unumstritten. Während Honecker die vom Kreml geforderte Abgrenzung zur Bundesrepublik auf der einen und die Ausweitung der Handelsbeziehungen zu Westdeutschland auf der anderen Seite auszubalancieren versuchte,57 bildete sich in der SED-Führung eine »Moskau-Gruppe« heraus, welche die Abhängigkeiten der DDR von der Bundesrepublik und die Aktivitäten Honeckers und des Wirtschaftssekretärs Günter Mittag zunehmend kritisch beäugten und einen »Verrat der DDR gegenüber der Sowjetunion« fürchteten. Zu dieser Gruppe zählten der Vorsitzende des Ministerrates Willi Stoph, die Politbüromitglieder Werner Krolikowski, Alfred Neumann, Kurt Hager sowie Verteidigungsminister Heinz Hoffmann und auch Stasi-Chef Erich Mielke.58 Die Inhalte der ersten Stasi-Untersuchung zur »Lösung volkswirtschaftlicher Schlüsselprobleme 1981« gelangten Ende 1980 durch Werner Krolikowski auch nach Moskau, jedoch folgte aus dem Kreml keine erkennbare Reaktion.59 Honecker konnte sich vielmehr auf dem X. Parteitag der SED im April 1981 die Fortsetzung seiner Wirtschaftspolitik einstimmig bestätigen lassen. In der Wirtschaftspolitik waren die Einflussmöglichkeiten der Staatssicherheit und ihres Ministers augenscheinlich beschränkt: Denn die Machtbereiche von Günter Mittag und Alexander Schalck-Golodkowski, welche von der für die Volkswirtschaft zuständigen HA XVIII kritisiert worden waren, blieben unangetastet. Im Gegenteil konnte Günter Mittag als ZK-Sekretär für die Wirtschaft seine Macht ausbauen; noch im Jahr 1982 übertrug er Schalck-Golodkowski die »gesamte Koordination auf dem Gebiet der Bank- und Kreditpolitik« und der Bereich »Kommerzielle Koordinierung« mit seinen undurchsichtigen Westgeschäften expandierte.60

2.2 Grenze, Flucht und Ausreise

Die hermetische Absicherung der innerdeutschen Grenze und die zahlreichen Versuche, diese Grenze zu überwinden waren immer zentraler Bestandteil der Inlandsberichterstattung der Stasi. Mit neun Informationen zu diesem Themenfeld liefen 1982 etwas weniger auf als in vergleichbaren Jahren. Insgesamt sieben versuchte und geglückte Fluchten werden geschildert.61 Dabei handelt es sich aber nicht um alle Fluchten und Fluchtversuche des Jahres: Zum Beispiel wurde zum tödlich geendeten Fluchtversuch Heinz-Josef Großes kein Bericht gefertigt. Der 34-jährige Meliorationsarbeiter wurde am 29. März 1982 bei dem Versuch, während seiner Arbeit im thüringischen Grenzstreifen in die Bundesrepublik zu fliehen, von zwei Grenzsoldaten erschossen.62 Auch in der Überlieferung der Abteilung Sicherheitsfragen des ZK der SED konnte kein Bericht über diesen tödlich geendeten Fluchtversuch nachgewiesen werden.

Die Information über die Flucht von vier Meliorationsarbeitern 1982 ragt im Themenbereich heraus. Die vier Männer im Alter zwischen 32 und 38 Jahren hatten am 16. Juni in einem Grenzabschnitt im Vogtland die Flucht gewagt. Sie waren seit 1975 bzw. 1977 immer wieder im Schutzstreifen mit Rekultivierungsarbeiten beschäftigt und galten als »gute und zuverlässige Arbeiter«, zu denen »keinerlei Hinweise auf bestehende Unsicherheitsfaktoren« bestanden hätten.63 Die Flucht selbst geschah kurz nach einer Frühstückspause. Auf dem Weg zurück zum Arbeitsplatz im Schutzstreifen, nur vier Meter von der Grenze entfernt, liefen die vier Flüchtlinge »einfach« auf westdeutsches Territorium, wo sie von zwei Beamten des Grenzzolldienstes der Bundesrepublik erwartet wurden. Warum aber war diese Flucht etwas Besonderes?

Sie war etwas Besonderes, weil die Ermittlungen der Sicherheitsorgane zahlreiche Mängel im ansonsten so streng organisierten Grenzregime der DDR aufdeckten: Die zur Absicherung der Meliorationsarbeiter eingesetzten Grenzsoldaten hatten durch ihr unaufmerksames Verhalten die Flucht der Arbeiter erst möglich gemacht: Sie sicherten die Arbeiter z. B. nicht wie vorgeschrieben ab, indem sie sich nicht zwischen den Arbeitern und dem unmittelbaren Grenzverlauf postierten; auch ignorierten sie, dass während der Arbeiten zwei westdeutsche Grenzbeamte aufgetaucht waren. Während dieses Verhalten noch als schludrig bewertet werden konnte, förderten die Ermittlungen eine verheerende Dienstdurchführung innerhalb der Grenztruppen zutage. Vier ehemaligen und einem aktiven Grenzsoldaten im Alter von 21 bis 24 Jahren warfen die Ermittler vor, sich zwischen Mai und September 1981 in »mindestens 25 bis 30 Fällen« mit Angehörigen des bayrischen Grenzschutzes und des bundesdeutschen Grenzzolldienstes getroffen und Geschenke erhalten zu haben, außerdem hätten sie es geduldet, dass auch die Meliorationsarbeiter solche Kontakte pflegten. Ab April 1982 sei es erneut zu solchen Begegnungen im Grenzstreifen gekommen, wobei nun sogar gemeinsam Alkohol getrunken und Karten gespielt wurden – die »Kontakte entwickelten sich zu regelrechten ›Treffs‹ direkt an der Grenzlinie«. Die Ost-West-Gemeinschaft fühlte sich sogar so sicher, dass sie ihre geheimen Treffen fotografierte.64 Brisant für die Verantwortlichen des Grenzregimes war, dass diese »deutsch-deutschen Begegnungen« möglicherweise nie aufgeflogen wären, wenn die vier Meliorationsarbeiter im Juni 1982 nicht in die Bundesrepublik geflohen wären.

Die Schilderungen der Stasi zeigen sehr anschaulich, dass die sogenannte Feindbilderziehung im Rahmen der militärischen Ausbildung im vorliegenden Fall gescheitert war, denn die westdeutschen Grenzer wurden von den Ostdeutschen »nicht als Feinde, sondern als ›gute Kumpel‹« wahrgenommen, die regelmäßig Geschenke mitbrachten.65 Hierin lag nach Ansicht der Stasi auch das Hauptmotiv für die DDR-Grenzer, die verbotenen Treffen zu dulden und nicht zu melden. Überhaupt machte die Stasi einen gewissen Schlendrian bei der Planung und Durchführung der Sicherungsmaßnahmen im Rahmen der Rekultivierung im Grenzstreifen aus und empfahl einige Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit. Während die vier geflohenen Meliorationsarbeiter nach einigen Wochen straffrei in die DDR zurückkehrten, erhielten zwei der involvierten Grenzsoldaten Haftstrafen von über zwei Jahren.

Die hier geschilderten Geschehnisse waren für die Geschichte des DDR-Grenzregimes sicherlich eine Ausnahme, doch dass es innerhalb der Grenztruppen zahlreiche Probleme gab, zeigen auch andere Berichte, wie der vom März 1982. Hier hatte die Stasi verschiedene Untersuchungen der jüngeren Vergangenheit, insbesondere zu Fahnenfluchten, zum Anlass genommen, um einen mehrseitigen Bericht über Mängel innerhalb der Grenztruppen zu verfassen. Darin wiesen die Verfasser bereits auf eine »unzureichende Wirksamkeit der politisch-ideologischen und erzieherischen Arbeit mit den Angehörigen der Grenztruppen der DDR« hin. Insbesondere störten sie sich an »labilen und inkonsequenten Handlungs- und Verhaltensweisen der Erziehungsträger« im Hinblick auf die »politisch-ideologische Diversion«66 sowie die »gegnerische Kontaktpolitik/Kontakttätigkeit«.67 Darüber hinaus sei auch die »Vermittlung eines realen Feindbildes […] noch nicht genügend ausgeprägt«. Der Fluchtfall im Juni bestätigte sehr wahrscheinlich die Stasi in ihrer Kritik. Doch der Bericht bietet auch einen Einblick in die strukturellen Probleme der bewaffneten Organe der DDR. Bemerkenswert ist z. B., dass die Stasi-Offiziere auch einen kritischen Blick auf die mitunter widrigen Zustände im Truppenalltag werfen und dabei besonders die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Unterstellten (»zum Teil ›preußisches‹ oder schikanöses Auftreten«) sowie das Drangsalieren im Rahmen der sogenannten Entlassungskandidaten-Bewegung kritisierten, also das Schikanieren jüngerer durch ältere Wehrdienstleistende. Auch zeigen sie auf, dass die Grenztruppen trotz des stark militarisierten Alltags in der DDR unter einem Fachkräftemangel litten: Mindestens 121 Offiziersplanstellen waren nicht besetzt, stattdessen kamen Unteroffiziere und Fähnriche zum Einsatz, denen die Stasi jedoch attestierte, dass sie »nicht über die bildungsmäßigen Voraussetzungen und Erfahrungen« verfügen, um diese höheren Dienste durchzuführen. Nicht zuletzt wirft der Bericht auch ein Schlaglicht auf Unzufriedenheit, Verweigerung bis hin zu politisch abweichendem Handeln innerhalb der Truppen: Konkret würden »Parolen und Gerüchte« westlicher Massenmedien verbreitet, die westliche Lebensweise verherrlicht und die Notwendigkeit des Wehrdienstes sowie die Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft der DDR in Zweifel gezogen. Obwohl Honecker in der Regel über Fluchten und Fluchtversuche in Kenntnis gesetzt wurde und in einigen Fällen sogar selbst um entsprechende Informationen nachsuchte,68 wurden ihm ausweislich der Dokumentation der ZAIG die beiden hier vorgestellten Berichte samt der sicherheitspolitisch bedeutsamen Mängel im Grenzregime nicht vorgelegt.

An einer Analyse versuchte sich die ZAIG auch im Hinblick auf die Motive, welche den Ausreisebegehren von Medizinerinnen und Medizinern zugrunde gelegen haben könnten.69 Schon in den ersten Absätzen des Berichtes wird hier jedoch der ideologisch verzerrte Blick der Stasi offenkundig, wenn die Flucht- und Ausreiseabsichten in den Kontext des »Vorgehen[s] gegnerischer Kräfte gegen die DDR im Bereich der Medizin« eingebettet werden. Die Stasi habe zielgerichtete Aktivitäten aufgedeckt, wonach vom Westen aus Kontakte zu ostdeutschen Medizinerinnen und Medizinern hergestellt würden, um diese negativ zu beeinflussen und zur Flucht oder Ausreise zu animieren. Zum Beleg führte sie 110 Ärzte/Zahnärzte an, die zwischen Januar 1980 und September 1982 die DDR »ungesetzlich verlassen« hatten, sowie 168 Medizinerinnen und Dentisten, die einen Ausreiseantrag gestellt hatten. Im selben Zeitraum sei es darüber hinaus gelungen, Fluchten von 71 Ärzten und Zahnärztinnen zu unterbinden. Im Kontrast zur einleitenden Darlegung meinte die Stasi als Motive für die Fluchtabsichten jedoch festzustellen, dass ein »größerer Teil« der Mediziner über »eine ungefestigte politisch-ideologische Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung« verfüge und ein »bestimmter Teil« die DDR »aus antikommunistischer, nationalistischer oder sozialdemokratischer Einstellung, auf der Basis anderer bürgerlicher oder reaktionärer Auffassungen sowie aufgrund idealistischer Weltanschauungen, besonders auch konfessioneller Bindungen«, ablehne. Ganz konkret würde der Marxismus-Leninismus als Wissenschaft abgelehnt, ebenso die »sozialistische Demokratie« sowie die Wirtschafts-, Bildungs- und Informationspolitik und nicht zuletzt die innerdeutsche Grenze, die eingeschränkten Reisemöglichkeiten und die Abgrenzungspolitik gegenüber der Bundesrepublik. Neben diesen politischen Motiven machten die Auswerter der Stasi auch handfeste materielle Interessen des medizinischen Personals als Beweggründe aus: moderne medizinische Einrichtungen im Westen, hohe Verdienstmöglichkeiten und große Anerkennung des Berufsstandes sowie ein höherer Entwicklungsstand in Medizin und Pharmazie.

Es gibt in dem Bericht aber auch Passagen, die zwar sprachlich weiterhin politisch und ideologisch stark überformt sind, zugleich aber auf die vielfältigen Alltagsprobleme im medizinischen Sektor hinweisen. So würde die Mehrzahl der Ärztinnen und Ärzte zwar einzelne Vorzüge des »sozialistischen Gesundheitswesens« anerkennen, aber angesichts der den »äußeren Mängeln und Unzulänglichkeiten zugrunde liegenden objektiven Umstände« resignieren. Es würde kritisiert, dass hochentwickelte Arzneimittel fehlen, die technische Ausstattung veraltet und störanfällig sei, es »ständig einen Mangel an z. T. einfachsten medizinischen Verbrauchsmaterialien (z. B. Verbandsstoff, Desinfektionslösungen)« gäbe, nicht genügend Fachmedizinerinnen und Fachkräfte beschäftigt seien, die räumlichen Gegebenheiten nicht genügten, sogar die Verpflegung nicht immer gesichert sei. Am Ende dieses Berichtes, der einen Einblick in die Missstände im Gesundheitssektor der DDR gibt und damit die Ursachen von Resignation und Unzufriedenheit des medizinischen Personals illustriert, kommt die Stasi zu dem Ergebnis: Um die Fluchtabsichten von Medizinerinnen und Medizinern zukünftig zurückzudrängen, sei es notwendig, dass die zahlreichen aufgeführten Mängel »in der künftigen Tätigkeit im Bereich Medizin stärkere Beachtung finden«.

2.3 Die Katholische Kirche

Die katholische Kirche verfolgte eine »Politik der Abstinenz« gegenüber der politischen Führung der DDR und praktizierte eine Zurückhaltung zu allen politischen und gesellschaftlichen Fragen, welche die Existenz der Kirche oder ihre Theologie nicht unmittelbar berührten.70 Bemerkenswert ist, dass aus der katholischen Kirche 1982 Versuche unternommen wurden, eben jenes Abstinenzprinzip zu verlassen. In zwei Fällen berichtete die ZAIG über »Hirtenbriefe«, die zum Weltfriedenstag in den katholischen Kirchen verlesen werden sollten. Während die »Berliner Bischofskonferenz« ihren Hirtenbrief für Januar 1982 noch zurückzog,71 hielt sie ein Jahr später daran fest und ließ im Januar 1983 einen Hirtenbrief verlesen, in welchem sie erstmals kritisch zur Friedens- und Wehrpolitik der DDR Stellung nahm.72 Ein weiterer Fall, der in die ZAIG-Berichte Eingang fand, war die Erstellung von Materialien zu den Ereignissen in Polen durch Günter Särchen, Mitarbeiter der katholischen Kirche in Magdeburg. Die umfangreiche Handreichung enthielt zahlreiche Schlüsseldokumente zu den Ereignissen in Polen, z. B. die 21 Forderungen der Streikenden von Gdansk oder das Statut der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność.73 Diese Ausarbeitung ging den katholischen Kirchenfürsten aber offenbar zu weit, wie ein zweiter Bericht der Stasi nahelegt.74 Die anderen beiden Informationen geben Auskunft über die Pflichtbesuche der Bischöfe der DDR im Vatikan75 sowie die geplante Bischofsweihe von Wolfgang Weider in der Ostberliner St.-Hedwigs-Kathedrale.76

2.4 Die evangelischen Kirchen und Friedensinitiativen

Eine erschöpfende Darstellung aller Berichte des Jahres 1982 zu den evangelischen Kirchen bzw. zur Kirchenpolitik würde den Rahmen dieser Einleitung sprengen. Stattdessen sollen hier die zentralen Konfliktfelder und -linien, die auch weit über das Jahr 1982 hinausreichen, skizziert und an ausgewählten Berichten illustriert werden. Darüber hinaus werden anhand der kirchenpolitischen Berichte der ZAIG einige berichtsspezifische Themen wie Verteiler, Rezeption und Genese erörtert.

Wieso stand die evangelische Kirche so stark im Fokus der Stasi? Die acht evangelischen Landeskirchen, die im Bund der Evangelischen Kirchen zusammengeschlossen waren, hatten rund fünf Millionen Mitglieder, die in etwa 7 300 Gemeinden und circa 4 700 Pfarrstellen zusammengeschlossen waren. Die evangelische Kirche war damit die größte unabhängige Institution in der DDR.77 Auch wenn die Zahl der Gläubigen ständig sank, wirkten die Kirchgemeinden mit ihren Andachten, Kirchenblättern oder Friedenswerkstätten in die Gesellschaft hinein.78 Aus Sicht der SED sollte der »Fremdkörper« Kirche im Sozialismus perspektivisch überflüssig gemacht und beseitigt werden. Doch kurz- und mittelfristig setzte die Parteiführung auf eine Doppelstrategie aus offizieller Kooperation und konspirativer Einflussnahme, um den Einfluss der Kirchen auf innen- und gesellschaftspolitische Themen zu unterbinden.79 Diese Strategie spiegelt sich in den kirchenpolitischen Berichten deutlich wider.

Fast die Hälfte aller Informationen, die im Jahr 1982 an Mitglieder der Partei- und Staatsführung verteilt wurden, befasste sich mit Vorgängen in den evangelischen Landeskirchen. Davon wiederum etwa die Hälfte behandelten kircheninterne Angelegenheiten wie die Sitzungen von Kirchenleitungen, Synoden sowie größere kirchliche Veranstaltungen. Die MfS-Berichte über die Tagungen der Kirchenparlamente sowie der Konferenz der Kirchenleitungen (KKL) folgen einer in der Regel festen Gliederung: Zu Beginn listete die Staatssicherheit die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie Gäste auf, insbesondere ausländische Gäste sowie Medienvertreter. Dies diente den Empfängern als Hinweis für den Umfang der Öffentlichkeit der jeweiligen Veranstaltungen und der potenziellen Außenwirkung der mitunter politisch heiklen Debatten, die auf solchen Sitzungen geführt wurden. Darauf folgen die Tagesordnungen mit unterschiedlich tiefgehenden Darstellungen von z. B. Wahlvorgängen und -ergebnissen80 sowie eine Wiedergabe ausgewählter Diskussionsbeiträge und -verläufe. Auffällig ist, dass die Zusammenfassung der Diskussionen nur selten innerkirchliche Angelegenheiten betrifft, häufig aber die Staatssicherheit Positionen der Kirchenvertreter zu gesellschaftspolitischen Themenkomplexen wie Bildung und Erziehung, Wehrpflicht und Wehrerziehung sowie alternative politische Auffassungen zur staatlichen Friedenspolitik referierte81 – mithin also Bereiche, in denen der Gestaltungsanspruch von SED und Kirche kollidierte. Einen ganz wesentlichen, alle kirchenpolitischen Berichte durchziehenden Komplex stellen die in den Kirchenleitungen und Kirchenparlamenten geführten Richtungskämpfe um das Verhältnis der Kirchen zum Staat dar. In diesem Grundkonflikt verliefen die Linien zwischen staatsnahen Akteuren, die sich mit der DDR und dem Sozialismus arrangierten wie der Greifswalder Bischof Horst Gienke, pragmatischen Akteuren, welche offene Konflikte hinter den Kulissen ausräumen und dadurch Kircheninteressen durchsetzen wollten, wie der Berliner Konsistorialpräsident Manfred Stolpe sowie letztlich jenen Akteuren, die ganz bewusst die Politik der SED kritisierten und politisches Engagement in ihren Kirchen förderten wie der Berliner Bischof Gottfried Forck. Diese innerkirchlichen Auseinandersetzungen spitzten sich mit dem Aufkommen der Friedensgruppen und -initiativen ab den frühen 1980er-Jahren zu. Es entwickelte sich innerhalb der Kirche eine konfliktträchtige Konstellation, ein »sensible[s] Dreieck«82, bestehend aus Staat, Kirche und Basisgruppen. Das zeigen u. a. die Debatten um den Aufnäher »Schwerter zu Pflugscharen«.

2.4.1 »Schwerter zu Pflugscharen«

Im Jahr 1980 hatte der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) zusammen mit einigen Freikirchen erstmals die Durchführung einer Friedensdekade am Ende des Jahres verkündet.83 Die Losung »Frieden schaffen ohne Waffen« beschrieb den friedenspolitischen Ansatz der Kirchen. Ein stilisierter Schmied, der eine Waffe in eine Pflugschar umarbeitet, sollte mit dem Bibelspruch »Schwerter zu Pflugscharen« (Micha 4,3) als Symbol dienen. Die Grafik lehnte sich an die sowjetische Skulptur vor dem Sitz der Vereinten Nationen in New York an. Zur Friedensdekade 1981 wurde das kreisrunde Emblem als Aufnäher verteilt und fand unter zahlreichen Jugendlichen und Jungerwachsenen großen Anklang. Obwohl die Kirchen mit der Plastik des sowjetischen Bildhauers Jewgeni Wutschetitsch ein offizielles Symbol verwendet hatten, rief der Aufnäher die Staatsmacht auf den Plan. Weniger der Aufnäher selbst als die mit ihm verbundenen politischen Botschaften waren aus Sicht der SED problematisch. Denn die von den Kirchen vertretene pazifistische Friedenspolitik widersprach diametral der offiziellen »Friedenspolitik« der DDR, die auf militärische Abschreckung und Militarisierung setzte. Ende 1981, verstärkt ab Anfang 1982 gingen Volkspolizei, aber auch Lehrkräfte gegen die Trägerinnen und Träger der Aufnäher vor. Sie nötigten die Betroffenen, die Aufnäher zu entfernen, schreckten auch vor Handgreiflichkeiten, Exmatrikulationen, Schulverweisen und härteren Repressionen nicht zurück.84

Das offensive und mitunter rabiate Vorgehen gegen die Trägerinnen und Träger der Aufnäher mit dem Ziel, die christlich-pazifistische Friedenssymbolik aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen, spielten im gesamten Jahr 1982 auf den Tagungen der Kirchenleitungen und der Kirchenparlamente eine herausragende Rolle. Zentral in diesem Zusammenhang ist die Information 173/82 vom 8. April 1982. In diesem Bericht gibt die Stasi einen ausführlichen Überblick über die von den Staats- und Sicherheitsorganen der DDR eingeleiteten »Maßnahmen zur Zurückdrängung und Unterbindung der von reaktionären kirchlichen und anderen feindlich-negativen Kräften ausgehenden Versuche zur Schaffung einer sogenannten staatlich unabhängigen Friedensbewegung in der DDR«. In diesem Bericht sind nicht nur die zahlreichen repressiven Maßnahmen gegen die Aufnäher-Trägerinnen und -Träger dokumentiert, sondern auch, wie viele Gespräche von den zuständigen staatlichen Funktionären mit den jeweils verantwortlichen Kirchenvertretern der jeweiligen Ebenen, von den Bischöfen über die Superintendenten bis hin zu Pfarrern geführt wurden. Die Staatssicherheit fertigte auch eine Darstellung der jeweiligen Diskussionsverläufe und Standpunkte innerhalb der Landeskirchen an und kam zu dem Ergebnis, dass die staatlichen Maßnahmen zu einer »breiten Reaktion unter kirchlichen Amtsträgern und Laien« geführt hätten, wobei es kirchliche Amtsträger gäbe, die »bei einer Reihe von Trägern pazifistischer Symbole nicht Friedenswillen, sondern Opposition und Hass gegen den sozialistischen Staat [als] Motiv ihres Handelns« sähen, andere hingegen, wie z. B. der berlin-brandenburgische Bischof Forck, seine »verhärtete Haltung […] durch das demonstrative Tragen von pazifistischen Aufnähern« dokumentiere. Die Information ist zwar stark vom geheimpolizeilichen Blick auf die seinerzeitigen Ereignisse und Auseinandersetzungen geprägt. Andererseits dokumentieren die Berichte der Geheimpolizei dadurch auch das Wirken, die Resilienz und die Beharrung aufseiten der evangelischen Kirchen sowie der Akteurinnen und Akteure der Friedensgruppen und sind für deren Untersuchung eine maßgebliche Quelle. Letzten Endes beugten sich die Kirchenleitungen den staatlichen Forderungen, wenngleich einige mit dem Verbot der Aufnäher haderten: In einer Kanzelabkündigung der sächsischen Landeskirche heißt es dazu: »Das Verbot, den Aufnäher zu tragen, zerstört auf nachhaltige Weise das Vertrauen dieser jungen Menschen. […] Wir müssen aber auf die angedrohten Konsequenzen hinweisen und deutlich sagen: Wir haben keine Möglichkeiten mehr, die Träger des Aufnähers davor zu schützen.«85

Das Interesse, aus der das Staat-Kirche-Verhältnis belastenden Abzeichenmisere herauszukommen, war in den Landeskirchen durchaus, wenn auch unterschiedlich stark, ausgeprägt. Beigelegt werden sollte der Konflikt durch innerkirchliche Debatten einerseits und Gespräche zwischen Vertretern des Staates und der Kirche andererseits.86 Die kirchenpolitischen Partei- und Staatsorgane wollten für solche Gespräche natürlich gut informiert sein, z. B. über den Stand der Diskussionen innerhalb der Landeskirchen und Synoden. Denn die Partei-, Staats- und Sicherheitsapparate waren sich darüber im Klaren, dass die Landeskirchen nicht als einheitlicher Akteur auftraten, sondern unterschiedliche Positionen vertraten, was für die kirchenpolitischen Organe die Notwendigkeit unterstrich, über Akteure und Argumente innerhalb der Kirchen gut informiert zu sein. Denn die Doppelstrategie aus offizieller Kooperation und konspirativer Einflussnahme fußte ganz wesentlich darauf, die zwischen Staat und Kirche ausgehandelten Vereinbarungen zu überwachen und gegebenenfalls als Druckmittel oder für Sanktionsandrohungen zu nutzen.

2.4.2 SED-Kirchenpolitik und Stasi-Berichtswesen

Mittlerweile liegen im Rahmen der Edition »Die DDR im Blick der Stasi« zahlreiche Jahrgangsbände vor, die Annäherungen zu Frequenz und Verteilung kirchenpolitischer Berichte ermöglichen. Hinsichtlich der Empfänger ist auffällig, dass der Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED in der Regel alle kirchenpolitischen Berichte eines Jahres erhielt.87 In den sieben ausgewerteten Jahrgängen erhielt er insgesamt 305 Berichte.88 Jährlich schwankte die Berichterstattung zwischen 24 Berichten im Jahr 1977 und 74 Berichten im Jahr 1988. Im Trend ist eine Zunahme von Berichten festzustellen, wenngleich 1977 weniger Kirchenberichte verfasst wurden als im Vorjahr. Zu beachten ist dabei, dass sich 1976 die Selbstverbrennung von Pfarrer Oskar Brüsewitz in zahlreichen Berichten niederschlug.89 Allein elf Berichte, also fast ein Drittel aller Kirchenberichte des Jahres 1976, hatten Brüsewitz, dessen Selbstverbrennung bzw. die Folgen seiner Tat zum Thema.90 Genau diese elf Informationen waren auch Erich Honecker zugestellt worden. Auch im Jahr darauf gingen nur jene vier kirchenpolitischen Berichte an den Generalsekretär, die über das engere Themenfeld, das heißt innerkirchliche Debatten, hinausreichten, wie eine internationale Konferenz katholischer Christen in Ostberlin (Außenpolitik), eine Flugblattaktion in Halle (Protest) sowie zwei Suizide im kirchlichen Bereich (Bezug zu Brüsewitz).91 Ende der 1970er-Jahre wurde also der Parteichef nur in wenigen Fällen mit kirchenpolitischen Berichten bedacht.

Um die Wende von den 1970er- zu den 1980er-Jahren nahmen die Berichtsfrequenz und auch die Zahl der an Honecker verteilten Kirchenberichte in absoluten Zahlen und im Verhältnis zu. Während der Generalsekretär 1977 lediglich vier von 24 Kirchenberichten (ca. 15 %) vorgelegt bekam, waren es 1981 bereits elf von 30 (ca. 36 %) und im Lutherjahr 1983 sage und schreibe 31 von 41 (ca. 75 %). Selbst im zahlenmäßigen Spitzenberichtsjahr 1988 nahm Honecker 38 von 74 Berichten zur Kenntnis (ca. 51 %). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der SED-Chef neben der Staatssicherheit auch über andere Kanäle zu kirchenpolitischen Themen unterrichtet wurde. Die Konzeption und Umsetzung der SED-Kirchenpolitik oblag drei Apparaten: der Arbeitsgruppe für Kirchenfragen beim ZK der SED, 1982 geleitet von Rudi Bellmann, die in die Zuständigkeit des ZK-Sekretärs Paul Verner fiel, dem Staatssekretariat für Kirchenfragen, geleitet von Klaus Gysi, sowie der kirchenpolitischen Abteilung der Staatssicherheit (HA XX/4), geleitet von Joachim Wiegand.92

Staatssekretär Gysi informierte Honecker im Jahr 1982 mehrfach über die Tätigkeiten seines Hauses, über die kirchenpolitischen Entwicklungen, z. B. im BEK, und er trat auch mit Bitten um Entscheidungen an den Generalsekretär heran: Im September bat er Honecker, dem Anliegen des BEK stattzugeben, Materialien für die Friedensdekade mit dem umstrittenen Symbol »Schwerter zu Pflugscharen« drucken lassen zu dürfen, freilich mit entsprechenden Auflagen und Androhungen bei Verstößen.93 Im Oktober ersuchte er ihn um eine Entscheidung, ob der westdeutsche Friedensaktivist und SPD-Politiker Erhard Eppler an einem Podiumsgespräch anlässlich der Eröffnung der Friedensdekade in Ostberlin teilnehmen dürfe.94 Informationen aus dem Staatssekretariat für Kirchenfragen fanden ihren Weg zum Generalsekretär aber auch über die Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK bzw. über den für Kirchenfragen zuständigen ZK-Sekretär Paul Verner.95 Entsprechend den Machtverhältnissen im SED-Staat war die Arbeitsgruppe im ZK die eigentlich zentrale kirchenpolitische Institution, in der die Informationen aus dem MfS und dem Staatssekretariat für Kirchenfragen zusammenliefen, aber auch direkte Gespräche zwischen ZK-Mitarbeitern und Kirchenfunktionären, wie Konsistorialpräsident Manfred Stolpe, stattfanden und somit quasi auch eigene Informationen erarbeitet wurden.

Bemerkenswert ist, dass Klaus Gysi erst im April 1981 in den Verteilerkreis der ZAIG-Kirchenberichte aufgenommen wurde, obwohl er bereits seit November 1979 das Staatssekretariat führte.96 Angesichts der engen Verflechtung von Staatssicherheit und dem Staatssekretariat wirft die Erweiterung des Empfängerkreises um Gysi Fragen auf; der Anlass für seine Aufnahme in den Verteiler der ZAIG-Kirchenberichte muss allerdings vorerst offenbleiben. Ein großer Teil des Leitungspersonals war inoffiziell für die Staatssicherheit tätig oder tätig gewesen – nicht zuletzt Gysi selbst und auch sein Stellvertreter Hermann Kalb. Wenngleich Gysis inoffizielle Tätigkeit bereits 1964 geendet hatte, bestand für die Staatssicherheit auch weiterhin »eine ständige Verbindung zum Staatssekretär«97 sowie zu dessen Stellvertreter. Letzterem attestierte die Stasi 1982, dass er sich stets um ein gutes Verhältnis zum MfS bemühe, zu aktuellen Fragen Auskunft erteile und seinerseits bei anstehenden Problemen die Verbindung zur Stasi suche. Damit begnügte sich die Geheimpolizei aber nicht, denn auch Gysis Büroleiter Horst Dohle berichtete als IM »Horst« inoffiziell dem MfS, ebenso Hans Wilke, Abteilungsleiter im Staatssekretariat, sowie weitere Referenten und Sekretärinnen. Zuletzt führte die HA XX/4 auch noch drei Offiziere im besonderen Einsatz im Staatssekretariat.98

Die enge personelle Verflechtung von Staatssicherheit und Staatssekretariat in den 1980er-Jahren und das Aufwachsen der kirchenpolitischen Informationen im Rahmen der ZAIG-Berichterstattung können ebenso als Indizien für einen sicherheitspolitischen Bedeutungszuwachs der Kirchenpolitik gelesen werden wie andere institutionelle Entwicklungen: Schon 1977 richtete die für die Kirchenüberwachung zuständige Hauptabteilung XX/4 der Staatssicherheit eine Arbeitsgruppe zur Bearbeitung der »Inspiratoren des politischen Untergrundes« ein, wenngleich die kirchenpolitische Lage zu dieser Zeit als beherrschbar eingeschätzt wurde, was sich auch an der Personalstärke der HA XX/4 zeigt: Während die Stasi zwischen 1970 und 1982 von 43 300 auf 81 500 Beschäftigte angewachsen war und die HA XX ihren Bestand von 218 auf 400 Mitarbeitende fast verdoppeln konnte, blieb die HA XX/4 praktisch unverändert groß.99 Erst mit der aufkeimenden Friedensbewegung und insbesondere den Konflikten rund um den Aufnäher »Schwerter zu Pflugscharen« erhielt die HA XX/4 acht neue Stellen und wuchs auf insgesamt 32 Mitarbeiter an. Im Herbst 1983 richtete sie zudem ein eigenes Referat zur Bekämpfung des »politischen Untergrunds« ein.100 Auch in der ZAIG gab es bereits 1977 erste Planungen zum »Aufbau eines Teilarbeitsgebietes ›politische Untergrundarbeit‹« in der Arbeitsgruppe 2 des Auswertungs- und Informationsbereiches.101 Ausschlaggebend für die Überlegungen waren die Ereignisse um Robert Havemann, Reiner Kunze, Wolf Biermann und Oskar Brüsewitz im Jahre 1976. In der ZAIG zog man aus den Geschehnissen den Schluss, der »Feind« beabsichtige »im Innern der DDR feindlich-negative Kräfte zu antisozialistischen Verhaltensweisen und staatsfeindlichen Handlungen« zu veranlassen. Um dem entgegenzuwirken, sollte die analytische Arbeit der ZAIG die Bekämpfung der »politischen Untergrundtätigkeit« wirksam unterstützen. Umgesetzt wurden die Planungen aber erst 1981 mit der Gründung der Arbeitsgruppe 6, zuständig für die Berichterstattung zu Kirche, Kultur, politisch abweichenden Aktivitäten und der Bevölkerungsstimmung.102 Die Einrichtung dieser Arbeitsgruppe war zugleich die letzte größere Strukturmaßnahme im Informations- und Auswertungsbereich der ZAIG.103

Der Bedeutungszuwachs kirchenpolitischer Fragen schlug sich aber nicht nur im MfS nieder, sondern auch im Staatssekretariat für Kirchenfragen. Klaus Gysi unterbreitete im Dezember 1980 dem SED-Generalsekretär »Vorschläge für eine Veränderung und Verstärkung der Arbeit« des Staatssekretariats, um die Dienststelle zu einem »leistungsfähige[n] politisch-ideologische[n] Führungsorgan der Kirchenpolitik« zu machen.104 Gysi argumentierte mit dem Aufgabenzuwachs des Staatssekretariates, der sich aus der internationalen Anerkennung der DDR, der Selbstständigkeit der evangelischen Kirchen und nicht zuletzt dem Spitzentreffen zwischen Staats- und Kirchenvertretern am 6. März 1978 ergeben habe. So hätten insbesondere seit dem Treffen 1978 die »politisch-ideologischen Aufgaben […] eine andere politische Dimension angenommen«. Hinter dieser Aussage verbirgt sich der für die Spätphase der DDR bereits vielfach beschriebene Strategiewechsel der Überwachung und Unterdrückung von politisch abweichendem Handeln in der DDR vor dem Hintergrund der internationalen Anerkennung und den dabei eingegangenen Verpflichtungen der DDR, insbesondere im Rahmen der KSZE. Offene Repression wurde durch defensive, also wenig offensichtliche Repression, abgelöst. Einerseits bedeutete dies einen Übergang zu einer abgemilderten Strafpraxis und andererseits zu verdeckten bzw. »rechtlich besser legitimierbaren Vorgehensweisen«105, die hier als Doppelstrategie beschrieben wurden, bestehend aus offiziellen Kooperationen zwischen Kirchenvertretern und Staatsfunktionären sowie konspirativer Einflussnahme durch das MfS. Das Staatssekretariat für Kirchenfragen sowie die für Kirchenfragen zuständigen Funktionäre in den Bezirken, Kreisen und Kommunen übernahmen dabei zentrale Rollen: Ihnen oblag es nämlich, auf die jeweiligen Kirchengliederungen in ihrem Verantwortungsbereich disziplinierenden Einfluss auszuüben, vor allem im Rahmen von Gesprächen, die häufig vor geplanten Veranstaltungen geführt wurden und in denen die Drohung zum Standard-Repertoire gehörte, das Verhältnis von Staat und Kirche könne belastet werden und daraus Nachteile für die jeweiligen Kirchen resultieren, wenn sich die jeweiligen Kirchengliederungen nicht an die getroffenen Absprachen hielten. Folgerichtig unterbreitete Klaus Gysi Honecker die erwähnten Vorschläge mit dem Ziel, den Auswertungs- und Informationsbereich des Staatssekretariates für eine verbesserte Anleitung und Zusammenarbeit mit den Sektorenleitern für Kirchenfragen in den Bezirken und Kreisen sowie eine verbesserte Zusammenarbeit mit den Blockparteien und den gesellschaftlichen Organisationen auszubauen. Ziel war es, eine schnellere Informationsweitergabe sicherzustellen und die kirchenpolitischen Maßnahmen in der Fläche, also die Disziplinierung und Zurückdrängung staats- und politikkritischer Veranstaltungen, stärker zu unterstützen.106 Inwieweit Gysis Wünsche konkret umgesetzt wurden, kann hier nicht erörtert werden, aber für Martin Georg Groener steht fest, dass Gysi seine Dienststelle bedeutend ausweitete und dem Staatssekretariat ein eigenes Profil gab.107

Der dritte und zugleich entscheidende Apparat für die Gestaltung und Umsetzung der SED-Kirchenpolitik war die Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED, die von Rudi Bellmann geleitet wurde und in die Zuständigkeit des ZK-Sekretärs Paul Verner fiel. Bellmann und Verner bzw. ihre jeweiligen Vorgänger waren bis 1981 die hauptsächlichen Empfänger der MfS-Kirchenberichte. Dabei wirft die Berichterstattung der Staatssicherheit gegenüber dem ZK Fragen auf: Denn Dokumente aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv als auch aus der Überlieferung des Zentralkomitees der SED im Bundesarchiv lassen darauf schließen, dass Kirchenberichte für das ZK nicht in jedem Fall als »offizielle« Information der ZAIG die Staatssicherheit verließen, also im Postausgangsbuch der ZAIG registriert wurden.108 Vielmehr weist die HA XX/4 in ihren Jahresbilanzen deutlich mehr »Informationen« aus, die sie verfasst und an die ZAIG weitergegeben hat und die wiederum das ZK erreicht haben sollen. Für den Zeitraum Oktober 1980 bis September 1981 hat die HA XX/4 nach eigener Auskunft insgesamt 289 kirchenpolitische Berichte erarbeitet und davon seien 121 über die ZAIG an das ZK der SED verteilt worden.109 Der Nachweis der ZAIG dokumentiert jedoch nur 30 kirchenpolitische Informationen für das Jahr 1981, die an Rudi Bellmann gingen; bis September waren es insgesamt sogar nur 23 Informationen.110 Und für das letzte Quartal 1980 können vorläufig zwölf kirchenpolitische Berichte gezählt werden.111 Demzufolge ergibt sich eine Differenz von 76 Kirchenberichten, die von der HA XX/4 an das ZK geliefert, aber nicht von der ZAIG dokumentiert wurden. Eine ähnliche Diskrepanz ergibt sich für den Jahrgang 1978,112 für 1982 weist die Jahresanalyse der HA XX/4 leider keine Angaben aus.113

Wie ist diese Differenz zu erklären? Sehr wahrscheinlich mit Informationen, welche die Stasi nicht als offizielle Unterrichtung auf dem sonst üblichen Briefkopf des Ministeriums verlassen haben, sondern als informelle Information. Hierbei ist in vielen Fällen an mündliche Weitergaben zu denken, wie an ein Gespräch am 17. Juni zwischen einem »Genossen des MfS« und einem Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK. In anderen Fällen lassen sich die Kommunikationswege nur erahnen: Rudi Bellmann wollte beispielsweise »gleichlautend vom MfS und der BL Halle« von despektierlichen Äußerungen des Magdeburger Bischofs Werner Krusche anlässlich der Eröffnung eines evangelischen Gemeindezentrums erfahren haben, wie er ZK-Sekretär Paul Verner mitteilte.114 In den hier edierten Berichten des Jahres 1982 ist dieser Vorgang jedoch nicht dokumentiert. Neben mündlichem, insbesondere auch telefonischem Austausch zwischen den genannten kirchenpolitischen Institutionen115 dürfen auch die zahlreichen inoffiziellen Verflechtungen der Stasi im kirchenpolitischen Sektor nicht außer Acht gelassen werden. Dass neben den inoffiziellen Zuträgern im Staatssekretariat für Kirchenfragen zuletzt auch drei Offiziere im besonderen Einsatz in Schlüsselpositionen tätig waren, dürfte für den Informationsfluss zwischen Staatssicherheit und der Gysi-Dienststelle nicht unerheblich gewesen sein.116 Innerhalb des komplexen Geflechtes zur Einflussnahme auf die evangelischen Kirchen waren die kirchenpolitischen Berichte der Staatssicherheit zwar nur eine, sicherlich aber eine wichtige Informationsquelle, denn sie dokumentierten mit geheimpolizeilichen Mitteln tatsächliche oder vermeintliche Verfehlungen und Grenzübertretungen von Kirchenvertretern, die dann den Staatsvertretern zur Verfügung gestellt und von diesen im Rahmen der Gespräche genutzt werden konnten.

Im Februar 1982 unterrichtete die Stasi den ZK-Sekretär Paul Verner z. B. über die »beabsichtigte Veröffentlichung eines ›Berliner Appells Welt ohne Waffen‹ von Robert Havemann und Pfarrer Eppelmann«.117 In ihrem »Berliner Appell« hatten der Dissident Havemann und der unbequeme Jugendpfarrer Eppelmann in acht Punkten eine Friedensordnung entworfen, die eine Entmilitarisierung und Blockfreiheit der beiden deutschen Staaten vorsah und eine Verbannung aller Atomwaffen aus Europa. Insbesondere die Forderung, den Wehrkundeunterricht und die militärische Propaganda abzuschaffen, richtete sich direkt gegen die SED-Politik unter der Devise »Der Friede muss bewaffnet sein«. Ähnlich dem »Krefelder Appell«118 (1980) war der »Berliner Appell« die erste programmatische Friedenserklärung in der DDR, die von zahlreichen Friedensinitiativen getragen wurde.119 Die Versuche, Havemann vom Verfassen des Appells und seiner Veröffentlichung in Westmedien abzubringen, hätten »keinen Erfolg« gezeigt, so Verner weiter – stattdessen sei dem MfS »streng intern« bekannt geworden, dass die Schrift nun fertiggestellt und über zwei westdeutsche Zeitungen120 sowie am 4. Februar über Rundfunkstationen und die ZDF-Sendung »Kennzeichen D« bekannt gemacht werden soll. Als Gegenmaßnahme schlug die Stasi vor, dass Staatsvertreter mit Kirchenvertretern sprächen, um zu verdeutlichen, dass Eppelmann hier eine Grenze übertrete; des Weiteren sollten vervielfältigte Exemplare des Appells beschlagnahmt werden und das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED sollte eine Gegenargumentation vorbereiten.121 Am folgenden Tag wurde auch Erich Honecker informiert, nicht aber von der Stasi, sondern von Paul Verner, in dessen Zuständigkeit als ZK-Sekretär auch die Kirchenpolitik fiel. Dieser berichtete Honecker, dass er durch die Stasi von der Veröffentlichung des Appells erfahren und mit »Genossen Mielke« gesprochen habe. Dass die Stasi die erste Institution war, die über die geplante Veröffentlichung informieren konnte, zeigt sich auch daran, dass Verner die Anlage zur Information 68/82, die eine Abschrift des Appells enthält, direkt an Honecker weitergeleitet hatte.122 Obwohl Verner dem Generalsekretär seinerseits die von der Stasi unterbreiteten Maßnahmen als Reaktion vorschlug, mit Ausnahme der Ausarbeitung einer Gegenargumentation,123 notierte Honecker auf dem Schreiben, sichtlich entnervt: »Ich bin nicht dafür, die ganze Partei wegen Eppelmann in Bewegung zu [bringen (schlecht lesbar)]. Gegen Eppelmann wird entsprechend der Gesetze verfahren EH 5.2.82.«

Sehr wahrscheinlich erarbeitete die Staatssicherheit infolge der Anweisung Honeckers einen »Vorschlag zur Einleitung von politisch-rechtlichen Maßnahmen zur Unterbindung der Verbreitung des sogenannten Berliner Appells«.124 Demzufolge sollte Eppelmann zur Volkspolizei vorgeladen und befragt werden, um zu prüfen, ob der Verdacht einer Straftat vorliege. Freilich sollte die Befragung nicht durch einen Volks- oder Kriminalpolizisten durchgeführt werden, sondern »legendiert […] durch Untersuchungsführer der HA IX des MfS«. Ziel der Vernehmung war u. a., Eppelmann zur Herausgabe aller Entwürfe des Appells sowie alles mit diesem im Zusammenhang stehenden Materials zu zwingen. Außerdem war vorgesehen, dass Eppelmann durch einen Staatsanwalt auf »die Rechtswidrigkeit seiner Handlungen und auf eine Einstellung weiterer diesbezüglicher Aktivitäten hingewiesen und entsprechend verwarnt wird«. Tatsächlich kam es etwas anders: Am 9. Februar verhafteten Stasi-Mitarbeiter Rainer Eppelmann in einem Jugendrüstheim in der Nähe von Storkow und brachten ihn zum Verhör in die Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße. Anschließend kam er in die Stasi-Untersuchungshaftanstalt in Berlin-Hohenschönhausen. Erst hier fand das vom MfS vorgeschlagene Gespräch mit dem Generalstaatsanwalt von Berlin Gläßner statt. Gläßner eröffnete ihm, es laufe ein Ermittlungsverfahren mit Haft. Honecker ließ es sich nicht nehmen, die 1. Sekretäre der SED-Bezirksleitungen davon in Kenntnis zu setzen, dass in der Westpresse ein Aufruf veröffentlicht werde, mit dem man versuche, in der »DDR eine illegale Organisation zu entwickeln«. Der »Rädelsführer, ein gewisser Eppelmann«, sei deshalb festgenommen worden.125

Währenddessen sprach Konsistorialrat Manfred Stolpe am 10. Februar 1982 beim Staatssekretariat für Kirchenfragen vor. Gegenüber dem Hauptabteilungsleiter Heinrich versicherte Stolpe, dass er und auch Bischof Forck gegen die Aktionen Eppelmanns seien und die staatlichen Maßnahmen gegen Eppelmann als »verständliche Reaktion« ansähen. Am 12. Februar werde die Kirchenleitung zu Eppelmann beraten und ihn werde ein kirchliches Verfahren erwarten. Stolpe warnte davor, durch die Verhaftung einen Märtyrer zu schaffen und eine breite Bewegung für die Freilassung Eppelmanns zu aktivieren; dies würde die Kirche letzten Endes zwingen, sich schützend vor den Menschen Eppelmann zu stellen.126 Bereits am 11. Februar durfte Eppelmann die Haftanstalt wieder verlassen. Internationale Proteste und Forderungen sowie die Bemühungen der evangelischen Kirche hatten dies offenbar bewirkt.

Nun fielen aber Stolpes Einlassungen vom 10. Februar 1982 ins Gewicht, denn nur sechs Tage später informierte der Leiter der ZK-Abteilung Kirchenfragen Rudi Bellmann darüber, dass eine Stellungnahme der berlin-brandenburgischen Kirchenleitung, die beim Staatssekretär Gysi eingegangen war, »wesentlich« von Stolpes Zusicherungen abweiche.127 Bellmann stieß sich daran, dass sich die Kirchenleitung nicht eindeutig vom »Berliner Appell« distanziere, sondern sich »an die Seite von Eppelmann« stelle,128 dass die Kirchenleitung nur davon abriet, sich an Unterschriftensammlungen zu beteiligen und nicht wie von Stolpe angekündigt, »kirchlicherseits veranlasst werde, die Unterschriften zurückzuziehen« und dass aus der Ankündigung, das »Kirchenrecht [werde] in vollem Umfange gegen Eppelmann in Anwendung« gebracht, lediglich eine Klärung zum Vorgehen Eppelmanns geworden sei.129 Bellmann bat Verner, Staatssekretär Gysi zu beauftragen, ein Gespräch mit Bischof Forck zu führen, in dem Gysi klarstellen sollte, dass der Beschluss der Kirchenleitung »keinesfalls« den von Stolpe gemachten Ausführungen entspreche. Gysi sollte verdeutlichen, dass durch die Einstellungen der strafrechtlichen Ermittlungen für »die Kirche eine besondere Verpflichtung erwachse, den Weg des 6.3.1978 konstruktiv weiterzuführen«. Für SED und Staatssicherheit bedeutete die »Linie des 6. März 1978«, dass die »domestizierte Kirchenleitung […] die Unruhestifter in ihren eigenen Reihen zu Raison brachte«.130 Die Einhegungsversuche der kirchenpolitischen Apparate zeigten zwar an der einen oder anderen Stelle Wirkung, völlig verhindern konnten sie friedenspolitisches Engagement und staatskritische Aktionen aber letztlich nicht. Noch im Juni lag zum Ärger der Staatsfunktionäre der »Berliner Appell« während einer Friedenswerkstatt in der Lichtenberger Erlöserkirche zur Unterschrift aus und wurde erst nach Intervention eines »staatlichen Vertreter[s]« von Manfred Stolpe eingezogen.131

Im Falle Eppelmann setzte sich die Einsicht in der SED durch, mit Repression noch größeren Schaden zu verursachen. Insofern wirkte hier die Empfehlung der Staatssicherheit zu einer harten Gangart kontraproduktiv. Der Vorgang zeigt zugleich, dass der Einfluss des MfS begrenzt war. Die anhaltenden Debatten um den »Berliner Appell« und die Verwendung des Aufnähers »Schwerter zu Pflugscharen« führten auch dem Sicherheitsapparat vor Augen, dass er abweichendes Verhalten nicht vollständig unterbinden konnte. Sehr wohl aber gelang kurzfristig die Einhegung des Protestes, was die Herrschaft der SED stabilisierte. Die aus Sicht der Staatssicherheit neuralgische Bedeutung dieser Kirchenberichte für die SED-Führung wirft die Frage auf, wie, von wem und nach welchen Kriterien sie innerhalb des MfS entstanden. Zentral waren natürlich die bei der Hauptabteilung XX132 eingehenden Informationen, die unter Weglassung aller Angaben zur Quelle an die ZAIG weitergeleitet wurden. Einige dieser Ausgangsinformationen wurden von der ZAIG lediglich einer Endredaktion unterzogen, das heißt, sie wurden gekürzt und für Empfänger außerhalb des MfS aufbereitet.133 Das bedeutet, dass jeder Bericht mit einem standardisierten Formblatt »Information über …« versehen wurde, das den Hinweis »streng geheim!« trug, und jede Information erhielt eine laufende Nummer.134 Die Berichte wurden in der Regel so aufbereitet, dass externe Empfänger keine Spezialkenntnisse benötigten.135 Ein weiteres Augenmerk wurde darauf gerichtet, dass die Informationen keine Hinweise auf geheimdienstliche Methoden sowie Quellen zuließen. Da solche Hinweise aber nicht in jedem Fall zu vermeiden waren, enthielten entsprechende Informationen den Vermerk »Die Information ist wegen Quellengefährdung« oder auch »äußerster Quellengefährdung136 nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt«. Im Jahr 1982 wurden 50 Berichte mit diesem Vermerk versehen, davon der Großteil Kirchenberichte.

In anderen Fällen wurden mehrere Berichte der Hauptabteilung XX zu einem Themenkomplex, ergänzt teilweise um Informationen aus anderen Diensteinheiten des MfS, zunächst gesammelt und dann zu einem Gesamtbericht zusammengefasst. Exemplarisch kann die Arbeitsweise mit den Ausgangsberichten der HA XX/4 gezeigt werden, die für den Jahrgang 1982 von der HA XX/4 überliefert sind.137 Stichprobenartige Abgleiche der HA-XX/4-Berichte und der versandten ZAIG-Informationen ergeben kein einheitliches Bild. In einigen Fällen sind die Unterschiede zwischen Ausgangsbericht und Endfassung verschwindend gering – so im Fall des Berichtes über die jährliche Konferenz der evangelisch-methodistischen Kirche in der DDR, die im Mai in Karl-Marx-Stadt stattfand. Hierzu fertigte Oberstleutnant Manfred Seltmann, tätig in der Hauptabteilung XX/4, auf Grundlage der Berichte zweier Quellen, IMB »Walter« und IMS »Berg«, einen Bericht und legte diesen der Leitung der HA XX sowie der Auswertungsgruppe der Hauptabteilung (AKG) vor.138 Von dort ging er an die ZAIG zur Endredaktion. Bis auf wenige sprachliche Glättungen entspricht die Information 298/82, die am 14. Juni versandt wurde, weitgehend der Vorlage aus der Feder von Seltmann. Gleiches gilt für die Information 379/82, welche inhaltlich vollumfänglich der Ausgangsinformation 633/82 der HA XX/4 entspricht. Lediglich redaktionelle Änderungen sind festzustellen, wenn beispielsweise »inoffiziell wurde bekannt« (HA XX/4) zu »internen Hinweisen zufolge« umformuliert wurde.139 Gleiches gilt für die Information 331/82 über die Generalsynode der VELK im Juni 1982.140

Anders stellt es sich z. B. bei der Information 319/82 über eine Tagung der Synode der EKU dar: Zwar stimmt die Gliederung der Ausgangsinformation der HA XX/4 weitgehend mit der Information überein, aber die ZAIG hat einige Textteile entfernt und weitere hinzugefügt. Nicht übernommen wurde z. B. eine Passage, in welcher der Westberliner Superintendent und Präses der Synode der EKU (West) über einen Brief berichtete, den Westberliner Kirchenvertreter anlässlich seines Westberlinbesuches an US-Präsident Ronald Reagan übergeben wollten. In diesem Schreiben, so der Bericht der HA XX/4, werde davon ausgegangen, dass »Berlin die ›Ursprungsstadt‹ zweier Weltkriege sowie der Verfolgung des jüdischen Volkes war« und da das »jüdische, polnische und sowjetische Volk […] die schwersten Opfer erleiden« mussten, trage man besondere Verantwortung für die Versöhnung mit den östlichen Nachbarn und daher auch für Frieden, Entspannung, Abrüstung und Verständigung.141 Demgegenüber wurde von der ZAIG eine Passage zu Flugblättern aufgenommen, die den Berliner Bischof Gottfried Forck als U-Boot-Offizier im Zweiten Weltkrieg karikieren. Forck galt der Stasi als unbequemes Kirchenoberhaupt, das sich u. a. mit den Trägerinnen und Trägern des Aufnähers »Schwerter zu Pflugscharen« solidarisierte, indem er diesen Aufnäher auf seiner Aktenmappe »provokativ zur Schau stellte«. Der Information zufolge habe Forck das Flugblatt »sehr emotional« aufgenommen und die staatlichen Organe der DDR hinter dieser Aktion vermutet. Die Beweggründe für die Weglassung sowie die Hinzufügung der hier exemplarisch dargestellten Passagen liegen im Dunkeln. Jedoch war es dem MfS wichtig zu informieren, dass »Forck merklich an Aggressivität« verloren habe und im »Verlauf der Synodaltagung passiv und nur kurz zu rein innerkirchlichen Fragen Stellung genommen« habe.142 Als weiteres Beispiel für weitergehende Eingriffe seitens der ZAIG sei noch auf die Information 284/82 über eine Tagung der Synode der Evangelischen Landeskirche Anhalts verwiesen. Die Ausgangsinformation der HA XX/4 weist in diesem Fall eine andere Struktur bzw. Gliederung auf und auch hier wurden Ergänzungen vorgenommen. So wurden im ZAIG-Exemplar die Diskussionsbeiträge des Kirchenpräsidenten Eberhard Natho um einige Details ergänzt, konkret etwa, dass Natho sich von Rainer Eppelmann und dem »Berliner Appell« distanziert habe oder dass er kirchliche Jugendmitarbeiter, wie den umstrittenen Jugenddiakon aus Halle Lothar Rochau,143 als »halbe asoziale Personen« bezeichnet haben soll und es »eine schlimme Sache« sei, dass sich die Bischofskonferenz mit »diese[n] Figuren« befassen müsse. Auch die Schilderungen einer Diskussion von Synodalen, die einen Beschluss zum Sozialen Friedensdienst einbrachten und eine Stellungnahme zur »Aufnäherproblematik« forderten, finden sich nur im ZAIG-Bericht. Auch an dieser Stelle muss offenbleiben, ob diese Informationen zusätzlich angefordert wurden, um dem Bericht eine bestimmte Wendung zu geben, oder ob Informationen bereits vorhanden waren und mitverarbeitet wurden. Hier deutet sich an, dass die ZAIG sich nicht auf die Schilderung der Hauptabteilung allein verlassen hatte.

Ungeachtet solcher in Teilen erheblichen Eingriffe in die Vorlagen der Fachabteilungen behielten diese in sachlicher Hinsicht aber das letzte Wort. Für die Hauptabteilungen XVIII (Volkswirtschaft), XIV (Verkehr) und XX (Staatswesen, Kirchen, Kultur, Opposition), die allesamt in die Zuständigkeit des Stellvertreters des Ministers Rudi Mittig fielen, war dies auch formalisiert. Demnach waren alle Informationen aus den drei Bereichen, die für eine Verteilung in den Partei- und Staatsapparat vorgesehen waren, dem Leiter der jeweiligen Hauptabteilung vorzulegen; dann waren eventuelle Korrekturen einzuarbeiten und der Entwurf dem Leiter der ZAIG Werner Irmler vorzulegen. Dieser wiederum leitete den Entwurf mit einem Verteilervorschlag an Rudi Mittig weiter, dem die Bestätigung der Information und des Verteilers oblag, bevor die Information samt Verteilervorschlag dem Minister zur Unterschrift vorgelegt wurde.144 In der Praxis übersandte die ZAIG z. B. am 3. Juli die Information 367/82 über die »Blues-Messen« an den Leiter der HA XX Paul Kienberg mit der »Bitte um Kenntnisnahme und Meinungsäußerung«. Daraufhin wurde die Information »geändert« und nach telefonischer Zustimmung seitens der HA XX an Günter Hackenberg (ZAIG/1) nahm sie den geschilderten Weg über Rudi Mittig und Erich Mielke in die Außenverteilung.145 Die Information 252/82 über den Besuch des westdeutschen Friedensaktivisten und SPD-Politikers Erhard Eppler sowie des Bundesverfassungsrichters und Präsidenten des Deutschen Evangelischen Kirchentages Helmut Simon in der DDR wurde am 15. Mai zwar ebenfalls an die HA XX »zur Meinungsäußerung gebracht«, jedoch erfolgte seitens der Kienberg-Abteilung »keine Reaktion«; eine Verteilung dieses Berichts ist ebenfalls nicht nachweisbar.146 Unklar ist, an welcher Stelle diese Information zurückgestellt wurde, ob durch Rudi Mittig oder aber eventuell auch nach weiteren Konsultation mit der HA XX. Wie konkret sich die Zusammenarbeit zwischen den Hauptabteilungen der Staatssicherheit und der ZAIG im Detail darstellte, insbesondere im Zusammenhang mit der Fertigung, der Verteilung und letztlich auch der Auswertung der Informationen mit den externen Empfängern, bedarf weiterer Forschungen.

Darüber hinaus muss auch das Zusammenspiel der drei kirchenpolitischen Institutionen genauer untersucht werden. Die ZAIG-Berichte, die in der Edition präsentiert werden, bilden die kirchenpolitischen Entwicklungen nur unvollständig ab. Dies liegt in der Natur der Sache: Anders als z. B. bei Berichten zu Bränden und Störungen in den Betrieben oder aber Fluchten und Fluchtversuchen konnte die ZAIG in kirchenpolitischen Fragen in der Regel keine abschließenden Ergebnisse präsentieren. Die Kirchenberichte der Stasi müssen vielmehr als Arbeitsmaterial für die kirchenpolitischen Apparate verstanden werden, die für Nutzer verfasst wurden, welche ein mehr oder minder umfassendes Grundwissen mitbrachten und über die Entwicklungen in diesem Bereich informiert sein wollten. Die Berichte können nicht als in sich abgeschlossen, sondern müssen eher als eine permanent fortgeschriebene Reihe gesehen werden, deren Wert sich für die damals involvierten Einrichtungen sowie für die historische Forschung aus der Gesamtschau des Informationsaufkommens aller beteiligten Institutionen ergibt.

3. Adressaten

Für die »geheimen Berichte an die SED-Führung« sind die Verteiler ab Mitte des Jahres 1956 weitgehend überliefert. Dabei gilt grundsätzlich, dass zum Kreis der ausgewiesenen Empfänger in der Regel zwar nicht Mielke selbst, aber die MfS-Führung gehörte, Mielkes Stellvertreter Rudi Mittig und Gerhard Neiber, die Leiter der thematisch involvierten operativen Diensteinheiten und Bezirksverwaltungen sowie einige leitende Vertreter der ZAIG, neben Werner Irmler meist Rudi Taube (Leiter Bereich 1), Karl Großer (Leiter AG 2 im Bereich 1: Wirtschaft, Spionageabwehr), Peter Poppitz (Leiter AG 3 im Bereich 1: Verteidigung, Grenze, Ausreise), Dieter Tannhäuser (Leiter AG 6 im Bereich 1: PID/PUT, Kirche, Kultur) und Eberhard Rebohle (Offizier für Auswertung in der AG 6 im Bereich 1). Berichte über Aktionen von und mit westlichen Organisationen und Einzelpersonen wurden oft auch an den KGB in Berlin-Karlshorst weitergeleitet, darunter 1982 z. B. die Besuche westlicher Persönlichkeiten oder Vorkommnissen mit westalliierten Soldaten. Nach außen verteilt wurden in der Regel nur die »Informationen«, wobei SED-Funktionäre häufiger als Empfänger ausgewiesen wurden als Staatsfunktionäre. Dabei beschränken sich die Verteiler auf wenige Exemplare zwischen einem und maximal sieben Empfängern. Der ZAIG-Leiter schlug, gestützt auf Hinweise der Hauptabteilungen, dem Minister einen Verteiler vor. Dieser konnte Verteiler bestätigen, verändern147 usw.; auch konnte er Informationen komplett zurückhalten (1982 waren 14 Informationen »nicht rausgegangen«). Alle Exemplare, die nach außen verteilt wurden, sollten von Mielke unterschrieben werden.148

Für die Verteilung innerhalb der Staatssicherheit ergibt sich auf den ersten Blick ein verzerrtes Bild, denn Rudi Mittig war mit insgesamt 101 Informationen und Berichten der Spitzenempfänger innerhalb des MfS gefolgt vom Leiter der HA XX, Paul Kienberg mit 55 Informationen und Berichten. Da aber alle Berichte, die nach außen verteilt wurden, über Mielkes Schreibtisch gingen, ist anzunehmen, dass der Minister alle Informationen zur Kenntnis nahm, aber nur dann in den Verteiler aufgenommen wurde, wenn er ein Exemplar einer Information anforderte, z. B. für eine persönliche Übergabe. Etwa wie im Fall der Information 358/82, die laut Verteiler Verteidigungsminister Heinz Hoffmann »persönlich durch Minister übergeben« worden war – hier wird Mielke auch als interner Empfänger der Information ausgewiesen. In anderen Fällen, z. B. der Information 487/82, wird Mielke ebenfalls als interner Empfänger ausgewiesen; hier erfolgte die Übergabe jedoch erst am 15. September 1982,149 obwohl Honecker bereits einen Tag früher die Information erhielt.150 Es ist anzunehmen, dass in diesem Fall womöglich ein Stellvertreter Mielkes, Mittig oder Neiber, in Vertretung des Ministers die Information unterzeichnet und zur Außenverteilung freigegeben hatte und Mielke später in Kenntnis gesetzt wurde. Ähnliches gilt auch für die Information 507/82; Erich Honecker erhielt hier am 24. September die Information, Mielke hingegen erst am 27. September. Dass Mielke das Berichtswesen im Auge hatte, ohne wie in früheren Jahren dazu im Verteiler aufgeführt zu werden, zeigt die Information 658/82. Mielke wird nicht als Empfänger ausgewiesen, hat aber ein persönliches Anschreiben an den Empfänger, Generalstaatsanwalt Josef Streit, verfasst und die Inhalte des Berichts in einem Telefonat mit Streit erörtert. Die Verteilungspraxis orientierte sich an thematischen Berichtsschwerpunkten. Daraus resultiert auch, dass nicht der Generalsekretär, sondern Paul Verner und Rudi Bellmann 1982 mit je 45 Berichten die häufigsten Empfänger von Einzelinformationen im Parteiapparat waren, direkt gefolgt von Klaus Gysi dem Staatsfunktionär.151 Wie bereits oben beschrieben, kann diese Platzierung kaum verwundern, denn Verner, Bellmann und Gysi waren die drei Topfunktionäre, die mit der Kirchenpolitik in der DDR befasst waren.

4. Struktur und Entwicklung der ZAIG

Die Lage- und Stimmungsberichterstattung des MfS war eine direkte Folge des Juni-Aufstandes im Jahr 1953. Um nicht noch einmal von einer derartig existenziellen Krise überrascht zu werden, richtete der damalige Stasi-Chef Ernst Wollweber eine achtköpfige Informationsgruppe ein. Sie sollte die Parteiführung rechtzeitig über herrschaftsgefährdende Entwicklungen informieren. Dieses kleine Nachrichtenbüro wurde in den Folgejahren kontinuierlich ausgebaut und professionalisiert. Im Jahr 1960 erhielten zum Beispiel die Bezirksverwaltungen und operativen Hauptabteilungen des MfS eigene Informationsgruppen als Unterbau der jetzt »Zentrale Informationsgruppe« genannten Diensteinheit. Ab 1965 wurden diese Informationsgruppen in ein einheitliches System der Recherche, Selektion und Auswertung von Informationen inkorporiert. Die »Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe« an der Spitze besaß nun Auswertungs- und Informationsgruppen als »Filialen« in allen operativen und regionalen Diensteinheiten. Diese hierarchische Struktur zum Sammeln und Verarbeiten von Informationen, eine Art Nervenzentrum des MfS, zog in der Folgezeit weitere Funktionen an sich: So wurde 1968 das innerministerielle Kontrollwesen, ein Jahr später die Verantwortung für die elektronische Datenverarbeitung und 1985 die Öffentlichkeitsarbeit und Traditionspflege des MfS eingegliedert. Der Institution untergeordnet waren nun auch das Archiv, die Registratur, das Rechenzentrum und die Rechtsstelle. Die ZAIG sollte damit nicht nur das an der Spitze angesammelte geheimpolizeiliche Wissen auswerten, aufbereiten und bei Bedarf der politischen Führung zur Verfügung stellen. Mithilfe von Auswertungs- und Kontrollgruppen (AKG) in jeder Hauptabteilung, selbstständigen Abteilung und Bezirksverwaltung des MfS stand die ZAIG auch in der Pflicht, eine einheitliche und effektive Anleitung, Kontrolle und Weiterentwicklung sämtlicher administrativer und operativer Verfahren bis hinunter auf die Kreisebene sicherzustellen.152

Binnen zwei Jahrzehnten hatte sich damit aus einer einfachen Redaktionskommission für MfS-Berichte die wichtigste Schaltzentrale der Staatssicherheit entwickelt. Ablesen lässt sich dieser Bedeutungszuwachs vor allem an der Zunahme des Personalbestands der Diensteinheit, der sich von 57 Mitarbeitern im Jahr 1972 auf 225 Mitarbeiter im Jahr 1983 vergrößert hatte. Rechnet man noch die Mitarbeiter der AKG auf BV-Ebene hinzu, arbeiteten Anfang der 1980er-Jahre 831 Mitarbeiter für das Stasi-interne Auswertungs- und Kontrollsystem.153 Treibende Kraft dieser Expansion war Generalleutnant Werner Irmler, der faktisch seit 1957 für das innere System der Informationssammlung und -auswertung zuständig war und 1965 die Leitung der ZAIG auch formal übernahm. Er zählte zu den engsten Vertrauten Erich Mielkes, in dessen direktem Anleitungsbereich die Diensteinheit angesiedelt war.

Der traditionelle Kernbereich der ZAIG blieb bis zuletzt der Bereich 1, zuständig für die Auswertungs- und Informationstätigkeit. Die von den zentralen und unteren Diensteinheiten eingehenden Informationen wurden hier in sechs Arbeitsgruppen analog zu den wichtigsten Überwachungsschwerpunkten des MfS sortiert, verdichtet und interpretiert.154 Die Ergebnisse flossen anschließend in das Berichtswesen ein, für das der Stellvertreter Irmlers, Rudi Taube, zuständig war. Taube sollte sicherstellen, dass die Leitungsebenen des MfS, der SED und des Staatsapparates über Meinungen in der Bevölkerung zu bestimmten Ereignissen und über einzelne sicherheitsrelevante Vorkommnisse frühzeitig und umfassend unterrichtet wurden. Die Fertigung der Berichte übernahmen vor allem die von Taubes Stellvertreter Günter Hackenberg angeleiteten Arbeitsgruppen (AG) 1 (internationale Fragen, Systemauseinandersetzung), 2 (Extremismus, Terror, Spionage, Verkehr, Volkswirtschaft) und 6 (Politische Untergrundtätigkeit, Kirche, Kultur, Jugend). Die AG 6 war erst 1981 als Reaktion auf die immer selbstbewusster auftretenden unabhängigen Friedens- und Umweltgruppen gegründet worden. Die AG 4 (Auswertung westlicher Medien) und AG 5 (Dokumentation) übernahmen eher unterstützende Funktionen.155 Alle Arbeitsgruppen zusammen verfügten 1986 über 44 Planstellen.156

5. Druckauswahl und Formalia

In dieser Buchausgabe liegt eine Auswahl der 202 edierten Dokumente des Jahres 1982 vor. Die Zusammenstellung umfasst sowohl standardmäßige Berichte als auch Exemplare mit besonderen formalen oder inhaltlichen Auffälligkeiten. In ihrer Gesamtheit sollen sie einen Eindruck von der Dramatik des Jahres und der Vielfalt der wiedergegebenen Ereignisse vermitteln. Auf der Website 1982.ddr-im-blick.de sind alle edierten Berichte des Jahres abrufbar. In Form einer Datenbank ist hier auch eine elektronische Volltextrecherche möglich.

Die Wiedergabe der Dokumente folgt grundsätzlich dem Original. Die Rechtschreibung ist den heutigen gültigen Regeln angeglichen. Während kleinere Tipp- und Rechtschreibfehler stillschweigend korrigiert werden, bleiben größere Orthografie- und Grammatikfehler aus Gründen der Quellenauthentizität unverändert. Ungewöhnliche Abkürzungen werden stillschweigend in übliche umgewandelt oder ausgeschrieben. Eventuelle Unterstreichungen, Randvermerke und Einkreisungen werden im Dokumentenkopf erwähnt, wenn sie gleichmäßig einen Großteil des Textes betreffen. Auf besondere Markierungen einzelner Wörter oder Sätze wird in einem Fußnotenkommentar aufmerksam gemacht.

Gemäß § 32 a des Stasi-Unterlagen-Gesetzes wurden die in den Texten erwähnten Personen der Zeitgeschichte sowie Amts- und Funktionsträger öffentlicher Institutionen vor der Veröffentlichung von Informationen zu ihrer Person benachrichtigt, wenn die Angaben nach einer Einordnung verlangen oder über ihre reine Funktionstätigkeit hinausgehen. Betroffene, die nicht zu diesen Personenkreisen gehören, wurden um eine Einwilligung für die Publikation von Daten zu ihrer Person gebeten. Um den Schutz der Persönlichkeitsrechte zu gewährleisten, war es bei einigen wenigen Berichten notwendig, Passagen, Personennamen oder Adressenangaben zu anonymisieren. Die Aussagekraft der Quellen wird dadurch aber in keiner Weise beeinträchtigt, da es sich hierbei in der Regel um weniger relevante Angaben handelt. Die mitunter sehr aufschlussreichen Anmerkungen und Richtigstellungen von Personen, die sich auf Nachfrage zu den sie betreffenden Aussagen der Berichte äußerten, wurden den Dokumenten als Fußnotenkommentar hinzugefügt.

6. Schlussbemerkungen

Im Spiegel der Berichte der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe des Jahres 1982 scheint es, dass die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen sowie die Aktionen und Debatten der unabhängigen Friedensinitiativen die größte sicherheitspolitische Herausforderung des SED-Staates gewesen sein müssten. Allerdings zeigen die außen- und sicherheitspolitischen Entwicklungen des Jahres, dass diese innergesellschaftlichen Erscheinungen nur eine und sicherlich nicht die wichtigste Herausforderung für die Partei- und Staatsführung der DDR waren. Zwar waren der DDR hinsichtlich der erstarkenden Blockkonfrontation weitgehend die Hände gebunden:157 Weder konnte sie militärisch einen substanziellen Beitrag zu dem von der Sowjetunion eingeschlagenen Kurs des Wettrüstens beitragen, noch befand sie sich international in einer Situation, die ihr eine außen- oder wenigstens deutschlandpolitische Mitgestaltung erlaubt hätte. Dennoch musste sich auch die SED mit den mittelbaren Folgen der internationalen Lage auseinandersetzen: an allererster Stelle mit den ökonomischen Verwerfungen. Wie gezeigt werden konnte, mischte sich die Stasi zumindest mit ihren Berichten an die Parteiführung nicht in diese Auseinandersetzungen ein. Das ist bemerkenswert, weil vor den Erfahrungen der Jahre 1970/71 und dem Umstand, dass die Stasi die Wirtschafts- und Finanzprobleme der DDR sehr genau im Blick hatte, eine klare sicherheitspolitische oder gar herrschaftsgefährdende Lage eingetreten war. Die Zurückhaltung ist Ausdruck der Unterordnung der Stasi unter die SED: Solange aus dem Machtzentrum bzw. von machtvollen Akteuren wie Wirtschaftssekretär Günter Mittag keine Bereitschaft signalisiert wurde, den wirtschaftspolitischen Kurs zu ändern, hielt sich auch Politbüromitglied und Stasi-Minister Mielke mit Informationen seines Hauses bedeckt.

Stattdessen verlegte sich die Berichterstattung der Stasi auf den Bereich Kirchen und politisch abweichendes Handeln, worunter 1982 vor allem die friedenspolitischen Aktivitäten unter den Dächern der evangelischen Landeskirchen verstanden wurde. Aufgrund der oben aufgezeigten tiefen Durchdringung des Kirchenapparates in der DDR konnte die Stasi auf diesem Gebiet als nützlicher Nachrichtengeber gegenüber der SED-Führung, häufig auch direkt gegenüber Honecker, reüssieren. Die allermeisten friedenspolitischen Aktivitäten, das zeigen die Berichte aber auch, waren abgesehen von den Geschehnissen um den »Berliner Appell« und Pfarrer Rainer Eppelmann kaum geeignet, der SED innen- oder außenpolitischen Schaden zuzufügen. Gleichwohl investierte die Stasi erhebliche Ressourcen in diese Art von Berichterstattung, welche die 1980er-Jahre ganz wesentlich prägen sollte. Obwohl die Friedensinitiativen in der DDR nicht als einheitlich agierende Bewegung bezeichnet werden müssen,158 beschrieb die Staatssicherheit Friedensgruppen sowie später auch Umwelt-, Zweite-/Dritte-Welt-Gruppen, Ärztekreise und Menschenrechtsgruppen als »innere Opposition« bzw. »politischen Untergrund«159 und konstruierte damit in ihren Berichten eine Bedrohungslage, die in diesem Maße tatsächlich nicht existierte.

7. Anhang: Adressaten der Berichte 1982

Tabelle 1: Adressaten der Berichte 1982 außerhalb des MfS

Name, Vorname, Funktion

Information Nr.
(auch Nr. O- bzw. K-Bericht)

Anzahl

Arndt, Otto (Jg. 1920)

ZK-Mitglied, Minister für Verkehrswesen

9, 172, 179, 272, 368, 642

6

Axen, Hermann (Jg. 1916)

SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Außenpolitik

595

1

Beil, Gerhard (Jg. 1926)

ZK-Mitglied, Staatssekretär und 1. Stellv. des Ministers für Außenhandel

141

1

Bellmann, Rudi (Jg. 1919)

Leiter der AG Kirchenfragen beim ZK der SED

12, 34, 48, 58, 82, 85, 119, 131, 133, 142, 143, 156, 173, 174, 190, 206, 215, 229, 251, 275, 284, 298, 319, 321, 331, 356, 367, 379, 487, 507, 508, 510, 545, 546, 566, 568, 587, 590, 595, 597, 607, 608, 628, 629, 632

45

Böhme, Hans-Joachim (Jg. 1931)

ZK-Mitglied, Minister für Hoch- und Fachschulwesen

116, 578

2

Dickel, Friedrich (Jg. 1913)

ZK-Mitglied, Minister des Innern

9, 71, 172, 179, 255, 272, 285, 456, 594, 642

10

Donda, Arno (Jg. 1930)

Leiter der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik

70, 254, 455, 593

4

Feist, Manfred (Jg. 1930)

ZK-Mitglied, Abteilungsleiter für Auslandsinformation des ZK der SED

595

1

Fischer, Oskar (Jg. 1923)

ZK-Mitglied, Minister für Auswärtige Angelegenheiten

44, 45, 46, 47, 84, 104, 118, 216, 218, 230, 309, 378, 592

13

Gysi, Klaus (Jg. 1912)

Staatssekretär für Kirchenfragen im Ministerrat

12, 34, 48, 58, 85, 119, 131, 133, 142, 143, 156, 173, 174, 190, 206, 215, 229, 251, 275, 284, 298, 319, 321, 331, 356, 367, 379, 487, 507, 508, 510, 545, 546, 566, 568, 587, 590, 597, 607, 608, 628, 629, 632

43

Hager, Kurt (Jg. 1912)

SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Wissenschaft, Bildung und Kultur

116, 142, 578, 618

4

Herrmann, Joachim (Jg. 1928)

SED-Politbüro, Chefredakteur des »Neuen Deutschlands«,

ZK-Sekretär für Medien

141, 524, 595, 632

4

Hoffmann, Hans-Joachim (Jg. 1929)

ZK-Mitglied, Kulturminister

618

1

Hoffmann, Heinz (Jg. 1910)

SED-Politbüro, Minister für Nationale Verteidigung

358, 378

2

Honecker, Erich (Jg. 1912)

SED-Generalsekretär, Staatsratsvorsitzender, Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates

9, 58, 69, 73, 82, 119, 173, 176, 178, 191, 206, 216, 218, 227, 228, 251, 271, 309, 321, 356, 477, 487, 507, 524, 546, 568, 589, 590, 607, 632, 644

31

Honecker, Margot (Jg. 1927)

ZK-Mitglied, Ministerin für Volksbildung

240, 308, 567, 645

4

Junker, Wolfgang (Jg. 1929)

ZK-Mitglied, Minister für Bauwesen

598

1

Keßler, Heinz (Jg. 1920)

ZK-Mitglied, stellv. Minister für Nationale Verteidigung

358, K2/27

2

KGB Karlshorst »AG«

44, 84, 104, 201, 216, 228, 230, 389, 544, 632

10

König, Herta (Jg. 1929)

stellv. Ministerin der Finanzen

11, 24, 35, 49, 59, 72, 83, 95, 105, 117, 132, 144, 162, 175, 189, 205, 217, 239, 241, 253, 274, 288, 297, 318, 339, 357, 369, 380, 400, 418, 427, 436, 454, 476, 478, 486, 496, 506, 509, 520, 523, 542, 547, 557, 577, 591, 596, 609, 630, 641, 646, 659

52

Krenz, Egon (Jg. 1937)

Erster Sekretär des Zentralrates der FDJ

116, 275, 618

3

Krolikowski, Herbert (Jg. 1924)

ZK-Mitglied, 1. Stellv. des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten

276, 378

2

Krolikowski, Werner (Jg. 1928)

SED-Politbüro, 1. Stellv. des Vorsitzenden des Ministerrates

73, 588, 589, 598

4

Mecklinger, Ludwig (Jg. 1919)

ZK-Kandidat, Minister für Gesundheitswesen

578

1

Mittag, Günter (Jg. 1926)

SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Wirtschaft

73, 141, 588, 619, 644

5

Mitzinger, Wolfgang (Jg. 1932)

SED, Minister für Kohle u. Energie

588, 589, 598

3

Naumann, Konrad (Jg. 1928)

SED-Politbüro, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin

10, 142, 171, 180, 273, 286, 321, 356, 367, 507, 595, 643

12

Neumann, Alfred (Jg. 1909)

SED-Politbüro, 1. stellv. Vorsitzender des Ministerrates

299, 368, 619

3

Nier, Kurt (Jg. 1927)

stellv. Minister für Auswärtige Angelegenheiten

398

1

Ragwitz, Ursula (Jg. 1928)

Leiterin der ZK-Abteilung für Kultur

618

1

Rauscher, Gudrun

Abteilungsleiterin im Finanzministerium

418

1

Scheibe, Herbert (Jg. 1914)

Generaloberst, Leiter der Abt. Sicherheit des SED-ZK

358

1

Seidel, Karl (Jg. 1930)

Leiter der ZK-Abteilung Gesundheitspolitik

578

1

Singhuber, Kurt (Jg. 1932)

SED, Minister für Erzbergbau, Metallurgie und Kali

619

1

Sölle, Horst (Jg. 1924)

ZK-Mitglied, Minister für Außenhandel

141

1

Stoph, Willi (Jg. 1914)

SED-Politbüro, Vorsitzender des DDR-Ministerrates

299, 588, 589, 598, 619, 644

6

Streit, Josef Ernst (Jg. 1911)

ZK-Mitglied, Generalstaatsanwalt der DDR

658

1

Verner, Paul (Jg. 1911)

SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Sicherheit und Kirchenfragen

12, 34, 48, 58, 68, 82, 85, 131, 143, 156, 174, 190, 206, 215, 229, 251, 275, 284, 298, 319, 321, 331, 356, 367, 368, 378, 379, 398, 507, 508, 510, 524, 545, 546, 566, 568, 587, 590, 595, 597, 607, 608, 628, 629, 632

45

Tabelle 2: Name und Funktion der Adressaten innerhalb des MfS 1982

Name, Vorname, Funktion

Information Nr.
(auch Nr. O- bzw. K-Bericht)

Anzahl

Abteilung Finanzen

11, 24, 35, 49, 59, 72, 83, 95, 105, 117, 132, 144, 162, 175, 189, 205, 217, 239, 241, 253, 274, 288, 297, 318, 339, 357, 369, 380, 400, 418, 427, 436, 454, 476, 478, 486, 496, 506, 509, 520, 523, 542, 547, 557, 577, 591, 596, 609, 630, 641, 646, 659

52

Böhm, Horst (Jg. 1937)

Leiter BV Dresden

85

1

Braun, Edgar (Jg. 1939)

ab 7/1982 Leiter HA XIX

368, 556

2

Büchner, Joachim (Jg. 1929)

Leiter HA VII

9, 71, 172, 179, 227, 228, 255, 271, 272, 285, 309, 456, 567, 594, 631, 642

16

Carlsohn, Hans (Jg. 1928)

Leiter des Sekretariats des Ministers

367, K2/28a

2

Coburger, Karli (Jg. 1929)

Stellv. des Leiters der HA IX

590

1

Dahl, Harry (Jg. 1929)

Leiter HA XXII

84, 104, 230

3

Dietze, Manfred (Jg. 1928)

Leiter HA I

84, 104, 227, 230, 309, 358, 378, 522, 631, K2/27

10

Fiedler, Heinz (Jg. 1929)

Leiter HA VI

9, 10, 70, 71, 171, 172, 179, 180, 216, 218, 254, 255, 271, 272, 273, 285, 286, 399, 455, 456, 524, 592, 593, 594, 642, 643

26

Fischer, Karl (Jg. 1938)

ZAIG/1, Leiter der AG 5

K2/28a

1

Fister, Rolf (Jg. 1929)

Leiter HA IX

216, 218, 227, 228, 271, 308, 309, 358, 378, 521, 522, 631, K2/27

13

Freiberg, Walter (Jg. 1922)

Leiter HV A/VII

141

1

Frenzel, Karl-Heinz (Jg. 1940)

ZAIG/1, AG 3

69, 201, 216, 218, 308, 593, 594

7

Gehlert, Siegfried (Jg. 1925)

Leiter BV Karl-Marx-Stadt

271, 299, 358

3

Geisler, Otto (Jg. 1930)

Leiter der Arbeitsgruppe des Ministers

44, 544, 567, K2/27, O/105d, O/105e, O/105f, O/108, O/109, O/112

10

Giersch, Jean (Jg. 1934)

ZAIG/1, AG 2

141, 588, 589, 598, 619, O/110

6

Göbel, Heinz (Jg. 1937)

ZAIG/1, AG 3

35, 49, 59, 70, 71, 72, 83, 95, 117, 132, 175, 179, 180, 189, 205, 217, 239, 241, 253, 254, 255, 272, 273, 274, 285, 286, 297, 318, 339, 357, 427, 436, 454, 455, 456, 476, 478, 486, 496, 506, 523, 542, 547, 557, 591, 592, 596, 609

48

Griebner, Helmut (Jg. 1919)

bis 7/1982 Leiter HA XIX

272

1

Großer, Karl (Jg. 1929)

ZAIG/1, Leiter der AG 2

276, 556, O/106

3

Großmann, Werner (Jg. 1929)

stellv. Leiter HV A

O/108

1

Grünberg, Gerhard (Jg. 1920)

Leiter Zentraler Operativstab

172, O/108

2

Hackenberg, Günter (Jg. 1931)

stellv. Leiter ZAIG/1

118, 227, K1/119

3

Häbler, Manfred (Jg. 1930)

Leiter Abt. XX der BV Berlin

K1/114

1

Hähnel, Siegfried (Jg. 1934)

Stellv. Operativ des Leiters der BV Berlin

K1/114

1

Hauptabteilung VIII

44, 45, 46, 47, 201, 389, 544

7

Hauptabteilung XVIII

O/106

1

Hauptabteilung XX

23, 48, 119, 173, 176, 191, 275

7

Hennig, Werner (Jg. 1928)

Leiter Abteilung Finanzen

630, 646, 659

3

Hummitzsch, Manfred (Jg. 1929)

Leiter BV Leipzig

69, 116

2

Irmler, Werner (Jg. 1930)

Leiter ZAIG

299, K1/114, K1/115, K2/28, K3/53, K3/54, O/106, O/107, O/109, O/110, O/111, O/112

12

Janßen, Horst (Jg. 1929)

Leiter AG XVII

69, 398

2

Jänicke, Horst (Jg. 1923)

stellv. Leiter HV A

477

1

Kienberg, Paul (Jg. 1926)

Leiter HA XX

12, 34, 58, 68, 82, 85, 116, 118, 131, 133, 142, 143, 156, 174, 176, 178, 190, 191, 206, 215, 229, 240, 251, 275, 284, 298, 308, 319, 321, 331, 356, 367, 379, 487, 507, 508, 510, 545, 566, 567, 568, 578, 587, 589, 590, 595, 597, 607, 608, 618, 628, 629, 632, 645, O/108

55

Kleine, Alfred (Jg. 1930)

Leiter HA XVIII

73, 141, 276, 477, 588, 598, 619, 644, K1/119, O/107, O/108, O/109, O/110, O/111

14

Koch, Peter (Jg. 1929)

Leiter BV Neubrandenburg

368

1

Kratsch, Günther (Jg. 1930)

Leiter HA II

118, 524, 636

3

Lehmann, Dieter (Jg. 1928)

Leiter BV Gera

133, 308, 567

3

Lemme, Udo (Jg. 1941)

Leiter Rechtsstelle

44, 69, 218

3

Mielke, Erich (Jg. 1907)

Minister

44, 45, 46, 47, 68, 141, 173, 176, 191, 358, 477, 487, 507, 544, K1/114, K1/115, K1/116, K2/28, K3/53, K3/54, O/105d, O/105e, O/105f, O/106, O/107, O/108, O/109, O/110, O/111, O/112

30

Mittig, Rudi (Jg. 1925)

stellv. Minister

12, 23, 34, 48, 58, 68, 69, 73, 82, 85, 116, 118, 119, 131, 133, 141, 142, 143, 156, 172, 173, 174, 176, 177, 178, 179, 190, 191, 206, 215, 216, 227, 228, 229, 230, 240, 251, 271, 272, 275, 276, 284, 285, 298, 308, 309, 319, 321, 331, 356, 367, 368, 379, 477, 487, 507, 508, 510, 524, 533, 545, 546, 556, 566, 567, 568, 578, 587, 588, 589, 590, 592, 595, 597, 598, 607, 608, 618, 619, 628, 629, 632, 636, 642, 644, 645, 658, K1/114, K1/115, K3/53, K3/54, O/105d, O/105e, O/105f, O/106, O/107, O/108, O/109, O/110, O/111, O/112

101

Müller, Wilfried (Jg. 1931)

Leiter BV Magdeburg

227, 378, 619, 628

4

Neiber, Gerhard (Jg. 1929)

stellv. Minister

9, 10, 44, 69, 84, 104, 172, 179, 201, 216, 218, 227, 228, 230, 271, 272, 285, 308, 309, 358, 378, 524, 544, 592, 642, O/105d, O/105e, O/105f, O/108, O/109, O/112

31

Poppitz, Peter (Jg. 1937)

ZAIG/1, Leiter der AG 3

9, 10, 171, 172, 271, 309, 509, 520, 567

9

Rebohle, Eberhard (Jg. 1943)

ZAIG/1, AG 2

82, 85, 133, 173, 215, 507, 508, 510, 568

9

Riedel, Klaus-Dieter (Jg. 1941)

ZAIG/1, AG 6, Offizier für Sonderaufgaben

240, 587, 595, K1/115

4

Schmidt, Heinz (Jg. 1930)

Leiter BV Halle

228, 645

2

Schorm, Ursula (Jg. 1934)

ZAIG/1, AG 2

12, 34, 48, 58, 68, 142, 143, 173, 174, 190, 191, 206, 229, 284, 298, 319, 321, 331, 356, 536, 545, 566, 590, 597, 607, 608, 628

27

Schubert, Albert (Jg. 1923)

Leiter HA VIII

44, 45, 46, 47, 201, 216, 524, 544

8

Schwanitz, Wolfgang (Jg. 1930)

Leiter BV Berlin

10, 44, 82, 84, 104, 142, 171, 180, 230, 273, 286, 321, 356, 367, 507, 524, 544, 595, 643

19

Seebe, Heinz (Jg. 1938)

ZAIG/1, AG 3, Offizier für Sonderaufgaben

578

1

Stern, Primus (Jg. 1929)

ZAIG/1, AG 2, Offizier für Sonderaufgaben

84

1

Stöß, Herbert (Jg. 1923)

Leiter BV Frankfurt/O.

191, 598

2

Strauss, Werner (Jg. 1930)

stellv. Leiter HV A/VII

487, 595

2

Tannhäuser, Dieter (Jg. 1936)

ZAIG/1, ab 1.10.1982 Leiter der AG 6

116, 178, 275, 487

4

Taube, Rudi (Jg. 1926)

stellv. Leiter ZAIG u. Leiter ZAIG/1

K2/28a

1

Wiegand, Joachim (Jg. 1932)

Leiter HA XX/4

178, 590, 595, K3/54

4

Wolf, Markus (Jg. 1923)

stellv. Minister und Leiter HV A

524, 592, 595, 607, 632, O/105d, O/105e, O/105f, O/109, O/112

10

Woythe, Willy (Jg. 1922)

Leiter ZKG

216, 218, 227, 271, 308, 309, 477, 631

8