Reaktionen auf staatliche Maßnahmen gegen Pfarrer Eppelmann
16. Februar 1982
Information Nr. 82/82 über innerkirchliche Festlegungen im Zusammenhang mit den Ereignissen um Pfarrer Eppelmann und über Reaktionen kirchenleitender und anderer interessierender Personen zu den eingeleiteten staatlichen Maßnahmen
Am 12. und 13. Februar 1982 tagte in Potsdam die Kirchenleitung der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg.
Nach streng internen Hinweisen berichteten Bischof Forck,1 Konsistorialpräsident Stolpe2 und Generalsuperintendent Grünbaum3 der Kirchenleitung über die Ereignisse im Zusammenhang mit den staatlichen Maßnahmen gegen Pfarrer Eppelmann.4 Grünbaum legte dar, dass Stolpe und er im Auftrag von Bischof Forck mit Eppelmann nach dessen Entlassung5 eine Aussprache geführt haben, in der sie ihn aufgefordert haben, keine politischen Aktionen mehr zu unternehmen, der Presse keine Erklärungen abzugeben und über die Zusammenhänge um den »Berliner Appell«6 zu schweigen, bis die Kirchenleitung ihre Untersuchung abgeschlossen habe. Eppelmann habe zugesichert, sich daran zu halten.
Bischof Forck habe eindeutig und klar die Handlungsweisen von Eppelmann verurteilt, sprach jedoch auch vom »Verständnis mit Leuten, die in unserer Kirche Jesu-Christi um Frieden ringen«.
In der weiteren Diskussion gab es keine grundlegend anderen Auffassungen. Das spiegelt sich in dem einstimmig angenommenen Beschluss dazu wider. (Die »Stellungnahme der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg vom 13. Februar 1982«7 befindet sich in der Anlage.) Die Kirchenleitung rät darin nachdrücklich von einer Beteiligung an der Sammlung von Unterschriften ab, weil der »Berliner Appell« mit »Unterstellungen arbeite« und weil »dadurch Missverständnisse und Gefährdungen hervorgerufen werden, die das notwendige sachliche Gespräch nicht fördern sowie ein Zerrbild der politisch Verantwortlichen zeichnen würden«.
Die Kirchenleitung beauftragte Bischof Forck, Generalsuperintendent Grünbaum und den Stadtjugendpfarrer von Berlin, Passauer,8 mit solchen kirchlichen Mitarbeitern Gespräche zu führen, die sich an der Verbreitung des »Appells« beteiligten. Ferner werden der Bischof und das Konsistorium beauftragt, »die offenen Fragen zum Vorgehen von Pfarrer Eppelmann zu klären«.
Der Beschluss wird innerkirchlich allen Superintendenten der Kirche Berlin-Brandenburg übergeben. Darüber hinaus wird der an der Beratung der Kirchenleitung anwesende Sekretär des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Demke,9 diesen Beschluss allen Landeskirchen in der DDR übermitteln.
Vorliegenden streng internen Hinweisen zufolge informierte Generalsuperintendent Grünbaum in den späten Abendstunden des 12. Februar 1982 Eppelmann über das bisherige Ergebnis der Sitzung der Kirchenleitung, wies auf den zu erwartenden Beschluss hin und bat ihn, den »Berliner Appell« nicht weiter zu verbreiten sowie gegenüber Journalisten Zurückhaltung zu üben. Nach der Rückkehr Eppelmanns aus Eisenach – Eppelmann beabsichtigt, vom 13. bis 18. Februar 1982 mit seiner Familie an der Pfarrkonvent-Rüste in Eisenach teilzunehmen – wolle die Kirchenleitung nochmals mit ihm sprechen. Eppelmann sicherte zu, sich an die gegebenen Orientierungen zu halten.
Nach weiter vorliegenden streng internen Hinweisen brachte Eppelmann zum Ausdruck, sein »Berliner Appell« sei letzten Endes ein Erfolg, da er im »Osten wie im Westen« bekannt geworden wäre und »die Leute über dieses Problem nachdenken würden«.
Er habe eine Reihe von Sympathieerklärungen aus seinem Bekannten- und Freundeskreis erhalten und allen versichert, dass es für ihn wohltuend sei, was er in diesen letzten Stunden und auch seine Frau in den zwei Tagen seit seiner Festnahme an Teilnahme erlebt hätten. Für sie sei es »einfach herrlich«.
Solche Personen, wie die dem MfS hinlänglich bekannten Pfarrer Tschiche10 (Magdeburg), Diakon Rochau11 (Halle) sowie Hirsch12 (Berlin) – Hirsch brachte am 12. Februar 1982 an der Innenseite seines Wohnungsfensters in Berlin, Frankfurter Allee, ein Plakat mit der Losung »Unterstützt die Berliner Initiative« an; diesbezüglich wurde seitens der zuständigen Organe ein Ordnungsstrafverfahren durchgeführt – sicherten Eppelmann weitere Unterstützung zu und beabsichtigen, im Sinne des »Berliner Appells« weiter wirksam zu werden.
Der Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Becker13 (Berlin), vertritt den Standpunkt, dass die gegenwärtige Anzahl von Unterschriften unter dem »Berliner Appell« nicht befriedigen könne. Er habe sich eine größere Wirkung versprochen.
Eppelmann informierte Havemann14 über seine Entlassung und beabsichtigt, diesen nach seiner Rückkehr von der Pfarrkonvent-Rüste zu besuchen.
Vorliegenden Informationen zufolge beabsichtigt eine erhebliche Anzahl kirchenleitender Personen, sich prinzipiell an die von Bischof Forck gegebene Orientierung zu halten und den »Berliner Appell« nicht zu unterstützen.
Generalsuperintendent Grünbaum brachte, Bezug nehmend auf ihm »zugängliche« westliche Zeitungsmeldungen, zum Ausdruck, seiner Meinung nach sei die Veröffentlichung und Kommentierung des »Berliner Appells« in den Westmedien15 »ganz gezielt im Hinblick auf die Nachfolgekonferenz der KSZE in Madrid«16 erfolgt. Dabei ginge es diesen Kräften nicht darum, dem Frieden zu dienen, sondern gerade das Gegenteil zu erreichen, nämlich ein Scheitern dieser Konferenz herbeizuführen. Dies widerspiegele sich auch in den Darstellungen der westlichen Medien, wonach die durch Eppelmann eingeleiteten Aktivitäten der »Anfang einer Gruppierung seien, welche sich sozusagen zu einer neuen Partei formiere und in dieser Weise der DDR-Führung Schwierigkeiten bereiten wolle«.
Der Diakon Syrowatka17 (Berlin) vertrat gleiche Auffassungen wie Grünbaum und äußerte, dass diese Art der Berichterstattung »für die Sache« nichts einbringe.18
Oberkirchenrat Hoeser19 (Mitarbeiter des Landeskirchenrates der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen), welcher in der Vergangenheit zeitweise negativ in Erscheinung trat, lehnt den »Berliner Appell« grundsätzlich ab, weil damit nach seiner Meinung das Verhältnis zwischen Staat und Kirche unnötig belastet werde. Die Kirche habe nicht die Aufgabe, die Rolle einer Opposition zu spielen.
Dr. Brigitte Grell20 (Redaktion »Potsdamer Kirche«) bezeichnete das Verhalten von Eppelmann als instinktlos, wobei sie besonders auf die bestehende Verbindung zwischen Eppelmann und Havemann und auf die Veröffentlichung des »Berliner Appells« in den westlichen Massenmedien hinwies.
Nach streng intern vorliegenden Äußerungen von Oberkonsistorialrat Kopp21 (Berlin) habe Eppelmann vor seiner Festnahme in Schreiben an Altbischof Scharf22 und Pfarrer Albertz23 (beide Westberlin) diese aufgefordert, ihre Unterschrift für den »Berliner Appell« zu leisten. Scharf schätzt diesen »Appell« als »politisch falsch und unklug« ein und wird ihn nicht unterzeichnen. Darüber werde er den im Urlaub befindlichen Albertz informieren und ihm auch von einer Unterschriftsleistung abraten. Ferner beabsichtige er, seinen Standpunkt der Kirchenleitung in Westberlin zur Kenntnis zu geben.
Nach der Entlassung Eppelmanns erkundigten sich mehrfach Vertreter westlicher Massenmedien nach seinem Befinden. Eppelmann bestätigte, dass sein Befinden gut sei und gab entsprechend seinen Zusicherungen unter Verweis auf noch mit der Kirchenleitung zu führende Gespräche keinerlei weitere Auskünfte.
Am 14. Februar 1982, gegen 9.30 Uhr traf der in der DDR akkreditierte Korrespondent, Pleitgen,24 mit einer Aufnahmegruppe an der Samariter-Kirche im Stadtbezirk Berlin-Friedrichshain ein. Er wurde von Pfarrer Müller-Schlomka25 (Berlin) empfangen. Pleitgen und sein Team machten Filmaufnahmen von der Kirche und dem Gemeindehaus. Personen, die am Gottesdienst um 10.00 Uhr im Gemeindehaus teilnahmen, wurden beim Betreten des Gebäudes ebenfalls gefilmt. Das ARD-Team betrat weder die Kirche noch die Innenräume des Gemeindehauses. Befragungen von Personen erfolgten nicht.
Durch die zuständigen Organe des MfS wurden in der Zeit vom 10. bis 12. Februar 1982 mit bisher insgesamt 18 Unterzeichnern des sogenannten Berliner Appells (Hauptstadt Berlin, Bezirke Magdeburg und Halle) Aussprachen durchgeführt, im Ergebnis dessen sich sieben Personen – überwiegend Arbeiter – bereiterklärten, ihre Unterschrift zurückzuziehen. Diese Personen erklärten, den »Appell« aus Sorge um den Frieden unterzeichnet zu haben, ohne sich dabei der darin enthaltenen Angriffe gegen die DDR und die UdSSR bewusst gewesen zu sein.
Der Diakon Lorenz Görig26 erklärte, dass seine Unterschrift aufgrund der Veröffentlichung in den westlichen Medien gegenstandslos geworden sei.
Acht Personen distanzierten sich von der Art und Weise der Veröffentlichung des »Appells« in westlichen Medien und den damit verbundenen feindlichen Angriffen gegen die DDR.
Weitere zwei Personen zeigten keinerlei Einsicht, solidarisierten sich mit Eppelmann und akzeptierten keine Argumente. Darunter befindet sich Pfarrer Tschiche aus Magdeburg.
Im Zusammenhang mit den geführten Aussprachen wurden sechs Abschriften des sogenannten Berliner Appells, in einem Falle mit zwölf Unterschriften, übergeben.
Weitere Aussprachen werden vorbereitet, Maßnahmen zur Aufklärung neu in Erscheinung getretener Unterzeichner sind eingeleitet.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 82/82
Stellungnahme der Evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg vom 13. Februar 1982
Pfarrer Rainer Eppelmann aus Berlin ist am. 9.2.1982 von dem Generalstaatsanwalt, der DDR vorläufig festgenommen worden. Auf dringende Vorstellungen der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg wurde am 11.2.1982 das Ermittlungsverfahren eingestellt und Pfarrer Eppelmann entlassen.
Anlass ist ein von Pfarrer Eppelmann entworfener und verbreiteter Appell zu Friedensfragen, den er mit einer Aufforderung zur Unterzeichnung verbunden hat.
Die Kirchenleitung hat sich in ihrer Sitzung am 12./13.2.1982 mit dieser Angelegenheit befasst und dazu wie folgt Stellung genommen:
Der Appell will ein Ausdruck der Unruhe und Sorge um den Frieden sein, die heute vor allem viele junge Menschen erfüllt. Er ist auch ein Ausdruck der Ungeduld darüber, dass die Verhandlungen der Politiker über Entspannung und Abrüstung sich so lange hinziehen könnten, bis es zu spät ist. Wir teilen diese Sorge und Ungeduld. Sie sind Realitäten, die nicht verschwiegen werden dürfen.
Die Hoffnung auf die Verheißung des Friedensreiches Gottes gibt die Freiheit, uns unsere Ängste einzugestehen ohne in Aggressionen zu verfallen. Diese Hoffnung ermächtigt uns auch, das Ungewohnte auszusprechen. Sie verbietet uns Illusionen zu wecken, die nur gefährliche Enttäuschungen hervorrufen können.
Der Appell wirft eine Reihe von Fragen auf, die im Gespräch über die christliche Friedensverantwortung ihren Ort haben. Alle Synoden des Bundes haben zu einer Reihe dieser Fragen Stellung genommen. Viele Aussagen des Appells gehören in dieses Gespräch. Genauer als es im Appell geschieht muss der tatsächlichen politischen und militärischen Konstellation bedacht werden.
Der Appell zeichnet zugleich ein Zerrbild der politisch Verantwortlichen. Er arbeitet mit Unterstellungen, für die es in der Nachfolge Jesu-Christi keinen Raum geben darf. Die Kirchenleitung rät nachdrücklich von einer Beteiligung an der Sammlung von Unterschriften ab, weil dadurch Missverständnisse und Gefährdungen hervorgerufen werden, die das notwendige sachliche Gespräch nicht fördern. Die Kirchenleitung beauftragt den Bischof, den Generalsuperintendenten von Berlin und den Stadtjugendpfarrer, mit den kirchlichen Mitarbeitern, die sich an der Verbreitung des Appells beteiligt haben, Gespräche zu führen. Der Bischof und das Konsistorium werden beauftragt, die offenen Fragen zum Vorgehen von Pfarrer Eppelmann zu klären.
Potsdam, den 13.2.1982 | Vorsitzender der Kirchenleitung | gez. Gottfried Forck
An die Superintendenten | der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg