Handreichung der katholischen Kirche über die Ereignisse in Polen
7. Dezember 1982
Information Nr. 628/82 über die Verbreitung einer sogenannten Handreichung der katholischen Kirche über »Ereignisse, Entwicklungen in der VR Polen …« im Magdeburger kirchlichen Amtsbereich
Dem MfS streng intern vorliegenden Hinweisen zufolge hat der Leiter der Abteilung Arbeitsstelle für pastorale Hilfsmittel der katholischen Kirche in Magdeburg, Särchen, Günter1 (54), ein 104 Seiten umfassendes Material unter der Überschrift »Versöhnung – Auftrag der Kirche«2 verbreitet und mit Zustimmung von Bischof Braun3/Magdeburg den Geistlichen im Bereich des Amtes Magdeburg ausgehändigt. Dieses Material ist als »Handreichung – nur für den innerkirchlichen Gebrauch« deklariert.
In kurzen Vorbemerkungen zu diesem Handmaterial schreibt Särchen:
»Ereignisse, Entwicklungen in der VR Polen4 wirken sich auch auf die Versöhnung unserer Völker aus, die in den zurückliegenden Jahren in unseren Gemeinden eine positive Entwicklung genommen hat. Wir sind und bleiben Nachbarn.
Eine einseitige Berichterstattung über die Ereignisse und Entwicklungen hat leider immer wieder den Eindruck erweckt, als würden sich die katholische Kirche in Polen, die Vertreter dieser Kirche und einzelne Katholiken gegen die Interessen des Volkes und der polnischen Nation stellen. Aufgrund einer solchen Berichterstattung wird immer wieder von einer ›Einmischung der Kirche in staatliche Angelegenheiten‹ gesprochen.
Die folgenden Dokumente wollen dem Seelsorger eine Hilfe bieten zum besseren Verständnis verschiedener Zusammenhänge. Die folgenden Beiträge wurden in offiziellen, vom polnischen Staat genehmigten Presseorganen veröffentlicht.«
Auf den nachfolgenden Seiten wurden durch Särchen folgende Materialien zusammengestellt:
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Auszüge aus Sitzungen der Gemeinsamen Kommissionen der Regierung der VR Polen und des Episkopates Polens von Januar und April 1982,5
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Auszug des Kommuniqués von der 184. Konferenz des Episkopates Polens vom 3./4. Mai 1982 unter Leitung des Primas von Polen,6 Erzbischof Glemp,7
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Predigt von Kardinal Wyszynski8 am 21.1.1980 in der Warschauer Kathedrale,9
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Predigt von Kardinal Wyszynski am 26. August 1980 »Verantwortung, Pflichten und Rechte im Leben der Nation«,10
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Kommuniqué des Zentralrates des polnischen Episkopates vom 27.8.1980,11
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Die 21 »Forderungen der Streikenden von Gdansk« vom August 1980,12
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Aus dem Protokoll der Vereinbarung zwischen der Regierungskommission und dem überbetrieblichen Streikkomitee am 31.8.1980 in der Danziger Werft,13
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Statut der »unabhängigen, selbstverwaltenden Gewerkschaft« »Solidarność«.14 Notizen über die Verhandlungen zwischen Ministerpräsident Pinkowski15 und Vertretern von »Solidarität« sowie über die Aufhebung des Urteils des Warschauer Bezirksgerichts durch den Obersten Gerichtshof Polens16 und über die Zurücknahme der Streikvorbereitungen (31. Oktober/10. November 1980),
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Rede Rakowskis17 vor dem VIII. Plenum des ZK der PVAP »Die Logik der Ereignisse«,18
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Ansprache Rakowskis auf dem IX. Außerordentlichen Parteitag der PVAP am 14. Juli 1981 »Machen wir Schluss mit der Angst vor dem Denken«,19
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Interview von Bischof Glemp (vor dessen Ernennung zum Nachfolger von Kardinal Wyszynski) zum Verhältnis der polnischen Kirche zur »Solidarność« (1981),20
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Programmpapier der »unabhängigen selbstverwaltenden Gewerkschaft« »Solidarität« (Februar/März 1981),21
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Artikel: Die Situation verlangt nach baldigen Lösungen – Aber voreilige Lösungen lösen keine Probleme22 (von Thomas Wybraniec23 – Juni 1982),
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Interview Prof. Stomma24 zum »Gesellschaftlichen Rat beim Primas von Polen«,25
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Auszüge der Rede des Primas von Polen, Glemp, zur Arbeit des »Gesellschaftlichen Rates«,26
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Thesenpapier des »Gesellschaftlichen Rates« zum Thema: Voraussetzungen für eine »Verständigung« zwischen Staat und Gesellschaft.27
Die Übergabe dieses Materials an katholische Geistliche des Amtsbereiches – mit Zustimmung von Bischof Braun/Magdeburg – stellt ein politisches Novum dar, da damit antisozialistisches Gedankengut innerhalb der katholischen Kirche in der DDR verbreitet wird.
Zur Person des Särchen ist weiter bekannt, dass er als Vertreter der katholischen Kirche ehemals in der »Aktion Sühnezeichen«28 aktiv tätig war und auch heute noch über umfangreiche Verbindungen in die VR Polen verfügt.
Intern wird eingeschätzt, dass Bischof Braun/Magdeburg von der Zusammenstellung des Materials Kenntnis hatte und einer Aushändigung an die Geistlichen zustimmte, ohne dessen Inhalt persönlich zu kennen.
Die Mehrzahl der Bischöfe, u. a. auch der Vorsitzende der »Berliner Bischofskonferenz«,29 Bischof Meisner,30 Berlin, lehnen nach weiter vorliegenden internen Hinweisen die Verbreitung eines derartigen Materials wegen seines politischen Inhalts ab.
Durch geeignete Maßnahmen des MfS wurde darauf Einfluss genommen und erreicht, dass die Erarbeitung und Verbreitung der »Handreichung« im katholischen Amtsbereich Magdeburg auf die Tagesordnung der Sitzung der »Berliner Bischofskonferenz« am 6./7. Dezember 1982 gesetzt wurde, um zu erreichen, dass sich der leitende Klerus innerkirchlich mit dem Pamphlet des Magdeburger Amtsbereiches auseinandersetzt und eine weitere Verbreitung in den anderen Amtsbereichen unterbindet. Außerdem soll Bischof Braun durch die Bischofskonferenz aufgefordert werden, die den Geistlichen übergebenen »Handreichungen« wieder einzuziehen.
Es wird vorgeschlagen, den Staatssekretär für Kirchenfragen oder dessen Stellvertreter zu beauftragen, mit Bischof Braun/Magdeburg eine Aussprache zu führen in der ihm mitgeteilt wird, dass die »Handreichung« geeignet ist, das derzeitige Verhältnis zwischen Staat und katholischer Kirche in der DDR zu belasten und empfindlich zu stören. Im Interesse der Förderung und Vertiefung der guten Beziehungen zwischen Staat und katholischer Kirche in der DDR sei es wünschenswert, die Verbreitung der »Handreichung« durch innerkirchliche Maßnahmen zu unterbinden und dafür zu sorgen, dass sich Ähnliches nicht wiederholt.
Die Information ist wegen äußerster Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.