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»Friedensseminar« und »Friedensgottesdienst« in Leipzig

15. März 1982
Information Nr. 119/82 über den Verlauf des »Kirchlichen Friedensseminars« am 6./7. März 1982 und des »Friedensgottesdienstes« am 6./7. März 1982 in Leipzig

Dem MfS wurden intern Einzelheiten über den Verlauf der oben erwähnten kirchlichen Veranstaltungen bekannt.

Danach war das »Leipziger Friedensseminar«1 langfristig vorbereitet und fand am 6./7. März 1982 in den Gemeinderäumen der Michaelis-Kirche Leipzig unter dem Thema »Was macht uns sicher?« statt.

Teilnehmer waren am 6. März 1982 ca. 125 und am 7. März 1982 ca. 45 Personen.

Im Zusammenhang mit dem sogenannten Friedensseminar fand am 6. März 1982 in der Zeit von 19.00 bis 20.45 Uhr in der Michaelis-Kirche in Leipzig ein »Friedensgottesdienst« statt, an dem ca. 1 200 Personen (vorwiegend Jugendliche/Jungerwachsene) teilnahmen.

Die Teilnehmer der Veranstaltungen kamen außer aus Leipzig aus den Bezirken Dresden, Karl-Marx-Stadt, Suhl, Halle und der Hauptstadt Berlin.

Das »Friedensseminar« wurde am 6. März 1982, gegen 9.30 Uhr durch den Leipziger Jugendpfarrer Gröger2 eröffnet.

Anschließend hielt das synodale Mitglied der Konferenz der Kirchenleitungen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, der Potsdamer Physiker Dr. Helmut Domke,3 das Grundsatzreferat zum Thema des Seminars »Was macht uns sicher?«. Danach wurde das Seminar in sechs Gesprächsgruppen bis gegen 17.30 Uhr weitergeführt.

Jugendpfarrer Gröger wertete das Seminar als »wichtigen Beitrag für die Friedensbewegung«. Er betonte, alle Christen seien zum Engagement für den Frieden aufgerufen und müssten sich für Fragen der Abrüstung verpflichtet fühlen.

In seinem Referat zum Thema »Was macht uns sicher?« behandelte Dr. Domke den Sicherheitsbegriff im persönlichen und sozialen Bereich und setzte sich mit dem Begriff des »Abschreckungsprinzips« auseinander. Des Weiteren befasste er sich mit Problemen des »Anti-Atomwaffen-Hearings« im November 1981 in Amsterdam.4 In seinen Ausführungen hielt sich Domke an die offizielle Meinung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR zur Friedensproblematik.5 Als Alternative zum Begriff Sicherheit und Sicherheitsbedürfnisse der Regierungen nannte er das Vertrauen, welches vor allem durch einen »echten Austausch von Informationen« und nicht »durch die Beschaffung von Informationen durch die Geheimdienste« entstehen würde. Er erklärte weiter, dass die Friedensbewegungen mehr Informationen erlangen müssten, mit deren Hilfe »die Öffentlichkeit mobilisiert« werden könne, um »gegen jegliche Rüstungssteigerung« aufzutreten.

Der Friedensbewegung komme eine große Bedeutung zu, wobei jedoch »eine Teilung in Ost oder West nicht möglich« sei. Es müsse eine »einheitliche Friedensbewegung« geben, die dann »die Chance und Möglichkeit habe, ihre Regierungen unter Druck zu setzen« und ihnen den Willen der Mehrheit der Völker aufzuzeigen.

Die Ausführungen von Domke bildeten die Grundlage für die Diskussion in sechs Gesprächsgruppen, die sich mit folgenden Fragen befassten:

»Wodurch fühle ich mich bedroht?«

»Worin sehe ich vertrauensbildende Strukturen? Wo fehlen sie uns und wo fehlen uns alternative Maßnahmen zur Vertrauensbildung?« »Welche Erwartungen haben wir bei der Beantwortung dieser Fragen an die Kirchen?«.

Im Ergebnis der Diskussion wurden Forderungen erhoben, die »Friedensbewegung in der DDR zu zentralisieren« und gleichzeitig ein »solidarisches Zusammenwirken« aller in dieser Hinsicht tätigen Gruppen in der DDR zu gewährleisten; die Kirche solle »aus der Bibel heraus eine eindeutige Definition des Begriffes Frieden« erarbeiten und zugleich »mögliche Friedensmaßnahmen« formulieren.

Auf diese Forderungen eingehend, erklärte Domke, die Konferenz der Kirchenleitungen werde sich damit befassen. Ein von ihm nicht näher bezeichnetes Gremium sei bereits darum bemüht, alle Aktivitäten der kirchlichen »Friedensdienstarbeit« in der DDR zusammenzufassen und zu koordinieren.

Im Verlauf des 2. Beratungstages des »Friedensseminars« wurde u. a. zu den Formen der künftigen Tätigkeit des »Friedensseminars« beraten.

Jugendpfarrer Gröger schätzte ein, dass die Initiative zur Einführung eines »Sozialen Friedensdienstes«6 in der DDR unter den kirchlich gebundenen Jugendlichen in der DDR eine Basis gefunden habe. Er warnte jedoch davor, solche Veranstaltungen wie das »Friedensseminar« zu politischen Versammlungen zu entwickeln. Es dürften keinerlei Angriffspunkte für das Eingreifen staatlicher Organe geschaffen werden. Durch einzelne Teilnehmer wurde eine Zentralisierung der »SOFD«-Aktivitäten gefordert und die Zurückhaltung der Dresdener Gruppe um Pfarrer Wonneberger7 kritisiert

Von einigen dem MfS namentlich bekannten negativen Kräften wurde gefordert, Eingaben an kirchenleitende Gremien der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (Dresden) und an den Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR zur verstärkten materiellen und inhaltlichen Unterstützung des »Sozialen Friedensdienstes« zu richten.

Gröger orientierte darauf, alle vorgeschlagenen Aktivitäten zum »SOFD« auf den Raum der Kirche zu beschränken und die juristischen Grenzen nicht zu überschreiten.

Das nächste Leipziger »Friedensseminar« wurde für den. 5./6. März 19838 angekündigt. Es solle inhaltlich auf der Grundlage eines vom Bund der Evangelischen Kirchen der DDR vorzubereitenden »Papiers« zum Thema »Pazifismus«9 organisiert werden.

Der als Höhepunkt des »Friedensseminars« veranstaltete »Friedensgottesdienst« in der Michaelis-Kirche in Leipzig mit ca. 1 200 Teilnehmern war vorher propagiert worden durch Informationen an alle Leipziger Kirchengemeinden in Verbindung mit Aushängen überörtliche Verbreitung vornehmlich durch Teilnehmer des »Friedensseminars« Informationsaustausch zwischen Jugendlichen mit kirchlichen Bindungen, die an dem »Friedensforum« am 13. Februar 198210 in der Dresdener Kreuzkirche teilgenommen hatten sowie durch überregionale Verbindungen der Mitarbeiter der Arbeitskreise »Friedensdienst« beim Jugendpfarramt und bei der »Evangelischen Studentengemeinde« Leipzig.

Die Eröffnung des »Friedensgottesdienstes« erfolgte durch Jugendpfarrer Gröger. Die musikalische Gestaltung war von der Rock-Gruppe des Jugendpfarramtes Halle mit der Sängerin [Vorname Name] übernommen worden. Durch Mitarbeiter des Arbeitskreises »Friedensdienst«11 beim Jugendpfarramt Leipzig wurden kurze Wortbeiträge zum Thema »Was macht uns sicher?« gehalten, die sich mit dem Begriff »Sicherheit im persönlichen Bereich« befassten.

Die Predigt wurde von Heinz Bächer12 (25), Theologie-Student an der Karl-Marx-Universität Leipzig (dem MfS bereits bekannt durch seine Aktivitäten im Sinne der »Initiative zur Errichtung eines Sozialen Friedensdienstes« und einer sogenannten staatlich unabhängigen Friedensbewegung), gehalten.

Internen Hinweisen zufolge hatte Bächer diese Predigt gemeinsam mit dem ehemaligen Mitglied des Regional-Kreises Leipzig der Bausoldaten/Wehrdienstverweigerer13 und jetzt als Pfarrer an der Trinitatiskirche in Dresden tätigen Rudolf Albrecht14 erarbeitet.

In der ursprünglichen Konzeption seien massive Angriffe gegen die Sicherheits- und Bildungspolitik der DDR enthalten gewesen. Auf Veranlassung von Gröger sei diese Konzeption im Arbeitskreis »Friedensdienst« überarbeitet worden, um den staatlichen Organen keine Ansatzpunkte für ein Eingreifen zu bieten.

Bächer sei jedoch von der überarbeiteten Predigt abgewichen und habe persönliche Standpunkte dargelegt.15

So zitierte er in seiner Predigt aus dem Beschluss der Herbsttagung der Landessynode der Kirchenprovinz Sachsens vom November 1981 in Halle,16 welcher Angriffe gegen die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der DDR enthielt.

Bächer erhob in seiner Predigt erneut die Forderung nach Einführung eines »Sozialen Friedensdienstes« in der DDR, den er als »einzig mögliche Alternative zum Wehrdienst für junge Christen« darstellte. Er forderte, jeder junge Christ solle den Wehrdienst verweigern, und betonte, selbst der Dienst als Bausoldat sei nur ein »Kompromiss«; bei dieser Entscheidung müsse jedoch jeder gründlich überlegen, da die Verweigerung des Wehrdienstes Konsequenzen nach sich ziehe.

Bächer forderte auf, »Mut zum Risiko« aufzubringen und erklärte, dass man »so sicher ist, dass wir unsere Studienplätze nicht mit drei Jahren Armeezeit verdienen müssen«.

Da Gröger offensichtlich befürchtete, dass es zu Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit kommen könnte, forderte er zusammen mit anderen Mitgliedern des Arbeitskreises »Friedensdienst« zu Disziplin auf.

Der Gottesdienst wurde mit dem gemeinsamen Gesang des Liedes »We shall overcome« (Wir werden siegen) beendet.

Circa 150 Jugendliche verblieben danach spontan weiter in der Kirche, um der Forderung nach Einführung eines »Sozialen Friedensdienstes« Nachdruck zu verleihen. Sie äußerten, dass es »überall Demonstrationen für den Frieden« gebe, nur in der DDR seien sie verboten. Die »wahren Friedensinitiativen« würden von der BRD u. a. westlichen Ländern ausgehen. Dies widerspiegle sich z. B. in der Ostermarschbewegung und in anderen großen Friedenskundgebungen in Westeuropa.

In Zusammenarbeit mit weiteren Mitarbeitern des Arbeitskreises gelang es Gröger, die noch verbliebenen Jugendlichen zum Verlassen der Kirche zu bewegen.

Die öffentliche Ordnung und Sicherheit wurden nicht beeinträchtigt.

Es wurden Maßnahmen zur weiteren Aufklärung feindlich-negativer Aktivitäten unter diesem Personenkreis eingeleitet.

Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

  1. Zum nächsten Dokument Außerordentliche Tagung der V. Synode der EKU in Berlin

    15. März 1982
    Information Nr. 131/82 über die außerordentliche Tagung der V. Synode der Evangelischen Kirche der Union (EKU) – Bereich DDR – am 4. und 5. März 1982 in Berlin

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    10. März 1982
    Information Nr. 118/82 über eine Hetzschriften-Ballonaktion von der dänischen Insel Bornholm