Friedensforum in der Kreuzkirche Dresden
19. Februar 1982
Information Nr. 85/82 über die Durchführung eines sogenannten Friedensforums in der Kreuzkirche Dresden am 13. Februar 1982 und über Aktivitäten des Pfarrers Wonneberger, Dresden, im Zusammenhang mit dem »Berliner Appell«
Im Ergebnis dem MfS vorliegender interner Hinweise wird nachfolgend über den Verlauf und über wesentliche inhaltliche Aussagen des sogenannten Friedensforums1 informiert.
Die Veranstaltung in der Dresdner Kreuzkirche wurde am 13. Februar 1982, 18.00 Uhr, mit einer Abendandacht eingeleitet und gegen 19.45 Uhr mit dem »Forum« fortgesetzt. Anwesend waren ca. 4 000 Personen, darunter acht Korrespondenten aus dem westlichen Ausland, die in der Mehrzahl zu einem touristischen Aufenthalt in Dresden eingereist waren. Es wurden Vertreter der Nachrichtenagenturen DPA, Reuter, epd, der BRD-Illustrierten »Stern«, des »Senders Freies Berlin« und der »Dänischen Christlichen Zeitung« erkannt. Unter den Besuchern befand sich auch der persönliche Mitarbeiter des Leiters der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Hennenhöfer.2
Während der religiösen Veranstaltung filmten je ein Aufnahmeteam der ARD und des ZDF. Beiden BRD-Fernsehteams wurden Filmaufnahmen über das »Forum« durch die Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen (Dresden) nicht gestattet
Nach einer einleitenden Rede durch Bischof Hempel3 (Wortlaut der Rede siehe Anlage) wurden seitens kirchenleitender Mitarbeiter ausschließlich schriftlich eingereichte Fragen auf dem »Forum« beantwortet. Als Gesprächsleiter fungierte Superintendent Ziemer4.
Zum Inhalt ausgewählter Fragestellungen und darauf erteilter Antworten:
Mehrere Fragestellungen befassten sich mit der Problematik des sogenannten Sozialen Friedensdienstes5 (»SOFD«). Auf die Fragen, inwieweit sich die »oberste Kirchenführung« bei der Regierung für den »SOFD« einsetzt bzw. eine Stellungnahme zum Diskussionsbeitrag des Gen. Walde6 auf der 3. Tagung des ZK der SED zu dieser Thematik7 abgab, erklärte Kirchenpräsident Domsch.8
»Nach der jetzigen Gesprächslage müssen die Dinge so gesehen werden, dass man bei den staatlichen Stellen mit der Bitte bleibt, ständig die Frage zu prüfen, wie die Baueinheiten9 so eingesetzt werden können, dass ihr Dienst als Ausdruck gesellschaftlicher Verantwortung und Friedensbereitschaft einen positiven Inhalt erhält. Vielleicht wird der Dienst der Bausoldaten eines Tages ein Dienst, eine Arbeit für und bei Alten, Kranken und Behinderten. Die Kirchenleitung der Sächsischen Kirche hat Werner Walde geschrieben.10 Herr Walde hat bisher noch nicht geantwortet. Es haben einzelne Persönlichkeiten an ihn geschrieben, auch da ist nicht bekannt, dass irgendwelche Antworten eingegangen sind. Es sind sehr gemessene Briefe gewesen. Wir haben als Vorstand in dem Bericht an die Synode in Herrnhut11 gesagt, wenn man solche Vorwürfe macht, wie zum Beispiel Friedensfeindlichkeit, dann ist man eigentlich kurz davor, ich sag es mit meinen Worten, dass das Gespräch aufhört und wir verstehen es nicht, wie man solche Vorwürfe der Friedensfeindlichkeit, der Verfassungsfeindlichkeit und der Sozialismusfeindlichkeit machen kann, wenn man die Initiativen der jungen Leute und die Initiativen der Kirche kennt. Vielleicht kommt deshalb keine Antwort.«
Ein ganzer Fragenkomplex befasste sich damit, die Haltung der Kirchenleitung zur Durchführung pazifistischer, gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung gerichteter Aktionen und Aktivitäten unter dem Deckmantel des Kampfes für den Frieden zu testen.
So wurde u. a. die Frage nach der »Möglichkeit des gewaltfreien Widerstandes bzw. der sozialen Verteidigung als reale Alternative zur Verteidigung durch Rüstung« gestellt. Der Referent des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR, Garstecki,12 antwortete darauf wie folgt:
»Diese Frage setzt voraus, dass ein Land durch einen Gegner militärisch besetzt wird. Im Kern besagt die Methode der sozialen Verteidigung, dass die Bevölkerung eines solchen Landes die Zusammenarbeit mit einer solchen Besatzungsmacht verweigert. Und ich glaube, dass dieses im Blick auf die Gefahren des atomaren Rüstens und eines möglichen atomaren Krieges eine nicht realistische Annahme ist für uns hier in der DDR. Was die Möglichkeit dieses Konzeptes angeht, muss man sagen, dass das eine große demokratische Bereitschaft der Bevölkerung voraussetzt, eine große politische Mündigkeit und Disziplin. Ich habe den Eindruck, dass dies alles Dinge sind, die wir zurzeit nicht mit viel Erfolg praktizieren können. Daher halte ich das Konzept der sozialen Verteidigung für uns in der DDR für keine sinnvolle Alternative zur militärischen Verteidigung; was nicht sagen soll, dass ich die militärische Verteidigung für eine sinnvolle politische Möglichkeit hielte.«
Bei der Frage nach der »Notwendigkeit der Verweigerung des Wehrdienstes«, wenn man »total für den Frieden« sei, verwies Landesjugendpfarrer Bretschneider13 darauf, dass es »langen Nachdenkens« bedürfe, wenn einer einen solchen Schritt gehen will. Es gebe gegenwärtig in der DDR zwei gesetzliche Möglichkeiten, der Wehrpflicht nachzukommen oder Dienst in den Baueinheiten zu leisten. Wörtlich führte er weiter aus: »Es gibt jedoch noch die dritte Möglichkeit, die von Einzelnen wahrgenommen wird. Sie sagen, wir wollen schon jetzt für die Zukunft leben und dafür die Konsequenzen auf sich nehmen. Ich meine, wer sich zu solch einer Entscheidung durchringt, der muss dies wirklich mit all seinen Konsequenzen vorher bedacht haben.«14
Auf die Frage: »Müssen wir am Wehrunterricht15 teilnehmen; müssen wir uns die Konsequenzen bei Nichtteilnahme am Zivilverteidigungslager16 und vormilitärischer Ausbildung gefallen lassen?« antwortete der Referent des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR, Garstecki, mit dem Hinweis auf eine entsprechende Anordnung mit Gesetzeskraft bezüglich des Wehrunterrichtes. Eine solche Entscheidung könne man. nicht »pauschal« beantworten. »Man sollte aber nachdenken, was ist mir der Frieden wert«, aber auch darüber, »ob nicht eine konstruktive Form der Teilnahme am Wehrunterricht eine kritische Teilnahme sein könnte und müsste«. (An dieser Stelle gab es Beifall, aber, auch Pfiffe.) Kirchenpräsident Domsch ergänzte dahingehend, dass der Wehrunterricht »tatsächlich ein ordentliches Schulfach sei«. Er betonte jedoch, dass bei denjenigen, die bisher »aus Glaubens- und Gewissensgründen nicht am Wehrunterricht teilgenommen haben, keine sichtbaren Folgen zu verzeichnen gewesen sind, d. h. es sind keine Zeugniseintragungen erfolgt, zumindest nicht in den drei sächsischen Bezirken. Die Entscheidung müssen die Einzelnen mit ihren Eltern gemeinsam treffen.«
Einige Fragen befassten sich mit dem Verbot des Tragens der Aufnäher »Schwerter zu Pflugscharen«17 in den Berufsschulen und mit den Möglichkeiten, sich gegen dieses Verbot zu wehren. Kirchenpräsident Domsch unterstrich, dass es kein Gesetz über das Tragen von Aufnähern gibt, folglich könne auch nicht dagegen verstoßen werden. Laut Schulordnung bestimme jedoch der Direktor bzw. Lehrer, was an der Schule vorgehe. Es sei aber nach entsprechenden Eingaben durch die Kirchenleitung festgestellt worden, dass das Tragen derartiger Aufnäher keine Konsequenzen für die entsprechenden Schüler gehabt habe. Daraus schlussfolgerte Domsch (wörtlich): »Also, es ist nicht berechtigt, wenn ein Schüler einen Aufnäher trägt, ihm Entlassung oder einen Verweis anzudrohen. Dies wäre ungesetzlich.«
Landesjugendpfarrer Bretschneider betonte in diesem Zusammenhang, dass diese Probleme durch die Kirchenleitung in vielfältiger Weise bei staatlichen Stellen angesprochen wurden. Durch sie sei das Material der »Friedensdekade«18 (November 1981) – wozu auch die Aufnäher zählten – als »ausgewogen« eingeschätzt worden. Auf die Frage eingehend, ob man sich gegen ein Verbot des Tragens dieser Aufnäher wehren könne, sagte Bretschneider wörtlich, »dass wir bisher die Beobachtung gemacht haben, dass überall dort, wo Rücksprachen zur konkreten Situation erfolgten, diese konkreten Situationen geklärt werden konnten und zum Beispiel in Zittau danach die Aufnäher getragen werden konnten. Dies ist auch von der Berufsschule des Transformatoren- und Röntgenwerkes bekannt.«
Auf die Frage, in welcher Form Christen ihren Friedenswillen bekunden sollen, wenn alle nichtstaatlichen, organisierten Maßnahmen »zumindest behindert« werden, antwortete Kirchenpräsident Domsch mit dem Hinweis darauf, dass es »sowohl innerhalb der Kirche die Möglichkeit gebe, den Friedenswillen auszusprechen und über friedensfördernde Maßnahmen gemeinsam nachzudenken« als auch »außerhalb der Kirche die Möglichkeit, mit uns gegenseitig Frieden zu wahren. Es müsse nicht immer organisiert sein, wenn er gelebt wird.«
Garstecki ergänzte dahingehend, dass »das Eintreten des Christen für Gerechtigkeit in allen möglichen Formen ein ganz wichtiges Element seines Friedenswillens« sei. Dabei gehe es »um Verantwortung für weltweite, bessere und mehr Gerechtigkeit nicht nur in unserem eigenen Land, sondern im weltweiten Rahmen, dort wo die Forderung nach Gerechtigkeit schamlos mit Füßen getreten werde«. Er nannte in diesem Zusammenhang »ganz besonders bestimmte Länder Lateinamerikas«.
Daran anschließend wurde folgende Frage eines namentlich nicht genannten Studenten verlesen (angeblich Reserveoffizier): »Wir tun das, weil das verlangt wird, weil es zur Ausbildung gehört. Aber viele haben dabei ein schlechtes Gewissen, Sie möchten gern zum Frieden beitragen, sind aber gleichzeitig in ein militärisches System eingeordnet, das auf die Dauer den Frieden nicht sichern kann. Was meinen Sie, wie kann die Unsicherheit und Lähmung, aus diesem Konflikt zu müssen und eigentlich nicht zu wollen, überwunden werden? Welche Möglichkeiten gibt es trotzdem, den Friedenswillen deutlich zu zeigen?«
Bischof Hempel gab darauf folgende Antwort:
»Ich spüre das Problem. Ich kann es nicht richtig sagen, dass es dem, der das fragt, leicht wird. Ich brauchte dann häufig, am besten dauernd, einen zweiten oder dritten Mann, mit dem ich mich besprechen kann in der Freizeit – wie siehst Du das – und wo wir herausfinden können, wie weit wir gehen können und wo die Grenze erreicht ist für uns. Ich glaube nicht, dass es in der gegenwärtigen Situation ohne Militär geht, und ich glaube, dass Militär im Grunde eine schreckliche Sache ist, und in diesem Konflikt weiß ich keinen anderen Weg, als mit anderen zusammen herauszufinden, wo ich mich trösten darf. Es muss sein und wo ich nicht mehr mitgehen kann.«
Bereits im Zusammenhang mit anderen, direkt an Bischof Hempel gerichteten Fragen, besonders hinsichtlich seiner Stellung zum Wehrdienst, hatte er erklärt: »Wenn ein Reservist den Dienst mit der Waffe nicht tun kann, dann müsste ich ihn fragen, ob es angesichts des gegenwärtigen staatlichen Nein für ihn mit seiner geistlichen Tragekraft besser ist, den Reservistendienst durchzustehen oder die Zeit ins Gefängnis zu gehen. Dies müssten wir dann im Gespräch herausfinden. Die Kirche Christi hat die Möglichkeit des politischen Widerstandes im Laufe ihrer 2 000-jährigen Geschichte wiederholt wahrzunehmen gehabt. Aber sie hat vom Evangelium zu lernen, dass sie es nur im extremen Fall tun kann. Wer unter Ihnen sagt, die Bekenntnissituation ist schon jetzt, der muss es sagen. Aber ich möchte ihm vorher sagen, wie ich es sehe.«
Eine Zusatzfrage, die bezogen auf »Möglichkeiten der Bekundung des Friedenswillens«, eine Anfrage enthielt, ob »die Kirche die Mittel des einfachen Lebens (Verzicht nicht nur auf Waffen, sondern auch auf Luxus) nicht auch vor staatlichen Stellen vertreten müsste«, beantwortete Kirchenpräsident Domsch dahingehend, dass die Kirche dabei noch sehr weit zurück sei. Mit den staatlichen Stellen sei darüber gesprochen worden. »Sie haben uns dazu gesagt, wir halten es für gut, wenn ihr versucht, die Bevölkerung entsprechend zu beeinflussen, aber bitte nicht demonstrativ. Und ich meine, das kann auch nicht der Sinn der Sache sein, dass man demonstrativ verzichtet. Wichtiger ist, dass man verzichtet.«
Ein weiterer Fragenkomplex befasste sich mit der Abrüstungsproblematik. Die gravierendsten Fragen waren in diesem Zusammenhang:
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Was wäre, wenn die DDR die Rüstung stoppen oder total abrüsten würde?
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»Wäre nicht ein einseitiger Aufrüstungsverzicht eine sehr wirksame vertrauensbildende Maßnahme?«
Der Referent »des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR«, Garstecki, sagte dazu wörtlich:
»Jeder einseitige denkbare, verantwortbare Teilverzicht könnte eine rückschlagende, vertrauensbildende Maßnahme sein, wenn er heute das System der militärischen Friedenssicherung, das wir ja leider noch haben, schlagartig destabilisiert. Deshalb ist es eine eindeutige verantwortliche politische Frage, über die man nachdenken muss, welche Möglichkeiten die hochgerüsteten Länder im Ost-West-Verhältnis zu einseitigen Abrüstungsschritten heute haben. Diese einseitigen Abrüstungen sollen ja einen zweiseitigen Abrüstungsprozess einleiten. Es geht also nicht darum, wie die erste Frage unterstellt, dass ein Land wie die DDR schlagartig abrüstet, sondern es geht darum, welche konkreten Abrüstungsschritte sind den Ländern in Ost und West und vor allen Dingen der UdSSR und USA heute möglich – ohne Verzicht auf eigene Sicherheit. Ich denke, dass für die DDR ein solcher einseitiger Verzicht zum Beispiel darin bestehen könnte, von sich aus freiwillig zu verzichten auf eigene, dem Oberkommando der Nationalen Volksarmee überstellte nuklearfähige Trägerwaffen im taktischen Bereich. Sie könnte, wenn es in Abstimmung mit den anderen Verbündeten im Warschauer Pakt19 geschieht, als vertrauensbildende Maßnahme einen multilateralen Abrüstungsprozess fördern und vielleicht auf einer bestimmten Ebene sogar einleiten.«
Einige Anfragen beschäftigten sich mit dem sogenannten Berliner Appell.20 Kirchenpräsident Domsch verwies darauf, dass dieser »Appell« – der gleichzeitig zu einer Unterschriftensammlung aufgerufen habe – von dem Berliner Pfarrer Eppelmann21 verfasst wurde. Er sei zur Ermittlung eines Sachverhaltes ca. zwei Tage festgenommen und – nachdem die Kirchenleitung Berlin-Brandenburg bei der Regierung vorstellig geworden sei – wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn habe man eingestellt.
Die Kirchenleitung Berlin-Brandenburg habe über damit im Zusammenhang stehende Fragen beraten und von einer Unterzeichnung des »Appells« abgeraten. (An der Stelle Pfiffe und Buhrufe.) Die sächsische Kirchenleitung habe sich mit diesen Fragen noch nicht befasst.
Bischof Hempel unterstrich ergänzend, dass die Kirche Grenzen habe. Wörtlich sagte er: »Das heißt konkret, dass die politische Freiheit ein großes Gut ist und dass wir für sie werben sollen, wo wir können. Aber die Freiheit im äußeren Sinne und die Freiheit im inneren Sinne sind nicht dasselbe, vor allen Dingen nicht für die Kirche, d. h. beim Ringen um politische Freiheit im strukturellen, äußeren Sinne hat nach meinem bisherigen Verständnis der Heiligen Schrift die Kirche um Christi Willen eine klare Grenze. Das ist einerseits eine große Enttäuschung für Sie, kann ich mir denken, andererseits die eigentliche Stärke der Kirche überhaupt.«
Eine Anzahl Fragen wurden durch den Gesprächsleiter, Superintendent Ziemer, verlesen, ohne sie durch die anwesenden kirchlichen Würdenträger beantworten zu lassen. Besonders beachtenswert sind dabei folgende Fragestellungen:
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»Lohnt es sich, für den Frieden auf die Straße zu gehen? Warum sind Friedensdemonstrationen in der DDR verboten?«
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»Müsste ein obligates Fach Friedenserziehung eingeführt werden?«
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»Wie stellt sich die Kirche zum konsequenten Pazifismus?«
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»Wie sieht sie ihre Möglichkeit, für den Pazifismus einzutreten?«
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»Stimmt eigentlich im Atomzeitalter noch der Satz: Der Friede muss bewaffnet sein?«
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»Ist Sicherheit mit militärischem Gleichgewicht und Stärke zu beantworten? Sollten wir nicht auch endlich beginnen, unsere Raketen zu zählen?«
Bischof Hempel wurde im Rahmen der Fragestellung darum gebeten, eine kurze Stellungnahme zu der für die späten Abendstunden des 13. Februar 1982 geplanten »Gedenkveranstaltung« an der Ruine der Frauenkirche abzugeben. Diese Anfrage beantwortete er mit dem Hinweis darauf, zu dem »Forum« in die Kreuzkirche eingeladen zu haben, »weil wir hier die Möglichkeit zum Sprechen haben. Hier können wir die Verantwortung dafür übernehmen, was wir tun.« Auf die abschließende Frage nach Stattfinden des nächsten »Friedensforums« eingehend, erklärte Bischof Hempel, dass er den Zeitpunkt noch nicht wüsste. Man müsse aber bereit sein, es wieder zu tun, wenn es nötig sei.
Nach Beendigung des »Forums« gegen 21.45 Uhr begab sich ein geringerer Teil der Besucher zur Ruine der Frauenkirche, an der sich insgesamt ca. 400 bis 500 Jugendliche, vorwiegend im Alter zwischen 15 und 18 Jahren, in losen Gruppen versammelt hatten. Sie zündeten Kerzen (ca. 50 Stück) an, sangen Lieder (»Sag mir, wo die Blumen sind«, »We shall over come«) und legten Blumen nieder. Eine sechsköpfige Personengruppe stellte an der Ruine ein aus Kistenbrettern gefertigtes Kreuz (Höhe 0,70 m), versehen mit der Aufschrift »35 000 Tote – warum?«, auf.
Gegen 23.00 Uhr löste sich die Ansammlung ruhig und diszipliniert auf.
Durch die rechtzeitige Einleitung entsprechender Sicherungsmaßnahmen kam es zu keinen feindlich-negativen Handlungen, Vorkommnissen und Erscheinungen.
Sicherheit und Ordnung waren durch das enge Zusammenwirken zwischen dem MfS, der Deutschen Volkspolizei und den zuständigen staatlichen Organen des Bezirkes Dresden ständig gewährleistet.
Im Zusammenhang mit den bekannt gewordenen Aktivitäten des Pfarrers der Weinbergskirche in Dresden, Wonneberger,22 zur Verbreitung des »Berliner Appells« wurde dieser am 17. Februar 1982 durch die zuständigen Organe des MfS einer Befragung unterzogen.
Im Ergebnis der Befragung von Pfarrer Wonneberger wurde festgestellt, dass er am 27. Januar 1982 von den ihm in Dresden besuchenden Pfarrer Eppelmann ein Exemplar des »Berliner Appells« erhielt und von ihm gleichzeitig über die beabsichtigte Zielstellung zur Popularisierung und zur Unterschriftensammlung, einschließlich diesbezüglicher Kontaktaufnahmen zu Personen in Westberlin, in Kenntnis gesetzt wurde.
Während eines Besuches von Wonneberger am 8. Februar 1982 bei Eppelmann in Berlin erhielt er von diesem zwei weitere Exemplare des genannten »Appells«, wovon er ein Exemplar am darauffolgenden Tag in Leipzig dem Bezirksjugendwart in Leipzig, Diakon Weismann,23 übergab.
Wonneberger vervielfältigte nach seinen Angaben in der Folgezeit maschinenschriftlich den »Berliner Appell« in sechs Exemplaren. Insgesamt fünf Exemplare übergab er an Personen seines Bekanntenkreises. (Er war nicht bereit, diese Personen zu nennen.)
Am 13. Februar 1982 nahm Pfarrer Wonneberger am sogenannten Friedensforum in der Kreuzkirche in Dresden teil. Dort erhielt er davon Kenntnis, dass die Leitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg dazu rät, den »Berliner Appell« nicht zu unterzeichnen und entsprechend den Äußerungen von Präsident Domsch die Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen (Dresden) sich diesen Überlegungen anschließe.
In Kenntnis dieser Tatsache und die Haltung der Kirchenleitung seiner Landeskirche ignorierend, verlas Wonneberger am 14. Februar 1982 während einer Jugendveranstaltung in der Weinbergskirche in Dresden vor ca. 100 Personen den »Berliner Appell« und teilte den Anwesenden mit, dass der »Appell« bei ihm zur Unterschrift bereitliege. Dieser als Aufforderung zur Unterschriftsleistung gedachten Absicht folgten eine Reihe der anwesenden Jugendlichen. (Wonneberger erklärte, angeblich nur zu diesem Zeitpunkt Unterschriften gesammelt zu haben.)
Im Besitz von Wonneberger befanden sich während der Befragung eine Unterschriftenliste zum »Berliner Appell« mit insgesamt acht Unterschriften und insgesamt etwa 26 Zettel (ca. 4 cm breite Streifen im Format A 4) mit einem Kurztext zur Befürwortung des »Berliner Appells« und je einer Unterschrift. (Streng intern vorliegenden Hinweisen, wählte Wonneberger die Methode der Einzelunterschriften aus Gründen der Gewährleistung der Sicherheit der Unterzeichner, wobei die Möglichkeit einer listenmäßigen Zusammenstellung zu einem späteren Zeitpunkt beabsichtigt war.)
Wonneberger selbst unterzeichnete den »Berliner Appell« weder auf Unterschriftenlisten von Eppelmann noch – mit der Begründung, andere Personen von seiner eigenen Unterschrift nicht abhängig machen zu wollen – auf den in seinem Besitz befindlichen.
Während der Befragung erklärte er jedoch, dass er sich dessen ungeachtet voll und ganz hinter den »Berliner Appell« stelle und in diesem Sinne auch gegenüber Personen seines Bekanntenkreises argumentiert habe. In einer während der Befragung gefertigten schriftlichen Erklärung führte Wonneberger u. a. aus:
»Der Sinn des ›Berliner Appells‹ ist es, hier in der DDR das weitgehende und tiefgehende Gespräch über die Fragen des Friedens zu führen. Es ist mein Auftrag als Christ und als Pfarrer, alle Möglichkeiten, die zum Frieden führen, wahrzunehmen und zu nutzen. Den ›Berliner Appell‹ betrachte ich als eine solche Möglichkeit …
Da der Frieden auch im Kleinen durch das Gespräch und nicht durch die Konfrontation gefördert wird, möchte ich durch Vermeiden von Konfrontationen den ›Berliner Appell‹ betreffend, dieses Gespräch über die lebenswichtige Frage des Friedens weiterhin ermöglichen und befördern.«
Im Ergebnis der geführten Aussprache erklärte sich Pfarrer Wonneberger unter der Bedingung bereit, die von ihm an andere Personen weitergegebenen Exemplare des »Berliner Appells« einzusammeln und an das Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen (Dresden) zu übergeben, wenn er die in seinem Besitz befindliche Unterschriftenliste und die Unterschriftenzettel an Ort und Stelle, ohne dass die Namen der Unterzeichner bekannt werden, vernichten dürfe. Dem wurde stattgegeben. (O. a. Materialien wurden von Wonneberger verbrannt.)
Durch den Stellvertreter für Inneres beim Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden wurde am 18. Februar 1982 der Präsident des Landeskirchenamtes der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen (Dresden), Domsch, davon in Kenntnis gesetzt, dass Pfarrer Wonneberger am gleichen Tage Exemplare des »Berliner Appells« im Landeskirchenamt abgeben werde, verbunden mit der Aufforderung an Domsch, diese Materialien den zuständigen staatlichen Organen zu übergeben.
Gleichzeitig wurde Domsch über die Aktivitäten Wonnebergers im Zusammenhang mit dem »Berliner Appell« informiert. Domsch bedankte sich für die übermittelten Hinweise und für die korrekte Behandlung des Wonneberger durch die Sicherheitsorgane. Er brachte zum Ausdruck, dass die Leitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen (Dresden) weiter an der Disziplinierung von Wonneberger arbeiten und ihn wissen lassen werde, dass er nicht über seine Kompetenzen als Pfarrer hinauszugehen habe.
Wonneberger hat entsprechend der getroffenen Festlegungen bisher zwei von ihm an andere Personen weitergegebene Exemplare des »Berliner Appells« eingesammelt und am 18. Februar beim Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen (Dresden) abgegeben.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 85/82
Eröffnungsrede des Landesbischofs Hempel auf dem sogenannten Friedensforum
Liebe Brüder und Schwestern!
Eine andere und bessere Anrede habe ich nicht. Niemand fühle sich dadurch vereinnahmt. Betrachten Sie es lieber als Symbol der Bereitschaft, Sie heute Abend anzunehmen. Ich werde auch keinen Vortrag halten, denn Vorträge dauern lange, und wir brauchen auch noch Zeit zum Austausch. Es wurde heute Abend auch schon der Anlass, warum wir hier sind, gesagt. 13. Februar.24 Die Kirche zeigt noch die Spuren von damals. Ich habe diesen Abend als 16-Jähriger in Zittau, meiner Heimatstadt, erlebt. Es hat mich geschauert. Von daher ist eine Sensibilität geblieben für den Frieden. Ich hatte in den letzten Monaten Gelegenheit, mit Jugendlichen intensiv zu sprechen. Ich habe bemerkt nach einer kurzen Anlernphase voller Aggressionen, dass viele von genau derselben Sensibilität und Sorge um den Frieden erfüllt sind. Deswegen sind wir hier.
Wenn Ihr so viel klatscht, verbrauchen wir zu viel Zeit, die geht nachher von der Diskussion ab. Nun haben wir in diese Kirche eingeladen, wo wir uns austauschen wollen über das, was. Christen für den Frieden tun können und was sie nicht tun können, weil sie Christen sind, und wir wollen zusammen beten. Manche werden enttäuscht sein, dass wir nicht draußen sind, wo es alle sehen. Aber wir können hier in Ruhe besser sprechen. Allerdings hängt das Gelingen dieser Einladung vollkommen von Ihrer Zustimmung, Ihrer inneren Zustimmung zu diesem Weg in die Kirche ab. Ich möchte zuerst sagen, was nach meiner bisherigen Erkenntnis in Euch und uns Älteren vorgeht. Ich, glaube, wir Christen wissen, dass wir nicht die Einzigen sind, die sich um den Frieden sorgen. Ich hoffe, dass wir das wissen. Es sind Christen und Nichtchristen, Jugendliche und Alte. Wir verfallen einer Illusion, wenn wir meinen, wir sind die Einzigen. Ich bin überzeugt, dass auch viele Regierungen das Mögliche tun werden, um einen Krieg zu vermeiden und dass sie mit Leidenschaft bemüht sind, den Frieden zu erhalten.
Ich kann nichts anderes als das sagen, was ich heute denke. Und ich denke, dass auch unsere Regierung und die Regierung der UdSSR dazu gehört. Dennoch beschleicht uns ein wachsendes Gefühl, dass das nicht alles genug ist, weil wir beobachten, dass das Ringen um Abrüstung entsetzlich kompliziert und langwierig geblieben ist, dass die Drohungen gegeneinander nicht geringer geworden sind, der Frieden nicht sicherer trotz aller aufrichtigen Bemühungen und dass Versöhnung, auch Versöhnung in kleinsten Schritten, oft vieldeutig, ja verdächtig erscheint.
Ich habe bisher von Ihnen verstanden, dass Sie einerseits der Friedensabsicht der Regierung trauen, aber andererseits diese Gefahr fühlen. Ich glaube, es ist eine Empfindung, hier wächst irgendetwas, es kriecht etwas an uns heran, und das könnte furchtbar sein. Deshalb möchten wir Alarm schlagen. Ich habe einen alten Kirchenvorsteher vor einiger Zeit gefragt, Sie haben doch viel erlebt, was ist die Aufgabe der Kirche jetzt für den Frieden? Er antwortete und meinte es als einen Vergleich; ja, wissen Sie, sagte er, wir waren drei Brüder, ich war der Jüngere zu Hause. Einmal gingen wir in den Steinbruch zum Baden. Und dort geschah, dass ausgerechnet der Älteste, der Stärkste plötzlich Schwierigkeiten beim Schwimmen hatte, und wir beiden jüngeren Brüder kriegten jämmerliche Angst. Mein älterer Bruder, uns trennten acht Jahre voneinander, nahm einen langen Ast und versuchte, ihn vom Ufer aus soweit dem Ringenden zuzuhalten, dass er ihn fassen konnte. Und ich, der Jüngste, ich brachte alles nicht. Ich habe allein Alarm geschlagen, gestikuliert, geschrien. Ich verstehe vieles von dem, was Ihr tut, als solche Alarmsignale. Zum Beispiel die Aufnäher »Schwerter zu Pflugscharen«, ein biblisches prophetisches Wort. Das ist ein symbolisches Alarmschlagen durch ein Zeichen ohne Worte, die gesprochen werden. Schwerter gibt es heute nicht, aber dieses Signal will sagen, alles für die Abrüstung. Die Aufnäher behaupten nicht, dass alle anderen nur aufrüsten. Es bestreitet nicht, dass auch unsere Regierung sich um Abrüstung bemüht. Aber wie der Jüngste am Wasser, schreit dieses Zeichen, alles für die Abrüstung. Es ist ein Signal. Und das Leitwort der kirchlichen Friedensdekade »Frieden schaffen ohne Waffen«; das verstehe ich auch als ein Signal. Dieses Signal sagt nicht, alle anderen glauben nur an die Waffen. Dieses Leitwort sagt, Waffen hinterlassen keine Sieger mehr. Und wenn Waffen, die ja siegen helfen sollen, keinen Sieger mehr hinterlassen, dann kriegen wir Angst vor den Waffen und schreien »Frieden schaffen ohne Waffen«, obwohl wir wissen, dass das gar nicht leicht im politischen Alltag und in die politische Wirklichkeit zu überführen ist.
Wenn sich Jugendliche bemühen um Wehrersatzdienst im sozialen Bereich, dann heißt das nicht, schafft alle Armeen ab, dann ist Frieden. So naiv habe ich keinen Partner in den Jugendlichen, die mir gegenüber waren, kennengelernt. Sondern dieses Signal sagt, Waffen hinterlassen keine Sieger mehr. Die Sieger sind mit geschlagen. Die Politiker wissen es, Ihr auch und wir gewissermaßen – als die Jüngsten. Wir schlagen Alarm. Das ist es, worauf ich hinauswill. Ich habe gelernt, in Gesprächen mit Menschen wie Ihnen, Ihres Alters, dass Sie Ihre Initiativen nicht gegen unsere Regierung proklamieren, sondern dass wir, um bei der Erinnerung des Kirchenvorstehers zu bleiben, gewissermaßen den Staat mit dem Älteren vergleichen, dem Zweiten, der den Ast hinhält. Und wir sind die, die dennoch Alarm schreien, nicht gegen die Politiker, sondern neben ihnen für das gleiche Ziel.
Ich möchte zweitens etwas sagen, wie wir mit der Mehrzahl von »Neins« des Staates umgehen als Christen. Unsere Regierung hat uns zwei wichtige »Neins« überbringen lassen. Das »Nein« zum Wehrersatzdienst im sozialen Bereich und das »Nein« zum waffenlosen Reservistendienst. Wir haben mehrfach intensive Gespräche geführt. Wir waren von staatlicher und kirchlicher Seite aus sehr sachlich und unvergleichlich ernst. Die wichtigsten Argumente des Staates sind die verschärfte allgemeine Weltlage, die Verpflichtungen unseres Landes innerhalb des Warschauer Paktes, die Verfassung der DDR und die Existenz von Bausoldaten, die Gewissensbedenken von Christen unter anderem Rechnung trägt.
Nun ist die Frage, wie gehen wir mit solchen »Neins« als Christen um. Ich möchte an dieser Stelle die Losung des heutigen Tages aus den Herrnhuter Losungen lesen, weil es ja jetzt um die Antwort von Christen geht. Jesaia 29: Der Herr spricht, ich will auch zukünftig mit diesem Volk wunderbar umgehen, und die Weisheit aller Weisen wird nicht zunichtewerden. Ich möchte diesen Satz ein wenig dolmetschen. Mit diesem Volk sind nicht nur wir Christen gemeint, sondern die gesamte Bevölkerung, aber auch wir Christen. Und dann heißt dieser Satz, Gott hat immer noch mindestens zwei Ideen im Hinterkopf, wenn wir ratlos geworden sind. Wir können es uns beim besten Willen nicht mehr denken oder vorstellen, wie es weitergehen soll. Und dann, im wörtlichen Sinne des Wortes, der Himmel weiß allein, warum und wie, plötzlich geht es wieder, geht es vorwärts, wird es lockerer und positiver. Alle klugen und verantwortlichen Gedanken von Nichtchristen und von Christen sind überflügelt, überboten, das will Jesaia sagen, heute auch uns.
Wie gehen wir mit den staatlichen »Neins« um. Von diesem Wort her würde ich sagen, ernst aber locker. Bonhoeffer25 hat, leider nicht so sehr bekannt geworden, eine hervorragende Ethik hinterlassen. Mit meinen Worten gesagt, hat er Christen gelehrt, in kritischen Situationen unseres Pilgerweges dreierlei zu beachten, einmal die Wirklichkeit unvoreingenommen beobachten, zweitens auf Andersdenkende hören und drittens die Folgen im Voraus zu bedenken. Das halte ich für so wichtig, dass ich es gleich noch mal sage. Wenn Christen in kritischen Phasen ihres Pilgerweges überlegen, wie sie verantwortlich handeln können, dann rät er dreierlei. Handelt nicht aus Prinzipien, sondern beobachtet unvoreingenommen die Wirklichkeit, immer wieder neu, hört nicht nur auf Eure Freunde und Gesinnungsgenossen, sondern hört auch auf Andersdenkende, und verlasst euch nicht nur auf die Reinheit Eurer Motive, sondern bedenkt auch die Folgen. Wenn dies alles Euch geläutert hat, wenn Ihr also wisst, was Ihr eigentlich tut, dann ist es gut, dann, müsst Ihr’s tun, vorher rate ich ab.
Nun kommt die entscheidende Frage: Sind die beiden »Neins« der Regierung zu dem Wehrersatzdienst im sozialen Bereich und zum Reservistendienst ohne Waffen von so einschneidender Bedeutung, dass für uns die Bekenntnissituation eintritt? Gott möge mir vergeben, wenn ich mich irre. Ich sage dazu nein. Ich habe zwei Gründe. Sie sind nicht zwingend, wie die meisten Gründe von Lebensproblemen. Der eine Grund ist, wir haben die Bausoldaten. Sie sind nicht ideal, aber sie sind eine Möglichkeit, unseren Alarmzeichenwillen zu realisieren. Und erlaubt bitte, dass ich das als Älterer einmal sage. Ich möchte nicht Politiker sein. Ich weiß von Staatsmännern mancher Länder, dass sie gesagt haben, ich weiß genau, was ich tun muss, und wenn ich dann in meine Dienststelle zurückkehre, dann sacke ich zusammen, weil es irgendwie nicht geht, und das macht mich kaputt. Damit möchte ich Folgendes sagen. Ihr habt das Recht, Eurer Einstellung gemäß Alarm zu sagen. Ihr habt das Recht, aber ich bitte Euch, auch in ernster Arbeit zu lernen, wie schwer Politik für den Frieden auch in unserer Epoche zu realisieren ist.
Letzter Punkt: Was soll nun eigentlich werden, das beschäftigt mich besonders. Und da erinnere ich mich wenigstens, ich sage wenigstens, weil es natürlich auch keine Patentlösung ist, ich erinnere mich an dieselbe Kirche im Mai des vergangenen Jahres,26 da war sie genau so voll von Jugendlichen, und ich habe genau dieselbe Angst gehabt, einer fällt um, wenn sie so dastehen. Das war der Abend mit Roger Schutz27 aus Taize. Wir können Taize nicht imitieren, aber wir könnten, jedenfalls das ist mein Angebot, von Taize zweierlei lernen, und das halte ich für konkret und für positiv. Die Kirche, wenn sie nicht so voranschreiten kann durch staatliche Macht, wie sie will, wird zurückgeführt zu ihrem Zentrum. Und das Zentrum ist der Gottesdienst und das Tun des Guten. In der Kirche wird alles Wichtige nur gelingen, wenn es nicht aus Demonstration, sondern aus der Stille kommt.
Ich weiß, dass das eine unpopuläre Sache ist, aber ich muss sagen, diese mit der Ohnmacht des Herrn solidarische Kirche ist die eigentliche Kirche, ist die starke Kirche und das Tun des Guten, das heißt einfach, wenn es im Wehrersatzdienst im sozialen Bereich nicht geht, dann wollen wir überlegen, wie es sonst gehen könnte, dass wir den Alten, den Schwachen, den Kranken dort, wo es nötig ist, helfen. Und es sollte uns dazu doch einiges einfallen können. Das ist im Grunde genau das Gleiche, was Bonhoeffer in Widerstand und Ergebung28 geschrieben hat.
In kritischen Zeiten soll die Kirche sich verlassen auf das Beten und auf das Tun des Gerechten, d. h. soviel wie das Tun des Guten. Das ist ein Weg, den ich sehe. Niemand halte ihn für einen breiten Weg. Auch sind die Anstöße überhaupt nicht ausgeschlossen. Aber dann sind wir genau beim Zentrum. Und wenn die Kirche beim Zentrum ist, bei der Meditation und beim Tun des Guten, dann wäre es das erste Mal, wenn sie nicht mit neuem Leben lebte. Ich will auch in aller Zukunft mit den jungen Christen und den jungen Nichtchristen in der Deutschen Demokratischen Republik und anderswo wunderbar verfahren. Noch zweimal dieses ungewöhnlich gewordene Wort wunderbar, wunderbar. Und alle verantwortlichen guten Gedanken, die in eine Sackgasse geraten sind, die will ich überbieten, damit Ihr lebt. Ihr werdet länger leben als wir, das ist Euer Recht. Was wir dazu können, innerhalb der Grenzen der Kirche, werden wir tun. Wenn Ihr uns helft, bin ich einverstanden.