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Treffen von west- und ostdeutschen Friedensaktivisten in Ostberlin

22. November 1982
Information Nr. 595/82 über Zusammenkünfte von Vertretern sogenannter Friedensorganisationen nichtsozialistischer Staaten und Westberlins mit reaktionären kirchlichen und anderen feindlich-negativen Kräften aus der DDR in der Hauptstadt der DDR, Berlin

[Faksimile von Blatt 1]

Nach dem MfS intern vorliegenden Hinweisen fanden am 9. und 10. Oktober und am 7. November 1982 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, ein sogenanntes Ost-West-Seminar des »Aktionskreises: Anstiftung zum Frieden« der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) Berlin1 (in den westlichen Massenmedien als sogenanntes Geheimtreffen »unabhängiger Friedensbewegungen« bezeichnet) bzw. eine Zusammenkunft zwischen Inspiratoren der sogenannten staatlich unabhängigen Friedensbewegung um Pfarrer Eppelmann2 mit Vertretern verschiedener besonders westeuropäischer »Friedensorganisationen« und anderer politischer Vereinigungen statt.

Während am »Ost-West-Seminar«, das in Privatwohnungen stattfand, 22 Vertreter westlicher »Friedensorganisationen« teilnahmen, waren bei der Zusammenkunft mit Pfarrer Eppelmann, Tagungsort war die Bartholomäus-Gemeinde, 13 Personen – darunter ebenfalls Personen aus dem nichtsozialistischen Ausland – anwesend.

Es wurden Vertreter folgender Organisationen bzw. Gruppierungen identifiziert:

Aus der BRD:

  • »Deutsche Friedensgesellschaft/Internationale der Kriegsdienstgegner«,3

  • »Friedenskreise« der Evangelischen Studentengemeinden München und Bonn,

  • »Die Grünen«, Ortsorganisation Kaufbeuren;

aus Schweden:

  • »Friedens- und Schiedsgerichtsvereinigung«, Stockholm,4

  • »Friedensbüro«, Stockholm;5

aus den Niederlanden:

  • »Interkirchlicher Friedensrat der Niederlande«;6

aus Dänemark:

  • »Nein zu Atomwaffen«, Kopenhagen,7

  • »Nie wieder Krieg«, Kopenhagen;8

aus Großbritannien bzw. den USA:

  • Die Bewegungen »Walk to Moscow« und »Friedensmarsch-Seattle-Moskau«;9

aus Westberlin:

  • »Alternative Liste« – Arbeitsgruppe Berlin – und Deutschlandpolitik.

Wie weiter bekannt wurde, waren diese Zusammenkünfte längerfristig auf der Grundlage bestehender stabiler Verbindungen und Kontakte u. a. zwischen Eppelmann und dem hinlänglich bekannten ehemaligen DDR-Bürger Fuchs10/Westberlin gemeinsam organisiert und durchgeführt worden.

Inhalt und Verlauf der Zusammenkünfte machten die Zielsetzung dieser Kräfte deutlich, unter dem Deckmantel des Kampfes für Frieden und Abrüstung Aktivitäten gegen den realen Sozialismus zu organisieren und im Sinne einer sogenannten blockübergreifenden Friedensbewegung unter Einbeziehung von »unabhängigen Friedensbewegungen« in der DDR, der ČSSR, der Ungarischen VR und der VR Polen (»Solidarność«)11 bestimmte Organisationsstrukturen (»Basisgruppen«) zu schaffen.

(Wie streng intern bekannt wurde, hielt sich im Zeitraum vom 10. bis 13. November 1982 ein Vertreter der sogenannten unabhängigen ungarischen Friedensbewegung – er gab sich als Leiter der Gruppe »Dialog«12 aus – in der Hauptstadt der DDR auf und versuchte Verbindungen zu hinlänglich bekannten reaktionären kirchlichen Kräften aufzunehmen, um die »Friedensarbeit« im Rahmen der »Friedensdekade 1982«13 und deren Organisatoren – darunter Pfarrer Eppelmann – persönlich kennenzulernen. Die beabsichtigten Kontaktaufnahmen wurden durch geeignete Maßnahmen unterbunden. Künftig geplante Kontakte seitens Vertretern der ungarischen Gruppe »Dialog« zu Vertretern der sogenannten staatlich unabhängigen Friedensbewegung der DDR sollen als private Besuchsreisen getarnt werden, um den Charakter von organisierten Zusammenkünften zu verschleiern.)

Konkreter Ausdruck der angestrebten Verwirklichung dieser Zielsetzung war die Erörterung folgender Probleme:

  • Herstellung von Verbindungen zwischen den beteiligten Organisationen/Bewegungen und Kräften bzw. deren Intensivierung, Schaffung eines Netzes von »Partnerfriedenskreisen« und Austausch von Standpunkten über die dabei anzuwendenden Mittel und Methoden,

  • Abstimmung der »internationalen« Zusammenarbeit der beteiligten Kräfte, Koordinierung und zeitliche Festlegung gemeinsamer Aktionen sowie Aufbau eines Systems von Solidarisierungsmaßnahmen bei möglichen »Repressalien« gegen einzelne Mitglieder der »Friedensbewegung« durch deren Regierungen.

Aus weiter vorliegenden Hinweisen wird deutlich, dass die Vertreter der westlichen »Friedensorganisationen« gerade den Aktivitäten der sogenannten Basisgruppen in der DDR (gemeint sind damit in der Regel die sogenannten Friedenskreise im Rahmen der kirchlichen Jugendarbeit, die die Grundlage einer staatlich »unabhängigen Friedensbewegung« in der DDR bilden sollen) einen besonderen Stellenwert beimessen und – offensichtlich auch aufgrund der günstigen Kommunikations- u. a. Bedingungen – die Zusammenarbeit mit ihnen als Schwerpunkt ihrer Tätigkeit betrachten. Im Zusammenhang damit wurde Übereinstimmung erzielt, periodische Zusammenkünfte (vierteljährlich) von sogenannten Aktivisten der »Friedensbewegungen aus Ost und West« auf dem Territorium der DDR durchzuführen.

Nach Auffassung reaktionärer kirchlicher Kräfte (insbesondere der hinreichend bekannte Pfarrer Eppelmann (Berlin) und Wonneberger14 (Dresden)) auf der Zusammenkunft am 7. November 1982 sei Voraussetzung für den Aufbau einer »blockübergreifenden« Friedensbewegung die Entwicklung von Kontakten »zwischen den Menschen in Europa in ganzer Breite«, wozu die Anerkennung der »unabhängigen Friedensbewegung« in der DDR durch den Staat eine wichtige Maßnahme sei. Sie forderten deshalb die westlichen »Friedensorganisationen« auf, ihre Kontakte zu staatlichen Organen und Einrichtungen in der DDR immer wieder zu nutzen, um die »unabhängige Friedensbewegung« der DDR ständig ins Gespräch zu bringen und deren Einbeziehung in Verhandlungen und andere Aktivitäten zu fordern. Außerdem sollten »exponierte« Vertreter dieser Bewegung von möglichst profilierten Persönlichkeiten des westlichen Auslands zu Aktionen der westlichen Friedensbewegung eingeladen werden.

Vorliegenden internen Informationen zufolge geht es diesen Kräften darum, im Rahmen ihres gemeinsamen subversiven Vorgehens langfristig darauf hinzuwirken, die »Anerkennung der unabhängigen Friedensbewegung durch den Staat« durchzusetzen, deren Ziele u. a. nach Äußerungen Eppelmanns nicht mit den derzeitigen gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR übereinstimmten und deshalb »diese Gesellschaft, so wie sie ist, nicht erhalten bleiben darf«.

Nach weiter intern vorliegenden Hinweisen wurde auf den Treffen außerdem Übereinstimmung zu solchen Fragen erzielt, wie

  • die »Basiskontakte zwischen Ost und West« maximal auszudehnen,

  • dem Auf- und Ausbau des Informationssystems zur Verbesserung der Kontakte der einzelnen »Friedensgruppen« untereinander stärker Rechnung zu tragen,

  • die »Medien-Arbeit« zielgerichtet zur »objektiven« Darstellung und Popularisierung der »Europäischen Friedensbewegung« zu nutzen.

Im Vorlaufe der Treffen wurde die Durchführung folgender konkreter Aktionen beschlossen:

  • Organisierung von »Schweigeaktionen« (nach westlichem Vorbild) auf öffentlichen Plätzen in allen größeren Städten Europas zur gleichen Zeit zu bestimmten politischen Gedenktagen – z. B. Jahrestag der Zerstörung Dresdens,15 Tag der Befreiung,16 Weltfriedenstag.17

  • (Im Ergebnis dieser Festlegungen versuchten Angehörige und Sympathisanten der ESG in der Hauptstadt der DDR, Berlin, sowie in Jena und Naumburg öffentlichkeitswirksam in Erscheinung zu treten. Durch abgestimmte differenzierte vorbeugende Maßnahmen im Zusammenwirken mit den anderen staatlichen Organen wurden diese Aktivitäten unterbunden.)

  • Vorbereitung einer offiziellen »Einladungsaktion« an oppositionelle Kräfte der »DDR-Partnerfriedenskreise« zu Veranstaltungen im nichtsozialistischen Ausland, die ständig wiederholend gegenüber staatlichen Organen und gesellschaftlichen Organisationen in der DDR – u. a. dem Friedensrat der DDR18 – vorgetragen werden sollen.

  • Festlegung einer erneuten Zusammenkunft unter Einbeziehung weiterer Vertreter der sogenannten unabhängigen Friedensbewegung aus Gera, Halle, Magdeburg und Jena sowie einer größeren Anzahl von Personen aus dem nichtsozialistischen Ausland am 16. Mai 1983 (einen Tag nach Abschluss der »2. Europäischen Friedenskonferenz« in Westberlin19) in der Samariter-Gemeinde in Berlin-Friedrichshain.

Vorliegenden internen Informationen und Erkenntnissen des MfS zufolge sind die genannten Treffen und deren Ergebnisse als weitergehende Versuche reaktionärer kirchlicher und anderer feindlich-negativer aber auch pazifistischer Kräfte in der DDR zu werten, im engen Zusammenwirken mit äußeren feindlichen Kräften unter dem Deckmantel des Eintretens für den Frieden und unter Ausnutzung besonders kirchlicher Organisationen/Einrichtungen antisozialistische Aktivitäten im Sinne der Schaffung einer sogenannten inneren Opposition-und der Inspirierung/Organisierung politischer Untergrundtätigkeit zu inszenieren und zu organisieren.

Durch das MfS sind im Zusammenwirken mit den anderen zuständigen Organen differenzierte politische und andere Maßnahmen zur weiteren Aufklärung und vorbeugenden Verhinderung bzw. wirksamen Unterbindung der von diesen Kräften beabsichtigten feindlich-negativen Aktivitäten eingeleitet worden.

Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

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    24. November 1982
    Information Nr. 596/82 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 15. November 1982 bis 21. November 1982

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    22. November 1982
    Information Nr. 590/82 über den Verlauf der »Friedensdekade« der evangelischen Kirchen in der DDR (7. bis 17. November 1982)