4. Synode BEK
24. September 1983
Information Nr. 313/83 über die 3. ordentliche Tagung der 4. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) vom 16. bis 20. September 1983 in Potsdam-Hermannswerder
Vom 16. bis 20. September 1983 fand in der Hoffbauerstiftung in Potsdam-Hermannswerder1 die 3. ordentliche Tagung der 4. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) statt, an der alle 60 gewählten und berufenen Synodalen teilnahmen.
Als geladene ausländische ökumenische Gäste waren anwesend:
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Landesbischof Dr. von Keler, Hans2 (Stuttgart/BRD), Mitglied des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD)/BRD,
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Erzbischof Melchisedek3 (UdSSR), Exarch des Moskauer Patriarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche in Berlin und Mitteleuropa,
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Bischof Dr. Klein, Albert4 (Sibiu/Sozialistische Republik Rumänien), Deutschsprachige Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in der SR Rumänien,
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Dr. Link, Hans-Georg5 (Genf/Schweiz), Vertreter des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK),
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Pfarrer Yerkes, Charles6 (USA), Nationalrat der Kirche Christi in den USA.
Als Gäste des ersten und des letzten Beratungstages nahmen ferner teil der Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Dr. Hellbeck,7 sowie ein Mitarbeiter der USA-Botschaft in der DDR.
Entsprechend der vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR genehmigten Anträge auf Berichterstattung nahmen an den Synodalberatungen – mit unterschiedlicher Beteiligung an den einzelnen Beratungstagen – Vertreter von insgesamt 17 Publikationsorganen aus nichtsozialistischen Staaten teil (ARD und ZDF mit Aufnahmeteams, epd, dpa, AP, AFP, »Reuter«, »Die Welt«, »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, »Berliner Sonntagsblatt«, »Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt«, »Frankfurter Rundschau«, »Westfälische Rundschau«, ARD-Hörfunk, »Osteuropafoto«, RIAS, » Kristeligt Dagblad«8/Dänemark).
Im Mittelpunkt der 3. Tagung der 4. Synode des BEK standen folgende Beratungsthemen:
- 1.
Arbeitsbericht 1982/83 des BEK
- 2.
Bericht der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (KKL)
- 3.
Innerkirchliche und theologische Berichte
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Bericht über die VI. Vollversammlung des ÖRK in Vancouver/Kanada9
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Bericht der Theologischen Studienabteilung beim BEK zur Untersuchung des Begriffes »status confessionis«
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Bericht des Diakonischen Werkes – Innere Mission und Hilfswerk – der evangelischen Kirchen in der DDR
- –
Bericht »Brot für die Welt«
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- 4.
Weitere innerkirchliche und theologische Probleme (Haushaltsplan 1984, Abendmahl, »Taufe, Eucharistie und Amt« – sogenanntes Lima-Dokument,10 Entwurf »Grundartikel VEK« usw.).
Die Berichte des Sekretariates des BEK und der KKL waren in ihren Grundaussagen sachlich ausgewogen und beinhalteten keine gezielten und offen provokatorischen Angriffe gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung. In einzelnen Passagen waren kritische Anmerkungen und Hinweise bezogen auf die Politik von Partei und Regierung enthalten.
Im Arbeitsbericht 1982/83 des BEK – wurde allen Synodalen in schriftlicher Form übergeben – werden insbesondere die Aktivitäten während des kirchlichen Lutherjahres 198311 eingeschätzt. Dabei wurde unterstrichen, dass »sich die Bemühungen um verfassungsgerechte Beziehungen zwischen Staat und Kirche bewährt haben«.
Im Mittelpunkt des Berichtes der KKL an die Tagung standen die Themenkreise »Kirchliches Lutherjahr 1983« und »Kirchliches Friedensengagement«. (Wie dem MfS in diesem Zusammenhang streng vertraulich bekannt wurde, trat die KKL unmittelbar vor der 3. Tagung der 4. Synode zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen, in der die überarbeitete Fassung des Berichtsentwurfs der KKL – vergleiche Information des MfS Nr. 307/83 vom 13. September 1983 – beraten und einstimmig angenommen wurde.)
Im Zusammenhang mit der Einschätzung des kirchlichen Lutherjahres 1983 unterstreicht auch der KKL-Bericht, dass sich »eine sachbezogene Zusammenarbeit zwischen beauftragten Vertretern der Kirchen und staatlichen Organen und Institutionen bewährt« habe und die Art und Weise des Umgangs miteinander »ein Modell für künftige Zusammenarbeit« sein könne.
Die Ausführungen zum »kirchlichen Friedensengagement« enthielten u. a. eindeutige Aussagen zur Friedensverantwortung der Kirchen und zur Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Europa:12
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»… das Einfrieren der Nuklearwaffen (ist) ein realistischer, praktischer und notwendiger erster Schritt, der jetzt getan werden muss.«
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»Diese Situation fordert die Friedensverantwortung unserer Kirchen in besonderer Weise heraus. Wir sehen die Gefahr, dass die Stationierung der atomaren Waffensysteme eine qualitativ neue Stufe der militärischen Bedrohung bildet und eine neue Runde des atomaren Wettrüstens einleitet … Wir befürchten eine weitere Militarisierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in und zwischen den Staaten in Ost und West.«
Bezogen auf die praktische »Friedensarbeit der Kirchen« wurden bekannte kirchliche Standpunkte dargelegt und die Regierung der DDR gebeten, »jenen Raum zu erhalten oder zu schaffen, in dem Menschen ihre Friedensverantwortung von ihrem Glauben und Gewissen her einbringen können« (»Fragen und eigene Lösungsvorschläge zu den offiziell vertretenen Auffassungen dürfen nicht sofort als gegen Staat und Gesellschaft gerichtet verdächtigt werden«) und darauf hingewiesen, »dass Bereitschaft zur Mitarbeit nicht gemindert und Aggressivität nicht erst aufgebaut werden sollten durch eine enge ideologische, ja doktrinäre Haltung … und durch unangemessenes, sogar gewaltsames Eingreifen der Ordnungskräfte des Staates«.
Weiter werden im Bericht der KKL die »Wehrdienstverweigerung aus Glaubens- und Gewissensgründen« als legitim herausgestellt sowie die »Gleichberechtigung und Gleichachtung der Bausoldaten«13 und die »Einflussnahme auf die Gestaltung des Wehrunterrichtes14 im Sinne einer Einübung von friedlicher Haltung bei der Lösung von Konflikten« gefordert. Hingewiesen wurde auf einen »Ersatz von militärischem Spielzeug«.
Die Berichterstattung über die VI. Vollversammlung des ÖRK in Vancouver/Kanada enthielt keine über die in der Information des MfS Nr. 296/83 vom 12. September 1983 genannten Angaben hinausgehenden Hinweise und Kommentare.
Konsistorialpräsident Stolpe15 verwies auf einen »engen Zusammenhang« der Ergebnisse der VI. Vollversammlung des ÖRK und des Madrider KSZE-Nachfolgetreffens.16 Er äußerte sein Bedauern über die bisher nur begrenzte Veröffentlichung des »Abschließenden Dokumentes« des Madrider Treffens.17 Entsprechend seines Vorschlages wurde allen Synodalen eine Kopie dieses Dokumentes übergeben.
Die weiteren Berichte an die Tagung enthielten keine über innerkirchlich relevante Bezüge hinausgehenden Fakten.
Zu beachten sind lediglich die Untersuchungsergebnisse der Theologischen Studienabteilung beim BEK zum Begriff »status confessionis« (lat.: Bekenntnisfall) in Bezug auf das »kirchliche Friedensengagement«. Die Verwendung dieses Begriffes wird für die gegenwärtige »Friedensdebatte«, für die »Klärung der Friedensfragen christlich gebundener Bürger eher schädlich als förderlich« gehalten und als nicht geeignet angesehen, um »in der Bindung an das Evangelium angesichts der anstehenden Situation verschärfter Bedrohung durch Atomwaffen eindeutig für den Frieden mithilfe positiver und negativer Aussagen bekennend einzutreten«.
Zum Arbeitsbericht 1982/83 des BEK sowie zum Bericht der KKL ergriffen insgesamt 25 Synodalen bzw. mitarbeitende Gäste das Wort.
Politisch-realistische Positionen vertraten dabei vor allem die Bischöfe Dr. Demke18 (Magdeburg) und Dr. Leich19 (Eisenach), die Konsistorialpräsidenten Kramer20 (Magdeburg) und Stolpe (Berlin), Oberkonsistorialrat Plath21 (Greifswald), Professor Hertzsch22 (Jena) und Referent Garstecki.23 Sie unterstützten in ihren Beiträgen die politisch-realen bzw. loyalen Aussagen insbesondere des Berichtes der KKL und versuchten darüber hinaus in diesem Sinne mäßigend und ausgleichend auf die Plenardebatte sowie die Diskussionen in den Ausschüssen einzuwirken.
Folgende Standpunkte sind u. a. zu beachten:
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Hervorhebung der »Notwendigkeit und Anerkennung gerechter Verteidigungskriege« (Dr. Demke);
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Betrachtung ökologischer Probleme »realistisch und mit Sachverstand«, ohne in »Weltuntergangsstimmung« zu verfallen (Kramer);
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Aufforderung, weniger über »Verweigerung« zu sprechen, sondern vielmehr »Ansätze für eine positive Mitarbeit in der gemeinsamen Friedensverantwortung zu suchen« (Prof. Hertzsch).
Das Auftreten von Bischof Dr. Leich war von Kontinuität im Sinne einer früheren Feststellung von ihm, »Wir sind Kirche für alle, aber nicht für alles« geprägt. Er forderte für die kirchliche Arbeit eine deutliche Abgrenzung von Personen mit einer feindlich-negativen Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung in der DDR.
Eine Reihe Synodaler und andere auf der Tagung anwesende kirchliche Amtsträger bzw. Personen vertraten unsachliche und widersprüchliche bis hin zu feindlich-negativen Positionen, versuchten die sozialistische Entwicklung in der DDR zu diffamieren und als positiv bekannte kirchliche Würdenträger in Widerspruch zu ihrem sonstigen Auftreten bzw. sachlichen Staat-Kirche-Verhältnis zu bringen (Superintendent Große24 (Saalfeld), Pfarrer Schorlemmer25 (Wittenberg), Stadtjugendpfarrer Passauer26 (Berlin), die Pfarrer Adolph27 (Struppen,28 Kreis Pirna) und Wutzke29 (Gartz, Kreis Angermünde), die Synodalen [Name] (Berlin) und Semper30 (Oranienburg) sowie der ehemalige Jugendpfarrer Lietz31 (Güstrow)).
Im Zusammenhang mit der Diskussion zum Bericht wurden von solchen Personen folgende zu beachtende »Argumente« erhoben bzw. Forderungen vorgebracht:
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Der KKL-Bericht enthalte keinen Hinweis auf die »ebenfalls bedrohenden sowjetischen Raketen«; die »Verweigerung beim Einsatz von Massenvernichtungsmitteln entspräche mehr dem Völkerrecht als Befehlsgehorsam«; die Tagung der Synode solle militärische Dienstvorschriften sowie das »Prinzip des Befehlsgehorsams in militärischen Organen unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten« betrachten (Große).
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Eine qualitativ neue Stufe des Wettrüstens werde nicht erst durch die bevorstehende Stationierung der Pershing II erreicht; sondern existiere bereits (mit Hinweis auf das sowjetische Raketenpotenzial); die KKL dürfe in ihrem Bericht nicht nur die »Nachrüstung« im Blickfeld bewahren, sondern auch die »Vorrüstung« (Adolph).
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Die Informationspolitik der DDR sei »sektiererisch« und »bagatellisierend«; es müsse eine »glaubwürdigere« staatliche Informationspolitik betrieben werden (Wutzke, [Name]).
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Forderung nach Schaffung einer Beratungsstelle beim Sekretariat des BEK – gewissermaßen als Koordinierungsorgan gedacht – für die »kirchlichen Friedenskreise« (Schorlemmer).
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Forderung nach detaillierter Darstellung des Sachverhaltes im Zusammenhang mit dem Strafverfahren gegen den ehemaligen Diakon Rochau aus Halle32 und nach Informationen über weitere »Inhaftierungen von Personen aus dem kirchlichen Raum mit analogen Straftatbeständen« (Schorlemmer/Passauer).
Der Synodale Semper – als feindlich-negativ bekannt – provozierte am zweiten Tag der Tagung mit einem Diskussionsbeitrag und forderte so Landesbischof Hempel33 in der Diskussion zu Antworten heraus, die – entstellt wiedergegeben – Hempel als in Front gegen die DDR-Führung stehend erscheinen lassen.
(Die Antworten von Bischof Hempel – siehe Anlage, Unterstreichungen34 entsprechen den in westlichen Massenmedien hervorgehobenen Äußerungen Hempels – der sich seit geraumer Zeit um ein gutes Verhältnis zum Staat bemüht und das auch während seines Auftretens im internationalen Maßstab unter Beweis stellte sowie auch seine insgesamt positiven Reaktionen auf die staatliche Linie in der Politik gegenüber den evangelischen Kirchen in der DDR, wurden seitens der westlichen Massenmedien aus dem Zusammenhang gerissen und als gegen den sozialistischen Staat gerichtete Äußerungen gewertet und wiedergegeben.)
Mit diesem Vorgehen sollten offensichtlich progressiv wirkende kirchliche Würdenträger, wie z. B. die Bischöfe Hempel, Leich und Demke, diffamiert und auf die Linie der feindlich-negativen Kräfte festgelegt werden.
Der 3. und 4. Beratungstag wurden wesentlich durch die Arbeit in den Ausschüssen (vielfach geschlossene Sitzungen) geprägt, wobei die Auseinandersetzungen zwischen politisch-realistischen und reaktionären Kräften – besonders im Berichtsausschuss – fortgeführt wurden. Erneut vertrat Superintendent Große extrem konträre und neutralistische Auffassungen, insbesondere zu Friedens- und Abrüstungsproblemen (u. a. »Gleichschaltung der Sicherheitspolitik der USA und UdSSR«). Dem Antrag von Prof. Hertzsch, die Diskussion zur Beschlussvorlage zu »Friedensfragen« unter Ausschluss der Öffentlichkeit weiterzuführen, um den Vertretern westlicher Massenmedien keine Ansätze für eine verfälschte Berichterstattung zu bieten, stimmte das Präsidium der Synode zu.
Im Berichtsausschuss wurden ferner die Vorbereitungsmaterialien für die »Friedensdekade 1983« (wird in der Zeit vom 6. bis 16. November 1983 unter dem Motto »Frieden schaffen aus der Kraft der Schwachen« durchgeführt) erörtert, die eine kontinuierliche inhaltliche Fortführung der bisherigen drei »Friedensdekaden« erkennen lassen und als »Markenzeichen der kirchlichen Friedensarbeit in der DDR« bezeichnet werden. Die Bemerkungen von Bischof Dr. Hempel zur Erläuterung des Mottos der »Friedensdekade« orientieren auf ein stärkeres religiöses Bekenntnis der Christen für den Frieden im Zusammenhang mit dieser Friedensdekade.
In den Ausschüssen setzten sich insgesamt die realistischen Kräfte durch. Das widerspiegelt sich in den gefassten Beschlüssen und auch darin, dass es reaktionären Kräften beispielsweise nicht gelang, eine negativ kanalisierte Diskussion um die Verurteilung des ehemaligen Diakons Rochau (Halle) in Gang zu bringen bzw. die der 3. Tagung der 4. Synode vorliegenden 35 Eingaben mit ca. 1 000 Unterschriften (beinhalteten hauptsächlich die bereits in der Information des MfS Nr. 307/83 vom 13. September 1983 genannten Forderungen nach einem »Friedensbekenntnis« der Synode im Sinne des sogenannten totalen Pazifismus sowie Probleme des Umweltschutzes) über Gebühr zu bewerten und als Einflussfaktor auf die Beschlussfassung zu nutzen.
Die 3. Tagung der 4. Synode des BEK fasste im Ergebnis ihrer fünftägigen Beratungen folgende Beschlüsse:
1. Erklärung zur Stationierung atomarer Mittelstreckenwaffen in Europa.
Darin wird u. a. erklärt:
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»Wir sehen die Gefahr, dass die Stationierung der atomaren Waffensysteme vom Typ Pershing II und Cruise Missiles eine neue Stufe der militärischen Bedrohung darstellt und wiederum eine neue Runde des atomaren Wettrüstens einleitet.«
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»Wir würden es als einen konstruktiven Beitrag ansehen, wenn die Staaten der NATO ihren Spielraum für die Verhandlungen in Genf so erweitern, dass ein erfolgreicher Abschluss möglich und eine Stationierung im Dezember 1983 vermieden wird und wenn die UdSSR ihre erklärte Bereitschaft zum Abbau und zur Verschrottung von Mittelstreckenraketen des Typs SS-20 schon jetzt in die Tat umzusetzen beginnt.«
2. Beschluss zum Bericht der KKL
(Teil 2 Friedensverantwortung – wird der Information im Wortlaut beigefügt)
Im genannten Beschluss wird die auf der VI. Vollversammlung des ÖRK in Vancouver/Kanada angenommene »Erklärung zu Frieden und Gerechtigkeit« unterstützt.35
An die Regierung der DDR wird die Bitte herangetragen,
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»sich an der Ausarbeitung eines völkerrechtlichen Instruments zu beteiligen, mit dem sowohl der Besitz, als auch der Einsatz von Atomwaffen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit geächtet werden kann (Vancouver-Erklärung)«,
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»innerhalb des Warschauer Vertrages36 darauf hinzuwirken, dass keine atomaren Kurzstreckenraketen auf dem Gebiet der DDR stationiert werden, weder während der noch laufenden Genfer Verhandlungen noch zu einem späteren Zeitpunkt«,
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»das Schlussdokument des Madrider KSZE-Folgetreffens37 in all seinen Teilen anzuwenden« und
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»im Spielraum bestehender Verträge mehr als bisher Reisen zwischen den beiden deutschen Staaten zu ermöglichen, weil persönliche Begegnungen gegenseitig Angst abbauen und den Frieden fördern«.
3. Beschluss zum Gebrauch des Begriffs »status confessionis« in der Friedensdebatte
4. Beschluss (Briefentwurf) an die Absender der Eingaben an die Synode
Darin wurde festgelegt, dass alle Absender von Eingaben die Beschlüsse der 3. Tagung der 4. Synode des BEK zur Friedensproblematik in schriftlicher Form zur Kenntnis erhalten und dass sich die nächste Synodaltagung mit Eingaben zum Problem Umweltschutz beschäftigen werde.
5. Beschluss über eine Festlegung, wonach die Leitung der Kirchenprovinz Sachsen die anderen Landeskirchen über die »Weiterentwicklung in Sachen Rochau« unterrichtet.
In der für diesen Zweck zur Verwendung kommenden sogenannten Rundverfügung wird davon ausgegangen, dass »Bruder Rochau als Diakon ein kirchlicher Mitarbeiter ist«.
Nach der Darlegung der bekannten Fakten über Gründe und Verlauf des strafrechtlichen Verfahrens gegen Rochau werden die kirchlichen Bemühungen unterstrichen, »alle Möglichkeiten der Fürsprache zu nutzen«. Weiter heißt es: »Natürlich vermag keiner zu sagen, was kirchlicher Einsatz erreicht. Es scheint aber gewiss, dass öffentliche Aktionen oder Diskussionen ohne positive Wirkung sein dürften. Es ist wichtig, dass wir Bruder Rochau und seine Familie in unser Gebet einschließen.«
Im Zusammenhang mit der auf der Synodaltagung erfolgten Erörterung von Friedensfragen wurde am letzten Beratungstag allen Synodalen das am 20. September 1983 zur Veröffentlichung freigegebene »Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland« (EKD)/BRD zur Friedensdiskussion im Herbst 1983 in schriftlicher Form ausgehändigt.38
(Dieses Dokument unterstützt das sogenannte Konzept der Sicherheitspartnerschaft39 sowie die »Nuclear-Freeze-Bewegung«.40 Politiker werden gebeten, »diejenigen, die zu Mitteln des politischen Protestes und legaler friedlicher Demonstrationen greifen, nicht zu verdächtigen, sondern darin legitime demokratische Willensbekundungen anzuerkennen und sich für deren friedlichen Verlauf einzusetzen«. Auf »widerrechtliche Protesthandlungen« solle mit »Besonnenheit und rechtsstaatlicher Sorgfalt« reagiert werden.)
Im Verlaufe der Synode verlasen die ausländischen ökumenischen Gäste Grußworte überwiegend theologischen Inhalts. Erzbischof Melchisedek gab erneut ein politisch klares Bekenntnis zur Friedensproblematik.
Bischof von Keler (BRD) betonte u. a. die Notwendigkeit, die Koexistenz zwischen Staaten »auf Dauer und grundsätzlich« anzulegen. Bischof Klein41 (SR Rumänien) kritisierte die getroffenen Vereinbarungen zwischen der SR Rumänien und der BRD im Zusammenhang mit der Ausreise deutschstämmiger rumänischer Staatsbürger und lehnte die Praxis bei der Realisierung der Übersiedlung ab.42
Als Rahmenveranstaltung fand unmittelbar nach Beendigung der 3. Tagung der 4. Synode des BEK ein 20minütiges Pressegespräch statt, auf dem u. a. Bischof Dr. Hempel (Dresden), Bischof Dr. Gienke43 (Greifswald), Konsistorialpräsident Stolpe (Berlin) und Oberkirchenrat Ziegler44 (Berlin) sowie Pressereferent Pfarrer Günther45 (Potsdam) Fragen der anwesenden Pressevertreter beantworteten. Mitarbeiter westlicher Massenmedien unternahmen dabei den Versuch, besonders solche Probleme in das Gespräch zu bringen, die für eine Fortführung ihrer verzerrten Berichterstattung über die Tagung geeignet erschienen (u. a. zur Eingabeproblematik zu Friedens- und Ökologiefragen).
In diesem Zusammenhang ist auf die neuerliche gezielte Beachtung der Ergebnisse der 3. Tagung der 4. Synode in der Berichterstattung westlicher Presse- und Funkmedien hinzuweisen, in der permanent versucht wurde, die Politik von Partei und Regierung der DDR in Kirchenfragen zu diffamieren. Politisch-negative und tendenziöse Äußerungen an der Synode teilnehmender Personen wurden breit publiziert. Dieses Vorgehen ist als erneuter Versuch zu werten, feindlich-negative Kräfte in der DDR zu ermuntern, zu weitergehenden Aktivitäten zu inspirieren und zu unterstützen.
Auf der 3. Tagung der 4. Synode des BEK wurde Konsistorialrätin Cynkiewicz, Rosemarie46 (Berlin) zum Vizepräses der 4. Synode des BEK gewählt (Konsistorialrätin Cynkiewicz vertritt politisch loyale Auffassungen und tritt an Stelle des Pfarrers Rieffel47 (Berlin), der sein Mandat niedergelegt hat).
Die 4. ordentliche Tagung der 4. Synode des BEK in der DDR wurde für die Zeit vom 21. bis 25. September 1984 nach Greifswald einberufen.
Der Verlauf und die Ergebnisse der 3. Tagung der 4. Synode des BEK haben gezeigt:
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Die überwiegende Mehrheit der kirchenleitenden Personen und der Synodalen betrachten nach wie vor die Ergebnisse des Gespräches des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker,48 mit dem Vorstand der KKL am 6. März 1978 als wesentliche Basis des Verhältnisses Staat – Kirche;49
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die Polarisierung der Kräfte innerhalb der Bundessynode ist weiter fortgeschritten; eine Reihe bisher schwankender und loyaler Kräfte hat sich zunehmend für realere Positionen entschieden, sodass der Anteil politisch-realistischer Kräfte insgesamt angewachsen ist;
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die teilnehmenden kirchenleitenden Personen waren daran interessiert, Konfrontationssituationen zu verhindern und insbesondere das im »Lutherjahr 1983«50 erreichte sachliche Verhältnis Staat – Kirche zu Gunsten der Kirche weiter auszubauen.
Verlauf und Ergebnisse der Synodaltagung unterstreichen aber auch, dass bei einer Reihe kirchenleitender Personen nach wie vor labile und inkonsequente Haltungen in Grundpositionen und in Detailfragen zu verzeichnen und auch künftig in Rechnung zu stellen sind. So zeigten sie erneut zu wenig Bereitschaft, gegenüber feindlich-negativen Kräften und Aktivitäten eindeutige Positionen zu beziehen, wodurch sich derartige Kräfte in ihrem Vorgehen immer wieder ermuntert fühlen. Das kam insbesondere zum Ausdruck in ihrer Haltung zur Person Rochau sowie in den im Beschluss zum Bericht der KKL enthaltenen sogenannten Bitten an die Regierung der DDR.
In Auswertung der 3. Tagung der 4. Synode des BEK wird vorgeschlagen,
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dass der Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR, Genosse Gysi,51 mit dem Vorsitzenden der KKL, Bischof Hempel, und dessen Stellvertretern, Bischof Gienke und Konsistorialpräsident Stolpe, ein Gespräch führt, in dem die Haltung der Regierung der DDR zu einigen auf der Synodaltagung aufgeworfenen und das Verhältnis Staat – Kirche belastenden Problemen deutlich zur Kenntnis gegeben wird;
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der Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR, Genosse Gysi, eine Beratung mit den Stellvertretern der Räte der Bezirke für Inneres und mit den Referenten für Kirchenfragen bei den Räten der Bezirke nutzt, um wesentliche Ergebnisse der Synodaltagung zu erläutern und notwendige, weitergehende Konsequenzen zur kontinuierlichen Fortführung der insbesondere im Jahre 1983 weiter fortgeschrittenen gesamtgesellschaftlichen Aktivitäten zur Gewährleistung der Durchsetzung der Politik von Partei und Regierung in Kirchenfragen sowie zur Zurückdrängung reaktionärer kirchlicher und anderer feindlich-negativer Kräfte aufzuzeigen.
Darüber hinaus sollte der planmäßige Differenzierungsprozess in den Kirchen fortgesetzt – sowohl zentral als auch auf der örtlichen Ebene – und prinzipiell und geduldig mit den loyalen Kräften weiter gearbeitet werden. Das betrifft vor allem solche Bischöfe wie Leich/(Eisenach) und Gienke (Greifswald).
Mit den bekannten feindlich-negativen Kräften sollten die prinzipiellen Auseinandersetzungen fortgesetzt werden. Das würde auch das Vorgehen gegen solche Bischöfe, wie z. B. (Forck) Berlin, betreffen.
(Die Materialien der 3. Tagung der 4. Synode des BEK liegen dem MfS vor und können bei Bedarf angefordert werden.).
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage 1 zur Information Nr. 313/83
Antworten von Mitgliedern der Konferenz auf Anfragen betr.: Bericht der Konferenz
3. Tagung der 4. Synode | des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR | 16.–20.9.1983 in Potsdam
I. Landesbischof Dr. Johannes Hempel
Ich möchte zu dem Beitrag von Bruder Semper sprechen. Er sprach u. a. von der Enttäuschung und Verbitterung vieler Bürger, unseres Landes. Er hat diese Enttäuschung vieler als eine Enttäuschung »an Freunden« charakterisiert. Und er hat als einer gesprochen, der seinen Platz hier sieht.
Ich habe keine einfachen Antworten. Aber ich möchte deutlich sein. Und ich kann mich – wie immer – irren.
Ich glaube, dass Bruder Semper mit seinen Stichworten einer wachsenden Enttäuschung und Verbitterung vieler Bürger in unserem Lande etwas zutreffend beschreibt. Wir sehen dafür folgende Gründe:
1. In der sozialistischen Wirtschaft und auch in unserer Wissenschafts-Organisation, besonders bei den mittleren und unteren Kadern, entsteht durch den Zentralismus unserer Gesellschaft, verstärkt durch die weltwirtschaftlichen Probleme,52 eine spürbare Quelle für Enttäuschungen. Manche fragen nach dem Sinn ihrer Arbeit. Wir hören von der Verkümmerung schöpferischer Potenzen in unserer Gesellschaft.
Wir hören auch, dass in Wirtschaft und Wissenschaft – bei mittleren und unteren Kadern – Christen stärker zurückgesetzt werden als andere. Und dass sie es nach Konflikten schwer haben, wieder zu normalem Ansehen zu gelangen.
Wir hören von wachsenden Tendenzen, besonders im Bereich unserer sozialistischen Schulen, dass die Mitarbeit christlicher Eltern auch in Bezug auf Elternaktive (in Elternbeiräten sind sie schon lange nicht mehr dabei) höflich aber bestimmt zurückgedrängt wird.
2. Einen weiteren Grund für die Enttäuschung und Verbitterung vieler Bürger unseres Landes sehen wir in den oft unfreundlichen, gar demütigenden Formen des Umgangs von Staatsvertretern mit Bürgern, aber auch von Bürgern unserer Gesellschaft untereinander. Auf der mittleren bzw. örtlichen Ebene werden Bürger, besonders bei Problemen mit politischem Anteil, oft hart oder formal behandelt. Gegen solche Erfahrungen mangelnder Höflichkeit, fehlender Wärme und formaler Behandlungsweise können wir kirchenleitenden Leute wenig machen. Die betroffenen Bürger an der Basis wissen, dass wir kirchenleitenden Leute in der Regel besser behandelt werden. Die Erfahrungen an der Basis sind unserer Überzeugung nach ein entscheidender Punkt für allgemeinere Enttäuschungen und Verbitterungen. Eine Neuentwicklung der Kultur des Umganges miteinander, auch bei heiklen und kontroversen Themen, ist notwendig.
Die skeptische bzw. misstrauische Grundhaltung mancher Bürger gegenüber Vertretern der Regierung hat einen Grund auch in der seit Bestehen unserer Republik jahrzehntelang durchgeführten »pädagogisch gefilterten« und »optimistischen« Art und Weise erwachsene Bürger zu informieren.
Ich erinnere mich, dass ich als Kind einmal in das Wohnzimmer der Eltern kam und von den Eltern gebeten wurde, sofort wieder hinauszugehen, weil sie – die Eltern – etwas Ernstes zu besprechen hätten. Das erscheint mir wie ein Gleichnis für einen großen Teil der Informationsweise in unserer Gesellschaft. Es ist in der sozialistischen Gesellschaft schwer, über Schwachheit zu reden – über die eigene und über die gemeinsame Schwachheit.
Das Sprechen über Schwächen unserer Gesellschaft (an deren Ursache wir ja manchmal selbst Anteil haben) wird leicht mit gesellschaftsfeindlicher Agitation verwechselt. Wir haben in der Kirche (übrigens mühsam!) gelernt, dass das Sprechen über eigene und gemeinsame Schwachheiten der Kirche notwendig ist, nicht zur Zerstörung der Gemeinschaft führt, sondern die Gemeinschaft am Ende festigt.
In diesem Zusammenhang ein Wort zur Jugend. Nach meiner Kenntnis will die Mehrheit der jungen Generation normalerweise nur zweierlei. Sie will das Recht auf Zorn, und sie will das Recht auf Aufrichtigkeit seitens der Älteren. Mit anderen Worten: die Mehrheit der Jugend will mit uns Älteren über ihre, über unsere, also auch über unsere gemeinsame Schwachheit reden. Wenn wir ihnen gestatten, zornig zu sein und uns bemühen, authentisch mit ihnen umzugehen, werden wir in dem überwiegenden Teil der Jugend eine prächtige neue Generation kennenlernen. Unsere Gesellschaft stellt zu wenige Stätten bereit, auf denen sich Zorn ungestraft entladen darf. Dadurch wird die einzelne Zornentladung oft unangemessen dramatisch etwas lässt sich aber verändern.
Die zurückliegenden Aktionen der Staatsorgane gegen die »Schwerter zu Pflugscharen-Zeichen«53 halte ich (ohne damit Museumsstücke herausholen zu wollen) nach wie vor für einen schweren Fehler mit Symbolbedeutung für viele junge Menschen. Wir werden die Folgen dieses Konfliktes überwinden, aber wir werden dazu noch Zeit brauchen. Bis heute kommen Jugendliche im Gespräch mit uns darauf zurück. Sie fragen: »Was haben wir Schlechtes getan?«
Die Kirche hat in ihrer Geschichte viele Fehler mit Symbolgehalt gemacht; dass sie Galilei54 den Mund verboten hat, ist für Jahrhunderte zum Symbol kirchlicher Blindheit geworden und hat keinen Geringeren als Bertolt Brecht55 zu einem faszinierenden Stück inspiriert.56
3. Ein weiterer Grund für Enttäuschung, ja Verbitterung vieler Bürger scheint sein mir zu sein (– und dies richtet sich nun gegen die Enttäuschten selbst –), dass unser aller Ansprüche auf eine hohe Lebensqualität im Maßstab der ganzen Republik erheblich gewachsen sind. Wir haben es zunächst aus der sozialistischen Lebensweise und ihren moralischen Wertmaßstäben nicht anders gelernt. Dass ein erfülltes Leben aber keineswegs ein »Leben in Hülle und Fülle« ist, sondern den Verzicht, die Selbstbescheidung einschließt, müssen wir langsam wieder neu lernen. Es gilt auch für die Kirche: die Ansprüche sind gestiegen; die Bereitschaft zu den »geringen Diensten« nimmt ab. Im Rahmen unserer Möglichkeit wollen wir Christen helfen, die Werte des einfacheren Lebens zurückzugewinnen.
4. Wir haben den Eindruck, dass viele Bürger, die die Ausreise aus unserem Lande wünschen, die »andere Welt« nicht wirklich kennen. Sie sehen deren Vorteile, übersehen aber die Nachteile. Dadurch entstehen Illusionen: Für Illusionen müssen wir alle mit Enttäuschung »bezahlen«. – Ich möchte aussprechen, dass ich die Unzufriedenheit, die Verbitterung und die Aggressivität von Bürgern derer Länder gegen ihre Regierung, insbesondere auch die Aggressivität junger Menschen auch in anderen, gesellschaftlich anders geordneten Ländern oft und deutlich bemerkt habe.
5. Ich möchte nun unterstreichen, dass wir kirchenleitenden Leute in der DDR bemüht bleiben müssen, mit den Vertretern unserer Regierung in offenen, aufrichtigen und fairen Kontakten zu bleiben. Für uns kirchenleitende Menschen ist der staatliche Gesprächspartner normalerweise der Staatssekretär für Kirchenfragen mit seinem Mitarbeiterstab bzw. die Räte der Bezirke. Die Arbeitsgespräche mit ihnen sind durch Aufmerksamkeit und sorgsame Auswertung seitens der staatlichen Partner charakterisiert.
Wir haben den Vertretern der Staatsorgane in vielen Fällen Hilfen zu verdanken, auch in solchen, in denen unsere eigene Schwäche leicht gegen uns hätte benutzt werden können. Den Mitarbeitern im Staatssekretariat z. B. Doppelgesichtigkeit zu unterstellen, wäre unwahrhaftig. Schwierigkeiten entstehen mitunter dadurch, dass die Staatsvertreter, denen wir begegnen, klare Grenzen ihres Mandates haben. Was unsere Gespräche mit den genannten Vertretern unserer Regierung wert sind, würden wir dann bemerken, wenn sie eines Tages wieder wegfielen.
6. Ich möchte jetzt ein Wort zu dem Friedenszeugnis von Vancouver sagen. Das entsprechende, ihnen zugeleitete Dokument über »Frieden und Gerechtigkeit«57 hat ausgesprochen, dass Christen es ablehnen sollten, sich an einem kriegerischen Konflikt zu beteiligen, bei dem Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden. – Die Vollversammlung hat aber auch (das steht wenige Zeilen zuvor in dem Dokument) angenommen: »Wir bitten die Kirchen, ihre Regierungen dringend aufzufordern, das Recht zur Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissensgründen anzuerkennen und die Möglichkeiten für einen gewaltfreien Ersatzdienst zu schaffen.« – Nach meiner Überzeugung sind nur die beiden Vancouver-Äußerungen zusammen christlich. Zu unserem Reden von der Unverantwortbarkeit eines atomaren Krieges gehört für die Kirchen gleichzeitig das Ringen, diejenigen Menschen, die es betrifft, (die also entweder bestraft oder im Kriegsfalle wohl gar exekutiert werden und die wahrscheinlich nicht, z. B. unter uns in dieser Synode sitzen) durch das Recht auf Wehrdienstverweigerung zu schützen. Die Kirche darf nicht das eine sagen, ohne das andere zu tun.
7. Professor Hertzsch hat in der Andacht zu Beginn der Synode davon gesprochen, dass wir die Zeichen der Zeit als Gemeinde deuten müssen. – Die Zeichen der Zeit deutlich, ja eindeutig deuten, schließt die Proklamation der Hoffnung ein, der Hoffnung auf die bewahrende und führende Kraft Gottes und auf den »Sieg des Lammes«. Zum Deuten der Zeichen der Zeit gehören die nüchterne Analyse und der deutliche Protest; für uns Christen aber unabdingbar auch die Proklamation unserer Glaubenshoffnung. Vancouver haben uns gerade die Delegierten aus leidenden Kirchen, – aus Südafrika, Südkorea und dem Libanon – daran erinnert.
Anlage 2 zur Information Nr. 313/83
Stellungnahme zum Bericht der Konferenz der Kirchenleitungen Teil 2 – Friedensverantwortung –
3. Tagung der 4. Synode des | Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR | 16. bis 20.9.1983 in Potsdam-Hermannswerder
Die Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen hat in ihrem Bericht den Fragen des Friedenszeugnisses der Kirche wiederum breiten Raum gegeben. Die Synode hält diese Entscheidung zum gegenwärtigen Zeitpunkt für angemessen, weil damit vielfältige Sorgen und Bemühungen aus den Gemeinden aufgenommen werden. Zahlreiche Eingaben von Einzelnen und von Gruppen zu Fragen des Friedens zeigen, dass große Erwartungen an die Synode gerichtet werden. Die Synode ist sich dessen bewusst, dass sie ihnen nicht im vollen Umfang entsprechen kann. Andererseits hält sie es für wichtig, dass das Gespräch über weiterführende Schritte nicht auf kirchenleitende Gremien beschränkt geblieben ist, sondern dass die Gemeinden sich daran beteiligen.
In der ökumenischen Diskussion ist die Überzeugung gewachsen, dass die Kirchen ihre Anstrengungen verstärken müssen, »zu einem gemeinsamen Zeugnis in einer gespaltenen Welt zu finden, sich mit neuer Kraft den Bedrohungen für den Frieden und das Überleben entgegenzustellen und sich für Gerechtigkeit und Menschenwürde einzusetzen« (6. Vollversammlung des ÖRK in Vancouver: Erklärung zu Frieden und Gerechtigkeit, Nr. 24a).58
Wir kommen dem Aufruf der 6. Vollversammlung des ÖRK nach und erklären, »dass sowohl die Herstellung und Stationierung als auch der Einsatz von Atomwaffen ein Verbrechen gegen die Menschheit darstellen und dass ein solches Vorgehen aus ethischer und theologischer Sicht verurteilt werden muss«.
Dieses Urteil trifft ein Denk- und Verhaltenssystem, in das wir alle eingebunden und an dem wir mitschuldig sind. Unsere Treue zum Evangelium und unser christlicher Gehorsam zwingen uns zur Umkehr und zum Dienst am Leben.
Mit der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen nehmen wir die Feststellung der Bundessynode von Halle 1982 auf, dass die Absage an Geist und Logik der Abschreckung unumgänglich ist.59
Diese Absage sprechen wir im Gehorsam gegen Christus aus. Wir sind uns noch nicht über alle Konsequenzen klar, die das für uns haben wird. Wir wollen aber intensiv darüber nachdenken. Deutlich ist schon jetzt, dass dies mit dem Bekenntnis beginnen muss, wie gering unsere eigene Friedensfähigkeit ist. Wichtig wird sein, dass uns die Augen geöffnet werden für die Friedensbedürftigkeit und Friedensfähigkeit des anderen. Wir haben die Hoffnung, dass dies zu persönlichen Schritten führen kann, die unser Leben verändern.
Wir hoffen, dass diese Absage Bewegungsraum für eine Politik erschließt, die uns schrittweise aus den Zwängen des Abschreckungssystems herausführt und ein auf Gerechtigkeit gegründetes System gemeinsamer Sicherheit zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd möglich macht.
Heute gegebene Chancen, das Konzept der gemeinsamen Sicherheit in konkrete, politisch realisierbare Schritte zu überführen, sehen wir darin,
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ein Abkommen abzuschließen über das Einfrieren der Erprobung, Herstellung und Stationierung von Kernwaffen und ihrer Trägersysteme auf den gegenwärtigen Stand (Nuclear Freeze),60
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die von der UNO in Gang gesetzte Weltabrüstungskampagne aufzunehmen und auch in unserem Land zur Geltung zu bringen,61
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unsere Regierung zu bitten, dass sie sich an der Ausarbeitung eines völkerrechtlichen Instruments beteiligt, »mit dem sowohl der Besitz, als auch der Einsatz von Atomwaffen als Verbrechen gegen die Menschheit geächtet werden kann« (Vancouver: Erklärung zu Frieden und Gerechtigkeit Nr. 25),62
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unsere Regierung zu bitten, dass sie innerhalb des Warschauer Vertrages63 darauf hinwirkt, dass keine atomaren Kurzstreckenraketen auf dem Gebiet der DDR stationiert werden, weder während der noch laufenden Genfer Verhandlungen64 noch zu einem späteren Zeitpunkt,
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unsere Regierung zu bitten, das Schlussdokument des Madrider KSZE-Folgetreffens (September 1983)65 in all seinen Teilen anzuwenden und so Vertrauen und Zusammenarbeit mit dem Ziel gemeinsamer Sicherheit zu fördern,
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unsere Regierung zu bitten, im Spielraum bestehender Verträge mehr als bisher Reisen zwischen den beiden deutschen Staaten zu ermöglichen, weil persönliche Begegnungen gegenseitig Angst abbauen und den Frieden fördern.
Gemeinsame Sicherheit wird gefördert, wenn Bemühungen um Frieden zwischen den Staaten durch einen friedensfördernden Umgang miteinander im eigenen Land ergänzt werde. Dazu gehört, dass bürokratische und harte Behandlung von Staatsbürgern weiter abgebaut und Begründungen für ablehnende Entscheidungen nicht verweigert werden, und dass durch einen breiten Informationsfluss zu verantwortlicher Mitarbeit ermutigt wird.
Als Kirche können wir niemand um solche Bemühungen bitten, ohne im eigenen Bereich Umgangsformen einzuüben, die auf Partnerschaft und gegenseitiges Vertrauen gerichtet sind.
An dem Gespräch über konkrete politische Schritte zur Sicherheitspartnerschaft müssen die beiden deutschen Staaten besonderes Interesse haben, weil sie sich in einem Brennpunkt des gegenwärtigen Systems nuklearer Abschreckung befinden.
Wir bitten die Regierung in beiden deutschen Staaten, die in Bezug auf Artikel des Grundlagenvertrages vereinbarten Konsultationen über Fragen der militärischen Sicherheit im Sinne des Konzeptes der gemeinsamen Sicherheit in Gang zu setzen.66
Was wir als Kirche zur Verwirklichung von Sicherheitspartnerschaft beitragen können, wollen wir mit den uns gegebenen Möglichkeiten versuchen.
Unsere Absage an das System der Abschreckung muss in unserem Denken und Verhalten konkret und anschaubar werden. Wir sehen in folgenden Richtungen Ansätze und Aufgaben für einen Bewusstseinswandel.
Durch Erziehung und historische Erfahrung sind uns die Prinzipien der Selbstbehauptung und Vergeltung tief eingeprägt. Weil es überlebensnotwendig geworden ist, Sicherheit nicht mehr gegeneinander, sondern miteinander zu suchen, kommt es heute darauf an, im Feind oder Gegner den Partner zu entdecken. Der Gedanke der gemeinsamen Sicherheit muss deshalb in der Friedenserziehung Gestalt gewinnen. Das bedeutet unter anderem,
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den Gedanken der gemeinsamen Sicherheit zum Thema des Gespräches über den Frieden in den Gemeinden zu machen,
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das Verständnis für politische Entwicklungen und den Sinn für das jetzt politische Mögliche zu fördern,
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innerhalb der politischen Bildung und Erziehung für gewaltfreie Konfliktlösungen einzutreten und sie einzuüben,
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die Kenntnis vom anderen, von seiner Art zu leben, seinen Bindungen und Interessen zu verbessern und zu vertiefen,
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Kontakte zwischen Einzelnen und Gemeinden aus den beiden politischen Systemen zu unterstützen,
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die besondere Friedensverpflichtung der Deutschen in Ost und West bewusst zu machen und
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die alljährliche Friedensdekade als eine Möglichkeit zu nutzen, Menschen verschiedener Generationen, politischer Positionen und Weltanschauungen zusammenzuführen.
Die Sehnsucht nach Frieden macht schöpferisch. Viele Menschen versuchen mit spontanen Aktionen, ungewöhnlichen Ideen und in vielfältigen Zeichenhandlungen die heute nötige Umkehr deutlich zu machen und zu vollziehen.
Beispiele dafür sind:
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neue Formen des Friedensgebetes,
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Fasten- und Schweigeübungen,
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Friedenswerkstätten, Friedensfeste und Friedensspiele,
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Friedensbriefe zwischen Bürgern verschiedener Länder,
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Aktionen, die auf gerechtes Teilen gerichtet sind.
Bei alledem bleibt die kritische Rückfrage nötig, ob die beschrittenen Wege und die angewandten Mittel auf dem Weg den Frieden weiterführen. Ungewöhnliche Ideen und spontane Aktionen können wichtige Denkanstöße sein, Lernschritte auf dem Weg zum Frieden darstellen und überzeugend Friedensbereitschaft deutlich machen. Sie sind aber auch in der Gefahr, missverstanden und missbraucht zu werden. Deshalb sollten Wirkung und Folgen bei solchen Vorhaben mit bedacht werden.
Die Synode unterstreicht die Aussage der Konferenz der Kirchenleitungen, dass es gilt, »wach zu sein für Zeichen und Zeugnisse der Bewusstseinsänderung, sie festzuhalten und darauf aufzubauen«.
Das Nein zur Praxis der Abschreckung schließt für uns die in Vancouver formulierte Überzeugung ein, »dass Christen Zeugnis davon ablegen sollten, dass sie es ablehnen, sich an einem Konflikt zu beteiligen, bei dem Massenvernichtungswaffen oder andere Waffen, die wahllos alles zerstören, eingesetzt werden« (Dokument »Frieden und Gerechtigkeit«, Nr. 26).67
Wir unterstreichen mit gleichem Gewicht die Bitte der Vollversammlung an die Kirchen, »… ihre Regierungen dringend aufzufordern, das Recht zur Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissensgründen anzuerkennen und die Möglichkeit für einen gewaltfreien Ersatzdienst zu schaffen« (ebenda, Nr. 25).
Für viele junge Christen in unserem Land findet ihr Friedenswille in der Überzeugung Ausdruck, den Dienst mit der Waffe aus Gewissensgründen ablehnen zu müssen. Sie sind bereit, entweder in den Bau-Einheiten68 Dienst zu tun oder die Konsequenzen für eine totale Wehrdienstverweigerung zu tragen.
Solches Zeugnis will die Menschen zum Nachdenken über eine neue Sicherheitspolitik angesichts der Spannungen in unserer vielfältig gespaltenen Welt anregen. Die Synode erkennt eine solche Entscheidung als Zeugnis des Glaubensgehorsams an. Sie stellt sich zu allen, die eine solche Entscheidung aus Gewissensgründen treffen.
Die Synode weiß, dass viele andere junge Christen den Wehrdienst in den bewaffneten Einheiten der Nationalen Volksarmee ableisten und bemüht sind, diesen Weg in der Bindung an ihren Glauben und die Gemeinschaft der Kirche zu gehen. Die Synode bittet die Gliedkirchen, mit solchen Gliedern ihrer Gemeinden Verbindung zu halten.
Die Synode bittet dringend alle Gemeinden, für die, die Wehrdienst ableisten oder verweigern, in der Fürbitte nicht nachzulassen. Unterschiedliche Entscheidungen in dieser Frage dürfen uns nicht trennen; sie binden uns vielmehr in die Gemeinschaft derer ein, die auf dem Wege zu einem gemeinsam verantworteten Friedenszeugnis der Christen unterwegs sind.
Um den gestiegenen Erwartungen von Einzelnen und Gemeindegruppen an die kirchliche Friedensarbeit besser entsprechen zu können, bittet die Synode die Konferenz und die Gliedkirchen, die materiellen und personellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Beratung und Begleitung von Einzelnen und Gruppen gewährleistet wird.