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Motive und Ursachen von Ärzten für das Verlassen der DDR

15. November 1982
Information Nr. 578/82 über einige Erkenntnisse zu den Motiven und weiteren wesentlichen Faktoren für die Entschlussfassung von Ärzten/Zahnärzten zum ungesetzlichen Verlassen der DDR sowie zu rechtswidrigen Versuchen zur Erreichung der Übersiedlung nach der BRD und Westberlin

Nach dem MfS vorliegenden Erkenntnissen stellt im Vorgehen gegnerischer Kräfte gegen die DDR der Bereich Medizin mit dem staatlichen Gesundheitswesen und dem medizinischen Sektor des Hoch- und Fachschulwesens einen Schwerpunkt dar.

Das zeigt sich insbesondere in zielgerichteten

  • Aktivitäten zur Beeinflussung im Bereich Medizin tätiger Personen durch die Forcierung der politisch-ideologischen Diversion1 und die Herstellung sowie den Ausbau von Kontakten mit feindlich-negativer Zielstellung,

  • Angriffen zur Inspirierung, Organisierung und Durchführung des staatsfeindlichen Menschenhandels,2 des ungesetzlichen Verlassens der DDR sowie von rechtswidrigen Versuchen zur Erreichung der Übersiedlung nach dem nichtsozialistischen Ausland, einschließlich der Einbeziehung von medizinischen Hoch- und Fachschulkadern und vor allem in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung tätiger Ärzte und Zahnärzte in die gegen die DDR gerichtete feindliche Tätigkeit,

  • Bestrebungen zur Erlangung geheim zu haltender Informationen auf medizinischem, medizinisch-technischem und pharmazeutischem Gebiet.

Die Inspiratoren und Organisatoren derartiger subversiver Handlungen gegen den Bereich Medizin der DDR sind dabei in zunehmendem Maße um ein koordiniertes Vorgehen bemüht und konnten durch ihre umfangreichen, in der Regel personengebundenen Aktivitäten bestimmte Angehörige dieses Bereiches im Sinne ihrer Zielstellung beeinflussen.

Das zeigt sich u. a. darin, dass im Zeitraum 1. Januar 1980 bis 30. September 1982

  • 110 Ärzte/Zahnärzte die DDR ungesetzlich verlassen haben,

  • gegenwärtig von 168 Ärzten und Zahnärzten rechtswidrige Ersuchen zur Erreichung der Übersiedlung nach der BRD und Westberlin3 bei den zuständigen staatlichen Organen der DDR vorliegen.

Durch zielgerichtete vorbeugende Maßnahmen des MfS und im Zusammenwirken mit anderen Schutz- und Sicherheitsorganen, staatlichen und wirtschaftsleitenden Organen, gesellschaftlichen Organisationen und Kräften konnte des Weiteren im Zeitraum 1. Januar 1980 bis 30. September 1982 das ungesetzliche Verlassen der DDR von 71 Ärzten/Zahnärzten verhindert werden.4

Im Ergebnis der durch das MfS in diesem Zusammenhang gewonnenen Erkenntnisse ist – hinsichtlich der für die Entschlussfassung zum Verlassen der DDR wesentlichsten Motive und weiteren Wirkungsfaktoren – festzustellen:

Ein größerer Teil der diesbezüglich in Erscheinung getretenen Ärzte und Zahnärzte verfügt über eine kaum ausgeprägte bzw. eine ungefestigte politisch-ideologische Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung. Ihre Haltung war teilweise durch Desinteresse am politischen Geschehen, Unverständnis für sich aus gesellschaftlichen Erfordernissen notwendig ergebende Maßnahmen sowie die Überbewertung und ungerechtfertigte Verallgemeinerung bestimmter negativer Einzelerscheinungen gekennzeichnet. Sie vertraten überwiegend eine solche Auffassung, dass es für einen Arzt zur Erfüllung seiner humanistischen Pflicht unerheblich sei, unter welchen gesellschaftlichen Verhältnissen er arbeite.

Ein bestimmter Teil dieser Personen lehnte aus antikommunistischer, nationalistischer oder sozialdemokratischer Einstellung, auf der Basis anderer bürgerlicher oder reaktionärer Auffassungen sowie aufgrund idealistischer Weltanschauungen, besonders auch konfessioneller Bindungen, die sozialistische Gesellschaftsordnung der DDR prinzipiell oder in wesentlichen Teilbereichen ab.

Das zeigt sich vor allem in solchen Haltungen bzw. Auffassungen wie

  • Ablehnung des Marxismus/Leninismus als wissenschaftliche Weltanschauung und der führenden Rolle der Arbeiterklasse sowie ihrer Partei,

  • Ablehnung der sozialistischen Demokratie sowie der sozialistischen Wirtschafts-, Bildungs- und Informationspolitik,

  • Ablehnung der Abgrenzungspolitik gegenüber der BRD, der Maßnahmen zum Schutz der Staatsgrenze der DDR sowie der eingeschränkten Reisemöglichkeiten nach nichtsozialistischen Staaten und Westberlin.

(Sie betrachten derartige Beschränkungen als Einengung der »persönlichen Freiheit« und »Bevormundung« durch den sozialistischen Staat.)

Nachdrücklich verneint wurde auch das Erfordernis gesellschaftspolitischen Engagements des Arztes.

Konkreter Ausdruck dessen sind solche Auffassungen, dass

  • ein Arzt auch ohne marxistisches Wissen ein hochqualifizierter Fachmann sein könne,

  • vom Arzt eine unpolitische Haltung eingenommen werden müsse, da er verpflichtet sei, kranke Menschen unabhängig von deren politischen Positionen zu behandeln und

  • die Zeit für die gesellschaftspolitische Arbeit »nutzbringender« zur Erfüllung fachlicher Aufgaben und zur persönlichen Weiterqualifizierung verwandt werden könne.

Derartige Haltungen, die ihren Ausgangspunkt häufig bereits im kleinbürgerlichen Erziehungsmilieu im Elternhaus haben, bildeten sich bei der Mehrzahl dieser Personen überwiegend erst während des Studiums heraus.

Begünstigend wirkten in diesem Zusammenhang politisch indifferente oder nicht eindeutig politische Denk- und Verhaltensweisen von Hochschullehrern, Erscheinungen des Zurückweichens vor Auseinandersetzungen über politische Grundfragen oder Tagesprobleme, nicht einheitliche Auffassungen im Lehrkörper von Hochschulen zu Fragen der Studiendisziplin und zur effektiven Gestaltung des Studiums sowie die teilweise Unterschätzung der Potenzen des sozialistischen Jugendverbandes im Erziehungsprozess.

Stark ausgeprägte subjektivistische Informationsbedürfnisse, bei Betonung des »Rechtes auf Meinungsfreiheit und freier Meinungsbildung«, trugen wesentlich dazu bei, dass sich dieser Personenkreis gezielt antisozialistischen politisch-ideologischen Einflüssen aussetzte und sich die insbesondere aus westlichen Massenkommunikationsmitteln sowie Gesprächen mit Kontaktpartnern aus dem nichtsozialistischen Ausland entnommenen Argumentationen zu eigen machten.

In diesem Zusammenhang wirken im verstärkten Maße vor allem nach der BRD und Westberlin übergesiedelte Personen sowie Personen, die die DDR ungesetzlich verlassen haben, aufgrund bestehender Rückverbindungen auf die Herausbildung neuer bzw. die Verfestigung bereits bestehender Absichten zur Übersiedlung bzw. den Entschluss zum ungesetzlichen Grenzübertritt.

Das findet seinen Ausdruck u. a. darin, dass sich zunehmend rechtswidrig übersiedlungsersuchende Ärzte und Zahnärzte während Vorsprachen bei den zuständigen staatlichen Organen der DDR auf bereits realisierte Übersiedlungen ihnen bekannter Personen beziehen.

Die weiteren motivbildenden und für das Verlassen der DDR entschlussfördernden Wirkungen derartiger Kontakte und Verbindungen bestanden vor allem in

  • der Infiltration negativen ideologischen Gedankengutes,

  • der Verherrlichung der Lebensverhältnisse, der Arbeitsmöglichkeiten, der gesellschaftlichen Stellung, der Entwicklungsbedingungen der Ärzte unter kapitalistischen Bedingungen, verbunden mit einer entsprechenden Propagierung kleinbürgerlicher Ideale,

  • der Schürung von Zweifeln gegenüber der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR bis hin zu deren Ablehnung sowie

  • Versprechungen bezüglich der materiellen und anderweitigen Unterstützung in der BRD und Westberlin.

Aus weiter vorliegenden Hinweisen ist zu erkennen, dass ein großer Teil dieser Personen egoistische, vorrangig auf die Befriedigung materieller Interessen und Bedürfnisse orientierte Einstellungen und Verhaltensweisen besitzt und davon überzeugt ist, durch eine günstige berufliche und persönliche Entwicklung nach einem genehmigten oder ungesetzlichen Verlassen der DDR diese Zielvorstellungen zu erreichen.

Im Zusammenhang damit wird von ihnen das Niveau des Gesundheitswesens kapitalistischer Staaten – meist in Unkenntnis der konkreten Sachlage – überbewertet und die Auffassung von der »Krisenunabhängigkeit« des ärztlichen Berufes vertreten und propagiert.

Durch Kenntnis der relativ hohen Arzteinkommen, Vermutungen über »Starthilfen« und sonstige »Förderungen« von DDR-Ärzten, insbesondere durch die Behörden der BRD und Westberlins, waren diese Ärzte fest davon überzeugt, nach dem Verlassen der DDR ohne nennenswerte Schwierigkeiten Fuß fassen zu können.

Kennzeichnend für ihre Auffassungen über das Gesundheitswesen in kapitalistischen Staaten, speziell in der BRD, sind dabei meist relativ allgemeine und häufig auf einen Vergleich mit der DDR bezogene Vorstellungen über

  • modernere medizinische Einrichtungen, das Vorhandensein neuester Technik und fortschrittlicher Behandlungsmethoden,

  • Vielfältigkeit und höhere Qualität der Arzneimittel,

  • die raschere Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch die medizinische Praxis,

  • den höheren Entwicklungsstand der naturwissenschaftlichen Disziplinen, speziell der medizinischen Wissenschaft,

  • die bessere wissenschaftliche Kooperation mit anderen kapitalistischen Staaten und

  • die großzügigere Anerkennung (materiell und ideell) der Rolle und Bedeutung des ärztlichen Berufes.

Weiter vorliegende Erkenntnisse lassen den Schluss zu, dass zahlreichen der mit Straftaten des ungesetzlichen Grenzübertritts sowie rechtswidrigen Versuchen zur Erreichung der Übersiedlung in Erscheinung getretenen Ärzten/Zahnärzten einerseits eine hohe fachliche Qualifikation, ärztliche Reife, Achtung und Anerkennung bei Mitarbeitern und Patienten zu bescheinigen ist, andererseits aber ihr Denken und Handeln von Egoismus, Karrierismus und übersteigerten materiellen Bedürfnissen gekennzeichnet war.

Letzteres war in vielen Fällen ursächlich für entstandene Widersprüche zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung.

Das widerspiegelt sich auch in solchen Denk- und Verhaltensweisen, dass

  • Ärzte von der Gesellschaft bestimmte Vorrechte und Privilegien fordern können,

  • nicht die gesellschaftlichen Erfordernisse, sondern die persönlichen Bedürfnisse und Interessen im Vordergrund stehen,

  • sich für sie aus der Nutzung aller von der sozialistischen Gesellschaft gebotenen Vorzüge für die persönliche Entwicklung und Qualifizierung keine persönlichen Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft ergeben, sondern diese Förderung der einzelnen Persönlichkeit eine Selbstverständlichkeit darstelle und

  • die ordnungsgemäße Durchführung der ärztlichen Tätigkeit die einzige Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft sei und die Gesellschaft dem Arzt einräumen müsse, sich als »Nur-Fachmann« zu betätigen.

Derartigen, der sozialistischen Gesellschaft wesensfremden Denk- und Verhaltensweisen würde u. a. dadurch Vorschub geleistet, dass

  • in vielen Ärztekollektiven nur eine formale politisch-ideologische Erziehungsarbeit geleistet wird,

  • Auseinandersetzungen mit feindlichen Argumenten sowie Erscheinungsformen der politisch-ideologischen Diversion ausgewichen wird,

  • das ungesetzliche Verlassen der DDR und rechtswidrige Versuche zur Erreichung der Übersiedlung in den Ärztekollektiven nicht verurteilt und teilweise moralisch unterstützt werden,

  • Leiter von Gesundheitseinrichtungen und Ärztekollektiven Auseinandersetzungen zu politischen Fragen nicht fördern und auch kein politisches Bekenntnis der Mitglieder ihrer Kollektive zum sozialistischen Staat fordern und

  • in verschiedenen Einrichtungen des Gesundheitswesens ein schlechtes Arbeitsklima besteht und von ärztlichen Leitern ein autoritärer Leitungsstil praktiziert wird.

Bei der Herausarbeitung begünstigender Umstände und Bedingungen, die bei Ärzten/Zahnärzten zur Motivbildung bzw. zur Entschlussfassung zum ungesetzlichen Verlassen der DDR und zu rechtswidrigen Versuchen zur Erreichung der Übersiedlung nach der BRD bzw. Westberlin beitragen, wird deutlich, dass ihre Haltung zum Gesundheitswesen der DDR und zu den unmittelbaren persönlichen Arbeits-, Entwicklungs- und Lebensbedingungen als Arzt in der DDR offensichtlich nach wie vor eine wesentliche Rolle spielt.

Während ein kleiner Teil dieser Ärzte die Vorzüge des sozialistischen Gesundheitswesens in der DDR pauschal negiert, erkennt die Mehrzahl der betreffenden Ärzte einzelne Vorzüge an, übersieht jedoch die bestimmten äußeren Mängeln und Unzulänglichkeiten zugrunde liegenden objektiven Umstände, leitet daraus überspitzte Verallgemeinerungen ab und resigniert, dass diese Umstände überhaupt zu ändern seien.

Die bekannt gewordenen subjektiven Einschätzungen von Ärzten zu bestimmten Erscheinungen im Bereich Medizin der DDR lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Bezüglich der nicht ausreichenden materiell-technischen Sicherstellung wird von ihnen als »Beweis« die veraltete, störanfällige, nicht mit modernen Heilmethoden zu vereinbarende Technik in den verschiedenen Fachdisziplinen sowie Unzufriedenheit mit dem Standort moderner und hochintensiver Geräte angegeben. Weiter sind sie der Auffassung, dass die Versorgung mit hochentwickelten Arzneimitteln unzureichend sei, die Qualität bestimmter Pharmaka wäre schlecht, und es müsse ein hoher administrativer Aufwand zur Bewilligung sehr hochwertiger Präparate betrieben werden. Es gäbe ständig einen Mangel an z. T. einfachsten medizinischen Verbrauchsmaterialien (z. B. Verbandsstoff, Desinfektionslösungen).

Die äußeren Arbeitsbedingungen seien immer noch durch ungenügende soziale Bedingungen (nicht voll gesicherte Verpflegung vor allem nachts, räumliche Beengtheit, z. T. ungeeignete Behandlungsräume, fehlende Sozialräume und unzureichende hygienische Bedingungen u. a.) gekennzeichnet.

Nach wie vor wären die ärztlichen Personale durch Mangel an ausgebildeten Fachärzten bzw. eine hohe Fluktuationsrate in einzelnen Kliniken und anderen Einrichtungen überlastet.

Vor allem durch Assistenzärzte müssen wegen Fehlens von mittlerem oder Hilfspersonal nicht arztspezifische Tätigkeiten übernommen werden. Die steigenden Patientenzahlen, die z. B. an Hochschuleinrichtungen neben der wachsenden Grundversorgung eine spezialisierte Versorgung und Betreuung benötigen, erschweren die persönliche Weiterbildung der Ärzte.

Im Zusammenhang mit den materiellen, finanziellen Arbeits- und Lebensbedingungen, persönlichen Problemen und Umständen besteht nach wie vor die Auffassung, dass die Lohnpolitik für das ärztliche Personal gegenüber anderen Berufsgruppen nicht angemessen sei.

Es bestehe ein Missverhältnis zwischen hoher Überbelastung und der finanziellen Vergütung. Die Möglichkeiten für Zusatzverdienste wären eingeschränkt.

Zusatzleistungen nach Arbeitsschluss, die oftmals außerhalb der eigentlichen funktionellen Aufgaben liegen, würden nicht vergütet. In vielen Fällen seien nicht gelöste Wohnungsfragen sowie Nichtberücksichtigung von Vorstellungen über den Einsatzort Ursache für Unzufriedenheit nach abgeschlossenem Medizinstudium. Zum Teil gebe es ungeklärte Perspektiven für Kader des Hochschulwesens nach Rückkehr vom Auslandseinsatz.

Weiter spielen im Verhalten dieser Ärzte solche Fragen eine Rolle, wie z. B. Nichtbeachtung familiärer, ökonomischer und wissenschaftlicher Probleme sowie Ausübung eines gewissen Drucks bei Realisierung von Auslandseinsätzen sowie Befürchtungen hinsichtlich einer behinderten Entwicklung der Kinder aufgrund deren sozialer Herkunft.

Im Zusammenhang mit Problemen der Ausbildung, Qualifizierung und der persönlichen Weiterentwicklung kommt bei diesen Ärzten zum Ausdruck, dass gegebene Zusicherungen hinsichtlich der auszuübenden Tätigkeit sowie der weiteren Qualifizierung nach dem Studium nicht eingehalten worden seien, eine ungenügende Anerkennung fachlicher Leistungen sowie teilweise subjektiv bedingte Behinderung bei der Genehmigung von Weiterbildungsmaßnahmen durch die Vorgesetzten erfolge. Hinzu komme die Nichterfüllung von Erwartungen in Bezug auf eine schnelle berufliche Karriere (z. B. Berufung in leitende Stellung, zum Professor), fehlende Kongressbesuche, vor allem in nichtsozialistischen Staaten, Nichtgenehmigung der Mitgliedschaft in internationalen Fachverbänden, ungenügend zur Verfügung stehende Fachliteratur westlicher Herkunft.

Zu Problemen der Leitungstätigkeit wird von einem Teil angeführt, dass in verschiedenen medizinischen Einrichtungen eine schlechte Leitungstätigkeit als Ergebnis des Einsatzes von politisch bewussten, aber nicht ausreichend fachlich befähigten Personen als Leitungskader bestehen würde. Die Belastung der Leiter mit verwaltungstechnischen und organisatorischen Aufgaben wäre zu hoch, teilweise fehle ihnen eine »menschliche« Qualifikation, was sich dann auch im schlechten Leitungsstil widerspiegeln würde (Umgangston, Herzlosigkeit, mangelndes Verständnis für persönliche Probleme der Ärzte u.  Ä.). Kritik werde oft durch einen autoritären und zum Teil despotischen Leitungsstil unterdrückt. Entscheidungen über private oder dienstliche Reisen in nichtsozialistische Staaten erfolgen zum Teil oberflächlich, wobei von den Leitern in erster Linie der eigene Anspruch auf den Besuch von Veranstaltungen in nichtsozialistischen Staaten bzw. auf entsprechenden Fachaustausch geltend gemacht und durchgesetzt würde.

Im Zusammenhang mit der Organisation und Lenkung des Gesundheitswesens werden solche Auffassungen vertreten, dass die Kapazität betrieblicher Gesundheitseinrichtungen für den Gesamtbevölkerungsbedarf nicht genügend genutzt bzw. ausgelastet würde. Es werden Bauvorhaben gestrichen, die wesentliche Verbesserungen in den Arbeits- und Lebensbedingungen des ärztlichen Personals bewirkt hätten, ohne ausreichende Begründung gegenüber dem betroffenen Personenkreis. Die Unterstützung kirchlicher medizinischer Einrichtungen erfolge nicht genügend. Der große Mangel an mittlerem medizinischem Personal sei nach wie vor eine Folge nicht den Erfordernissen entsprechender Entlohnung.

Umfangreiche verwaltungstechnische und sonstige administrative Arbeiten lassen zu wenig Raum für das Gespräch mit dem Patienten und Konsultationen mit Fachkollegen.

Solche vorstehend aufgeführten, zumeist subjektiv vorgenommenen Bewertungen haben bei einem großen Teil der genannten Ärzte nicht unwesentlich zur Herausbildung und Verfestigung des Motivs und für die Entschlussfassung zum ungesetzlichen Verlassen der DDR sowie für rechtswidrige Versuche zur Erreichung der Übersiedlung nach der BRD bzw. nach Westberlin beigetragen und sollten, unabhängig von der konsequenten Bekämpfung aller feindlich-negativen Einflüsse, in der künftigen Tätigkeit im Bereich Medizin stärkere Beachtung finden.

Anlage zur Information Nr. 578/82

Übersicht zum vollendeten ungesetzlichen Verlassen der DDR durch im staatlichen Gesundheitswesen und im Bereich Medizin des Hoch- und Fachschulwesens tätig gewesene Ärzte und Zahnärzte im Zeitraum 1. Januar 1980 bis 30. September 1982

In der Zeit vom 1. Januar 1980 bis 30. September 1982 haben insgesamt 110 Ärzte und Zahnärzte aus dem staatlichen Gesundheitswesen und dem Bereich Medizin des Hoch- und Fachschulwesens, davon

  • 1980: 52 Ärzte/Zahnärzte,

  • 1981: 42 Ärzte/Zahnärzte,

  • 1982 (bis 30.9.): 16 Ärzte/Zahnärzte

die DDR ungesetzlich verlassen.

Das ungesetzliche Verlassen der DDR erfolgte überwiegend unter Missbrauch von genehmigten Reisen nach dem nichtsozialistischen Ausland. Insgesamt nutzten 51 Ärzte/Zahnärzte (46 %) sowohl Ausreisen aus privaten (37 Personen) als auch dienstlichen Gründen (14 Personen) zur Nichtrückkehr in die DDR.

Weitere 21 Personen (19 %) wurden nach bisher vorliegenden Erkenntnissen ausgeschleust.

Unter den Ärzten/Zahnärzten, die die DDR ungesetzlich verlassen haben (bis auf neun Personen hatten alle eine abgeschlossene Facharztausbildung), befinden sich u. a. 27 Zahnärzte, 15 Allgemeinmediziner, zehn Internisten, acht Gynäkologen, sieben Neurologen und Psychiater, sieben Chirurgen, fünf Urologen, fünf Anästhesisten, drei Dermatologen, drei Kinderärzte, zwei Arbeitshygieniker, zwei Augenärzte sowie zwei HNO-Ärzte.

Von den 110 Ärzten/Zahnärzten waren 51 Personen in leitenden bzw. mittleren leitenden Funktionen tätig, so u. a.

  • drei ärztliche Direktoren,

  • sechs Chefärzte bzw. stellvertretende Chefärzte,

  • 13 Oberärzte,

  • drei Bereichsärzte,

  • je ein Dozent sowie Leiter eines Ambulatoriums.

Entsprechend der Altersstruktur gehörten 52 Ärzte/Zahnärzte (47 %) der Altersgruppe von 36 bis unter 45 Jahren an, und weitere 41 Personen (37 %) waren im Alter von 25 bis unter 35 Jahren.

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass Ärzte fast ausschließlich erst nach Abschluss einer Facharztausbildung und zunehmend auch nach längerer praktischer Tätigkeit die DDR ungesetzlich verlassen.

Im Zusammenhang mit dem ungesetzlichen Verlassen der DDR von Ärzten sind folgende bedeutsame medizinische Einrichtungen hervorzuheben:

  • Charité Berlin: sechs Personen,

  • Friedrich-Schiller-Universität Jena: fünf Personen,

  • Bezirkskrankenhaus Dresden: vier Personen,

  • Klinikum Berlin-Buch: vier Personen,

  • Medizinische Akademie Dresden: drei Personen,

  • Martin-Luther-Universität Halle: drei Personen.

Die 110 Ärzte/Zahnärzte waren vor dem ungesetzlichen Verlassen der DDR in folgenden Bezirken tätig: Berlin 18, Dresden 13, Leipzig zwölf, Karl-Marx-Stadt acht, Gera acht, Potsdam acht, Magdeburg sieben, Suhl sieben, Halle sechs, Erfurt sechs, Rostock fünf, Schwerin vier, Frankfurt/Oder vier, Cottbus drei, Neubrandenburg einer.

Darüber hinaus haben im genannten Zeitraum 47 Angehörige des mittleren medizinischen Personals die DDR ungesetzlich verlassen, wobei annähernd die Hälfte den Altersgruppen von 36 bis unter 40 Jahren (zwölf Personen) und von 18 bis unter 25 Jahren (zehn Personen) angehörte.

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    15. November 1982
    Information Nr. 587/82 über die in der Zeit vom 4. bis 7. November 1982 durchgeführten Synodaltagungen von vier evangelischen Landeskirchen in der DDR

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    10. November 1982
    Information Nr. 577/82 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 1. November 1982 bis 7. November 1982