21. Landessynode Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen
27. Oktober 1983
Information Nr. 363/83 über die Herbsttagung 1983 der 21. Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens in Dresden
Die Herbsttagung der 21. Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens fand vom 15. bis 19. Oktober 1983 in der Christuskirchgemeinde Dresden statt.
Im Mittelpunkt der Tagung standen:
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Tätigkeitsberichte des Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenamtes Sachsens sowie der Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens,
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Bericht des Landesbischofs Dr. Hempel1 (Dresden),
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innerkirchliche und theologische Problemkreise (Bericht über den Kirchentag in Dresden, Bericht der Äußeren Mission, Stellungnahme zur Vereinigung Evangelischer Kirchen, Pfarrerdienstgesetz, Synodalwahlgesetz, Haushaltsplan usw.).
Folgende ausländische ökumenische Gäste nahmen an der Landessynode teil:
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Superintendent Pahlow, Hellmut2 [aus] Heuerßen (BRD), Mitglied des Landeskirchenrates Evangelisch-Lutherische Landeskirche Schaumburg-Lippe
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Pastor Martensen, Hans-Peter3 [aus] Kiel (BRD), Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche
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Pastor Schmidt, Reinhard4 [aus] West-Victorbur (BRD), Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers
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Lüers, Wilbrand5 [aus] Braunschweig (BRD), Leitender technischer Angestellter Siemens-AG Braunschweig, Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers
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von Grone, Nadia6 [aus] Kirchbrak (BRD), Hausfrau, Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers.
Als Vertreter westlicher Massenmedien war der BRD-Korrespondent Röder, Hans-Jürgen7 (epd) anwesend.
Während der Tagung wurden keine Mitarbeiter westlicher diplomatischer Vertretungen festgestellt.
Der Tätigkeitsbericht des Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenamtes Sachsens enthielt überwiegend innerkirchliche Probleme.8 Er beinhaltete aber auch gesellschaftspolitisch bedeutsame Fragen, wie z. B. die Situation innerhalb der Jugend der DDR, Probleme der Seelsorge in Strafvollzugseinrichtungen und kirchliche Kontakte zu staatlichen Organen.
Im Zusammenhang mit der Situationsschilderung innerhalb der Jugend der DDR erfolgte eine Charakterisierung einzelner Bezugsgruppen (materiell und auf Wohlstand orientierte Jugendliche; sozial überforderte Jugendliche; aus »Klischees und engen Rollenerwartungen« ausbrechende Jugendliche usw.).
Hervorgehoben wurde, dass »Unruhe unter den Jugendlichen nicht übersehen werden kann«. Diese Unruhe werde angeblich hervorgerufen durch
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den weltweiten Willen der Völker um Frieden einerseits und die Rüstungseskalation und Militarisierung andererseits,
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die zerstörerischen Folgen des technischen Fortschritts,
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den Drang zur Mobilität und zu eingeschränkten Reisemöglichkeiten.
Im Tätigkeitsbericht wurde weiter betont, im Raum der Landeskirche gebe es jährlich ca. 50 Konfliktfälle, die den Wehrunterricht,9 die vormilitärische Ausbildung, die Berufsausbildung und Jugendweihe10 betreffen.
Angeführt wurde, die Jugendlichen würden durch »erzwungene Bekenntnisse oder dem christlichen Glauben widersprechende Lernstoffe« belastet. Es wurde gefordert, dass solche Lernstoffe, wie das Gedicht »Die schlesischen Weber«11 und das Lied »black and white«12 von christlichen Kindern nicht mehr abverlangt werden sollten.
Bezüglich der Seelsorge in Strafvollzugseinrichtungen wurde im Bericht hervorgehoben, dass die zuständigen Pfarrer zwar ihre Arbeit ungehindert tun könnten, jedoch »Gespräche unter vier Augen« weiterhin nicht möglich seien. Es wurde gefordert, dass die Landeskirche dringend Überlegungen anstellen müsse, wie sie die große Zahl Haftentlassener, die mit dem Leben nicht zurechtkommen, unterstützen könne.
Zu den Kontakten mit staatlichen Organen wird im Bericht des Landeskirchenamtes eingeschätzt, dass vorrangig die Erhaltung des Friedens im Mittelpunkt der Gespräche stand und dass richtungsweisend dafür das Gespräch zwischen Landesbischof Dr. Hempel (Dresden) und dem Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden, Genossen Witteck,13 am 8. April 1983 gewesen sei.14
Erneut wurde kirchlicherseits die Dankbarkeit für das »großzügige Entgegenkommen seitens staatlicher Stellen« in Vorbereitung und Durchführung des Dresdner Kirchentages vermerkt. (Diese Danksagung wurde im speziellen Bericht über den Kirchentag in Dresden vor der Synode wiederholt und bekräftigt.)
Der Bericht der Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens umfasste ausschließlich innerkirchliche und theologische Problemkreise und enthielt keine politischen Bezugspunkte.
Auch der Bericht des Landesbischofs Dr. Hempel (Dresden) beinhaltete eine rein theologische Darstellung des Fachthemas »Heilen und Teilen«, wie es durch die 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen im Juli/August 1983 in Vancouver15 vorgegeben wurde. Dabei forderte er zu »mehr Übereinstimmung in den Grundfragen unseres christlichen Glaubens und Lebens« auf.
Politische Aussagen waren im Bericht nicht enthalten.
(Die drei Berichte liegen dem MfS im Wortlaut vor und können bei Bedarf angefordert werden.)
In der anschließenden Plenardebatte zu den Berichten wurden die darin aufgeworfenen Probleme bestätigt. Durch die Synodalen kam es zu keinen politisch-negativen Aussagen.
Obwohl von den 40 an die Synode eingegangenen Eingaben fünf Eingaben zur »Friedensverantwortung der Kirche« Stellung nahmen, erfolgte während der Synodaltagung keine mündliche Erörterung bzw. schriftliche Beschlussvorlage zu dieser Problematik.
Lediglich seitens des Präsidiums der Synode wurde eine mündliche Erklärung abgegeben, in der die Sorge über die weitere Verschärfung der internationalen Lage geäußert wurde. Die Synodalen wurden aufgefordert, durch Intensivierung der Gebete den »Herrn« zu bitten, dass er ihnen den richtigen Weg zeige. Man solle durch Nachtgebete und Gebetsketten den Frieden suchen.
Die Erörterung des durch den Laiensynodalen Callwitz16 (Meißen) in das Plenum eingebrachten Vorschlages, durch Synodalbeschluss allen Pfarrern der Landeskirche in ihrer Funktionscharakteristik 25 % der Zeit für die kirchliche Friedensarbeit einzuräumen, wurde auf die Frühjahrstagung 1984 der Landessynode verschoben.17
Als Rahmenveranstaltung zur Synodaltagung fand am 15. Oktober 1983 die traditionelle öffentliche Fragestunde für die Gemeinden statt, an der ca. 80 Personen teilnahmen.
Neben innerkirchlichen und theologischen Fragen wurden auch Fragen zur Friedenssicherung und zum Verhältnis Staat – Kirche gestellt.
So stellte eine weibliche Person aus Meißen (Maßnahmen zur Identifizierung dieser Person sind eingeleitet) die Frage, welche Haltung die Kirche zur gegenwärtig im Raum Halle/Leipzig laufenden Vorbereitung der Einberufung von Frauen zur NVA einnehme.18
Hierzu erklärte der Leiter des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen (SEK) in der DDR, Oberkirchenrat Ziegler19 (Berlin), es sei bekannt, dass besonders im medizinischen und nachrichtentechnischen Bereich Befragungen durchgeführt würden und erst, wenn diejenige Person für einen entsprechenden Dienst bereit wäre, Diensttauglichkeitsuntersuchungen durchgeführt würden.
Zu weiteren Fragen im Zusammenhang mit Wehrdienst und Wehrdienstverweigerung20 erklärte Landesbischof Hempel (Dresden), wenn die DDR keine Armee hätte, dann wäre der Frieden auch nicht sicherer. Daraus ergebe sich, dass die Kirche für alle zugängig sein müsse und deshalb den Diensttuenden in der NVA ebenso ihren Beistand wie den Dienstverweigerern und den Bausoldaten geben sollte.
Präsident Domsch21 (Dresden) erklärte, dass es zzt. die Möglichkeit eines Gesinnungswandels nicht gebe. Wer den Eid geleistet habe, werde davon nicht entbunden, und wer in der Haft nicht sofort erkläre, dass er Christ sei, könne nach Monaten nicht einen Pfarrer verlangen. Landesbischof Hempel erklärte in der weiteren Debatte der öffentlichen Fragestunde zum gegenwärtigen Verhältnis Staat – Kirche, der 6. März 1978 habe sich bewährt und kirchlicherseits werde daran festgehalten.22
Weiter betonte Landesbischof Hempel, er habe auf seinen Brief23 an den Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Erich Honecker,24 und an den Bundeskanzler der BRD, Kohl,25 von Letzterem Antwort erhalten. Die Antwort sei »einerseits sehr offen, andererseits habe sie ihn jedoch betroffen gemacht«, da das bestehende Misstrauen zwischen den Staaten im Vordergrund stehe und durch Kohl erklärt werde, dass die BRD nicht in der Lage sei, auf »Sicherheit zu verzichten«.26
Die Fragestunde verlief insgesamt ohne politische Provokationen.
Als weitere Rahmenveranstaltung zur Synodaltagung fand am 16. Oktober 1983 eine für die Kirchgemeinden offene Auswertung der 6. Vollversammlung des ÖRK im Juli/August 1983 in Vancouver statt. Durch Dipl.-Ing. Magerstädt27 (Dresden) wurde ein »Abriss« der Vollversammlung gegeben.
Auf die DDR bezogen bemerkte er, dass »Wege zur Armut im materiellen Sinne angestrebt werden müssten, um seelischen Reichtum zu schaffen«. Zur Atomrüstung wurde als Ergebnis der ÖRK-Tagung genannt, dass die Herstellung, Stationierung und der Einsatz der Atomwaffe als »unmenschlich zu verurteilen« sei.
Magerstädt erklärte, Schlussfolgerungen für die Kirchenarbeit in der DDR seien noch zu ziehen.
Die im Ergebnis der Synodaltagung durch die Synode verabschiedeten Beschlüsse sind politisch ohne Bedeutung und tragen rein innerkirchlichen und theologischen Charakter. Durch die Synode wurde kein Beschluss zur Friedensproblematik verabschiedet.
Zum Abschluss der Synodaltagung wurden folgende neue Synodaltermine bekannt gegeben:
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29. Januar 1984: Wahl der Synodalen für die 22. Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens in den Kirchenkreisen.
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5. bis 9. Mai 1984: Konstituierende Tagung der 22. Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (Frühjahrstagung 1984)
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