Reaktionen zum Rundgang der Partei- u. Staatsführung auf Herbstmesse
7. September 1982
Erste Reaktionen westlicher Messevertreter im Zusammenhang mit dem Rundgang der Partei- und Staatsführung der DDR anlässlich der Leipziger Herbstmesse 1982 [O/111]
Der Rundgang der Partei- und Staatsführung fand bei den Ausstellern, Messebesuchern und Korrespondenten aus den kapitalistischen Industrieländern starke Beachtung.
BRD-Aussteller, u. a. der BASF, hoben die Aufwertung der Leipziger Messe durch das Auftreten des Genossen Honecker1 hervor. Sie werteten dabei die Sachkundigkeit und Sachlichkeit seines Auftretens.
Seitens führender Vertreter westlicher Konzerne wurde immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass man in Westeuropa und insbesondere auch in der BRD nicht bereit sei, ohne Weiteres die »Auflagen« der Reagan-Administration2 zu befolgen. Die Grenzen in der Bereitwilligkeit zur teilweisen Unterstützung von Embargomaßnahmen würden dort gezogen, wo langfristige wirtschaftspolitische und ökonomische Interessen der Konzerne gestört werden.
Bei der politischen Wertung der durch den Genossen Honecker getroffenen Einschätzungen wird hervorgehoben, dass die DDR bemüht sei, sich auch unter den neuen Bedingungen an die Ergebnisse der Gespräche am Werbellinsee3 zu halten. Die im Zusammenhang damit vom Genossen Honecker abgegebenen Äußerungen hätten den Erwartungen entsprochen.
Es sei mit keinen »Sensationen« gerechnet worden, zumal der Rundgang der Repräsentanten nicht mit der Spannungssituation wie zur Frühjahrsmesse 19824 belastet gewesen sei.
Das Interesse insbesondere der BRD-Aussteller konzentrierte sich auf den langfristig angekündigten Besuch am Stand der BASF.
Die internen Meinungsäußerungen zur Bedeutung der Visite am BASF-Stand decken sich größtenteils mit den bekannten, offiziell abgegebenen Einschätzungen (u. a. Erklärung des Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Seefelder5 gegenüber dem Genossen Honecker, an den Standbesuch anschließende Pressekonferenz ausschließlich mit BRD-Journalisten; Gespräch mit Staatssekretär Genossen Dr. Beil6 am 4.9.1982).
Intern brachte Seefelder zum Ausdruck, dass es ihm durch eine Vielzahl anwesender Journalisten unmöglich gewesen sei, mit dem Genossen Honecker ausführlicher über gegenwärtige Wirtschaftsprobleme zu sprechen und durch einen Dialog auf eine neue Phase in der Zusammenarbeit zwischen der BASF und der DDR hinzuwirken, wie er es ursprünglich konzipiert habe.
Entgegen den Einschätzungen von Seefelder, wonach die Konzernleitung der BASF ihren Standpunkt zum Handel mit der DDR voll billige, liegen interne Hinweise vor, wonach es in der Konzernspitze Kräfte gibt, die den gegenwärtig gewährten Kreditbedingungen ablehnend gegenüberstehen und vorschlagen wollen, die zu kreditierende Umsatzgröße für die DDR zu limitieren. Grund für diese Haltung sei, dass man glaube, sich gegen eine mögliche Einstellung der Zahlung seitens der DDR wappnen zu müssen.7
Vertreter der Salzgitter AG betonten im Unterschied zu Presseveröffentlichungen in der BRD die Kreditwürdigkeit der DDR aufgrund ihres bedeutenden industriellen Potenzials.
Der Direktor der Sparte Anorganische Chemie des Bayer-Konzerns und gleichzeitig Länderverantwortlicher für die DDR gegenüber dem Vorstand, [Name], erklärte, dass Bayer, was die Haltung der DDR-Repräsentanten zur Messe anbetreffe, immer hintenangestellt werde. Dies sei sicherlich auf eine ungenügende Publizität seines Konzerns in der DDR zurückzuführen.
Er verwies darauf, dass der Bayer-Konzern die DDR in der Lösung einer Reihe von ökonomischen Fragen in überdurchschnittlichem Maße unterstützt habe, ohne dadurch die verdiente Aufwertung erfahren zu haben.
So seien der DDR Verfahrenslizenzen für die Reifenproduktion zu einem Preis übergeben worden, deren Wert etwa das 20-Fache der Summe ausgemacht habe.
[Name] verwies darauf, dass sich ähnliche Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit auf dem Pharmaziesektor ergäben. Bayer sei durchaus bereit, Erkenntnisse aus der eigenen Forschungsarbeit und entsprechende Materialien zur Verfügung zu stellen, wenn sicher sei, dass dies eine entsprechende Resonanz finden würde.
Ein weiteres Gebiet für eine mögliche Zusammenarbeit seien Übernahmen von Lizenzproduktionen. Die dementsprechenden Kontakte zur DDR seien unzureichend.
Vertreter der Firma Ettenhauer (Österreich) hoben den Besuch der Partei- und Staatsführung der DDR am österreichischen Stand und die positiv zu bewertenden Beziehungen zwischen der DDR und Österreich hervor und erklärten u. a., dass eine Reihe von Industriekonzernen Österreichs mit den Wirtschaftsbeziehungen zur DDR unzufrieden seien, da die DDR einen ihr gewährten Kredit mittels Maschinenlieferungen zurückzahle, aber aufgrund der wirtschaftlichen Situation und der hohen Verschuldung Österreichs bei westlichen Staaten, insbesondere der BRD, dringend Devisen benötigt werden.
Bedauernd wurde zum Ausdruck gebracht, dass der Aufenthalt der Partei- und Staatsführung am österreichischen Stand nur etwa fünf Minuten betragen habe und es so nicht möglich gewesen sei, anstehende Fragen, insbesondere hinsichtlich der Kreditbeziehungen, zu klären.
Der Vorsitzende des Aufsichtsrates des japanischen Konzerns Toyo Engineering Corp., Naito,8 brachte nach dem Messerundgang der Partei- und Staatsführung der DDR zum Ausdruck, dass die japanischen Firmen erfreut sind über die hohe Wertschätzung der japanischen Industrie und der progressiven Entwicklung der Zusammenarbeit DDR – Japan durch den Genossen Honecker. Die Beziehungen DDR – Japan haben nach dem Besuch des Genossen Honecker in Japan eine sichtbar neue Qualität erreicht. Japanische Messeteilnehmer zeigten sich beeindruckt über die Einschätzung seitens des Genossen Honecker. Naito bestätigte nochmals die Entscheidung seines Konzerns, im Gegensatz zur Embargopolitik der USA-Regierung die ökonomische Zusammenarbeit mit der UdSSR und der DDR aktiv weiter zu entwickeln. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die hohe Beteiligung japanischer Firmen auf dieser Herbstmesse als sichtbaren Ausdruck dieser Handelspolitik.
Die Vertreter Kurumata9 und Foruyia10 des japanischen Unternehmens Nichimen äußerten ihre Zufriedenheit über den Handel mit der DDR, wobei sie dessen weitere Entwicklung optimistisch beurteilten. Ihr Unternehmen versuche, eigene Wege zu finden, um die amerikanischen Embargo-Maßnahmen zu umgehen, insbesondere bei eventuellen Verträgen auf dem Gebiet der Elektronik.
Westliche Journalisten äußerten sich nach dem Messerundgang der Partei- und Staatsführung befriedigt über die bestehenden Arbeitsmöglichkeiten während der diesjährigen Herbstmesse. Sie begrüßten besonders die Möglichkeit ihrer Teilnahme am Besuch von Ausstellungsständen, beispielsweise der BASF. Die Atmosphäre am BASF-Stand wurde als sehr angenehm und offen bezeichnet. Nach Einschätzung von BRD-Journalisten (Holtz,11 ZDF; Merseburger,12 ARD) seien die Erwartungen von BRD-Geschäftsleuten zur Leipziger Herbstmesse 1982 gedämpft. Wenn das gegenwärtige Niveau des Handels beibehalten werden könne, wäre das schon positiv zu bewerten. Auch für 1983 würden BRD-Geschäftsleute keine wesentlichen Steigerungen erwarten. Auf den Handel zwischen der DDR und der BRD wirke sich neben der schlechten konjunkturellen Lage, z. B. auf dem Sektor Werkzeugmaschinenbau, die wachsende Konkurrenz Japans mit hochwertigen elektronisch gesteuerten Maschinen aus.