Probleme und Erscheinungen unter Schülern der POS und EOS
24. Mai 1982
Information Nr. 240/82 über einige beachtenswerte Probleme und Erscheinungen unter Schülern von Polytechnischen und Erweiterten Oberschulen (POS/EOS) in und außerhalb von Einrichtungen der Volksbildung
Die zielgerichtete und massive Propagierung, pazifistischen Gedankengutes durch die westlichen Massenmedien und reaktionäre kirchliche u. a. feindlich-negative Kräfte in der DDR mit dem Ziel, unter dem Deckmantel des Eintretens für Frieden und Abrüstung in der DDR eine sogenannte staatlich unabhängige, pazifistische Friedensbewegung zu etablieren, führte auch zu bestimmten negativen Erscheinungen und Verhaltensweisen unter Schülern von POS und EOS.
Nach dem MfS vorliegenden Erkenntnissen kam es in den ersten vier Monaten des Jahres 1982 zu insgesamt zwölf Vorkommnissen des Anbringens von Losungen pazifistischen Inhalts (überwiegender Inhalt »Frieden schaffen ohne Waffen«1) in POS und EOS.
Das Anbringen derartiger Losungen erfolgte am
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4. Januar 1982 – 4. EOS Potsdam,
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5. Januar 1982 – 20. POS Berlin-Prenzlauer Berg,
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24. Februar 1982 – POS »Katja Niederkirchner«2 Teterow, [Bezirk] Neubrandenburg,
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4. März 1982 – 5. POS Berlin-Marzahn,
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5. März 1982 – 10. POS Berlin-Weißensee,
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5. März 1982 – 3. POS Teltow, [Bezirk] Potsdam,
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9. März 1982 – 2. POS Zeuthen, [Kreis] Königs Wusterhausen, [Bezirk] Potsdam,
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15. März 1982 – 58. POS Leipzig,
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26. März 1982 – EOS Köthen, [Bezirk] Leipzig,3
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28. März 1982 – POS »Heinrich-Hertz« Berlin-Friedrichshain,
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30. März 1982 – POS »Otto Nagel« Bergholz-Rehbrücke, [Bezirk] Potsdam,
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1. April 1982 – 11. POS Dessau, [Bezirk] Halle.
Durch unverzüglich eingeleitete Maßnahmen wurden die Täter (Schüler von POS und EOS) ermittelt.
Bei drei weiteren Vorkommnissen des Anbringens von derartigen pazifistischen Losungen an anderen Örtlichkeiten wurden ebenfalls als Täter Schüler von POS und EOS ermittelt, die am
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2. Februar 1982 – an verschiedenen Gebäuden in Berlin-Lichtenberg (besonders Wohnhäusern), am
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24. Februar 1982 – an der Umfriedung des VEB Elektroinstallation in Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, und am
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30. April 1982 – am Centrum-Warenhaus in Schwedt, [Bezirk] Frankfurt/O.,
derartige Handlungen begangen hatten.
Die Vorkommnisse waren z. T. öffentlichkeitswirksam durch Anbringen der Losungen an den Schulgebäuden selbst und deren Länge, z. B. 8,20 m, 12 m und 75 m (Losung wurde angebracht an Zaunfeldern des VEB Elektroinstallation Sondershausen, [Bezirk] Erfurt).
Im gleichen Zeitraum der Jahre 1980 und 1981 wurden keine Vorkommnisse des Anbringens von politisch-negativen Losungen an Einrichtungen der Volksbildung bzw. an anderen Örtlichkeiten durch Schüler bekannt.
Die geführten Untersuchungen ergaben, dass es sich bei den Eltern der als Täter ermittelten Schüler vorwiegend um progressive Bürger der DDR handelt (Mitarbeiter bzw. ehemalige Mitarbeiter im Staats- und Parteiapparat sowie Leitungskader in Betrieben, Mitglieder der SED, z. T. Funktionäre – z. B. ehemaliges Mitglied der Kreisleitung, stellvertretender APO-Sekretär, Abteilungsleiter in Objekten der Volkswirtschaft, ehemaliger Professor für Philosophie an der Akademie der Wissenschaften).
Überprüfungen zu den genannten Handlungen zugrunde liegenden Ursachen und Motiven führten zu solchen Feststellungen, dass die Schüler infolge ungenügender politischer Einflussnahme der Eltern und deren nicht ausreichender Vorbildwirkung in der Regel aus einer noch nicht gefestigten politischen Einstellung heraus handelten, sich des gegen die Friedens- und Verteidigungspolitik der DDR gerichteten Inhalts der von ihnen angebrachten Losungen nicht bewusst waren und gewisse objektivistische Auffassungen zum Charakter des Friedenskampfes hatten.
Wie die Untersuchungen weiter ergaben, wirkten sich insbesondere negative kirchliche Einflüsse und Argumente als motivbildend bei den als Täter ermittelten Schülern aus. Das widerspiegelte sich in solchen »Begründungen« für die begangenen Handlungen, wie
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Ausgehend von der massiven Friedensbewegung in kapitalistischen Ländern müsse man auch in der DDR etwas Aktives gegen die Kriegsgefahr tun, müsse man eine »aktive Friedensarbeit« leisten.
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Die Friedenspolitik der DDR sei »nicht überzeugend« genug, es würden »zu wenig konkrete Aktivitäten« in diesem Zusammenhang sichtbar, man sehe zu wenig Möglichkeiten, einen eigenen Beitrag [zu] leisten, sich unmittelbar persönlich engagieren zu können.
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Bei der kirchlichen Friedensbewegung in der DDR handele es sich um eine Unterstützung des wichtigsten politischen Zieles des sozialistischen Staates – die Sicherung des Friedens, weswegen Unverständnis bestehe, warum staatlicherseits dagegen vorgegangen werde.
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Man müsse »gegen jegliche Aufrüstung« auftreten, es gelte, nicht nur Friedenswillen zu haben, sondern auch aktiv etwas zur Verteidigung des Friedens zu tun, als Friedensanhänger sei man »gegen Waffen jeglicher Art«.
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Der Ideengehalt des Symbols »Schwerter zu Pflugscharen«4 und der Losung »Frieden schaffen ohne Waffen« diene der Erhaltung des Friedens, und das Anbringen entsprechender Losungen sowie das Tragen von Aufnähern sei demzufolge eine Bekundung des Willens zum Frieden.
Darüber hinaus wurde festgestellt, dass in Einzelfällen den Handlungen zugrunde lagen:
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altersbedingte Oppositionshaltungen, insbesondere bei negativ-dekadenten und kriminell-gefährdeten Schülern, die darauf abzielten, die Lehrkörper zu provozieren und die Reaktion der Deutschen Volkspolizei zu testen,
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persönliche Verärgerungen und Konfliktsituationen.
Die verstärkte Einflussnahme reaktionärer kirchlicher Amtsträger auf jugendliche Personenkreise im Rahmen der sogenannten offenen Jugendarbeit5 und das damit im Zusammenhang stehende feindlich-negative Wirken dieser Kräfte unter der Schuljugend, insbesondere durch die gezielte Sammlung und negative Beeinflussung von Schülern im Rahmen der »Jungen Gemeinde« sowie in kirchlichen Jugendveranstaltungen, wie »Blues-Messen«,6 »Rock-Meditations-Gottesdiensten« und »Friedensgottesdiensten« sowie der Übergabe von pazifistischen Symbolen, führte dazu, dass derartig beeinflusste Schüler versuchten, im Sinne der reaktionären kirchlichen Kräfte an Schulen wirksam zu werden.
Außer den vor allem auf das Hineintragen pazifistischen Gedankengutes zurückzuführenden bekannten negativen Auswirkungen wird auf weitere Erscheinungen unter Schülern hingewiesen, in denen sich ebenfalls die Wirksamkeit der politisch-ideologischen Diversion des Gegners zeigt, insbesondere feindlicher Argumentationen gegen die führende Rolle der Partei bzw. gegen die Politik der Partei- und Staatsführung und Argumentationen, sich auf dem »Wege der Konfliktaustragung und Konfrontation« mit den Partei- und Staatsorganen »Freiräume« (vorrangig im kirchlichen Bereich) und »alternative Lebensweisen« zu schaffen.
Derartige feindliche Argumentationen sowie die breite Popularisierung von Gewalthandlungen, dekadenten Verhaltensmustern und neofaschistischen Erscheinungen, insbesondere durch westliche Massenmedien, aber auch im Rahmen der gegnerischen Kontaktpolitik/Kontakttätigkeit, sind wesentliche Ursachen bzw. auslösende Faktoren für negative Handlungen und Verhaltensweisen von Schülern.
Sie finden u. a. ihren Ausdruck in
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der Begehung von Straftaten (vor allem Anbringen von politisch-negativen Losungen und faschistischen Symbolen) unmittelbar unter dem Eindruck bestimmter Sendungen westlicher Rundfunk- und Fernsehstationen. (So erklärte z. B. der Urheber der pazifistischen Losung an der 3. POS in Teltow, [Bezirk] Potsdam – Schüler der 10. Klasse – siehe Seite 2, er habe den Entschluss zu dieser Handlung während einer Übertragung des BRD-Fernsehens gefasst und unmittelbar nach Beendigung der Sendung mit der Tatausführung begonnen.),
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Handlungen des Verunstaltens von Unterrichtsmitteln, Einrichtungsgegenständen, Wandtafeln und Wandzeitungen in Schulen im Zeitraum Januar/Februar 1982 (z. B. Beschriften von Parteitagsmaterialien – Broschüren; vorrangig mit faschistischen Symbolen in einer 10. Klasse der 61. POS Rostock-Stadt und der POS »J. R. Becher«, Zerbst/Magdeburg und von Lehrbüchern mit denselben Symbolen in einer 8. Klasse der POS »Käthe Kollwitz« Anklam/Neubrandenburg sowie in einer 9. Klasse der POS Großwoltersdorf, [Kreis] Gransee, [Bezirk] Potsdam, und Beschädigung von Wandzeitungen an der EOS »Thomas Müntzer«7 Halle),
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der Formierung mehrerer Schüler zu Gruppen, die sich in Anlehnung an entsprechende Publikationen in westlichen Funkmedien faschistische Dienstgrade gaben, Nachahmungen von faschistischen Ausweispapieren fertigten und z. B. brutale Gewalthandlungen nach faschistischer Manier begingen. (Beispielsweise erzwang im März 1982 eine Gruppe von fünf Schülern der 10. Klasse der »Karl-Marx«-Oberschule Osterburg, [Bezirk] Magdeburg, von Mitschülern unter Anwendung körperlicher Gewalt den »Hitlergruß«. Man drohte ihnen an, sie im Weigerungsfalle »kommunistisch erziehen« zu wollen. Im Monat August 1981 wurde bekannt, dass sich mehrere Schüler der 9. Klasse der POS »Fritz Reuter« Grabow,8 [Bezirk] Schwerin, den Namen »Neofaschistischer Deutscher Jugendring« gaben, sich »Mitgliedsausweise« anfertigten und sich SS-Dienstgrade gaben und beabsichtigten, die Durchführung von Diebstahlshandlungen als »Mutprobe« zur Aufnahmevoraussetzung zu machen.),
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Erscheinungen des brutalen Vorgehens gegenüber Mitschülern – in nicht wenigen Fällen wegen deren positiven politischen Auftretens. (Z. B. beauftragten fünf Schüler der 10. Klasse der POS »Ernst Thälmann« Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, am 15. Januar 1982 einen Lehrling – ehemaliger Schüler –, einen Mitschüler wegen dessen positiver Lernhaltung zusammenzuschlagen. Die Untersuchungen ergaben, dass in der genannten Klasse fortlaufend Repressalien und andere Einschüchterungen gegenüber positiv auftretenden Schülern ausgeübt wurden.),
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Erscheinungen des provozierenden, aggressiven und brutalen Auftretens und Vorgehens im Zusammenhang mit der Teilnahme an Sport-, vor allem Fußballveranstaltungen und nach dem Besuch von Tanzveranstaltungen (vorwiegend unter Alkoholeinfluss),
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Einzelerscheinungen des Anschlusses von Schülern an Gruppierungen negativ-dekadenter Jugendlicher, die beabsichtigten, eine sogenannte Wohnkommune nach westlichem Vorbild zu schaffen (z. B. im Bezirk Frankfurt/Oder, Herausbildung sogenannter Punk-Rock-Gruppen; Alter der Mitglieder: 14–20 Jahre),
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Einzelerscheinungen der Teilnahme von Schülern an Zusammenschlüssen von Jugendlichen, die gemeinschaftlich handelnd Straftaten der allgemeinen Kriminalität, vorrangig des Rowdytums, Diebstahlshandlungen, Sachbeschädigungen und unbefugte Benutzung von Fahrzeugen begingen. (In den ersten vier Monaten des Jahres 1982 fielen wegen insbesondere solcher Delikte über 1 300 straffällig gewordene Schüler an, davon über 1 200 im Alter von 14 bis unter 17 Jahren.)
Wirkungserscheinungen der politisch-ideologischen Diversion9 auf Schüler zeigten sich auch bei der Vorbereitung und Durchführung ungesetzlicher Grenzübertritte. Allein im I. Quartal 1982 fielen im Zusammenhang mit ungesetzlichen Grenzübertritten 33 Schüler an, die als Alleintäter handelten – davon 32 im Alter von 14 bis unter 17 Jahren. Obwohl bei den Schülern überwiegend spontane Entschlussfassungen zum ungesetzlichen Verlassen der DDR vorherrschend waren, ergaben die Untersuchungen vereinzelt auch solche Handlungsmotive, wie:
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durch verschiedene westliche Einflüsse geprägte illusionäre Vorstellungen bzw. Erwartungshaltungen über die Lebensverhältnisse in der BRD und Westberlin,
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unklare bzw. ablehnende Haltungen zur sozialistischen Entwicklung in der DDR.
Vielfach sind auch Motive unterschiedliche Konfliktsituationen, wie Angst vor Auseinandersetzungen im Elternhaus und in der Schule wegen schlechter schulischer Leistungen, bzw. versuchten Schüler, sich durch diese Handlungen der strafrechtlichen Verfolgung oder staatlichen Auflagen wegen zuvor begangener krimineller Delikte – vorrangig Diebstahl, vorsätzliche Sachbeschädigung und unbefugte Benutzung von Fahrzeugen – zu entziehen.
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