Pläne und Absichten bei der Durchführung der Friedensdekade 1982
5. November 1982
Information Nr. 568/82 über bisher vorliegende Erkenntnisse zu Plänen und Absichten der evangelischen Kirchen in der DDR im Zusammenhang mit der Durchführung einer sogen. Friedensdekade vom 7. bis 17. November 1982
In der Zeit vom 7. bis 17. November.1982 führen die evangelischen Kirchen in der DDR – analog wie in den Jahren 1980 und 1981 – eine sogenannte Friedensdekade unter dem Thema »Angst – Vertrauen – Frieden« durch.1
Dieses Thema wurde von der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen (KKL) gebilligt und auf der 2. Tagung der 4. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) im September 1982 in Halle beschlossen – gleichfalls das Zeichen »Schwerter zu Pflugscharen«2 als Kennzeichen für die kirchlichen Veranstaltungen der »Friedensdekade 1982« sowie eine entsprechende Orientierung für die praktische Gestaltung der Gemeindearbeit.3
Auf der Grundlage der vom BEK gegebenen Orientierungen nehmen die Aktivitäten zur Vorbereitung der »Friedensdekade 1982« im Bereich der evangelischen Landeskirchen in der DDR einen relativ breiten Raum ein.
Dabei liegt die konkrete Gestaltung vorwiegend in der Verantwortlichkeit der Kirchengemeinden, die eine Vielzahl von Veranstaltungen (»Bitt«- und andere Gottesdienste, »Friedenstage«, »Friedenswerkstätten«, Gemeindeabende, Schriftstellerlesungen usw.) durchzuführen beabsichtigen, in deren Vorbereitung und Durchführung aktiv die im Rahmen der kirchlichen Jugendarbeit tätigen Organisationen und Kräfte einbezogen sind.
Erkennbare Schwerpunkte bilden dabei
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die z. T. mit einer hohen Öffentlichkeitswirkung konzipierten Veranstaltungen in Tätigkeitsbereichen solch hinlänglich bekannter reaktionärer kirchlicher Kräfte, wie z. B. Pfarrer Eppelmann4 (Samaritergemeinde Berlin-Lichtenberg),
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die Eröffnungs- und Abschlussgottesdienste sowie
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Veranstaltungen/Gottesdienste mit Beteiligung von kirchenleitenden Personen und ausländischen Gästen.
Im Ergebnis gezielter Aussprachen von zuständigen Mitarbeitern staatlicher Organe mit kirchenleitenden Personen, in denen diese erneut auf ihre Verantwortung zur Einhaltung getroffener Festlegungen zwischen Staat und Kirche hingewiesen wurden, und im Ergebnis von Vorbeugungsgesprächen mit solchen Personen, die in der Vergangenheit im Zusammenhang mit kirchlichen Veranstaltungen feindlich negativ in Erscheinung getreten sind, kann eingeschätzt werden, dass die Mehrheit der Organisatoren von Veranstaltungen zur »Friedensdekade 1982« bemüht ist, die Festlegungen des BEK einzuhalten und keine Provokationen zuzulassen, die das Verhältnis Staat – Kirche belasten würden.
Dem MfS liegen folgende vertrauliche Hinweise über Aktivitäten zum Missbrauch der »Friedensdekade 1982« vor:
Unter maßgeblicher Leitung von Pfarrer Eppelmann beabsichtigen Kräfte der Samaritergemeinde in Berlin-Friedrichshain, ein umfangreiches Programm mit überwiegend feindlich-negativem Inhalt zu gestalten.
So ist u. a. vorgesehen, täglich Veranstaltungen durchzuführen und die Samariterkirche – in der eine ständige Ausstellung zum Thema »Angst – Hoffnung – Frieden« eingerichtet werden soll – jeweils von 17.00 Uhr bis 22.00 Uhr für Besucher offenzuhalten.
Weiter ist beabsichtigt, Lesungen mit den Schriftstellern Rolf Schneider5 und Stefan Heym6 sowie den Personen [Vorname Name], Lutz Rathenow7 und Rüdiger Rosenthal8 (die schriftstellerisch tätig sind und in der Vergangenheit mehrfach mit »Lesungen« ihrer »Werke« unter feindlich-negativen Personenkreisen auftraten) zu organisieren und einen Liederabend mit dem Liedermacher Gerd Schöne9 durchzuführen. Auf einem »Markt der Möglichkeiten« ist der Umtausch von »Kriegsspielzeug« vorgesehen. Streng vertraulichen Informationen zufolge beabsichtigt Eppelmann, in der DDR akkreditierte Korrespondenten westlicher Medien für die Aktivitäten der Samaritergemeinde zur »Friedensdekade 1982« zu interessieren und u. a. durch ein ARD-Team der BRD während der Lesungen von Schneider und Heym Filmaufnahmen und Interviews fertigen zu lassen. (Diese Absicht soll bereits zwischen Eppelmann und dem Korrespondenten der ARD, Peter Merseburger,10 abgestimmt sein. Durch Eppelmann sei Merseburger angeblich auch auf den sogen. Friedenstag des »Pankower Friedenskreises«11 am 13. November aufmerksam gemacht worden.)
Nach weiter streng vertraulich vorliegenden Informationen beabsichtigt Eppelmann während der »Friedensdekade 1982« im Zusammenwirken mit dem selbstständigen Malermeister Altmann12 (Unterzeichner des sogen. Berliner Appells13 von Eppelmann, Mitorganisator von »Blues-Messen«14) ca. 700 selbstgefertigte Aufnäher mit der Aufschrift »Hilfsbereit statt wehrbereit« (Stempelaufdruck auf 9 × 9 cm großem Stück Filz) zu verteilen. (In der BRD-Illustrierten »Der Spiegel« vom 1. November 1982 wurde auf diesen »neuen Aufnäher« junger Pazifisten in der DDR bereits hingewiesen und eine Abbildung darüber veröffentlicht.)15
Nach streng vertraulichen Informationen plant der »Aktionskreis: Anstiftung zum Frieden« der ESG Berlin16 im Rahmen der »Friedensdekade 1982« die Durchführung einer öffentlichkeitswirksamen »Schweigedemonstration« am Märchenbrunnen im Volkspark Berlin-Friedrichshain zum 14. November 1982, 14.00 Uhr.
Entsprechend der »Empfehlung« von Bischof Krusche17 u. a. an Superintendent Hartmann18/Halle, während der »Friedensdekade 1982« nicht die Meditation in den Mittelpunkt der Gottesdienste zu stellen, sondern Informationen zum Thema »Frieden« zu geben und damit zum Ausdruck zu bringen, dass die DDR dem Thema Frieden nicht »offen« gegenüberstehe, wie dies an den Beispielen »SOFD«19 und »Berliner Appell« deutlich geworden sei, kann mit negativen Reaktionen im Auftreten besonders reaktionärer kirchlicher und anderer feindlich-negativer Kräfte, vor allem aber von Jugendlichen, gerechnet werden.
Im Zusammenhang mit der Durchführung einzelner Veranstaltungen zur »Friedensdekade 1982« liegen dem MfS folgende weitere zuverlässige Informationen vor:
Von Bedeutung erscheint die Eröffnungsveranstaltung zur »Friedensdekade 1982« innerhalb der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, die am 7. November 1982 in der Erlösergemeinde Potsdam stattfindet. Sie steht unter dem Thema: »Nur gemeinsam sind wir sicher.« Neben Bischof Forck20 sollen daran weitere Mitglieder der Kirchenleitung und je ein Vertreter der Christlichen Friedenskonferenz21 und der Berliner Konferenz europäischer Katholiken22 sowie internationale Gäste teilnehmen, darunter Erzbischof Melchisedek23 (Russisch-Orthodoxe Kirche der Sowjetunion), Dr. Erhard Eppler24 (Mitglied des SPD-Parteivorstandes) – von beiden soll bereits Zustimmung vorliegen – sowie in Vertretung des Generals a. D. von Meijenfeldt25 (Niederlande) ein Major a. D. Andriese26 und Pfarrer aus den Niederlanden. Letztere beabsichtigen, an weiteren Veranstaltungen zur »Friedensdekade 1982« teilzunehmen.
Im Rahmen der von 15.00 Uhr bis ca. 20.00 Uhr geplanten Eröffnungsveranstaltung sind eine Podiumsdiskussion, vier Gesprächskreise und abschließende Kurzpredigten/Ansprachen von Bischof Forck, Erzbischof Melchisedek, Eppler und Andriese vorgesehen. Die Teilnahme ist nur mit Einladung möglich; insgesamt wurden 520 Einladungen ausgegeben.
Auf Einladung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg soll am 13. November 1982 in der Alten Pfarrkirche in Berlin-Pankow an einem sogen. Friedenstag und am 17. November an einem Abendgottesdienst in der Schlosskirche in Cottbus der in der DDR weilende Direktor des »Internationalen Zentrums für Versöhnung« Coventry/Großbritannien,27 Canon Kenyon E. Wright,28 teilnehmen.
Aus dem Bezirk Gera liegen Hinweise über das Zusammenwirken der evangelischen mit der katholischen Kirche zur Durchführung von Veranstaltungen zur »Friedensdekade 1982« vor.
Zu beachten sind in diesem Zusammenhang die Eröffnungsveranstaltung am 8. November 1982 in der katholischen Kirche Saalfeld durch Superintendent Große29 sowie ein ökumenischer Gottesdienst im Gemeindezentrum Gera-Lusan am 7. November 1982 und ein ökumenischer Jugendgottesdienst am 17. November 1982 in der Trinitatiskirche Gera mit dem katholischen Kaplan Wyppler30. (Große und Wyppler sind Vertreter reaktionärer kirchlicher Auffassungen und traten in der Vergangenheit mehrfach feindlich-negativ in Erscheinung.)
Im Gemeindesaal Rudolstadt, [Bezirk] Gera, beabsichtigt die Schauspielgruppe der ESG Jena, mit einem Stück pazifistischen Inhalts mit dem Titel »Picknick im Felde« aufzutreten.
Dem MfS liegen weitere streng vertrauliche Hinweise vor, dass vereinzelt reaktionäre kirchliche und andere feindlich-negative Kräfte beabsichtigen, im Zusammenhang mit der »Friedensdekade 1982«
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in Veranstaltungen und Ausstellungen inhaltlich über den vorgegebenen »Leitfaden« des BEK hinauszugehen, da dieser als »zu loyal« und in der »politischen Aussage als zu schwach« eingeschätzt wird (u. a. »Stadtjugendwoche« der Evangelischen Landeskirche Anhalts in Bernburg, [Bezirk] Halle),
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Verbindung mit Korrespondenten westlicher Massenmedien zu suchen und aufzunehmen (u. a. Pfarrer Schorlemmer/Halle),
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über die Festlegungen hinaus eigenständig Plakate und Aufkleber pazifistischen Inhalts herzustellen und zu verbreiten (u. a. Pfarrer Schneider31/Hoyerswerda, [Bezirk] Cottbus, und Kreisjugendpfarrer Winter32/Langenschade, [Bezirk] Gera).
Durch das MfS sind im Zusammenwirken mit den anderen zuständigen staatlichen Organen umfassende Kontroll- und Sicherungsmaßnahmen eingeleitet worden.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 568/82
Übersicht über bedeutsame geplante Veranstaltungen im Rahmen der »Friedensdekade« 1982
7. November 1982
Potsdam: Erlösergemeinde | Eröffnungsveranstaltung der »Friedensdekade« in der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg | Teilnehmer: Bischof Forck | ausländische Gäste
Berlin: Samaritergemeinde Berlin-Friedrichshain | Ständige Ausstellung »Angst – Hoffnung – Frieden«
Halle: Sternmarsch | unter dem Motto »Brückenschlag« zwischen mehreren Kirchen | (wurde offiziell bereits abgesetzt)
Erfurt/Arnstadt: Eröffnungsgottesdienst zur »Friedensdekade« | Teilnehmer: Bischof Leich
Erfurt: Eröffnungsgottesdienst zur »Friedensdekade« | Teilnehmer: Propst Falcke
Halle/Wittenberg: Bittgottesdienst | Teilnehmer: Pfarrer Schorlemmer
Gera-Lusan: Ökumenischer Gottesdienst
Gera/Rudolstadt: Eröffnungsgottesdienst zur »Friedensdekade«
8. November 1982
Berlin: Samaritergemeinde Berlin-Friedrichshain | Lesung mit dem Schriftsteller Rolf Schneider
Gera/Saalfeld: Eröffnungsgottesdienst zur »Friedensdekade« | (in der katholischen Kirche von Saalfeld) | Teilnehmer: Superintendent Große
Schwerin: Gottesdienst | Teilnehmer: Bischof Rathke
Suhl: Veranstaltung des »Montagskreises« der Jungen Gemeinde
9. November 1982
Schwerin: Veranstaltung im »Paulskirchenkeller« | Teilnehmer: Sozialdiakon Wergin
10. November 1982
Berlin: Samaritergemeinde Berlin-Lichtenberg | »Markt der Möglichkeiten«
Halle/Eisleben: Veranstaltung zum 499. Geburtstag Luthers | Teilnehmer: Pfarrer Brettschneider
Magdeburg: ESG | Veranstaltung zum Thema »Bibel aktuell« | Teilnehmer: Pfarrer Tschiche | Pfarrer Nuglisch
11. November 1982
Berlin: Samaritergemeinde Berlin-Lichtenberg | Veranstaltung mit dem Liedermacher Gerhard Schöne
Frankfurt/Oder: Lesung mit dem Schriftsteller Rolf Schneider
Neuenhagen: Teilnehmer: Pfarrer Linke
Rostock: ESG | Veranstaltung des »Friedenskreises« der ESG Rostock
Gera/Jena: Jugendgottesdienst im Melanchtonhaus zum Thema »Der bescheuerte Frieden«
12. November 1982
Berlin: Samaritergemeinde Berlin-Lichtenberg | Lesung mit [Vorname Name], Lutz Rathenow, Rüdiger Rosenthal | »Partnerschaftstreffen« der ESG Ilmenau mit der ESG Frankfurt/Main (BRD) in der Hauptstadt der DDR, Berlin | (Zeitraum: 12.–24.11.1982)
13. November 1982
Berlin: Alte Pfarrkirche Berlin-Pankow | »Friedenstag« | Teilnehmer: Kenyon Wright (Direktor des »Internationalen Zentrums für Versöhnung«/Coventry/Großbritannien)
Cottbus/Doberlug-Kirchhain | Potsdam/Halbe: Fahrt mit Jugendlichen zum »Soldatenfriedhof« Halbe33 | Organisator: Pfarrer Schröter
Suhl/Meinigen: »Friedensnachmittag«
Karl-Marx-Stadt: Johanniskirche | »Blues für den Frieden« | Petrikirche | Jugendevangelisation (17.00 Uhr und 19.00 Uhr) | Teilnehmer: Pfarrer Dr. Lehmann
14. November 1982
Berlin: »Schweigedemonstration« am Märchenbrunnen | im Volkspark Berlin-Friedrichshain | Paul-Gerhardt-Gemeinde Berlin-Prenzlauer Berg | »Friedenswerkstatt«
Leipzig: Gedächtniskirche | »Blues-Konzert«
Leipzig/Wurzen: Dom | »Blues-Konzert«
Magdeburg: ESG | Veranstaltung des »Arbeitskreises Frieden« | der ESG Magdeburg zum Thema »Bauplatz Frieden II«
Halle/Bernburg: Studentenjugendwoche (14.–17.11.1982)
15. November 1982
Berlin: Samaritergemeinde Berlin-Lichtenberg | Theaterabend (»Angst«) | Teilnehmer: Wieland Niekisch | (rechtswidrig Übersiedlungsersuchender)34
Gera/Rudolstadt: Gemeindesaal Rudolstadt | Theateraufführung der Schauspielgruppe der | ESG Jena | Leitung: Pfarrer Jahr
Schwerin: Veranstaltung mit Pfarrer Dr. Bindemann
16. November 1982
Berlin: Samaritergemeinde Berlin-Lichtenberg | Lesung mit dem Schriftsteller Stefan Heym
Schwerin: Veranstaltung im »Paulskirchenkeller« | Teilnehmer: Sozialdiakon Wergin
17. November 1982
Berlin: Marienkirche | »Bittgottesdienst für den Frieden« | Samaritergemeinde Berlin-Lichtenberg | Bittgottesdienst | Teilnehmer: Pfarrer Eppelmann
Gera: Trinitatiskirche | Ökumenischer Jugendgottesdienst
Gera/Rudolstadt: Lutherkirche | Friedensgottesdienst | Teilnehmer: Pfarrer Koch
Cottbus: Schlosskirche | Abendgottesdienst | Teilnehmer: Kenyon Wright (Direktor des »Internationalen Zentrums für | Versöhnung«/Coventry/Großbritannien)
Rostock/Greifswald: Gottesdienst der Evangelischen Landeskirche Greifswald