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Geplanter »Friedensgottesdienst« in der Erlöserkirche Berlin-Lichtenberg

17. Juni 1982
Information Nr. 321/82 über Aktivitäten im Zusammenhang mit einem geplanten »Friedensgottesdienst« am 27. Juni 1982 in der Erlöserkirche Berlin-Lichtenberg

Nach dem MfS vorliegenden internen Hinweisen soll unter der Verantwortlichkeit der Kirchenleitung der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg in der Erlöserkirche Berlin-Lichtenberg am 27.6.1982 in der Zeit von 10.00 bis ca. 15.00 Uhr unter der Thematik »Hände für den Frieden« ein »Friedensgottesdienst« stattfinden.

Nach offiziellen Meinungen kirchenleitender Kräfte in der DDR sei diese Veranstaltung im Zusammenhang zu sehen mit dem starken Friedensengagement der Kirchen in anderen Ländern sowie mit dem Bestreben der evangelischen Kirchen in der DDR, das Thema Frieden im positiven Sinne aufzugreifen. Der Plan für diese Veranstaltung gehe auf eine Initiative des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR und auf Orientierungen der Konferenz der Kirchenleitungen der DDR (KKL) vom Mai 1982 zurück, in Kirchen während der UNO-Abrüstungstagung1 die Friedensproblematik aufzugreifen.

Nach weiteren Äußerungen von Kräften der Evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg soll der »Friedensgottesdienst« gleichzeitig als Gegenargument zu der in der Westpresse verbreiteten These dienen, dass Friedensaktivitäten in der DDR nur vom Staat ausgehen dürfen.

Die Veranstaltung soll nach Darstellung des Präsidenten des Konsistoriums der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg, Stolpe,2 folgenden Ablauf haben: Gottesdienst, Gebetsstunde, Friedensgespräch, Orgelvesper und Abschlussgottesdienst.

Internen Hinweisen zufolge hat sich neben den Bestrebungen der Leitung der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg, diesen »Friedensgottesdienst« im Sinne offizieller Orientierungen des Bundes und der KKL durchzuführen, seit Ende April 1982 ein »Vorbereitungskreis« für diese Veranstaltung um Kreisjugendpfarrer Eppelmann3 und Stadtjugendpfarrer Passauer4 konstituiert mit dem Ziel, den »Friedensgottesdienst« zu nutzen und zu einer »Friedenswerkstatt« – wie sie ihr Vorhaben bezeichnen – auszubauen.

Diesem »Vorbereitungskreis« gehören ca. 20 Personen an, die – soweit dem MfS namentlich bekannt – in der Vergangenheit im Rahmen der kirchlichen Jugendarbeit bereits politisch- negativ in Erscheinung getreten sind.

Der »Vorbereitungskreis« beabsichtigt, mit der »Friedenswerkstatt« eine neue und die »Blues-Messen«5 ergänzende Reihe kirchlicher Großveranstaltungen einzuleiten.

(In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass am 2.7.1982 in der Erlöserkirche Berlin-Lichtenberg die nächste »Blues-Messe« stattfindet, die ebenfalls von Eppelmann und Passauer vorbereitet wird.)

Mitglieder des »Vorbereitungskreises« haben vor, eine Reihe »prominenter« Personen aus der DDR und dem kapitalistischen Ausland als Teilnehmer und »Diskussionspartner« in die »Friedenswerkstatt« einzuladen, um die Veranstaltung aufzuwerten und ihr »internationalen Charakter« zu geben.

Streng vertraulichen Hinweisen zufolge wurden u. a. eingeladen bzw. sollen noch für eine Teilnahme angesprochen werden: Stefan Heym,6 Franz Fühmann,7 Günter de Bruyn,8 Martin Stade,9 Jürgen Rennert,10 Monika Maron,11 Lutz Rathenow,12 Christa Wolf,13 Elke Erb,14 Ulrich Plenzdorf,15 Bruno Winzer16. (Soweit bekannt, haben Christa Wolf, Plenzdorf, Heym und de Bruyn mit verschiedenen Begründungen abgelehnt, an der Veranstaltung teilzunehmen.)

Besonders bemerkenswert ist die vom »Vorbereitungskreis« angestrebte Einladung von Heinrich Böll,17 Günter Grass18/beide BRD, Prof. Richter19 (Universität Gießen), Prof. Jungk20 (Wissenschaftler, Österreich) sowie Pastor Heinrich Albertz21/Westberlin, ehemaliger Regierender Bürgermeister.

Außerdem soll eine Reihe bisher nicht namentlich bekannter holländischer Bürger eingeladen werden. (In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass antisozialistische Kräfte im »Internationalen Friedensrat der Niederlande« (IKV)22 in letzter Zeit ihre Kontakte zu feindlich-negativen Kräften in der DDR, der VR Polen und der ČSSR verstärken.)

Im Unterschied zu den Vorstellungen der realistischen Kräfte in der Leitung der Landeskirche Berlin-Brandenburg zum Ablauf der Veranstaltung am 27.6.1982 plant der »Vorbereitungskreis« darüber hinausgehende Gestaltungsinhalte, mit denen – nach ihrer Meinung – das »eigenständige Friedensengagement« der Kirchen stärker unterstützt werde. Unter diesem Gesichtspunkt werden vorbereitet: Möglichkeiten der »freien Meinungsäußerung« in Form von »Rede-Ecken« nach dem »Hyde-Park-Muster«;23 Schaffung von Lese- und Diskussionsmöglichkeiten für die eingeladenen Schriftsteller; Vorführung von Laienspielen in Form »politischer« Kabaretts; Plakat-, Foto- und Grafikausstellungen; Auftritte von Musikgruppen; Auftritte von Puppenspielern; Schaffung der Möglichkeit, »Friedensschmuck« – Abzeichen »Schwerter zu Pflugscharen« – selbst zu basteln bzw. herzustellen.

Streng internen Hinweisen zufolge ist vorgesehen, im Rahmen dieses »Programms« das Ensemble »Die Streuselschnecke«24 vom Haus der Jungen Talente der Hauptstadt und das Ensemble des staatlichen Puppentheaters Neubrandenburg, Leiter Peter Waschinsky,25 auftreten zu lassen und das Programm an den verschiedenen Ständen im kircheneigenen Gebiet zu wiederholen.

Wie weiter bekannt wurde, sind loyale Kräfte der Kirchenleitung Berlin-Brandenburg (u. a. Konsistorialpräsident Stolpe, Pfarrer Heilmann,26 Pfarrer Günther27) sowie Altbischof Schönherr28 bestrebt, die Gestaltung dieser Programmteile zu beeinflussen und zu verändern, um »Anstöße seitens des Staates zu vermeiden« und daraus »etwas Konstruktives für das Friedensengagement der Kirche zu machen«, wobei versucht wird, das Auftreten von Pfarrer Eppelmann zu unterbinden.

Während die Kirchenleitung davon ausgeht, dass an der Veranstaltung am 27.6.1982 ca. 1 200 bis 2 000 Personen teilnehmen werden, rechnet der »Vorbereitungskreis« mit einer Teilnehmerzahl von ca. 5 000 Personen, vornehmlich Jugendlichen und Jungerwachsenen aus allen Bezirken der DDR. Der Veranstaltungstermin wurde durch gezielte »Flüsterpropaganda« und in einigen Fällen mittels schriftlicher Einladungen bekannt gemacht.

In Kreisen der Kirchenleitung verlautete streng vertraulich, dass Vertreter westlicher Massenmedien ihr Interesse an dieser Veranstaltung bekundet hätten. Gleichzeitig wurden Befürchtungen dahingehend geäußert, dass der Verlauf dieser Veranstaltung in westlichen Massenmedien nicht objektiv dargestellt und zu Auslegungen missbraucht werden könnte, die das Verhältnis Staat – Kirche belasten.

Es wird vorgeschlagen:

Der Staatssekretär für Kirchenfragen, Genosse Gysi,29 führt mit dem Bischof der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg, Forck, unter Bezugnahme auf die vorangegangenen Aussprachen und Hinweise ein weiteres prinzipielles Gespräch.

Dabei müsste davon ausgegangen werden, dass bisherige Zusicherungen der Leitung der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg nicht eingehalten wurden und deshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass die vorgesehenen Veranstaltungen, einschließlich »Blues-Messe«, zu politisch-negativen Aktivitäten gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung missbraucht werden.

Ein gleiches Gespräch führt der Stellvertreter des Oberbürgermeisters für Inneres des Magistrats der Hauptstadt der DDR, Berlin, Genosse Hoffmann,30 mit dem Präsidenten des Konsistoriums der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg, Stolpe.

Bei diesen Gesprächen sollte darauf hingewiesen werden, dass es sich um eine regionale Veranstaltung in der Hauptstadt der DDR, Berlin, handelt und deshalb die Teilnahme von Vertretern aus dem kapitalistischen Ausland, insbesondere der BRD und Westberlin, sowie von Mitarbeitern westlicher Massenmedien durch die Kirchenleitung zu unterbinden ist.

Einleitung von Maßnahmen über die zuständigen staatlichen Organe und gesellschaftlichen Organisationen der DDR zur Unterbindung der Teilnahme von Ensemblemitgliedern des Hauses der Jungen Talente Berlin und des Staatlichen Puppentheaters Neubrandenburg.

Unterstützung der bekannten positiven Bestrebungen progressiver und loyaler kirchlicher Kräfte, um realistische kirchliche Friedenspositionen zu stärken und weiter durchzusetzen.

Weiter sind im Zusammenwirken mit den zuständigen staatlichen Organen differenzierte Maßnahmen vorgesehen, um die Anreise von Jugendlichen/Jungerwachsenen aus den Bezirken der DDR zu dem geplanten »Friedensgottesdienst« vorbeugend zu verhindern.

Außerdem ist beabsichtigt, die Einreise von Personen aus nichtsozialistischen Staaten und Westberlin, die an dieser Veranstaltung teilnehmen wollen, zu unterbinden.

Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

  1. Zum nächsten Dokument 1. Tagung der 6. Synode der Evangelischen Kirche der Union (DDR)

    18. Juni 1982
    Information Nr. 319/82 über die konstituierende 1. Tagung der 6. Synode der Evangelischen Kirche der Union (EKU) – Bereich DDR – vom 4. bis 6. Juni 1982 in der Hauptstadt Berlin

  2. Zum vorherigen Dokument Statistik Einnahmen Mindestumtausch (7.6.1982–13.6.1982)

    16. Juni 1982
    Information Nr. 318/82 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 7. Juni 1982 bis 13. Juni 1982