Leiter der StäV zur Reaktion der DDR auf Regierungserklärung Kohls
14. Oktober 1982
Information Nr. 525/82 über Äußerungen des Leiters der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Bräutigam, zu ersten Reaktionen der DDR auf die Regierungserklärung Kohls
Aus zuverlässigen Quellen wurden dem MfS intern Auffassungen des Leiters der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Bräutigam,1 zur Bewertung des »ND«-Artikels vom 14.10.1982 »Schwerer Start«2 bekannt, die in eine von der Ständigen Vertretung für die Regierung der BRD erarbeitete Einschätzung des Inhalts dieses Artikels aufgenommen werden.
Bräutigam geht zunächst davon aus, dass es sich bei dem Artikel um eine erste Stellungnahme der Führung der DDR zur Regierungserklärung Kohls3 handelt.4 Dabei sei nicht überraschend, dass auf die in der Regierungserklärung dargestellten Grundpositionen der BRD in Fragen des Verhältnisses zwischen der BRD und der DDR polemisch mit einer Bekräftigung der Grundpositionen der DDR geantwortet wurde. Er bezeichnet das als einen normalen Vorgang, wobei er herausstellt, dass die DDR noch keine Schlussfolgerungen gezogen, jedoch starke Zweifel und Warnungen zum Ausdruck gebracht habe. Bräutigam gelangt zu der Einschätzung, dass diese Zweifel als echt zu bezeichnen sind und dass die DDR nun abwartet, welche Taten den Worten folgen werden, ob eine Abkühlung in den Beziehungen eintreten wird und ob Erreichtes in Gefahr gerät. Dabei hebt er hervor, dass noch offen ist, ob die Entwicklung zu einer Abkühlung führen wird; er behauptet, in diesem Falle käme die Abkühlung von der DDR, wodurch Erreichtes gefährdet werden könnte.
Bräutigam verweist darauf, dass den Aussagen Kohls zum NATO-Doppelbeschluss5 großen Raum gewidmet wird, woraus er schlussfolgert, dass die DDR diesem Problem eine zentrale Bedeutung beimisst. Er behauptet, die Stellungnahme Kohls sei im Artikel verfälschend dargestellt worden, weil nur der zweite Teil des Beschlusses – Stationierung der USA-Mittelstreckenraketen – erwähnt, jedoch nicht der erste Teil – Verhandlungen über die Mittelstreckenraketen – angeführt worden sei.
Von großer Bedeutung sei für die DDR außerdem, wie der Artikel zeige, weiterhin die Respektierung der Unabhängigkeit und Selbstständigkeit jedes der beiden deutschen Staaten. Hier werden, wie Bräutigam hervorhebt, besonders große Zweifel der DDR gegenüber der BRD-Regierung sichtbar, die u. a. auch aus den Diskussionen herrühren, die vor der Abgabe der Regierungserklärung in der BRD – besonders zur Problematik »zwei deutsche Staaten« – geführt wurden Die Respektierung der Integrität und Souveränität der DDR wird seitens der DDR zur Voraussetzung für die Bereitschaft zu konstruktivem Verhalten erklärt.
Zur Befürchtung der DDR, ob mit einer neuen Welle des Nationalismus zu rechnen sei, empfiehlt Bräutigam, dies nicht überzubewerten, da es sich bei den entsprechenden Aussagen des Artikels um eine völlig abwegige Polemik handele.
Obwohl er diese Befürchtung als durchaus echt bezeichnet, unterstellt er der DDR, dass sie der BRD-Regierung »großdeutsche Ambitionen« unterschieben wolle.
Bräutigam stellt fest, dass alle Grundfragen der Beziehungen DDR – BRD, die seit Jahren seitens der DDR gesehen und betont werden (Verweis auf die Ausführungen des Genossen Erich Honecker6 in Gera),7 auch im »ND«-Artikel angesprochen wurden – allerdings mehr in Form von Fragen. Er verweist darauf, dass wiederum in der Frage »menschlicher Erleichterungen« der Zusammenhang mit den »Geraer Forderungen« hergestellt wurde. Nach seiner Auffassung werde seitens der DDR dieser Zusammenhang immer dann hergestellt, wenn sie sich nicht bewegen wolle.
Beunruhigend sei, dass plötzlich ein Zusammenhang zwischen dem Jugendaustausch, der verabredet worden sei, und der Frage der Staatsbürgerschaft8 hergestellt wurde; dazu habe kein Zwang bestanden. Beim Problem Jugendaustausch stelle also die DDR eine Verabredung infrage, indem sie Zweifel zum Ausdruck bringt, ob diese Angelegenheit noch eine politische Grundlage hat.
Unter Bezugnahme auf das Koalitionspapier CDU/CSU – FDP, in dem von »Leistung und Gegenleistung« in den Beziehungen die Rede ist, schätzt Bräutigam ein, dass die DDR hier kein Problem sehe, da dieses Prinzip für alle Staaten gilt. Berechtigt werde seitens der DDR festgestellt, dass das schon immer so gehandhabt wurde. Bräutigam bemerkt, man müsse jeweils in der konkreten Situation bestimmen, worin Leistung und Gegenleistung bestehen.
Bräutigam kündigt eine weitere Stellungnahme der Ständigen Vertretung für die Regierung der BRD an, falls sich das Politbüro des ZK der SED zur Regierungserklärung Kohls äußern sollte.
Weiter wurde intern bekannt, dass Bundesminister Barzel9 die Absicht hat, möglichst bald die Kunstausstellung in Dresden10 zu besuchen. Die Ständige Vertretung der BRD in der DDR wurde beauftragt, die entsprechenden Vorbereitungen zu treffen.