Beachtenswerte Aspekte, vorgesehenes Gespräch mit Grünen

Erich Honecker, Jg. 1912, SED-Funktionär, 1958–89 Mitglied des Politbüros, seit 1971 Erster Sekretär, seit 1976 Generalsekretär der SED, 1971–89 Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates, 1976–89 Vorsitzender des Staatsrates.

Auslöser des Treffens war eine Protestaktion der Grünen-Politiker Lukas Beckmann, Petra Kelly, Gert Bastian, Roland Vogt und Gabriele Potthast am 12.5.1983 auf dem Alexanderplatz. Sie enthüllten zwei Transparente mit den Aufschriften »Die Grünen – Schwerter zu Pflugscharen« und »Die Grünen – Jetzt anfangen: Abrüstung in Ost und West«, um für eine grenzüberschreitende Abrüstung zu demonstrieren und die unabhängige Friedensbewegung in der DDR zu unterstützen. Die spontane Kundgebung war eine Reaktion auf einen Beschluss der zeitgleich tagenden zweiten internationalen »Konferenz für Europäische Atomare Abrüstung« in Westberlin, die am Vortag zwar ein Treffen mit Vertretern der unabhängigen Friedensbewegung arrangiert hatte, dabei aber ausdrücklich auf jede öffentlichkeitswirksame Aktion verzichtete. Nachdem die fünf Grünen-Politiker kurz nach Beginn der Aktion ins Polizeipräsidium am Alexanderplatz abgeführt worden waren, forderten Kelly, Beckmann und Vogt von Vertretern der Volkspolizei und des MfS mit Nachdruck die persönliche Übergabe einer Erklärung an Erich Honecker mit der Aufforderung, sich entschieden für Abrüstung einzusetzen. Am Ende durften sie zum Gebäude des Staatsratsvorsitzenden fahren, wo sie dem Leiter der öffentlichen Sprechstunde des Staatsrates die Erklärung übergaben. Der Antwortbrief Honeckers folgte schon einen Tag später. In seinem Schreiben vom 13.5.1983 bedauerte er, sie »aufgrund anderer Verpflichtungen« nicht empfangen zu haben und lud sie zu einem Gespräch nach Ostberlin ein. Honeckers Reaktion zeigte, dass er großes Interesse hatte, die prominenten Figuren Kelly und Bastian in seine Kampagne gegen die westdeutsche Nachrüstung einzubinden. Gegenüber der westlichen Öffentlichkeit konnte er sich damit auch als konzilianter Gesprächspartner inszenieren. Vgl. Bahr, Andrea; Gieseke, Jens: Die Staatssicherheit und die Grünen. Zwischen SED-Westpolitik und Ost-West-Kontakten. Berlin 2016, S. 48–51. Der Brief und die Erklärung sind abgelegt unter: BArch, DY 30/3404, Bl. 4 f., sie wurden ebenfalls veröffentlicht im ND v. 14.5.1983, S. 1. Vgl. auch Information 176/83.

Petra Kelly, Jg. 1947, Politikerin der Grünen, engagiert in der Friedens- und Antiatombewegung, 1980 Gründungsmitglied der Grünen und Bundesvorstandssprecherin, März 1983 bis 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages, protestierte 1983 auf dem Berliner Alexanderplatz mit einem Plakat »Schwerter zu Pflugscharen«, pflegte enge Kontakte zu DDR-Oppositionellen wie Rainer Eppelmann, Bärbel Bohley sowie Ulrike und Gerd Poppe.

Otto Schily, Jg. 1932, Rechtsanwalt und Grünen/SPD-Politiker, seit 1963 Rechtsanwalt und Strafverteidiger in Westberlin, u. a. von RAF-Mitgliedern: 1971 Horst Mahler, 1975–77 Gudrun Ensslin im »Stammheimer Prozess«. 1980 Mitbegründer der Partei Die Grünen, seit 1982 Mitarbeit im Arbeitskreis für Außenpolitik der Grünen und Mitglied der Arbeitsgruppe Berlin- und Deutschlandpolitik der Alternativen Liste in Westberlin, 1983–86 und 1990–2009 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1983/84 Mitglied des dreiköpfigen Sprecherrates der Grünen (Fraktionsvorstand), November 1989 Wechsel zur SPD, 1998–2005 Bundesminister des Innern.

Gert Bastian, Jg. 1923, Politiker der Grünen und Offizier der Bundeswehr, zuletzt im Rang eines Generalmajors, schloss sich Ende der 1970er-Jahre als Gegner der Stationierung von Mittelstreckenraketen der Friedensbewegung an und zählte zu den Initiatoren des »Krefelder Appells«, seit dieser Zeit Lebensgefährte von Petra Kelly, 1980 Mitbegründer der Partei »Die Grünen«, 1983–87 Mitglied des Bundestages, gewählt über die Landesliste der bayerischen Grünen.

Lukas Beckmann, Jg. 1950, Politiker der Grünen, in den 1970er-Jahren in verschiedenen Umwelt- und Dritte-Welt-Gruppen aktiv, Mitglied von Amnesty International und Teilnehmer der von Joseph Beuys initiierten Freien Internationalen Universität, 1979–84 Bundesgeschäftsführer der Grünen, 1984–87 zusammen mit Jutta Ditfurth und Rainer Trampert Bundesvorstandssprecher der Partei, stand bis 1989 in engem Kontakt mit der DDR-Opposition, 1986 Mit-Initiator der Heinrich-Böll-Stiftung.

Dirk Schneider, Jg. 1939, Politiker der Grünen, Redakteur der linksradikalen Blätter »Radikal« und »Agit 883«, 1978 Gründungsmitglied und Sprecher der Alternativen Liste (AL) in Westberlin, 1979–81 Vorsitzender der AL-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung in Berlin-Kreuzberg, 1983–85 Mitglied des Deutsches Bundestages, hier deutschlandpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, befürwortete eine stärkere Distanzierung von DDR-Oppositionsgruppen und eine Kooperation mit der DDR-Regierung, arbeitete seit 1975 als IM »Ludwig« mit der Staatssicherheit zusammen.

Antje Vollmer, Jg. 1943, evangelische Theologin und Politikerin der Grünen, 1971–74 Pastorin in Berlin-Wedding, 1976–82 Dozentin in der ländlichen Bildungsarbeit an der Evangelischen Heimvolkshochschule bei den Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld, seit März 1983 Abgeordnete des Deutschen Bundestages, Mitglied der ersten Grünenfraktion als parteilose Mandatsträgerin, seit 1985 Mitglied der Partei Die Grünen, zählte zum linken Flügel der Partei.

Gustine Johannsen, Jg. 1908, Grünen-Politikerin, seit 1981 Mitglied der Grünen, bis November 1983 Mitglied des Vorstandes der Grünen, zuvor Mitglied der Partei »Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher«, die sich für ein neutrales, entmilitarisiertes und wiedervereinigtes Deutschland einsetzte.

Ende der 1970er-Jahre entstanden in der DDR eine Reihe unabhängiger Gruppen innerhalb der evangelischen Kirche, die sich mit dem Thema Abrüstung, Friedenspädagogik und internationale Entspannung auseinandersetzten. Der 1977 gegründete Friedenskreis der ESG in Ostberlin machte den Anfang. Bis Mitte der 1980er-Jahre kamen landesweit mehr als 50 dauerhafte Friedenskreise hinzu, die sich ab März 1983 mit der Delegiertenversammlung »Konkret für den Frieden« vernetzten. Zu den zahlreichen Aktionen gehörten u. a. die jährlichen Friedensseminare in Königswalde, die Friedensdekade im November, der Berliner Appell von Rainer Eppelmann und Robert Havemann im Januar 1982, zahlreiche Radsternfahrten und Fastenaktionen sowie die Dresdner Initiative für einen Sozialen Friedensdienst. Das Friedensforum in Dresden im Februar 1982 und die Friedenswerkstatt in Ostberlin im Juli 1983 waren Höhepunkte dieser kirchennahen, aus der Gesellschaft hervorgegangenen Protestbewegung, die vor allem durch die zunehmende Militarisierung des DDR-Bildungswesens seit 1978 (Einführung des Wehrkundeunterrichts) und einer neuen Runde des Wettrüstens mit der Stationierung von Mittelstreckenraketen in Mitteleuropa ausgelöst wurde.

Gemeint ist die Reaktion der NATO im Dezember 1979 auf die schrittweise Modernisierung des sowjetischen Raketenarsenals mit mobilen Mittelstreckenraketen vom Typ SS-20 seit Ende der 70er-Jahre. Zunächst sollte der Versuch unternommen werden, innerhalb von vier Jahren mit der Sowjetunion eine Beschränkung und Kontrolle der eurostrategischen Waffen auszuhandeln. Im Falle eines Scheiterns der Gespräche sollte anschließend das technisch veraltete Mittelstreckenarsenal durch 108 Raketen des Typs Pershing II und 464 bodenständige Marschflugkörper (Cruise Missiles) ersetzt werden. Die Verhandlungen begannen am 17.10. 1980 in Genf. Die USA bot einen Verzicht der Stationierung an, falls die UdSSR alle SS-20 und deren Vorläufer verschrotte. Moskau verlangte hingegen die Liquidierung aller westlichen Kernwaffen mittlerer Reichweite in Europa, ganz besonders der flexibel einsetzbaren Cruise Missiles. Nachdem die Gespräche auch nach mehreren Anläufen keine Ergebnisse brachten, leitete die NATO ab Dezember 1983 die atomare Nachrüstung ein. Bis 1987 wurden die neuen Waffensysteme in Großbritannien, Belgien, Italien und der Bundesrepublik aufgebaut. Die Politik des militärischen Gegendrucks mündete schließlich in der überraschenden Vereinbarung der beiden Supermächte im Dezember 1987, sämtliche Atomraketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5 500 Kilometern zu vernichten und auf den Bau neuer Waffen gleichen Typs zu verzichten. Vgl. Ploetz, Michael: Wie die Sowjetunion den Kalten Krieg verlor. Von der Nachrüstung zum Mauerfall. München 2000, S. 68–78.

Im Rahmen des Häftlingsfreikaufs verzichtete die DDR-Seite bei einzelnen politischen Häftlingen auf einen Teil der Haftzeit und gestattete ihre Übersiedlung in die Bundesrepublik. Im Gegenzug erhielt sie dafür von der Bundesregierung Warenlieferungen oder Geldzahlungen (Devisen). Seit 1962 wurden etwa 33 700 politische Häftlinge von der Bundesregierung freigekauft oder ausgetauscht. Verantwortlich für die Transaktionen waren auf beiden Seiten spezialisierte Rechtsanwälte. Über das Freikaufgeschäft generierte die DDR bis 1989 Devisen-Einnahmen im Wert von 3,4 Milliarden DM. Siehe weiterführend Wölbern, Jan Philipp: Der Häftlingsfreikauf aus der DDR, 1962/63–89. Zwischen Menschenhandel und humanitären Aktionen. Göttingen 2014.

Am 31.10.1983 verzichtete die Grünen-Delegation auf weitere öffentliche Aktionen. Die Staatssicherheit hatte vorsorglich 200 Einsatzkräfte auf dem Alexanderplatz postiert, um eine weitere überraschende Demonstration zu verhindern. Öffentlichkeitswirksam war allerdings der Auftritt Petra Kellys vor der Presse nach dem Gespräch mit Honecker, als sie dem SED-Chef in einem T-Shirt mit dem Symbol der unabhängigen Friedensbewegung »Schwerter zu Pflugscharen« gegenübertrat. Eine Aufnahme davon befindet sich im Archiv Grünes Gedächtnis der Heinrich-Böll-Stiftung.

Uwe Tietz, Jg. 1947, Aufzugsmonteur, Autovermieter und Politiker, seit Anfang der 1970er-Jahre aktives Mitglied der maoistischen Kommunistischen Partei Deutschlands, 1978 Eintritt in die Alternative Liste für Demokratie und Umweltschutz (AL), 1983–85 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin für die AL.

Hans Otto Bräutigam, Jg. 1931, Diplomat, 1982–89 Leiter der Ständigen Vertretung der BRD bei der DDR im Range eines Staatssekretärs des Bundeskanzleramtes.

Rainer Eppelmann, Jg. 1943, evangelischer Theologe, 1966 Verweigerung des Eides als Bausoldat, Verurteilung zu acht Monaten Haft, 1975–89 Pfarrer der Samariter-Gemeinde in Berlin-Friedrichshain, 1979–86 Organisator von Blues-Messen (Gottesdienst mit Konzert) im Rahmen seiner kirchlichen Jugendarbeit, die einen Ausgangspunkt oppositioneller Aktivitäten bildeten, 1982 zusammen mit Robert Havemann Verfasser des »Berliner Appells« (»Frieden schaffen ohne Waffen«) zur Entmilitarisierung beider deutscher Staaten, daraufhin Inhaftierung durch das MfS vom 9. bis 11.2.1982.

Jürgen Fuchs, Jg. 1950, Schriftsteller und Bürgerrechtler, 1971 Beginn eines Psychologiestudiums in Jena, engagierte sich mit Gedichten und Kurzprosa für den Arbeitskreis Literatur und Lyrik von Lutz Rathenow, 1975 Ausschluss aus der SED nach gemeinsamen Auftritten mit Bettina Wegner und Gerulf Pannach, 1975 Zwangsexmatrikulation kurz vor seinem Studienabschluss, anschließend Übersiedlung in das Gartenhaus von Robert Havemann in Grünheide, 1976/77 neunmonatige Inhaftierung in der Untersuchungshaftanstalt des MfS in Hohenschönhausen mit intensiven Verhören, 1977 Zwangsausbürgerung unter Androhung einer langjährigen Haftstrafe, anschließend freischaffender Schriftsteller und Sozialpsychologe in Westberlin, verarbeitete seine Hafterfahrung in seinem Buch »Vernehmungsprotokolle«, pflegte enge Kontakte zur unabhängigen Friedens- und Bürgerrechtsbewegung in der DDR und in Osteuropa, in dieser Zeit Anschlagsversuchen und Manipulationen durch die Staatssicherheit im Rahmen des OV »Opponent« ausgesetzt.

Roland Jahn, Jg. 1953, Bürgerrechtler und Journalist, Aktivist der oppositionellen Szene in Jena, 1977 Exmatrikulation von der Universität Jena wegen seines Protests gegen die Biermann-Ausbürgerung, 1980–82 öffentliche Aktionen für Meinungsfreiheit und zur Unterstützung der polnischen Gewerkschaft Solidarność, ab September 1982 fünfmonatige Untersuchungshaft, im Januar 1983 wegen »öffentlicher Herabwürdigung der staatlichen Ordnung« und »Missachtung staatlicher Symbole« zu 22 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, nach internationalen Protesten vorzeitige Haftentlassung im Februar 1983, anschließend Mitbegründer der Oppositionsgruppe »Friedensgemeinschaft Jena«, am 8.6.1983 gegen seinen Willen ausgebürgert und mit Gewalt in den Westen abgeschoben, anschließend Unterstützung der DDR-Opposition von Westberlin mit Druck- und Filmtechnik und journalistischen Kontakten, seit 1987 freier Journalist u. a. für Radio Glasnost, taz und SFB, produzierte u. a. für das ARD-Magazin »Kontraste« zahlreiche Beiträge zur Opposition und alltäglichen Repression in der DDR, in den 1990er-Jahren in der Aufarbeitung der SED-Diktatur engagiert, seit 2011 Bundesbeauftragter für die Stasiunterlagen.

Gabriele Potthast, Jg. 1955, Lehrerin und Politikerin der Grünen, März 1983 bis April 1985 Mitglied des Deutschen Bundestages und stellv. parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion.

Die seit 1982 praktizierten Friedenswerkstätten waren eintägige kirchliche Großveranstaltungen mit Gottesdiensten, Galerien, Kleinkunstaufführungen, Ausstellungen und Diskussionsforen. Gestaltet wurden sie von kirchlichen Basisgruppen mit ihren Themen Ökologie, Frieden, Abrüstung und Menschenrechte. Überregionale Bedeutung gewann vor allem die Friedenswerkstatt der Berliner Erlöserkirche. Am 3.7.1983 versammelten sich hier zum zweiten Mal über 3 000 Interessenten unter dem Motto »Frieden pflanzen«. Bis 1986 folgten drei weitere Werkstätten, bevor die Kirchenleitung auf Drängen des Staates die Treffen untersagte. Als Protest fanden sich die Aktivisten zum »Kirchentag von Unten« als alternatives Forum zum stark entpolitisierten offiziellen Kirchentag in Berlin zusammen.

Am 6.8.1983 begann anlässlich des Jahrestages des Atombombenabwurfs auf Hiroshima in der Ostberliner Erlöserkirche die Aktion »Wir hungern nach Abrüstung – Fasten für den Frieden«. Der bis zum 12.8.1983 andauernde Hungerstreik fand abgestimmt auch im Haus der Kirche in Westberlin statt. Zu den Teilnehmern in der Erlöserkirche zählten unter anderem Martin Böttger, Bärbel Bohley, Katja Havemann, Martin König und Hans-Jochen Tschiche. Zur selben Zeit gab es ähnliche Veranstaltungen in Bonn, Oakland, Toronto und Paris, die der amerikanische Soziologe und Pazifist Charles Gray initiierte. Das Fasten war eine Aufforderung an die Regierungen der Nuklearmächte, ihre Atomrüstung nicht weiter auszubauen und Atomtests einzustellen.

Im Oktober 1983 organisierte die westdeutsche Friedensbewegung eine Aktionswoche mit Menschenketten, Sitzblockaden und Friedenscamps, um im Vorfeld der Abstimmung des Deutschen Bundestages über den NATO-Doppelbeschluss gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen zu demonstrieren. Der NATO-Doppelbeschluss wurde im Dezember 1979 gefasst, nachdem die Sowjetunion ihre Mittelstreckenraketen in Europa durch moderne SS-20-Rakten ersetzt hatte. Gegenstand der Vereinbarung waren Verhandlungen mit der Sowjetunion über die Abrüstung der Mittelstreckenraketen. Für den Fall, dass diese Gespräche bis Ende 1983 ergebnislos blieben, sollten die USA ihrerseits Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik stationieren. Trotz Massenprotesten stimmte der Bundestag nach zweitägiger Debatte am 22.11.1983 der Stationierung US-amerikanischer Raketen zu.

Lutz Rathenow, Jg. 1952, Schriftsteller und Lyriker, 1973–75 Gründer und Leiter des Arbeitskreises Literatur und Lyrik in Jena, 1977 Exmatrikulation aus politischen Gründen von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Verhaftung im November 1980 nach einer Buchveröffentlichung in der Bundesrepublik, nach seiner Freilassung infolge internationaler Proteste intensive Überwachung durch das MfS, in den 1980er-Jahren freischaffender Schriftsteller und Dramaturg in Ostberlin mit engen Kontakten zu oppositionellen Kreisen.

Bärbel Bohley, Jg. 1945, Malerin, Mitbegründerin der Oppositionsgruppe »Frauen für den Frieden« (1982) und der Initiative Frieden und Menschenrechte (1985/86), Januar 1988 Verhaftung nach Protestaktionen während der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration und Abschiebung nach England, August 1988 Rückkehr in die DDR, September 1989 Mitbegründerin des »Neuen Forums«.

Am Abend des 31.10. 1983 führten Petra Kelly, Gert Bastian, Dirk Schneider und Otto Schily in der Friedrichshainer Samariter-Gemeinde Gespräche mit Rainer Eppelmann und zehn Angehörigen der unabhängigen Friedensbewegung. Einen Tag später, am 1.11.1983, kam Kelly in Begleitung von Renate Mohr und Gustine Johannsen mit Bohley und weiteren Mitgliedern der Gruppe »Frauen für den Frieden« zusammen. Am Abend begegneten sich Kelly und Bohley erneut in der Wohnung von Gerd und Ulrike Poppe, um zusammen mit Gert Bastian, Lukas Beckmann und Rainer Eppelmann eine Petition zu verfassen, die am 4.11.1983 an die Botschafter der USA und der Sowjetunion zusammen mit einem »Erdball« übergeben werden sollte.

Hier ist das Jahr 1983 gemeint.

Der Friedens- und Ökologiekreis der Evangelischen Studentengemeinde Berlin wurde 1977 als erster Friedenskreis der DDR in der Ostberliner Elisabethgemeinde (Invalidenstraße) gegründet. Zu den maßgeblichen Organisatoren gehörten Reinhard Schult, Eckart Hübener und Klaus Tessmann. Unter Schirmherrschaft des Berliner Studentenpfarrers Hans Schreiber organisierten die 20 bis 30 Mitglieder des Kreises, zu denen vor allem Wehrdienstverweigerer und Theologiestudenten der HU Berlin gehörten, Filmabende, Schriftstellerlesungen und Diskussionsreihen rund um das Thema Abrüstung, Umweltschutz und Frieden. Zu ihren Aktionen zählten u. a. ein Protestschreiben an die amerikanische und sowjetische Botschaft gegen die beiderseitige Nachrüstung mit Mittelstreckenraketen im Jahr 1979, ein offener Brief an den amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan im Februar 1982 und die Teilnahme an der offiziellen Friedensmanifestation der Jugend in Berlin mit eigenen Plakaten im Mai 1982. Der Friedenskreis der ESG engagierte sich ebenso für die Vernetzung aller Friedenskreise in der DDR. Vgl. Klein, Thomas: »Frieden und Gerechtigkeit!« Die Politisierung der Unabhängigen Friedensbewegung in Ostberlin während der 80er Jahre. Köln u. a. 2007, S. 94–103.

Karl Otto Launicke, Jg. 1948, Pädagoge, kooperierte als IM »Bob« mit dem MfS u. a. zur Überwachung der Blues-Messen in der Ostberliner Samariter- und Auferstehungskirche, war hier im Vorbereitungskreis aktiv, 1989 Mitglied des Demokratischen Aufbruchs, hier Vorsitzender des Arbeitnehmerverbandes.

Das Ost-West-Seminar war ein lockeres, informelles Treffen von westdeutschen Friedensaktivisten mit Vertretern unabhängiger Friedensgruppen in der DDR. Initiiert wurde die Zusammenkunft von der Evangelischen Studentengemeinde München in Kooperation mit der ESG Berlin. Im Mittelpunkt standen mögliche Aktionen gegen die Wehr- und Rüstungspolitik der DDR. Laut Mönchmeyer traten dabei erstaunlich unterschiedliche Motive und Ziele der Friedensgruppen in Ost und West zu Tage. Neben dem engeren Fokus auf die Aufrüstung mit nuklearen Mittelstreckenraketen durch beide Supermächte ging es den ostdeutschen Gruppen immer auch um Themen wie Gegenöffentlichkeit, Selbstorganisation und politische Opposition. Vielen westdeutschen Besuchern wurde bewusst, wie riskant und schwierig es für DDR-Akteure war, sich zu organisieren und Kontakte mit westlichen Gruppen aufzunehmen. Spürbar wurde das Treffen von der Staatssicherheit observiert. »Es war teilweise geradezu grotesk«, so Mönchmeyer im Rückblick. »Ich sah Männer in Trenchcoats mit umgehängten Kassettenrekordern mit Loch in der Mitte der Lautsprecherabdeckung.« Vgl. E-Mail von Ralph Mönchmeyer an die Bearbeiter vom 31.3.2020.

Ralph Mönchmeyer, Jg. 1958, Physiker, 1978–85 Studium der Allgemeinen Physik an der Technischen Universität München, 1985–92 Promotionsstudent und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching. Obwohl Mönchmeyer Mitglied der Grünen war, nahm er am Treffen der Friedensaktivisten nicht als offizieller Vertreter der Partei, sondern als Mitglied einer Friedensgruppe aus dem Allgäu teil.

Der Weltkongress gegen Atom- und Wasserstoffbomben und für Abrüstung in Japan (GENSUIKIN) findet seit 1965 jährlich im August am Jahrestag der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki statt. Der Kongress stellt eine der größten Antiatombewegungen in Japan dar. Vgl. http://www.gensuikin.org (letzter Abruf: 31.8.2020).

In der thüringischen Stadt Jena entwickelte sich seit den späten 1970er-Jahren eine vielseitige Jugendkultur. Berufsschüler und Studenten, die wegen der Universität und der optischen und pharmazeutischen Industrie in die Stadt kamen, schufen sich hier ein alternatives Angebot zu SED- und FDJ-Veranstaltungen. In kirchlichen und privaten Räumen wurden Kunstausstellungen, Lesungen oder Konzerte veranstaltet. Zu einem Zentrum dieser unabhängigen Kulturszene entwickelte sich die evangelische Junge Gemeinde (JG) Stadtmitte, die sich im Rahmen der »offenen Arbeit« auch an nichtkonfessionelle Interessenten richtete. Die JG organisierte auch politische Proteste, etwa einen Schweigemarsch durch die Jenaer Innenstadt am 14.11.1982, um auf den unaufgeklärten Tod von Matthias Domaschk am 12.4.1981 in der Untersuchungshaftanstalt des MfS in Gera aufmerksam zu machen. Nachdem zwölf Jugendliche im Januar und Februar 1983 vorübergehend durch die Staatssicherheit verhaftet worden waren, fand sich ein Teil der JG im März 1983 zur Friedensgemeinschaft Jena zusammen. Damit entstand eine der lebendigsten Oppositionsszenen in der DDR, die sich aktiv in der unabhängigen Friedensbewegung engagierte und sich kritisch mit der politischen Zurückhaltung der evangelischen Landeskirche Thüringens auseinandersetzte. Siehe Pietzsch, Henning: Jugend zwischen Kirche und Staat. Geschichte der kirchlichen Jugendarbeit in Jena 1970–1989. Köln 2005; Jahn, Roland: Wir Angepassten. Überleben in der DDR. München 2014, S. 147–159.

Katja (Annedore) Havemann, Jg. 1947, Erzieherin, 1974 Heirat mit Robert Havemann, 1982 Mitbegründerin von »Frauen für den Frieden«, seit 1986 Mitglied der Initiative Frieden und Menschenrechte.

Ulrike Poppe, Jg. 1953, Angestellte, seit 1982 Mitglied in der Gruppe »Frauen für den Frieden«, seit 1986 Mitglied der »Initiative Frieden und Menschenrechte« (IFM), seit 1987 Mitglied im Arbeitskreis »Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung«, Mitbegründerin von »Demokratie Jetzt« (DJ), Dezember 1989 bis März 1990 DJ-Vertreterin am Zentralen Runden Tisch, 1990 Mitarbeiterin der Volkskammerfraktion Bündnis 90/Grüne, 2009–17 Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur.

Hanna Kotowski, weitere Angaben zur Person konnten nicht ermittelt werden.

Unter dem Namen »Frauen für den Frieden« engagierten sich seit Ende der 1970er-Jahre zahlreiche Frauengruppen europaweit für Gerechtigkeit, Abrüstung, Friedenserziehung, friedliche Konfliktbeilegung und die Ächtung von Gewalt in der Ehe. Die Gruppen bildeten einen hoch engagierten Teil der internationalen Friedensbewegung. Zu den Initiatoren der ersten Gruppen in der Bundesrepublik zählten u. a. Eva Epple, Eva Quistorp, Detel Aurandt, Heidemarie Langer, Hildegard Klimmeck und Carola Elbers, die vor allem durch die UN-Frauenkonferenz im Juni 1980 in Kopenhagen und einem Friedensmarsch von Kopenhagen nach Paris im Frühjahr 1981 motiviert wurden. Die »Frauen für den Frieden« aus Westberlin machten im Jahr 1982 mit einem Friedensmarsch von Berlin nach Wien auf sich aufmerksam, um gegen die Produktion und Stationierung von Atomwaffen in Ost und West zu demonstrieren. Im Jahr 1983 organisierten die Frauen-Friedensgruppen eine Reihe von Kongressen, Protestmärschen, Workshops, Wanderungen und Mahnwachen für ein atomwaffenfreies Europa von Polen bis Portugal. Vgl. Poppe, Ulrike: Frauen für den Frieden. In: Veen; Hans-Joachim (Hg.): Lexikon Opposition und Widerstand in der SED-Diktatur. München 2000, S. 135–137.

Die »Weltversammlung Frieden und Leben – gegen Atomkrieg« fand vom 21. bis 26.6.1983 in Prag statt. An ihr nahmen etwa 3 000 Delegierte aus 156 Staaten teil, darunter hochrangige Politiker, geistliche Würdenträger und Vertreter indigener Völker. Elf Dialoggruppen befassten sich mit Themen wie Abrüstung, Friedenserziehung oder gewaltfreie Konfliktlösung. Vgl. Prag ’83. In: Kranich. Zeitschrift des Friedensbüros, Jg. 3/1983, S. 17 f.

Die »Charta 77« war ein am 1.1.1977 veröffentlichtes »Manifest für Bürgerrechte« einer Gruppe von tschechischen Intellektuellen, die sich auf die Schlussakte der KSZE beriefen. Aus der Gruppe entwickelte sich in der Folgezeit die gleichnamige Bürgerrechtsbewegung.

Das Symbol »Schwerter zu Pflugscharen« ist die stilisierte Wiedergabe einer Skulptur des sowjetischen Bildhauers Jewgeni Wutschetitsch, die im Dezember 1959 als Geschenk der UdSSR im Garten des UNO-Hauptquartiers in New York aufgestellt wurde. Die Losung geht auf das von Pazifisten häufig zitierte Bibelwort bei Micha 4 zurück. Das von Pfarrer Harald Bretschneider für die Friedensdekade 1980 entwickelte Logo avancierte im Laufe der 1980er-Jahre immer stärker zum Symbol kirchlicher Friedensgruppen und unabhängiger Abrüstungsinitiativen. Getragen wurde das Logo meist als Aufnäher auf der Kleidung, was mitunter harte staatliche Sanktionen wie Exmatrikulationen, Schulverweise oder Nichtzulassungen zum Abitur zur Folge hatte. Siehe Silomon, Anke: Schwerter zu Pflugscharen und die DDR. Die Friedensarbeit der evangelischen Kirchen in der DDR im Rahmen der Friedensdekaden 1980–1982. Göttingen 1999.

Petra Tesch, Jg. 1960, in den 1980er-Jahren verheiratet mit Gerold Hildebrand, im Jahr 1983 Studentin der Slawistik und Amerikanistik an der HU Berlin, seit 1983 Engagement bei der Bürgerrechtsgruppe »Frauen für den Frieden«, seit 1988 Dolmetscherin im VEB Kühlautomat Berlin, April 1990 bis Mai 1990 erste Stadträtin für Gleichstellung im Ostberliner Magistrat,.

Judith Endler, Jg. 1956, Hausfrau, bis Mitte der 1980er-Jahre verheiratet mit Adolf Endler, Oktober 1982 Unterzeichnerin der Petition an Erich Honecker gegen das neue Wehrdienstgesetz vom März 1982, Mitglied der Bürgerrechtsgruppe »Frauen für den Frieden«.

Bettina Bara, Jg. 1962, Fotografin, seit 1983 Mitglied der Gruppe »Frauen für den Frieden« in Ostberlin, Vertraute von Bärbel Bohley, 1980–86 Studium der Geschichte in Ostberlin, 1986–89 freiberufliche Tätigkeit als Fotografin u. a. für das DEFA-Studio für Dokumentarfilme, 1986–89 Fernstudium Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, Juli 1989 Übersiedlung nach Westberlin.

Karl-Heinz (Carlo) Jordan, Jg. 1951, Umweltaktivist, 1976 Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns und Eingabe zur Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz, daraufhin vorübergehende Inhaftierung, seit 1982 in verschiedenen Umweltgruppen aktiv, 1986 Mitbegründer der Berliner Umwelt-Bibliothek, Autor der Samisdat-Schrift »Umweltblätter«, 1988 Initiator des »Grün-ökologischen Netzwerks Arche«, 1989 Mitbegründer und Sprecher der Grünen Partei in der DDR, in dieser Funktion Mitglied des Runden Tisches.

Gabriele Hulitschke, Jg. 1960, Biologielaborantin, Handweberin, 1978–84 Kontakte zur Jungen Gemeinde Jena Stadtmitte. Nach dem Treffen mit Gabriele Potthast im Oktober 1983 kam es zu einer Vorladung durch die Staatssicherheit, es folgte der Verlust des Studienplatzes für Humanmedizin und 1985 der Umzug nach Berlin. 1988–90 Ausbildung zur Facharbeiterin für Textiltechnik in der Handweberei Elisabeth Jabs in Warin, 1990–93 Studium der Malerei und Textilkunst an der Freuen Kunstschule in Nürtingen.

Der »Krefelder Appell« vom 16.11.1980 war eines der wirkmächtigsten Manifeste der westdeutschen Friedensbewegung. Der Text wurde auf dem »Krefelder Forum« von ca. 1 000 Vertretern außerparlamentarischer Initiativen beschlossen, entworfen hatten den Text Josef Weber und Gert Bastian. In dem Appell wurde die Bundesregierung aufgefordert, auf die Nachrüstung mit Mittelstreckenraketen gemäß dem NATO-Doppelbeschluss zu verzichten. Bis September 1981 hatten drei Millionen Bundesbürger den Appell unterschrieben. Da sich der »Krefelder Appell« einseitig gegen die Nachrüstung im Westen wandte und die sowjetische Aufrüstung mit SS-20-Raketen nicht einmal erwähnte, wurde er vielfach kritisiert, insbesondere wurde den Initiatoren vorgeworfen, von der DDR bzw. dem Ostblock unterwandert worden zu sein. Vgl. Ploetz, Michael; Müller, Hans-Peter: Ferngelenkte Friedensbewegung? DDR und UdSSR im Kampf gegen den NATO-Doppelbeschluss. Münster 2004. Der Appel ist abrufbar unter: http://www.1000dokumente.de (letzter Abruf: 11.7.2019).

Durch den Grundlagenvertrag vom 21.12.1972 verpflichteten sich beide deutschen Staaten gutnachbarliche Beziehungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung zu entwickeln, sich von den Prinzipien der Vereinten Nationen leiten zu lassen, ihre Streitfragen mit friedlichen Mitteln zu lösen und sich der Drohung und Anwendung von Gewalt zu enthalten. Die Unterzeichner verpflichteten sich zudem, die Unverletzlichkeit der zwischen ihnen bestehenden Grenzen und die Unabhängigkeit jedes der beiden Staaten zu respektieren.

Am 12.5.1983 enthüllten Lukas Beckmann, Petra Kelly, Gert Bastian, Roland Vogt und Gabriele Potthast auf dem Alexanderplatz in Ostberlin zwei Transparente mit den Aufschriften »Die Grünen – Schwerter zu Pflugscharen« und »Die Grünen – Jetzt anfangen: Abrüstung in Ost und West«, um für eine grenzüberschreitende Abrüstung zu demonstrieren und die unabhängige Friedensbewegung in der DDR zu unterstützen. Die spontane Kundgebung war eine Reaktion auf einen Beschluss der zeitgleich tagenden zweiten internationalen »Konferenz für Europäische Atomare Abrüstung« in Westberlin, die am Vortag zwar ein Treffen mit Vertretern der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR arrangiert hatte, dabei aber ausdrücklich auf jede öffentlichkeitswirksame Aktion verzichten wollte. Rainer Trampert (Bundesvorstandssprecher der Grünen) und Thomas Ebermann (GAL-Abgeordneter in der Hamburger Bürgerschaft) distanzierten sich deutlich von der Alexanderplatzaktion und sprachen von »prominenter Eigenbrötlerei« und dem Versuch, die deutsche Frage auf der Konferenz in den Vordergrund zu schieben, um von der aggressiven Kriegsvorbereitung der NATO abzulenken. Vgl. Bahr, Andrea; Gieseke, Jens: Die Staatssicherheit und die Grünen. Zwischen SED-Westpolitik und Ost-West-Kontakten. Berlin 2016, S. 48–51.

Die Formulierung spielt auf die politische Entwicklung in Polen Anfang der 1980er-Jahre an. Bis zum Herbst 1981 hatte das Land eine kurze Phase des gesellschaftlichen Aufbruchs erlebt: Nach einer Streikwelle im August 1980 liberalisierte die Regierung unter Parteichef Edward Gierek das Medienwesen, entließ politische Gefangene und legalisierte die erste unabhängige Gewerkschaft Solidarność, die daraufhin bis zum Ende des Jahres zu einer Massenbewegung mit über zehn Millionen Mitgliedern anwuchs. Um den starken Gegenspieler zu bändigen, setzte die polnische KP auf den einflussreichen Verteidigungsminister Wojciech Jaruzelski, der im Februar 1981 die Regierung und im Oktober 1981 die Führung der Partei übernahm. Am 13.12.1981 ging Jaruzelski mit der Ausrufung des Kriegsrechts in die Offensive: Ein neu geschaffener Militärrat ließ spontane Versammlungen von Sondermilizen auflösen und Großbetriebe und Radiostationen mit Soldaten besetzen. Sämtliche Telefonverbindungen wurden für Wochen unterbrochen und über 3 000 Personen in Schnellverfahren verurteilt, darunter führende Vertreter der Solidarność. Die gesellschaftliche Mobilisierung ließ sich dadurch aber nicht unterbinden. Erfolgreich gelang es der Solidarność, ihre Strukturen im Untergrund auszubauen. Um die inneren Spannungen und die internationale Isolation Polens zu überwinden, verordnete Jaruzelski Ende 1982 die Freilassung erster Gefangener ohne Gerichtsurteil und hob am 22.7.1983 das Kriegsrecht wieder auf. Mit ihm als Oberbefehlshaber blieb die starke Rolle des Militärs aber auch in der Folgezeit bestehen. Vgl. Borodziej, Włodzimierz: Geschichte Polens im 20. Jahrhundert. München 2010, S. 350–490.

Unter dem Titel »Bürger beider deutscher Staaten appellieren an den Bundestag: Sagen Sie Nein!« forderten die Unterzeichner des offenen Briefes von den Abgeordneten des Deutschen Bundestages nach einem Scheitern der Genfer Verhandlungen und der anschließenden Abstimmung zum NATO-Doppelbeschluss: »Sagen Sie Nein zu dieser neuen Rüstungsrunde! Setzen Sie ein Signal der Umkehr, für Entspannung in der Welt und Disengagement in Europa!« Sie führten vier Punkte gegen die Idee eines Machtgleichgewichtes mithilfe amerikanischer Mittelstreckenraketen an und warnten vor den unkalkulierbaren Folgen einer zu erwartenden »Nachrüstung« durch die Sowjetunion. Der offene Brief v. 10.10.1983 wurde von zahlreichen prominenten ost- und westdeutschen Friedensaktivisten wie Heinrich Albertz, Rudolf Bahro, Oskar Lafontaine, Bärbel Bohley, Lutz Rathenow oder Rainer Eppelmann unterzeichnet und im November 1983 in westdeutschen Printmedien veröffentlicht (FAZ v. 19.11.1983). Er ist u. a. abgedruckt in: Pollmann, Bernhard (Hg.): Lesebuch zur Deutschen Geschichte. Bd. 3: Vom deutschen Reich bis zur Gegenwart. Dortmund 1984, S. 265–267; online abrufbar unter: https://www.archive.org/details/GesamtdeutschAppellierenBT1983/page/n1/mode/2up, (letzter Abruf: 9.3.2020).

Am 22.10.1983 hatte die Bundesrepublik ihre bis dahin größten Massenproteste erlebt. Allein in Bonn beteiligten sich 150 000 Protestierende an einer Menschenkette um das Regierungsviertel. Weitere 500 000 Personen bildeten einen Stern, der die Botschaftsgebäude der fünf Atommächte miteinander verband. Auch in Hamburg und Stuttgart gingen mehrere Hunderttausend Menschen auf die Straße, ebenso in Rom, Paris, Stockholm, Wien und London. Die Demonstrationen waren der Höhepunkt einer Aktionswoche der Friedensbewegung mit politischem Straßentheater, Informationskampagnen, Fastengruppen, Prozessionen und Menschenketten. Die Nachrüstungsgegner verlangten eine Rücknahme der Stationierungserlaubnis und die sofortige Wiederaufnahme von Abrüstungsverhandlungen.

Hubert Humphrey, Jg. 1911, Politiker der US-Demokraten, 1949–64 sowie 1971–78 Senator für Minnesota, 1965–69 Vizepräsident der USA unter Lyndon B. Johnson.

Am 7.9.1983 empfahl der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung dem Deutschen Bundestag ein Strafverfahren gegen die Abgeordnete Petra Kelly zu genehmigen. Ein solches Verfahren hatte der Bundesjustizminister am 23.7.1983 schriftlich erbeten. Am 15.9.1983 nahm der Bundestag die Beschlussempfehlung an.

Im Original: »1922«.

Karl-Heinz Kurras, Jg. 1927, Polizist, tötete bei einem Polizeieinsatz am 2.6.1967 während einer Demonstration gegen den iranischen Shah Reza Pahlewi in Westberlin den Germanistikstudenten Benno Ohnesorg. Trotz eines gezielten Kopfschusses wurde der damalige Kriminalobermeister durch das Landgericht Moabit vom Verdacht der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Das Urteil trug erheblich zur Radikalisierung der westdeutschen Studentenbewegung bei. Kurras kooperierte von 1955 bis mindestens 1967 mit der Staatssicherheit, handelte am 2.6.1967 aber ohne Auftrag des ostdeutschen Geheimdienstes. Siehe weiterführend Tschernitschek, Marc: Der Todesschütze Benno Ohnesorgs. Karl-Heinz Kurras, die Westberliner Polizei und die Stasi. Marburg 2013.

Benno Ohnesorg, Jg. 1940, 1964–67 Student der Germanistik und Romanistik an der FU Berlin. Wurde als Teilnehmer an der Demonstration gegen den iranischen Autokraten Schah Reza Pahlewi am 2.6.1967 durch den Westberliner Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras getötet.

Horst Mahler, Jg. 1936, Rechtsanwalt und Linksterrorist, 1970 Mitbegründer der RAF, vertrat als Gründer und Mitglied des Sozialistischen Anwaltskollektivs viele linksextreme Aktivisten der Studentenbewegung, 1970 zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, 1980 auf Bewährung entlassen.

Gudrun Ensslin, Jg. 1940, Linksterroristin, beteiligt sich am 2.4.1968 zusammen mit Andreas Baader an Brandanschlägen auf zwei Frankfurter Kaufhäuser, daraufhin Verurteilung zu drei Jahren Haft, 1969 Flucht nach Frankreich, organisierte im Mai 1970 die Befreiung von Baader und bildete anschließend zusammen mit Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Jan Carl Raspe und Holger Meins die Kernzelle der RAF (Baader-Meinhof-Gruppe). Juni 1970 Flucht nach Jordanien, 1970–72 mehrere Banküberfälle in Deutschland, Verhaftung am 7.6.1972 in Hamburg, 1975 Beginn des Strafprozesses gegen Baader, Meinhof, Ensslin, Meins und Raspe vor dem Oberlandesgericht Stuttgart, 28.4.1977 Verurteilung zu lebenslanger Haft wegen vierfachen Mordes und vielfachen Mordversuchen. Sie wird zusammen mit Baader und Raspe am 18.10. 1977 tot in ihrer Zelle aufgefunden, nachdem die Entführung der Lufthansa-Maschine »Landshut« durch einen erfolgreichen Einsatz der Bundesgrenzschutzsondereinheit »GSG 9« beendet werden konnte.

Erster Strafprozess gegen die Kernzelle der RAF um Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Jan Carl Raspe und Holger Meins vor dem 2. Senat des Oberlandesgerichts in Stuttgart. Die Angeklagten sollten sich wegen mehrfachen Mordes und Mordversuchen im Rahmen von Sprengstoffanschlägen vor Gericht verantworten. Für den Prozess, der am 21.5.1975 begann, wurde ein neues festungsartiges Gebäude neben einem Gefängnis in Stuttgart-Stammheim errichtet. Am 28.4.1977 wurden Baader, Ensslin und Raspe zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt, Holger Meins starb während der Untersuchungshaft an einem Hungerstreik, Ulrike Meinhof beging ein Jahr nach Prozessbeginn Selbstmord.

Das »Schutzkomitees Freiheit und Sozialismus« wurde im Herbst 1976 unmittelbar nach der Biermann-Ausbürgerung auf Initiative des Westberliner Publizisten Hannes Schwenger gegründet, um sich für die Freilassung von politischen Häftlingen in der DDR, darunter Jürgen Fuchs, Christian Kunert oder Gerulf Pannach, einzusetzen. Prominente Mitglieder waren unter anderem Heinrich Albertz, Heinrich Böll, Friedrich Dürrenmatt, Hans Magnus Enzensberger und Max Frisch.

Das »Komitee für Grundrechte und Demokratie« war eine deutsche Bürgerrechtsorganisation, die 1980 u. a. von Andreas Buro, Wolf-Dieter Narr, Roland Roth, Klaus und Hanne Vack gegründet wurde. Es befasste sich u. a. mit Fragen des zivilen Ungehorsams im Rahmen von Aktionen der Friedensbewegung, der internationalen Lage der Menschenrechte und Konzepten für zivile Friedensdienste.

Die Flick-Parteispendenaffäre war ein politischer Skandal Anfang der 1980er-Jahre in der Bundesrepublik. Hintergrund waren verdeckte Bargeldzahlungen an Bundestagsabgeordnete aller Parteien seit 1980 durch das Familienunternehmen Flick, das mit zahlreichen Aktienbeständen und Unternehmensbeteiligungen zu den vermögendsten Konzernen der Bundesrepublik zählte. Empfänger der Zahlungen waren unter anderem Spitzenpolitiker wie der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, der Oppositionsführer Helmut Kohl und der Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff. Es stand der Verdacht im Raum, dass die Bundesregierung als Gegenleistung Steuerbefreiungen bei Aktienverkäufen gewährte. Nachdem die Zuwendungen durch Steuerfahnder entdeckt worden waren, erhob die Staatsanwaltschaft Bonn im November 1983 Anklage gegen die verantwortlichen Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch und Manfred Nemitz. Im Juni 1984 wurden die Ermittlungen auf Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff ausgeweitet, was zu seinem Rücktritt führte. Im Februar 1987 verurteilte das Bonner Landgericht Brauchitsch und die ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff und Hans Friderichs zu Geld- und Bewährungsstrafen wegen Steuerhinterziehung bzw. Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Eine Beeinflussung politischer Entscheidungen durch die Geldzahlungen ließ sich nicht beweisen. Siehe weiterführend Leyendecker, Hans; Prantl, Heribert; Stiller, Michael: Helmut Kohl, die Macht und das Geld. Göttingen 2000.

Die Partei »Die Grünen« wurde bundesweit im Januar 1980 gegründet. Erste Landesverbände gab es im September und Dezember bereits in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.

§ 129 des bundesdeutschen Strafgesetzbuches bestraft die Bildung und Mitgliedschaft in einer »kriminellen Vereinigung«. In den 1970er-Jahren wurde der Strafbestand gegen die Mitglieder der RAF angewandt. Um trennschärfer zwischen Vereinigungen mit kriminellem Hintergrund und solchen mit terroristischen Motiven zu unterscheiden, entstand 1976 der § 129a (Bildung und Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung). Siehe Thomas Fischer: § 129, Bildung krimineller Vereinigungen. In: Strafgesetzbuch und Nebengesetze. München 2012, S. 914.

Die biologisch-dynamische Landwirtschaft ist eine Feldwirtschaft, Viehwirtschaft, Saatgutproduktion und Landschaftspflege umfassende Wirtschaftsweise, die auf den landwirtschaftlichen Ideen Rudolf Steiners beruht, die er 1924 in einer Vortragsreihe präsentierte. Der Ansatz verbindet neuartige Zucht- und Düngemethoden mit esoterisch-okkulten Elementen. In den 1920er-Jahren wurden die bio-dynamischen Agrarbetriebe Ausgangspunkt der Reformhausbewegung. In den 1980er-Jahren gesellten sich die Themenfelder Ökologie, Regionalförderung und Nachhaltigkeit hinzu. Die Familie Vollmer betreibt seit 1983 eine Gemüsegärtnerei nach biologisch-dynamischen Richtlinien in Sievershausen bei Hannover.

Martin Ziegler, Jg. 1931, evangelischer Theologe, 1968–74 Superintendent in Merseburg, 1975–83 Direktor des Diakonischen Werks der Inneren Mission, übernahm 1983 als Oberkirchenrat und Nachfolger von Manfred Stolpe die Leitung des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR.

Christa Lewek, Jg. 1927, Kirchenjuristin, 1969–88 Oberkirchenrätin und Referentin für »Kirche und Gesellschaft« im Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Stellvertreterin der Sekretariatsleitung unter Manfred Stolpe, Christoph Demke und Martin Ziegler, seit 1979 Präsidentin des Menschenrechtsprogramms der Kirchen zur Verwirklichung der KSZE-Schlussakte von Helsinki.