Geplante Verlesung eines Hirtenbriefes in Katholischen Kirchen der DDR
[ohne Datum]
Information Nr. 657/82 über die beabsichtigte Verlesung eines »Hirtenbriefes« in allen katholischen Kirchen der DDR am 2. Januar 1983
Dem MfS wurde streng vertraulich bekannt, dass die katholischen Bischöfe in der DDR aus Anlass des »Weltgebetstages um den Frieden« (der 1. Januar wird seit 1968 auf Weisung von Papst Paul VI.1 alljährlich als katholischer Weltfriedenstag begangen) einen »Gemeinsamen Hirtenbrief der katholischen Bischöfe in der DDR« herausbringen, der am Sonntag, dem 2. Januar 1983, oder während der Vorabendmessen in allen katholischen Kirchen der DDR verlesen werden soll.2
Der sechsseitige »Hirtenbrief« soll erst wenige Tage vor dem 2. Januar 1983 den katholischen Geistlichen übergeben werden.
Wie dem MfS im Zusammenhang mit dem »Hirtenbrief« weiter intern bekannt wurde, diskutieren die katholischen Bischöfe seit geraumer Zeit über geeignete Formen einer öffentlichen Stellungnahme zur Problematik »weltweiter Frieden«. Diese Diskussionen wurden maßgeblich beeinflusst durch das Drängen aus Kirchengemeinden und von kirchlichen Amtsträgern, sich seitens der Leitung der katholischen Kirche in der DDR zur Friedensproblematik zu äußern. Wiederholt geschah dies unter Bezugnahme auf entsprechende Aktivitäten der evangelischen Kirchen in der DDR.
Im »Hirtenbrief« zum »Weltgebetstag für den Frieden 1983« werden – wie bereits im Vorjahr – die bekannten Standpunkte der katholischen Bischöfe zu »Weltfriedensfragen« erneut dargelegt. Beachtenswert ist jedoch, dass der »Hirtenbrief« einige politische Aussagen enthält, die – wenn auch zurückhaltender formuliert – von der Grundtendenz mit bestimmten von den evangelischen Kirchen der DDR entwickelten Auffassungen zur sogenannten eigenständigen Friedensarbeit übereinstimmen.
Das wird u. a. sichtbar in den im »Hirtenbrief« enthaltenen Positionen zur »Gewissensentscheidung in der Frage des Wehrdienstes«, dem »Wehrkundeunterricht«3 an den Schulen und den »Erziehungsrechten der Eltern«.
Streng internen Hinweisen zufolge hätten bei der Formulierung des »Hirtenbriefes« insbesondere die jüngeren Bischöfe, z. B. die Bischöfe Meisner4/Berlin und Wanke5/Erfurt, aber auch Bischof Theissing6/Schwerin (65), auf eine Berücksichtigung der von der evangelischen Kirche in der Zwischenzeit aufgegriffenen Probleme gedrängt, wobei von ihnen hervorgehoben worden sei, dass damit das Ansehen der Leitung der katholischen Kirche aufgewertet werde.
Bemerkenswert ist weiter, dass das Anliegen des »Hirtenbriefes« offensichtlich auch in Übereinstimmung steht mit der offiziellen Haltung von Papst Johannes Paul II.,7 der der katholischen Kirche in der DDR in jüngster Zeit nahelegte, über aktuelle Fragen der christlichen Friedensverantwortung nachzudenken und »darüber einen Gedankenaustausch mit den evangelischen Gemeinschaften« zu suchen.
In dem »Hirtenbrief« wird einleitend davon ausgegangen, dass »die Sorge um das hohe Gut des Friedens heute die Völker wie auch jeden einzelnen Menschen zutiefst …« bewege. Das Hirtenwort solle dazu beitragen, »… in den aktuellen Auseinandersetzungen über den rechten Friedensdienst den Standpunkt der katholischen Kirche zu verdeutlichen …«
Im I. Abschnitt des »Hirtenbriefes« wird darauf verwiesen, dass »der Friede letztlich eine Gabe Gottes in Jesus Christus« und dass deshalb nicht der »Friede zwischen den Staaten und Machtblöcken« das höchste Gut, sondern entscheidend der Friede mit Gott sei.
Dem Hauptabschnitt ist vorangestellt: »Der Friede ist möglich, der Krieg ist kein unausweichliches Geschenk.«
Die Kirche könne zwar kein Konzept der Friedenssicherung vorlegen, da das nicht ihre Aufgabe sei, aber sie könne »dort nicht schweigen, wo sie Fehlentwicklungen sieht, die ins Verderben führen können, und sie weiß sich ferner verpflichtet, mit ihrer ganzen Autorität für jene Grundsätze und Worte einzutreten, auf denen eine gerechte Friedensordnung aufruht«.
In den nachfolgenden sechs Punkten werden behandelt:
- 1.
Die Forderung nach einer »fortschreitenden beiderseitigen und kontrollierbaren Abrüstung der Machtblöcke …«
- 2.
Die moderne Kriegstechnik, die die überkommene Auffassung von »gerechten Kriegen« in eine Krise führt
(Die kirchliche Lehre vertrete an sich keinen absoluten Pazifismus, und sie halte die Anwendung von Gewalt für erlaubt, wo das Recht des Schwächeren geschützt werden müsse. Könne das aber auch bei einem Einsatz von Kernwaffen zutreffen?)
- 3.
Das Recht auf freie Gewissensentscheidung in der Frage des Wehrdienstes durch die staatliche Gesetzgebung der DDR
(Auch nach dem neuen Wehrdienstgesetz vom 25. März 1982 sei gesetzlich geregelt, »… dass die Wehrpflichtigen, die aus religiösen Anschauungen oder aus ähnlichen Gründen den Dienst mit der Waffe ablehnen, einen Wehrersatzdienst ohne Waffe leisten dürfen«. Es würden ihnen daraus keine Nachteile für den eingeschlagenen oder zukünftigen Berufsweg erwachsen.
Reservisten, die bereits mit der Waffe gedient hätten, sollten nachträglich die Möglichkeit des »waffenlosen Dienstes« erhalten. Denen, die aus religiösen Gründen den Wehrdienst mit der Waffe ablehnen, werde Achtung gezollt, und es werde auch die Überzeugung respektiert, den Waffendienst in der Hoffnung abzuleisten, um der Sache des Friedens zu dienen. Es solle auch über mögliche andere Formen eines Wehrersatzdienstes nachgedacht und gesprochen werden.
»Der Sehnsucht der Jugend auch unseres Landes nach Frieden sollte nicht mit Verdächtigungen, sondern mit Offenheit und Vertrauen begegnet werden.«)
- 4.
Der »Wehrkundeunterricht«
(Mit Sorge werde beobachtet, wie das Denken in militärischen Kategorien immer mehr zum Bestandteil der schulischen Erziehung und der Berufsausbildung wird.
Auch in den Schulen und Ausbildungsstätten solle die Freiheit der Gewissensentscheidung im Blick auf die vormilitärische Ausbildung respektiert werden.
Die Berliner Bischofskonferenz habe seiner Zeit der Regierung der DDR ihre schweren Bedenken gegen die Einführung des »Wehrkundeunterrichts« mitgeteilt.
Diese Besorgnis hätte mehr beachtet werden sollen, denn die bisherige Entwicklung hätte diese Bedenken bestärkt.)
- 5.
Das »unaufgebbare Erziehungsrecht« der Eltern
(Eltern dürfen ihr Ersterziehungsrecht nicht aus der Hand geben, und auch der Staat müsse bei seinen Erziehungszielen den Willen der Eltern beachten.
Jene Eltern werden ermutigt, die ihre Kinder zur Bereitschaft zum Frieden, zur Gewaltlosigkeit und zur Toleranz erziehen. Kinder sollen nicht durch das Fernsehen oder durch Spielzeug an die »Gewalt gewöhnt« werden.)
- 6.
Die »weltüberwindende Macht« des Gebetes
(Die Gebetsbitte um Frieden sei der grundlegende Friedensdienst der Christen, auch über die Grenzen der eigenen Kirche hinweg.)
Der »Hirtenbrief« wird als Anlage im Wortlaut beigefügt.
Die Information ist wegen äußerster Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 657/82
Gemeinsamer Hirtenbrief der katholischen Bischöfe in der DDR zum Weltfriedenstag 1983
Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!
Der jährlich wiederkehrende Weltgebetstag um den Frieden ist uns Anlass, in einem gemeinsamen Hirtenwort über bedrängende Fragen der Erhaltung und Sicherung des Friedens in der heutigen Zeit zu Euch zu sprechen. Es bedarf keiner ausführlichen Darlegung, dass die Sorge um das hohe Gut des Friedens heute die Völker wie auch jeden einzelnen Menschen zutiefst bewegt. Mit der zunehmenden Angst vor einem möglichen Krieg, der angesichts der modernen Waffen in seiner Furchtbarkeit nicht schrecklich genug gedacht werden kann, breitet sich nahezu überall in der Welt der Wille zu einem aktiven Friedensdienst aus. Das ist ein Hoffnungszeichen, das nicht übersehen werden kann. Und es ist auch nicht zu übersehen, dass das Friedensengagement gerade durch den christlichen Glauben einen starken Impuls erhält. Das Evangelium Jesu Christi ist seinem tiefsten Wesen nach eine Botschaft des Friedens, wenn auch der Friede, den Christus uns schenken kann, umfassender ist als der politische Friede, um den die Welt heute bangt.
Unser Wort möchte dazu beitragen, Euch in den aktuellen Auseinandersetzungen über den rechten Friedensdienst den Standpunkt der katholischen Kirche zu verdeutlichen. Vor allem aber möchten wir Euch mit unserem Hirtenwort ermutigen, unbeirrt an der Überzeugung festzuhalten, dass Frieden möglich und der Einsatz für ihn sinnvoll ist.
Worin ist diese Zuversicht begründet? Wenn Christen über den Frieden sprechen, dann verweisen sie darauf, dass der Friede letztlich eine Gabe Gottes in Jesus Christus ist. Dieser Hinweis darf nicht als fromme Floskel abgetan werden. Das Wissen um den umfassenden Frieden als Heilsgabe Gottes bewirkt etwas Zweifaches: Es weist die falsche Hoffnung zurück, dass ein ewiges Friedensreich schon auf Erden zu verwirklichen sei, zugleich aber gibt es unserem Friedensengagement Festigkeit und Durchhaltekraft. Als Christen wissen wir, dass der Friede, von dem in den Friedensdiskussionen unserer Tage die Rede ist, nur ein Ausschnitt dessen ist, was in der Bibel als »Friede« (Schalom) bezeichnet wird. Dieser Friede meint die umfassende Versöhnung und Einheit der Menschen mit Gott, die uns durch Jesus Ostersieg ein für alle Mal geschenkt wurde und die an uns in der neuen Schöpfung am Ende der Tage sichtbar werden soll. Solange die Welt trotz des österlichen Sieges Jesu sich der Macht der Sünde unterwirft, wird auch das Reich des ewigen Friedens ein Zukunftsgut bleiben. Doch dürfen wir hoffen, dass Gott uns trotz unserer Sünde Zeiten des Friedens gewährt. Aus biblischer Sicht besteht der Beitrag des Menschen zu solchem Frieden darin, sich der eigenen Sünde bewusst zu werden und sich durch den Glauben an Jesus Christus Tilgung der Schuld schenken zu lassen; denn der Friede mit Gott ist die Voraussetzung für den Frieden unter den Menschen. Der Friede zwischen den Staaten und Machtblöcken ist also für den Christen nicht das höchste Gut. Noch entscheidender ist für ihn der Friede mit Gott. Wer in der Friedensfrage seine Augen vor der Realität der Sünde verschließt, wird anfällig für utopische Träume. Diese Aussagen werden manche nicht gern hören, aber sie geben unserer Überzeugung nach jedem Bemühen um Frieden erst ein solides Fundament.
Doch ist uns andererseits durch unseren Glauben jede Form von Resignation oder gar Angst verwehrt. Jesus Christus gibt uns die Gewissheit, dass das wahre Leben nicht nur ein Wunschtraum, sondern schon Wirklichkeit ist. Darum ist die Verkündigung der Kirche von Zuversicht getragen, auch wenn uns äußere Widerstände und manche Erfahrungen der Hilflosigkeit bedrängen. Gottes Erbarmen ist uns in Christus schon geschenkt. Darum darf und muss die Kirche diesen Frieden Gottes selbst in Zeiten der Bedrohung des Weltfriedens als Frohbotschaft verkünden. Der christliche Einsatz für den Frieden zwischen Menschen, Gruppen und Völkern hat deshalb bei allem Streit um die rechten Methoden der Friedenssicherung ein unzerstörbares Fundament, auf dem wir immer wieder neu, auch nach missglückten Ansätzen, aufbauen können: »Wir haben Frieden mit Gott durch Jesus Christus unseren Herrn« (Röm 5,1).
Das also ist unsere Grundüberzeugung: Der Friede ist möglich, der Krieg ist kein unausweichliches Geschick. Die Kirche kann freilich kein politisches Konzept der Friedenssicherung vorlegen. Das ist nicht ihre Aufgabe. Aber die Kirche kann dort nicht schweigen, wo sie Fehlentwicklungen sieht, die ins Verderben führen können, und sie weiß sich ferner verpflichtet, mit ihrer ganzen Autorität für jene Grundsätze und Werte einzutreten, auf denen eine gerechte Friedensordnung aufruht. Wir tragen Euch darum die folgenden Aussagen vor, selbst auf die Gefahr hin, manches schon Bekannte zu wiederholen.
1. Wir Bischöfe machen uns die eindringliche Forderung des Heiligen Vaters nach einer fortschreitenden beiderseitigen und kontrollierbaren Abrüstung der Machtblöcke zu eigen1). Der Rüstungswettlauf zwischen Ost und West ist »ein unerträgliches Ärgernis«2). Er macht aus dem Gleichgewicht der Kräfte ein Gleichgewicht des Schreckens, er zerstört das Vertrauen zwischen den Völkern und Staaten und steigert das Elend der hungernden Menschen in der Dritten Welt. Es muss gelingen, die innere Logik des Wettrüstens, den Drang zur Überlegenheit über den möglichen Gegner, aufzubrechen.
In Übereinstimmung mit den Aussagen der Päpste verwerfen wir jede Kriegsplanung, die – mit welchen Waffen auch immer – auf die Vernichtung ganzer Städte oder weiter Gebiete samt ihrer Bevölkerung gerichtet ist3). Ein Krieg mit modernen Massenvernichtungswaffen ist in jedem Fall in sich unmoralisch und daher zu verwerfen. In keinen Krieg, aus welchem Grund er auch geführt werden mag, ist der Einsatz von ABC-Waffen zu rechtfertigen. Aber auch die konventionellen Waffen erreichen eine immer größere tödliche Perfektion. Sie bedrohen im Konfliktfall ebenfalls die Zivilbevölkerung eines Kampfgebietes. Daher ist es nach den Worten von Papst Johannes XXIII. in unserem Zeitalter nicht mehr möglich, »den Krieg noch als das geeignete Mittel zur Wiederherstellung verletzter Rechte« zu betrachten4).
2. Es ist offenkundig, dass die moderne Kriegstechnik die überkommene Auffassung von »gerechten Kriegen« in eine Krise führt. An sich vertritt die kirchliche Lehre keinen absoluten Pazifismus, d. h. sie hält u. U. die Anwendung von Gewalt für erlaubt, angebracht oder sogar geboten, etwa dort, wo das Recht des Schwächeren geschützt werden muss. Die Kirche weiß, dass das Böse im Menschen so hinterhältig, hartnäckig und brutal sein kann, dass man seine verheerende Wirkung nur mit Gewalt einschränken kann. Die Lehre vom »gerechten Krieg« meinte ja nicht, dass der Krieg an sich eine gerechte Angelegenheit sei. Sie wollte vielmehr sagen, dass ein Krieg, wenn er schon nicht vermieden werden kann, wenigstens gerecht geführt werden muss, also aus einem gerechten Grund und mit angemessenen Mitteln. Bei begrenzten Konflikten mag dieser Grundsatz durchaus stimmen. Aber kann er auch dort gelten, wo Gewalt unterschiedslos zuschlägt, wie etwa in einem Krieg mit dem Einsatz von Kernwaffen? Gewinnt hier nicht das häufig belächelte Ideal der Gewaltlosigkeit, wie es uns Jesus Christus in der Bergpredigt verkündigt, eine bisher ungeahnte rationale Aussagekraft? Wir verstehen die Gewissensnot vieler, besonders junger Menschen, die zwischen dem legitimen Anspruch eines Staates auf Verteidigungsbereitschaft und der Einsicht in die Ausweglosigkeit einer Friedenssicherung, die auf militärische Überlegenheit setzt, hin- und hergerissen sind. Für diese Gewissensnot gibt es keine Patentlösungen. Wenn überhaupt, ist die Androhung von Gewalt nur dort zu rechtfertigen, wo diese überzeugend die Gerechtigkeit, die Freiheit und die Sicherheit eines Volkes gegenüber offensichtlicher Böswilligkeit verteidigt. Aber bekanntlich sind gerade die Begriffe Gerechtigkeit und Freiheit in der Welt recht umstritten. Hier wird das Gewissen des Einzelnen nach der inneren Glaubwürdigkeit und äußeren Wahrhaftigkeit eines Sicherungsanspruches fragen müssen. Es wird sich ferner von den Aussagen der Heiligen Schrift und dem in der Kirche wirkenden Geist Gottes leiten lassen, um zu einem eigenen Urteil zu kommen. Dazu soll und will die Kirche auch hier bei uns Hilfe und Stützung geben, wobei sie selbst lernt, in dieser Hinsicht den Willen Gottes tiefer zu verstehen.
3. Wir begrüßen es, dass in der Frage des Wehrdienstes das Recht auf freie Gewissensentscheidung auch durch die staatliche Gesetzgebung in der DDR ausdrücklich anerkannt wird. In der »Anordnung des nationalen Verteidigungsrates in der DDR für die Aufstellung von Baueinheiten … vom 7.9.1964« wird gesetzlich geregelt, dass die Wehrpflichtigen, die aus religiösen Anschauungen oder aus ähnlichen Gründen den Dienst mit der Waffe ablehnen, einen Wehrersatzdienst ohne Waffe leisten dürfen. Diese Regelung bleibt auch nach dem neuen Wehrdienstgesetz vom 25.3.1982 in Kraft. Wer von dieser gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch macht, sollte sicher sein, dass ihm daraus keine Nachteile für den eingeschlagenen oder zukünftigen Berufsweg erwachsen. Es wäre auch zu wünschen, dass Reservisten, die bereits mit der Waffe gedient haben, nachträglich die Möglichkeit des waffenlosen Dienstes eingeräumt wird. Wir möchten denen, die aus religiösen Gründen den Wehrdienst mit der Waffe ablehnen, unsere Achtung zum Ausdruck bringen. Wir respektieren freilich auch die Überzeugung jener, die den Waffendienst in der Hoffnung ableisten, damit der Sache des Friedens in der Welt zu dienen. Darüber hinaus plädieren wir dafür, dass auch über mögliche andere Formen eines Wehrersatzdienstes nachgedacht und gesprochen werden kann. Der Sehnsucht der Jugend auch unseres Landes nach Frieden sollte nicht mit Verdächtigungen, sondern mit Offenheit und Vertrauen begegnet werden.
4. Wenn wir dies alles bedenken, und wenn wir es zudem hochschätzen, dass Menschen sich dem Worte Jesu folgend für den Weg der Gehaltlosigkeit entscheiden, dann können wir nicht zum Wehrkundeunterricht schweigen. Das Konzil mahnt: »Wer sich der Aufgabe der Erziehung, vor allem der Jugend, widmet, und wer die öffentliche Meinung mitformt, soll es als schwere Pflicht ansehen, in allen eine neue Friedensgesinnung zu wecken«5). Mit Sorge beobachten wir, wie das Denken in militärischen Kategorien immer mehr zum Bestandteil der schulischen Erziehung und der Berufsausbildung wird. Es ist zu befürchten, dass eine solche Erziehung die Bereitschaft für gewaltsame Konfliktlösungen weckt und so die Friedensgesinnung in der nachfolgenden Generation schwächt. Zudem sollte auch in den Schulen und Ausbildungsstätten die Freiheit der Gewissensentscheidung im Blick auf die vormilitärische Ausbildung respektiert werden. Die Berliner Bischofskonferenz hatte seinerzeit der Regierung der DDR ihre schweren Bedenken gegen die Einführung des Wehrkundeunterrichts mitgeteilt. Wir hätten gewünscht, mit unserer Besorgnis mehr Beachtung zu finden. Wir sehen uns durch die bisherige Entwicklung in diesen Bedenken bestärkt.
5. In diesem Zusammenhang weisen wir erneut auf das unaufgebbare Erziehungsrecht der Eltern hin, für das wir Bischöfe mehrfach öffentlich eingetreten sind6). »Eltern dürfen ihr Ersterziehungsrecht nicht aus der Hand geben, und keiner darf es ihnen aus der Hand nehmen. Auch der Staat muss bei seinen Erziehungszielen den Willen der Eltern beachten«, so schrieben wir Euch in einem gemeinsamen Hirtenwort im Frühjahr 1981.8 Wir ermutigen jene Eltern, die sich mit allen Kräften dafür einsetzen, dass ihre Kinder in der Gesinnung und der Bereitschaft zum Frieden, zur Gewaltfreiheit und zur Toleranz erzogen werden. Wo Friedfertigkeit im Kleinen gedeiht, dürfen wir auch Hoffnung für den Frieden in der Welt haben.
Liebe Eltern! Sprecht mit den Kindern über das, was sie hören und was sie bewegt. Habt den Mut, in eindeutiger Weise Euer Urteil abzugeben. Sorgt in Eurer häuslichen Erziehung dafür, dass die Kinder nicht durch das Fernsehen oder durch Spielzeug an die Gewalt gewöhnt werden. Weckt in ihnen die Bereitschaft, vor allem durch Euer eigenes Beispiel, Vorurteile abzubauen und bei Konflikten zuerst den Weg der Verständigung zu gehen. Schafft für die Kinder die Erfahrung, dass echte Verzeihung Gräben zuschüttet und das Herz froh machen kann. Und vor allem: Macht Eure Kinder mit Jesus Christus bekannt, damit sie an seinen Worten und seinem Leben lernen, wahre Jünger des Friedens zu werden.
6. Schließlich erinnern wir Euch in diesem Hirtenbrief, der dem Thema »Frieden« gewidmet ist, an die weltüberwindende Macht des Gebetes. Das flehentliche Rufen nach Frieden für die Welt soll Euer privates und gemeinschaftliches Gebet durchdringen. Das Gebet in der Kraft des Glaubens weiß, dass Gott die Macht hat, den Frieden zu schenken. Gott vermag »unendlich mehr zu tun, als wir erbitten oder uns ausdenken können« (Eph 3,20). Das Gebet bewegt das Herz Gottes, damit bewegt es die Welt. Die Gebetsbitte um Frieden ist daher der grundlegende Friedensdienst der Christen. Es ist zu begrüßen, wenn wir uns auch über die Grenzen der eigenen Kirche hinweg zum gemeinsamen Gebet mit allen Christen in diesem Anliegen vereinen7). Das gemeinsame Gebet der Christen wird so selbst zu einem Friedenszeichen. Lassen wir uns auch nicht durch den Vorwurf beirren, Beten sei nur das Alibi derer, die sonst nichts für den Frieden tun wollen. Aus dem Gebet für den Frieden erwächst auch die Gesinnung des Friedens, und diese wird nicht ohne Folgen für unser Handeln bleiben.
Liebe Brüder und Schwestern! Papst Paul VI. erklärte 1965 in einer Ansprache vor der UNO: »Der Friede kommt nicht nur mithilfe der Politik und des Gleichgewichts der Kräfte und Interessen zustande. Er kommt mithilfe des Geistes, der Ideen, der Werke des Friedens zustande«8). Der Friede zwischen Menschen erwächst wie eine Frucht aus bestimmten geistigen Grundhaltungen. Er stellt sich dort ein, wo Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit herrschen. Die Kirche kann bei der Zurüstung dieser geistigen Grundlagen einer tragfähigen Friedensordnung einen bedeutenden Beitrag leisten, wobei sie dort am überzeugendsten wirkt, wo sie sich selbst ganz dem Wort des Evangeliums Jesu Christi unterwirft. Das wird nicht ohne Bereitschaft zur Kreuzesnachfolge gehen. Aber wo in der Welt könnte ein Christ oder eine Kirche, die sich nach dem Wort Jesu ausrichtet, völlig ohne Widerspruch leben? Nicht der Widerspruch der Welt sollte uns unruhig machen, sondern allein der Mangel an »Werken des Friedens« in unserer Mitte. Es sei unsere gemeinsame Sorge, dass Gott unsere Kirche zu überzeugenden Werken des Friedens befähige.
Im Vertrauen auf den Frieden Christi, der in unseren Herzen wohnt, erbitten wir Euch den Segen des allmächtigen Gottes: Des Vaters, und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Berlin, am Weltfriedenstag, den l. Januar 1983
Dr. Joachim Meisner | Bischof von Berlin
Gerhard Schaffran | Bischof von Dresden-Meißen
Bernhard Huhn | Bischof und Apostolischer Administrator von Görlitz
Heinrich Theissing | Bischof und Apostolischer Administrator von Schwerin
Johannes Braun | Bischof und Apostolischer Administrator von Magdeburg
Dr. Joachim Wanke | Bischof und Apostolischer Administrator von Erfurt-Meiningen
Georg Weinhold | Weihbischof in Dresden-Meißen
Theodor Hubrich | Weihbischof in Magdeburg
Norbert Werbs | Weihbischof in Schwerin
Wolfgang Weider9 | Weihbischof in Berlin
Vorstehender Hirtenbrief ist zu verlesen in allen Gottesdiensten am Sonntag, den 2. Januar 1983, einschließlich der Vorabendmessen
Anmerkungen
1) Vgl. zuletzt die Botschaft Papst Johannes Paul II. an die 2. außerordentliche Abrüstungskonferenz der Vereinten Nationen vom 14. Juni 1982.10
2) Papst Paul VI., Enzyklika »Populorum progressio«, Nr. 53.11
3) Vgl. 2. Vatikan. Konzil, Konstitution »Gaudium et spes«, Nr. 80.12
4) Enzyklika »Pacem in terris«, Kap. 3.13
5) Vgl. 2. Vatikan. Konzil, Konstitution »Gaudium et spes«, Nr. 82.14
6) Vgl. die gemeinsamen Hirtenbriefe von 197415 und 198116.
7) Vgl. die Empfehlung des ökumenischen Direktoriums, 1. Teil, Nr. 33.17
8) Ansprache Papst Paul VI. vor den Vereinten Nationen am 4. Oktober 1965.18