Ausschuss »Kirche und Gesellschaft«
15. Februar 1983
Information Nr. 56/83 über die Tagung des Ausschusses »Kirche und Gesellschaft« des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR vom 28. bis 30. Januar 1983 in Potsdam-Hermannswerder
In der Zeit vom 28. bis 30. Januar 1983 fand in der Hoffbauer-Stiftung, Potsdam-Hermannswerder, eine Tagung des Ausschusses »Kirche und Gesellschaft« des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR unter dem Thema »Die Zukunft des Friedens« statt.
An der Tagung, die unter der Leitung des Vorsitzenden des Ausschusses »Kirche und Gesellschaft«, Propst Dr. Heino Falcke1/Erfurt, stattfand, nahmen ca. 70 Personen aus den Landeskirchen und kirchlichen Einrichtungen der DDR teil, darunter die Bischöfe Forck2/Berlin, Rathke3/Schwerin, Härtel4/Dresden (Evangelisch-methodistische Kirche in der DDR), Altbischof Schönherr5 und Dr. Demke,6 Leiter des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR. Als ökumenischer Gast war der Vertreter des Nationalen Christenrates der USA, Pfarrer Yerkes7/Berlin (West), anwesend.
Westliche Pressevertreter nahmen nicht teil.
Schwerpunkte der Tagung bildeten das Hauptreferat von Dr. Joachim Garstecki8/Berlin von der Theologischen Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, Referat Friedensdienst, ein Podiumsgespräch unter der Leitung von Pfarrer Kramer9/Magdeburg, Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen sowie ein Erfahrungsaustausch über Fragen einer engeren Zusammenarbeit von Kirchenleitungen und Kirchengemeinden.
Das Verhalten und Auftreten kirchenleitender Kräfte machte ihr Bestreben deutlich, keine Konfrontation zwischen Staat und Kirche zuzulassen.
Durch die Mehrzahl der Tagungsteilnehmer wurde die Friedenspolitik der DDR positiv bewertet. Besonders wurden die Reaktionen der Regierungen der UdSSR und der DDR auf den Vorschlag der schwedischen Regierung10 und die in der politischen Deklaration der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages11 enthaltenen Abrüstungsvorschläge begrüßt.
Während der Tagung wurde aber auch deutlich, dass feindlich-negative Kräfte der kirchlichen Basis versuchten, ihren Druck gegenüber den Kirchenleitungen zu verstärken.
Insbesondere wurden von ihnen Vorschläge für die Einrichtung von »Konsultationspunkten« zur »Ermutigung und Unterstützung« von sogenannten Basisgruppen,12 die als »neue soziale Friedensträger« bezeichnet wurden, unterbreitet bzw. derartigen Vorschlägen zugestimmt.
Von Bedeutung ist besonders das Auftreten nachfolgend genannter Personen, die mit politisch-negativen Vorschlägen, Forderungen bzw. Formulierungen während der Tagung in Erscheinung traten.
Der Vertreter der Theologischen Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen der DDR, Garstecki, nahm in seinem Referat zu solchen Personen und Personengruppen Stellung, die im Rahmen sogenannter Friedenskreise tätig sind, und bezeichnete diese als »neue soziale Friedensträger«.
Er unterbreitete den Teilnehmern der Tagung folgende Vorschläge:
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Den »neuen sozialen Friedensträgern« müsste größere Flexibilität eingeräumt werden; sie sollten in ihren Aktivitäten durch ihre Kirchenleitungen ermutigt sowie auf gesamtkirchlicher Ebene durch eine Praxisberatungsstelle mit Möglichkeiten des Austausches von Informationen und Impulsen unterstützt werden.
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Die Kirchen beider deutscher Staaten sollten auf dem Hintergrund weltweiter Bedrohung endlich gemeinsam handeln. Der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR sollte gebeten werden, »in Friedensfragen« mit der »Evangelischen Kirche in Deutschland« (EKD/BRD) gemeinsam abgestimmte Positionen zu finden und auf dieser Grundlage Gespräche mit der jeweiligen Regierung zu suchen.
Ein durch Garstecki weiterhin unterbreiteter Vorschlag, eine kirchliche »Beratungsstelle für Friedensfragen« einzurichten und der kirchlichen »Frauen-Friedensbewegung« mehr Aufmerksamkeit zu schenken, fand z. T. Zustimmung bei Tagungsteilnehmern.
Der Leiter des Arbeitskreises »Frieden« in Berlin-Pankow, Dr. Misselwitz,13 verlas eine »Erklärung« des »Pankower Friedenskreises«.14 Die Erklärung war von Pfarrer Eppelmann15/Berlin, Pastorin Sengespeick16/Berlin, Pastorin Misselwitz, Ruth17/Berlin-Pankow und Pastorin Günther18/Berlin unterzeichnet worden und beinhaltet nach bisher noch unvollständig vorliegenden internen Informationen u. a. folgende Formulierungen:
»Auf dieser Tagung ist – entgegen der in der Einladung formulierten Absicht eines Gespräches zwischen unterschiedlich Engagierten – die Basis überhaupt nicht vertreten. Es sind keine Einladungen an die echt Engagierten erfolgt, die unmittelbar Betroffenen fehlten. Deshalb sei angefragt, inwieweit auf dieser Tagung überhaupt die Arbeit der aktiven Friedenskreise in der DDR berücksichtigt werde. Deshalb habe diese Tagung eine ganz wichtige Möglichkeit vergeben, nämlich Vertrauen zu schaffen zwischen Kirche und Basis, das immer weiter am Schwinden sei.«
(Maßnahmen zur Beschaffung des Wortlautes dieser »Erklärung« wurden eingeleitet.)
Diese »Erklärung« wurde von den feindlich-negativen Kräften Lietz19/Güstrow, Bindemann20/Rostock, Stauss21/Magdeburg und Bretschneider22/Dresden mit Beifall unterstützt.
Durch Bischof Forck/Berlin, Dr. Demke/Berlin und Dr. Falcke/Erfurt wurde der Inhalt dieser Erklärung als »Unterstellung« zurückgewiesen. Bischof Forck/Berlin zeigte Bestürzung darüber, dass sich Pfarrer Eppelmann wieder in »Szene« gesetzt habe.
Der ehemalige Pfarrer Heiko Lietz/Güstrow, Angehöriger des »Friedenskreises Kessin«,23 unterstrich die Notwendigkeit einer kirchlichen Integration der sogenannten Basisgruppen und äußerte in diesem Zusammenhang, »dass die Kirchenleitungen sich zu sehr von den Ängsten der Regierung infizieren lassen, was bei der Frage der ›SoFd-Gruppen‹24 deutlich wurde«.
Pfarrer Stauss/Magdeburg erklärte in der Diskussion, zentrale Beratungszentren und andere in Erwägung gezogene ähnliche Gremien würden die Arbeit an der kirchlichen Basis nicht unmittelbar weiterbringen. Er halte stattdessen »den Einsatz anarchistischer Gruppen zur Forcierung der kirchlichen Basisarbeit« für wirksamer.
In einem anderen Zusammenhang betonte Stauss, dass die offizielle Bereitschaft der DDR, ihr Territorium im Falle einer kernwaffenfreien Zone in Mitteleuropa zur Verfügung zu stellen, zu wenig sei. Die DDR müsse mehr tun.
Landesjugendpfarrer Bretschneider/Dresden berichtete über die Friedensdekade 1982 und vertrat die Auffassung, dass »besonders bei der jüngeren Generation eine Verdrossenheit bzw. Verärgerung eingetreten ist, da keine Aufarbeitung zur Aufnäherfrage sowie des diesbezüglichen Beschlusses der Bundessynode (Halle 1982) vorgenommen wurde. Trotzdem ist der Wunsch nach einer dritten Friedensdekade vorhanden.« Bretschneider schätzte die Öffentlichkeitswirksamkeit der Friedensdekade 1982 im Vergleich zu den vorangegangenen als rückläufig ein, mit Ausnahme des Bereiches der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg.25
Bretschneider betonte weiter, neu zu überdenken seien Fragen eines gewaltlosen Widerstandes und Motivationen für die Friedensdekade 1983.26 Darin wurde er von Propst Falcke/Erfurt unterstützt.
Während der Podiumsdiskussion verwies Bischof Rathke/Schwerin auf »Informationsdefizite« in unserer Gesellschaft. Er könne die Prager Deklaration nur verstehen, wenn er aufgeklärt sei und die Sicherheit habe, dass alles »Geschriebene« stimme. Dieses Wissen könne er nicht erlangen.
In den Diskussionen wurden von loyalen und positiven kirchlichen Kräften u. a. folgende Positionen bezogen:
Oberkirchenrätin Christa Lewek27/Berlin vertrat – insbesondere bezogen auf den Diskussionsbeitrag des Pfarrers Stauss – die Meinung, die Regierung der DDR habe hinsichtlich der Erhaltung des Friedens bisher getan, was sie tun konnte. Das Angebot der Regierung der DDR zum Vorschlag der Regierung Schwedens wäre ein echter und hilfreicher Friedensbeitrag.
In einem durch Superintendent Esselbach28/Neuruppin erarbeiteten Vorschlag heißt es:
»Die Teilnehmer der Tagung begrüßen die staatliche Bereitschaft, das Territorium der DDR zur Verfügung zu stellen im Falle einer kernwaffenfreien Zone in Mitteleuropa. Die Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR wird gebeten, dies zu unterstützen.«
Dieser Vorschlag wurde von Propst Falcke/Erfurt unterstützt und als Antrag in die Tagung eingebracht.
Die Tagung beschloss, diesen Vorschlag an die Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen weiterzuleiten, verbunden mit der Aufforderung, ein »Wort« zu verfassen, in dem die echten Friedensbeiträge, wie die Initiative Schwedens; die Haltungen der UdSSR und der DDR zu der Initiative Schwedens; die Gewaltverzichtsangebote der sozialistischen Staaten, gewürdigt werden.
Auf Anregung von Garstecki beschloss die Tagung, einen Vorschlag an die Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR zur Einrichtung einer »Beratungsstelle für Begegnungen mit den neuen sozialen Friedensträgern« durch die Kirche in der DDR zu übergeben.
Zur kirchlichen Jugendarbeit vertraten u. a. Dr. Demke/Berlin, Pfarrer Raßmann29/Benneckenstein und Carl Ordnung30/»Christliche Friedenskonferenz« die Auffassung, dass die sogenannten Randgruppen nur dann Basis der Kirche sein könnten, wenn sie sich für die Bibel gewinnen lassen. Die Kirche sei kein »Rummelplatz für reaktionäre Gruppen«. Carl Ordnung würdigte den Kampf der »Christlichen Friedenskonferenz«31 gegen die Militarisierung und kritisierte die ablehnende Haltung der evangelischen Kirche zur CFK.
Entgegen seines bisherigen Auftretens erklärte der als negativ bekannte Superintendent Siebert32/Jena auf eine Anfrage zur Verhaftung kirchlich gebundener Jugendlicher,33 dass die in der Westpresse zitierten Jugendlichen und auch die inzwischen in die BRD übergesiedelten Jugendlichen nur von sich selbst behaupten, dass sie Christen seien. Das stimme jedoch nicht, in Wirklichkeit seien dies Leute aus der »Biermann-Szene« von 1976.34 Eine neue Tendenz sei jedoch, dass sich viele derartige Jugendliche jetzt taufen lassen, um sich als Christen ausgeben zu können.
Altbischof Schönherr/Berlin hielt während der Tagung einen Gottesdienst. Er ging dabei auf den 50. Jahrestag der Machtergreifung des Faschismus ein und bezeichnete Hitler als den Führer der Verführten. Er verstehe es als Auftrag der Kirche, dass sie »aufpassen« müsste, dass Führerpersönlichkeiten keine Verführer werden.
Unter Hinweis darauf, dass sich die Kirche durch ihr Schweigen in der Zeit des Faschismus schuldig an den Nachbarvölkern gemacht habe, leite er die Verpflichtung der Kirche ab, ihre Umwelt kritisch zu beobachten, um eine Wiederholung dieser Dinge zu verhindern.
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