Gespräche von H.-J. Vogel (SPD) mit Vertretern der evangelsichen Kirchen in der DDR
14. Dezember 1982
Information Nr. 632/82 über Hinweise zu Gesprächen des SPD-Präsidiumsmitgliedes Dr. Vogel mit Vertretern der evangelischen Kirchen in der DDR am 9. Dezember 1982
Durch streng vertrauliche Hinweise wurden dem MfS Informationen zum Inhalt der Gespräche, die das SPD-Präsidiumsmitglied Dr. Vogel1 während seines Aufenthaltes in der DDR am 9.12.1982 mit Vertretern der evangelischen Kirchen in der DDR hatte, bekannt.
Dr. Vogel wurde während seiner Fahrt nach Wittenberg und während des dortigen Aufenthaltes vom Präsidenten der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union – Bereich DDR – und Mitglied des kirchlichen Lutherkomitees der DDR,2 Dr. Rogge,3 begleitet.
In Wittenberg fanden Begegnungen mit Propst Treu4 (Wittenberg) und Pfarrer Schulz5 (Direktor des Predigerseminars Wittenberg) statt.
Der Inhalt der Gespräche betraf ausschließlich Probleme des Lutherjubiläums und des Verhältnisses Staat – Kirche in der DDR. Besonders von Dr. Rogge wurde betont, dass es zwischen Staat und Kirche in der DDR ein gutes Verhältnis gebe, was gegenwärtig in der Vorbereitung des Lutherjubiläums seinen Ausdruck finde. Propst Treu und Pfarrer Schulz unterstützten diese Ausführungen, bezogen auf die Situation in Wittenberg.
In den Gesprächen wurden keine politisch-negativen Äußerungen getätigt.
Dr. Vogel zeigte zu diesem Problemkreis Interesse und betonte, ihm ginge es vor allem um sachliche Informationen zum Verhältnis Staat – Kirche, zu Fragen der Zusammenarbeit des staatlichen und kirchlichen Lutherkomitees, zur kirchlichen Jugendarbeit in der DDR, zu Problemen der Kunst und Kultur sowie zur Geschichtsschreibung in der DDR und zur Haltung der katholischen Kirche gegenüber dem Staat.
Dr. Vogel erklärte, man könne nicht in Wunschvorstellungen leben, sondern müsse sich von der DDR ein reales Bild machen. Die von ihm aufgeworfenen Fragen wurden vor allem von Dr. Rogge sachlich beantwortet.
Dr. Vogel äußerte gegenüber kirchlichen Vertretern, er sei über das Gespräch mit dem Mitglied des Politbüros, Joachim Herrmann,6 sehr befriedigt, zumal Einigkeit in den Auffassungen über die Notwendigkeit der Abrüstung erzielt worden sei.7
Er sei der Meinung, dass die gegenwärtige BRD-Regierung an den Vereinbarungen mit der DDR (Grundlagenvertrag8) festzuhalten beabsichtige.
Aus dem Gespräch mit Dr. Vogel ging hervor, dass er – eigenen Bemerkungen zufolge – bei den im März 1983 bevorstehenden Bundestagswahlen als ernstzunehmender Kandidat für das Amt des Bundeskanzlers in der BRD anzusehen wäre.
Wenn Dr. Vogel keine Chance haben sollte, Bundeskanzler zu werden, rechne er auf alle Fälle damit, dass er Oppositionsführer im Bundestag wird.
Nach der Rückkehr von Wittenberg fand in der Zeit von 18.30 bis 19.20 Uhr ein Gespräch zwischen Vertretern des kirchlichen Lutherkomitees der DDR und Dr. Vogel und seinen Begleitern in Berlin, Auguststraße 80 (Sitz des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR) statt.
An dem Gespräch nahmen teil:
aus der DDR
- –
Bischof Leich,9 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen
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Dr. Rogge, Präsident der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union
– Bereich DDR –
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Stolpe,10 Stellvertreter des Vorsitzenden der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR
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Dr. Demke,11 Leiter des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR;
seitens der BRD bzw. Berlin (West)
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Dr. Vogel, Hans-Jochen
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Reitz,12 Mitarbeiter für Fragen der evangelischen Kirche im Parteivorstand der SPD
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Dahrendorf, Frank,13 Berater im Arbeitsstab von Dr. Vogel.
Zu Beginn dieses Gespräches informierte Bischof Leich (Eisenach) über die geplanten kirchlichen Veranstaltungen und deren inhaltliche Ausgestaltung während der Lutherfeierlichkeiten 1983 in der DDR. Er betonte in diesem Zusammenhang das sachliche und korrekte Verhältnis zwischen Staat und Kirche in der DDR und brachte zum Ausdruck, dass die Kirche auch nach 1983 an einer Fortsetzung des positiven Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in der DDR interessiert sei.
Leich machte in seinen Ausführungen auf zwei Schwerpunkte aufmerksam, wobei er Dr. Vogel um Unterstützung bat:
- 1.
Die Lutherfeierlichkeiten in der DDR dürften in der BRD nicht zu sogenannten gesamtdeutschen Aktivitäten politisch missbraucht werden, da dies die Position der Kirchen in der DDR belasten würde.
- 2.
Die evangelischen Kirchen in der DDR hätten großes Interesse daran, dass mit der Anwesenheit von Persönlichkeiten zu den Lutherfeierlichkeiten Prioritäten gesetzt würden.
Das beträfe sowohl kirchliche als auch staatliche Persönlichkeiten, die im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen.
Dr. Vogel bedankte sich für die Möglichkeit des Gespräches und für die sachkundigen Informationen, die er erhalten habe. Er brachte seine Befriedigung darüber zum Ausdruck, dass »er als Katholik über den Protestanten Luther schnell eine gemeinsame Sprache mit dem Politbüromitglied Herrmann gefunden« habe. Es seien zwischen ihm und dem Politbüromitglied Herrmann gemeinsam interessierende Sachprobleme besprochen und ein gemeinsamer Standpunkt gefunden worden. Das betreffe die Fragen der Erhaltung des Friedens und der Abrüstung. Dr. Vogel erwähnte in diesem Zusammenhang, er beabsichtige in den nächsten Tagen zum Papst nach Rom zu reisen. Dort wolle er u. a. über seine positiven Eindrücke aus der DDR berichten.
Einen breiten Raum nahm des Weiteren eine Diskussion zum Verhältnis der evangelischen zur katholischen Kirche ein. Dabei wurden rein theologische Probleme erörtert. Vogel betonte, ihm als Katholik wäre nicht an einer Konfrontation zwischen der evangelischen und der katholischen Kirche gelegen. Es wäre auch nicht in seinem Interesse, wenn die Lutherfeierlichkeiten 1983 durch bestimmte Kreise in der BRD und Berlin (West) als »gesamtdeutsche Problematik« dargestellt würden. Zu berücksichtigen sei jedoch, dass eine gemeinsame Kulturtradition und zwei deutsche Staaten existieren würden.
In diesem Zusammenhang brachte Dr. Vogel zum Ausdruck, er habe mit Befriedigung feststellen können, dass in der letzten Zeit eine Hervorhebung progressiver preußischer Traditionen im Geschichtsbewusstsein und der Geschichtsschreibung der DDR vorgenommen wurde.
Auf die Frage von Dr. Vogel, warum Luther im Sozialismus derzeitig herausgestellt würde, wurde durch die kirchlichen Vertreter der DDR betont, dies sei Ausdruck der Kulturpolitik und der staatlichen Kirchenpolitik.
Sie erklärten weiter, dass die Kirchenpolitik des Staates ein bestimmendes Element der Entspannungspolitik sei. Diese Feststellung wurde durch Dr. Vogel bestätigt. Bezogen auf die Problematik Entspannungspolitik verwies Dr. Vogel darauf, dass er alles unternehmen werde, um diese aus dem »Parteien-Streit« in der BRD und Berlin (West) herauszutragen. Dr. Vogel erwähnte weiter, dass sich die SPD nicht auf eine lange Oppositionszeit einstellen werde, doch müsse man auch damit rechnen.
Weiteren internen Hinweisen zufolge habe Dr. Vogel die feste Absicht, als Kandidat für das Amt des Bundeskanzlers in den Wahlkampf zu gehen und eventuell die Funktion des Bundeskanzlers zu übernehmen. Dabei erhoffe er sich eine gewisse Unterstützung durch die DDR. Er sei bestrebt, das von »Ex-Bundeskanzler« Schmidt praktizierte sachliche und relativ gute Verhältnis mit der DDR fortzusetzen. Er sei zu weiteren Gesprächen und Dialogen bereit.
Am Ende dieses Gespräches bestanden noch Unklarheiten über Einladungsmodalitäten für staatliche und kirchliche Persönlichkeiten der BRD zu den Lutherfeierlichkeiten 1983 in der DDR. Die Gesprächspartner aus der DDR gaben die Vorstellungen des kirchlichen Lutherkomitees wieder, wonach Einladungen staatlicher Persönlichkeiten durch den Staat und kirchlicher Persönlichkeiten durch die Kirche erfolgen müssten. Im Einzelfall sollte dies abgestimmt werden, da verschiedene Politiker des Auslandes auch gleichzeitig wichtige kirchliche Funktionen ausüben und deshalb keine Klarheit bestehe, wer als Einlader in Erscheinung tritt.
Intern wurde eingeschätzt, dass Dr. Vogel zu den aufgeworfenen Problemen sachlich und realistisch reagierte und es von seiner Seite keine politisch-negativen Äußerungen über die DDR bzw. über das Verhältnis Staat – Kirche in der DDR gab. Er hatte Interesse, sich vielfältig informieren zu lassen, ohne in jedem Falle immer selbst mit Informationen präsent zu sein.
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