Aktivitäten feindlich-negativer Kräfte, Jahrestag Hiroshima
28. Juli 1983
Information Nr. 258/83 über geplante Aktivitäten feindlich-negativer Kräfte anlässlich des Jahrestages des Atombombenabwurfes auf Hiroshima am 6./7. August 1983
Dem MfS wurde streng internen Hinweisen zufolge bekannt, dass kirchliche und andere feindlich-negative Kräfte aus den Bezirken Gera, Halle, Schwerin, Neubrandenburg, Frankfurt/O. sowie aus der Hauptstadt Berlin beabsichtigen, anlässlich des Jahrestages des Atombombenabwurfs auf Hiroshima demonstrativ-provokatorisch öffentlichkeitswirksam zu werden.
Im Einzelnen liegen dazu folgende Hinweise vor:
Bezirk Gera
Die dem MfS durch ihre feindlich-negative Grundeinstellung zur DDR bekannten Personen aus Jena, Friedrich, Andreas1 (26), Heizer in der psychologischen Erziehungsberatungsstelle des Bezirkes Gera (Kontakte zu Fuchs2 (Westberlin) sowie zu aus Jena in die BRD übersiedelten Personen, Verfasser bzw. Unterzeichner von »Protestbriefen«, Organisator der »Schweigeaktionen« am 14.11. und 24.12.1982 in Jena,3 u. a.), und Hahn, Carsten4 (23), Hilfspfleger im Pflegeheim »Käthe Kollwitz« Jena, (Mitunterzeichner von »Protestbriefen«, Kontakte zu aus Jena in die BRD übersiedelten Personen), stellten im Namen einer »Friedensgemeinschaft Jena«5 beim Volkspolizeikreisamt Jena den schriftlichen Antrag, am 6.8.1983 im Zeitraum von 14.00 bis 14.30 Uhr für fünf Minuten mit ca. 100 Gleichgesinnten unter Mitführung selbstgefertigter Plakate eine »Gedenkveranstaltung« auf dem Platz der Kosmonauten durchzuführen.6
Der vorliegende Antrag wurde von den zuständigen Organen der Deutschen Volkspolizei zurückgewiesen, weil eine derartige Vereinigung in der DDR entsprechend der »Verordnung über die Gründung und Tätigkeit der Vereinigungen« vom November 19757 nicht existiert und folglich nicht rechtsfähig ist. Daraufhin gab Friedrich an, diese »Veranstaltung« auf privater Basis durchführen zu wollen. Der Ablauf der »Veranstaltung« sei in der Form geplant, dass die Teilnehmer fünf Minuten schweigend verharren, wobei zwei Transparente 80 × 80 cm mit den Losungen: »Protest gegen den Atombombenabwurf auf Hiroshima« und »Wir wollen kein Euroshima« gezeigt werden sollen.
Der Aufforderung zur Vorlage einer Teilnehmerliste kam Friedrich nach und teilte inzwischen 83 Namen von Teilnehmern mit. Überprüfungen ergaben, dass sich unter diesen Teilnehmern Personen befinden, die dem MfS aufgrund ihres feindlich-negativen Verhaltens aus der Vergangenheit bekannt sind (u. a. Rub,8 Wendler,9 Schäfer10). Außerdem haben 32 Personen (von den 83 gemeldeten Teilnehmern) rechtswidrige Übersiedlungsersuchen gestellt.11 Unter diesen 32 befinden sich 24 Personen, die dem MfS gleichzeitig durch ihre Teilnahme an den sogenannten Schweigeaktionen sonnabends auf dem Platz der Kosmonauten in Jena bekannt sind.12
In einem Gespräch am 26.7.1983 im Volkspolizeikreisamt Jena wurde dem Friedrich die Zurückweisung des Antrages für die auf privater Basis geplanten Veranstaltung mitgeteilt, wobei die Empfehlung ausgesprochen wurde, sich diszipliniert an staatlichen oder gesellschaftlichen Veranstaltungen zu beteiligen. Das Auftreten des Friedrich war betont ruhig und höflich. Friedrich entgegnete u. a., er wolle keine Konfrontation mit den staatlichen Behörden, durch die Reaktion der staatlichen Stellen könne es jedoch zur Konfrontation kommen; alle gemeldeten Teilnehmer an der geplanten Aktion hätten persönliche Motive der Friedenserhaltung und keine staatsfeindlichen für ihre Teilnahme und würden eine Ablehnung nicht verstehen; er würde das Beschwerderecht über diese Entscheidung in Anspruch nehmen.
Im Zusammenwirken mit den staatlichen Organen und gesellschaftlichen Kräften wurden differenzierte Maßnahmen zur weiteren Aufklärung und Kontrolle sowie zur Verhinderung dieser demonstrativ-provokatorischen Aktion eingeleitet.
Hauptstadt Berlin
Am 6.8.1983 von 7.00 bis 22.00 Uhr soll in der Erlöserkirche Berlin eine Aktion »Fasten für den Frieden« bzw. »Fasten für das Leben«13 durchgeführt werden.
An der Vorbereitung dieser Veranstaltung ist maßgeblich der Personenkreis um den hinlänglich bekannten Stadtjugendpfarrer Passauer14 (Hauptstadt Berlin) beteiligt. Außerdem will sich die ESG Berlin für die Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung engagieren.
Vorliegenden Hinweisen zufolge würden Personen aus dem kapitalistischen Ausland an der Aktion teilnehmen.
Außerdem habe der mehrfach politisch-negativ in Erscheinung getretene Pfarrer Linke,15 Neuenhagen (Bezirk Frankfurt/O.), mit ausgewählten Mitgliedern seiner Kirchengemeinde die Teilnahme an dieser Aktion zugesagt.
Bezirk Halle
Am 6.8.1983, ab 7.00 Uhr bis 7.8.1983, mittags, soll in der Marktkirche Halle eine Aktion »Fasten für den Frieden« stattfinden.16
Organisator dieser Aktion ist Günther, Christel,17 Theologiestudentin, die angab, diese Aktion habe das Ziel, die USA-Regierung zum Verzicht auf die Stationierung der Raketen in Westeuropa, die UdSSR zum Verzicht auf den Bau und die Stationierung der SS-20-Raketen zu bewegen und ein generelles Verbot der Atomwaffentests zu erreichen.18
Die Aktion solle – nach Meinung der Günther – auf die ganze DDR ausgedehnt werden. Grundlage dafür sei ein Appell der Aktion »Hungern nach Abrüstung – Fasten für das Leben«,19 die in verschiedenen Staaten der Erde Anfang August 1983 durchgeführt wird.
Bezirk Schwerin
Vom 29.7. bis 8.8.1983 findet (als Tradition) die »Mecklenburger Friedenswanderung«20 im Zeichen des Jahrestages des Atombombenabwurfes als Sternmarsch nach Teterow statt.
Als Hauptwandergruppen wurden bekannt:
Wandergruppe aus Schwerin mit ca. 35 Personen sowie zwölf Niederländern, drei Belgiern, zwei BRD-Bürgern; Organisator: Landesjugendpfarramt in Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Pastor Lietz, Heiko21 (Güstrow), und Wandergruppe Gadebusch/Mühlen mit ca. 40 Personen und Vertretern aus Frankreich, Niederlande, BRD und der VR Ungarn; Organisator: Pastorin Rödl, Ingelore22 (Güstrow).
Vorgesehen ist ein Zusammentreffen der Gruppen in Schwerin und die gemeinsame Durchführung eines »Friedensseminars« und eines Gottesdienstes am 6.8.1983 in Schwerin.
Bezirk Neubrandenburg
Am 30.7.1983 treffen sich drei Gruppen der kirchlich gebundenen Wandergruppe Vipperow (überwiegend Angehörige kirchlicher »Friedenskreise«) in den Gemeinden Strasen, Kreis Neustrelitz, Vipperow, Kreis Röbel, Levin, Kreis Malchin (jeweils ca. 15 Personen), um ab 4.8.1983 unter Beteiligung von Vertretern des »Friedenskreises« Berlin-Pankow23 (darunter die dem MfS als feindlich-negativ bekannten kirchlich gebundenen Personen Utpatel, Henning24 und Misselwitz, Ruth25) nach Teterow zu wandern, wo in der Kirche vom 5. bis 7.8.1983 Treffen, Gedenkgottesdienste und ein »Friedensseminar« stattfinden werden.
Daran sollen außerdem ca. acht Bürger aus den Niederlanden und drei aus der BRD teilnehmen und Bürger aus Teterow eingeladen werden. In Übernachtungsorten werden öffentliche Gemeindeabende durchgeführt.
Bezirk Karl-Marx-Stadt
Am 6.8.1983 werden in der Petri- oder Johannes-Kirche in Karl-Marx-Stadt Gottesdienste mit Gedenkminuten zu den Themen:
»Rüstung und die 3. Welt«, »Nachrüstung in Westeuropa«, »Hiroshima« durchgeführt. Organisator ist der sogenannte »Montagskreis«26 unter Leitung des Diakons Fischer, Christoph27 und [Name, Vorname].
In allen betreffenden Bezirken und Territorien wurden Maßnahmen eingeleitet, diese Vorhaben weiter aufzuklären und im Zusammenwirken mit den zuständigen staatlichen Organen und gesellschaftlichen Kräften die geplanten Aktionen entweder abzusetzen, so zu beeinflussen, dass ein störungsfreier Verlauf gewährleistet wird oder auf eindeutig religiöse Handlungen zu reduzieren.
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