Gewaltsamer Grenzdurchbruch im Bezirk Magdeburg
30. April 1982
Information Nr. 227/82 über die bisherigen Ergebnisse »der Untersuchungen zum gewaltsamen Grenzdurchbruch DDR/BRD am 29. April 1982 im Bezirk Magdeburg«
Am 29. April 1982, um 5.55 Uhr durchbrachen drei Bürger der DDR im Sicherungsabschnitt des Grenzregiments 23 Kalbe/Milde, ca. 250 Meter südlich der Straße Weferlingen – Grasleben, mittels einer Planierraupe gewaltsam die Staatsgrenze zur BRD.
Als Täter wurden [Name 1, Vorname] (37), geb. am [Tag, Monat] 1944, tätig gewesen als Kraftfahrer im VEB Straßen- und Tiefbaukombinat Magdeburg, seit Januar 1982 eingesetzt im VEB Sand- und Tonwerke Walbeck (Grenzgebiet), wohnhaft: Magdeburg, [Straße, Nr.], [Name 1] war seit dem 19. Januar 1982 aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit im Besitz eines Passierscheines für das Grenzgebiet; [Name 2, Vorname 1] (26), geb. am [Tag, Monat] 1956, tätig gewesen als Kraftfahrer bei der HO-Industriewaren Magdeburg, wohnhaft: Magdeburg, [Straße, Nr.], und dessen Bruder, [Name 2, Vorname 2] (27), geb. am [Tag, Monat] 1954, tätig gewesen als Beifahrer im VEB Kohlehandel Magdeburg, wohnhaft: Magdeburg, [Straße, Nr.], ermittelt.
Im Ergebnis der bisherigen Untersuchungen ist festzustellen:
[Name 1], der im Zusammenhang mit seiner zeitweiligen Tätigkeit im VEB Sand- und Tonwerke Walbeck wochentags im Wohnheim innerhalb des Werkgeländes dieses VEB wohnhaft war, entwendete am 29. April 1982, gegen 5.00 Uhr eine verschlossen abgestellte Planierraupe des Typs S 100 und fuhr gemeinsam mit den Gebrüdern [Name 2] auf direktem Weg zur ca. 1 250 Meter entfernten Staatsgrenze.
Auf dem Weg zur Staatsgrenze überquerten die Täter mit der Planierraupe einen ca. zwei Meter breiten Kfz-Sperrgraben, der durch zwei Betonplatten überbrückt und mit zwei sogenannten spanischen Reitern gesichert war, durchbrachen ein Tor im Grenzsignalzaun und in der weiteren Folge die Grenzsicherungsanlage 501, wobei es ihnen trotz der Auslösung von acht Minen gelang, unverletzt die Staatsgrenze nach der BRD zu durchbrechen.
Nach dem erfolgten Grenzdurchbruch wurde die Planierraupe ca. 200 Meter auf dem Territorium der BRD abgestellt.
Zum Persönlichkeitsbild der DDR-Bürger wurde bekannt:
Bei dem [Name 1] handelt es sich um eine moralisch ungefestigte, dem Alkohol verfallene sowie geistig primitive Person. Er ist seit 1½ Jahren geschieden. Den finanziellen Verpflichtungen gegenüber seinen vier Kindern kam er nur teilweise nach.
[Name 2, Vorname 1] führt einen unmoralischen Lebenswandel. Häufig wechselnde Frauenbekanntschaften sowie übermäßiger Alkoholgenuss sind besonders kennzeichnend für seinen schlechten Leumund und führten wiederholt zu Beschwerden seiner Mitbewohner. [Name 2] ist mehrfach wegen begangener Straftaten gegen das persönliche und private Eigentum vorbestraft. Im Jahre 1973 wurde er bereits wegen eines versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts gemäß § 213 StGB1 zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsentzug, ausgesetzt auf Bewährung, verurteilt.
Sein Bruder, [Name 2, Vorname 2], nahm nach dem Besuch einer Sonderschule und einer vorübergehenden Tätigkeit in der Spritzerei des VEB Schwermaschinenbau »Karl Liebknecht« Magdeburg eine Tätigkeit als Beifahrer im VEB Kohlehandel Magdeburg auf. [Name 2], dessen Ehe geschieden wurde, ist ebenfalls mehrfach wegen Straftaten gegen das sozialistische und persönliche Eigentum vorbestraft.
Die bisherigen Untersuchungen ergaben, dass insbesondere folgende Bedingungen den gewaltsamen Grenzdurchbruch begünstigten:
[Name 1] hatte aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit innerhalb des Grenzgebietes in Walbeck die Möglichkeit, sich Kenntnisse über das bestehende Grenzregime anzueignen und im Zusammenhang damit auch eine geeignete Stelle für einen Grenzdurchbruch zu erkunden.
Ebenso war es ihm möglich, unbemerkt – das Betriebsgelände wird lediglich durch Pförtner bewacht – sich rechtswidrig in den Besitz der vorschriftswidrig nur mit einem Vorhängeschloss gesicherten Planierraupe zu bringen und mit dieser das Betriebsgelände ungehindert in Richtung Staatsgrenze zur BRD zu verlassen.
Der Sicherheitsinspektor des Betriebes, der die Ausfahrt der durch [Name 1] und eine weitere Person besetzten Planierraupe beobachtete, war der Auffassung, dass [Name 1] regulär seine Tätigkeit aufnimmt.
Aufgrund der Persönlichkeitseigenschaften des [Name 1] widersprach die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit im Grenzgebiet und die Ausstellung eines diesbezüglichen Passierscheines den dafür erforderlichen Voraussetzungen.
Die Annäherung der Täter mit der Planierraupe an die Staatsgrenze konnte durch die in diesem Grenzabschnitt (ca. 1 200 m nördlich bzw. 1 300 m südlich der Durchbruchstelle) eingesetzten Grenzposten aufgrund der Entfernung und der Geländebeschaffenheit objektiv nicht wahrgenommen werden. Ein ca. 50 Meter vom Ereignisort entfernter Beobachtungsturm war zum Zeitpunkt des Grenzdurchbruchs nicht besetzt.
Die Überwindung des Kfz-Sperrgrabens war möglich, da dieser im Bereich der Durchbruchstelle mit Betonplatten überbrückt ist (zum Zwecke des Überfahrens durch Kfz der Grenztruppen sowie zu Einsätzen, z. B. der Feuerwehr zur Schadensbekämpfung an der Staatsgrenze) und die Wirksamkeit der vorhandenen Sperrelemente gegen eine derartige schwere Technik nicht ausreichend war.
Die Planierraupe wurde am 29. April 1982, um 17.35 Uhr durch zwei Angehörige des VEB Kraftfahrzeuginstandsetzungskombinat Magdeburg in die DDR zurückgeführt.
Die Untersuchungen des MfS zur umfassenden Aufklärung der Ursachen, Motive und begünstigenden Bedingungen werden fortgesetzt.