Probleme im Arbeitsbereich Kardiologie der Charité Berlin
19. Januar 1982
Information über einige Probleme des Arbeitsbereiches Kardiologie des Bereiches Medizin der Humboldt-Universität zu Berlin – Charité (Überprüfungsergebnis der Eingabe von zwei Ärzten der Charité) [K 1/114]
In einer Eingabe von zwei Ärzten der Abteilung für ischämische Herzkrankheiten des Bereiches Innere Medizin der Charité – Leiter Genosse Prof. Dr. [Name 1] – werden unter Bezugnahme auf den Neubau des Chirurgisch-orientierten Zentrums (COZ) und der Rekonstruktion der Charité sowie damit im Zusammenhang stehenden Fragen der weiteren Entwicklung und Profilierung der Kardiologie u. a. solche Probleme aufgeworfen:
- –
Das Arbeitskollektiv von Prof. Dr. [Name 1] (Diagnostik und Therapie der chronisch-ischämischen Herzkrankheit und der kardiovaskulären Notfälle besonders des Herzinfarktes) sei in »anerkannter Weise die führende Gruppe auf diesem Gebiet in der DDR«.
- –
Konzeptionen, Planziele und Zusagen bezüglich der weiteren Entwicklung und Profilierung der Kardiologie des Bereiches Innere Medizin seien durch personelle und strukturelle Veränderungen besonders in den staatlichen Leitungsebenen im Bereich (Bereichs- und Klinikleitung) reduziert, verändert bzw. nicht realisiert worden und dafür wären »in erster Linie subjektive Faktoren« (Namen werden in diesem Zusammenhang nicht genannt) ausschlaggebend.
- –
»Am unverständlichsten« sei dabei die Tatsache, dass Prof. Dr. [Name 1] im Bereich Innere Medizin keine Perspektive habe und einer Berufung nach Halle folgen solle.
Bei den Unterzeichnern der Eingabe handelt es sich um
- –
Dr. med. [Name 2, Vorname] und
- –
Dr. med. [Name 3, Vorname].
Beide sind Mitglied der Partei und die einzigen Genossen des Arbeitsbereiches von Prof. Dr. [Name 1].
Über sie ist bekannt:
Zu den Personen Dr. [Name 2] und Dr. [Name 3] ist bekannt, dass Dr. [Name 2] mit einem anderen Arzt der Charité, der im April 1980 die DDR ungesetzlich verlassen hat, eng liiert war (Nichtrückkehr von einer genehmigten Dienstreise ins nichtsozialistische Ausland). Nach dessen Nichtrückkehr unterhielt Dr. [Name 2] über eine dritte Person in Westberlin Kontakte zu ihm. (Die APO-Leitung Innere Medizin schätzte das Verhalten des Dr. [Name 2] zum Verrat des befreundeten Arztes als prinzipienlos und inaktiv ein.)
Dr. [Name 3] gilt als aktive Genossin und Ärztin. Nach vertraulichen Angaben des APO-Sekretärs soll sie seit ihrer Studienzeit bis heute ein intimes Verhältnis zu Prof. Dr. [Name 1] unterhalten und ihm »kritiklos ergeben« sein. (Prof. Dr. [Name 1] betreut ihre B-Promotion.)
Die Überprüfung der Eingabe ergab Folgendes:
Im Ergebnis der Diskussionen um die zukünftige Rolle der Kardiologie an der Charité, vor allem der Kardiologie im Bereich Innere Medizin, ist die Akademie der Wissenschaften der DDR und nicht die Charité zum Hauptträger und Hauptauftragnehmer der kardiologischen Forschung in der DDR bestimmt worden.
Im Zusammenhang mit dieser Festlegung haben einige bewährte Kardiologen die Charité verlassen (Akademie der Wissenschaften der DDR und Krankenhaus Friedrichshain), während von den verbliebenen leitenden Kardiologen es starke persönliche Bemühungen um die Wahrnehmung der künftigen Funktion des Leiters des Bereiches Kardiologie gab.
Die gegenwärtig unbefriedigende Situation, die sich auch in einer bis heute noch anhaltenden Unruhe unter Ärzten und mittleren medizinischen Personalen des Bereiches Innere Medizin äußert, hat ihre Ursachen insbesondere in
- –
der nach wie vor schlechten Leitungstätigkeit des jetzigen Direktors des Bereiches Innere Medizin, Prof. Dr. Renger,1 der 1983 emeritiert wird,
- –
der Entscheidung durch Prof. Dr. Klinkmann,2 Rostock, nicht die Leitung des Bereiches Innere Medizin zu übernehmen,
- –
den vom Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen (MHF) noch nicht entschiedenen Fragen, wer die Funktion des Direktors des Bereiches Innere Medizin übernimmt bzw. ob die Zusammenlegung der beiden Inneren Medizinischen Kliniken bestehen bleibt.
- –
Die Konzeption für den Bereich Innere Medizin, einschließlich der Kardiologie, die im Zusammenhang mit der vor ca. zwei Jahren erfolgten zentralen Neuprofilierung der Kardiologischen Forschung, der Zusammenlegung der beiden Inneren Medizinischen Kliniken der Charité und der künftigen Profilierung des COZ unter persönlicher Mitwirkung des Prorektors für Medizin der Charité, Prof. Dr. Großer,3 unter Konsultierung leitender Kardiologen der DDR (Prof. Dr. Heine,4 Prof. Dr. Klinkmann, Prof. Dr. Anders5 u. a.) ausgearbeitet und zentral bestätigt worden ist, konnte jedoch aus den o. g. Gründen ungelöste zentrale6
Zentralen Festlegungen zufolge soll Prof. Dr. [Name 1] jedoch keine höhere leitende Funktion in der Kardiologie und auch keinen Lehrstuhl im Bereich Innere Medizin an der Charité erhalten. Es ist vorgesehen, ihm eine seinen Fähigkeiten entsprechende Berufung außerhalb der Charité zu verschaffen.
Diese Lösung ist auch im Festlegungsprotokoll des Gespräches beim Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der SED, Genossen Kurt Hager,7 zum Bereich Medizin der Charité vom 2. Juli 1981 sanktioniert worden.
Die staatliche Leitung der Charité gehe in Übereinstimmung mit der Parteileitung davon aus, dass die bestätigte Entscheidung zu Prof. Dr. [Name 1] richtig ist. Von dieser Entscheidung sei keinesfalls abzugehen.
Der getroffenen Festlegung liegt die Einschätzung zugrunde, dass Prof. Dr. [Name 1] zwar ein anerkannter Fachmann auf seinem medizinischen Fachgebiet ist und sich auch große Verdienste in der Kardiologie, in der Lehre und Forschung sowie bei der Patientenbehandlung erworben habe, er jedoch nicht über die notwendigen Voraussetzungen, einschließlich charakterlicher Art, für die Ausübung einer leitenden Funktion verfügt.
Es gebe ständig Auseinandersetzungen mit ihm, die sich zunehmend negativ auf das Klima des Bereiches Innere Medizin der Kardiologie der Charité insgesamt auswirken. Er sei unsachlich, schätze viele Probleme subjektiv ein und bevormunde seine Kollegen. Er gelte als ständiger Querulant gegenüber gleichgestellten Abteilungsleitern, Vorgesetzten und gegenüber der Parteileitung im Bereich Innere Medizin und der Charité.
Es gibt auch Hinweise, dass Prof. Dr. [Name 1] vereinzelt Erklärungen in der Richtung abgegeben habe, dass er möglicherweise bei einer ihm nicht genehmen Lösung auch im nichtsozialistischen Ausland seine Arbeit weiterführen könne.
Das im Oktober 1981 vom Prorektor für Medizin der Martin-Luther-Universität Halle Prof. Dr. [Name 1] auf zentrale Veranlassung hin unterbreitete Angebot, die Kardiologie als Leiter zu übernehmen und ihm eine ordentliche Professur mit Lehrstuhl zu übertragen, lehnte er nach einer eingeräumten Bedenkzeit in einem Gespräch mit dem Rektor der Humboldt-Universität im Dezember 1981 ab. (Es wurde bekannt, dass [Name 1] an der Martin-Luther-Universität Halle anmaßend und mit dort nicht erfüllbaren Forderungen aufgetreten ist.)
Seitens des MfS wird empfohlen,
- –
durch das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen (Minister oder ein Stellvertreter) mit Prof. Dr. [Name 1] eine Aussprache zu führen und ihm erneut das Angebot zu unterbreiten, an der Martin-Luther-Universität Halle eine Tätigkeit aufzunehmen,
- –
mit den Verfassern der Eingabe durch den Prorektor für Medizin der Humboldt-Universität zu Berlin, Prof. Dr. Großer, ein Gespräch führen zu lassen, bei dem unter Hinweis auf getroffene zentrale Festlegungen auf die Nichtrealisierbarkeit der gemachten Vorschläge hingewiesen werden sollte,
- –
vor einer endgültigen Klärung des Einsatzes von Prof. Dr. [Name 1] von einer inhaltlichen Informierung der Mitarbeiter von Prof. Dr. [Name 1] über die in der Eingabe enthaltenen Probleme abzusehen.
[…]8
Aufgrund der ablehnenden Haltung von Prof. Dr. [Name 1], eine Aufgabe in Halle zu übernehmen, wird es als erforderlich angesehen, eine baldige Entscheidung betreffs seiner zukünftigen Tätigkeit zu treffen (Verbleib in der Charité oder Übernahme einer anderen Aufgabe außerhalb der Charité).
Seitens des MfS wird empfohlen, durch das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die die bestehende wissenschaftliche Konzeption für den Bereich Innere Medizin überprüft und unter Beachtung der künftigen Erfordernisse neu durchdenkt. Im Zusammenhang damit wären auch konkrete Vorstellungen zur personellen Absicherung der einzelnen Fachgebiete einschließlich der Funktion des Direktors des Bereiches Innere Medizin zu treffen.
Der als Nachfolger von Prof. Dr. Renger vorzusehende Direktor des Bereiches Innere Medizin sollte in die Arbeitsgruppe integriert werden, in der folgende weitere Personen mitwirken könnten: Prof. Dr. Großer, Prorektor Medizin, Humboldt-Universität Berlin; Prof. Dr. Klinkmann, Wilhelm-Pieck-Universität Rostock; Prof. Dr. U.-J. Schmidt,9 APO-Sekretär Humboldt-Universität Berlin; Prof. Dr. [Name 1], Humboldt-Universität Berlin; Prof. Dr. Precht,10 Humboldt-Universität Berlin.11
Als Konsultanten könnten hinzugezogen werden Prof. Dr. Heine, Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin-Buch, und Prof. Dr. Anders, Krankenhaus Berlin-Friedrichshain.