Einleitung 1983
Einleitung 1983
Mark Schiefer und Martin Stief
1. Das Jahr 1983: Ein historischer Überblick
Im Jahr 1983 stand die Welt kurz vor einem epochalen Umbruch: Lech Wałęsa erhielt den Friedensnobelpreis, Microsoft präsentierte Windows 1.0 auf der Comdex1 in Las Vegas und die Grünen zogen erstmals in den Deutschen Bundestag ein. Die Spätphase des 20. Jahrhunderts mit ihren emanzipierten Gesellschaften, globalen Datenströmen und nie dagewesenen ökologischen Herausforderungen nahm langsam Gestalt an.
In welcher Lage befand sich die DDR in dieser Zeit? Die Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) hatte 1983 mit drei existenziellen Herausforderungen zu kämpfen: einer eskalierenden nuklearen Konfrontation, einem unmittelbar bevorstehenden Staatsbankrott und einer beginnenden Differenzierung der eigenen Gesellschaft mit immer neuen, nur schwer zu kontrollierenden Bürgergruppen. Diese drei Herausforderungen durchziehen auch das Berichtswesen der Staatssicherheit in diesem Jahr. Zunächst dominierte auf internationaler Ebene der Streit um atomare Mittelstreckenraketen. Aus Angst vor einem Überraschungsangriff des Westens hatte die Sowjetunion bereits 1977 begonnen, ihr atomares Arsenal schrittweise auf moderne SS-20-Raketen umzurüsten. Mit der neuen Technik war Moskau in der Lage, sämtliche militärische Objekte in Westeuropa auf einen Schlag zu vernichten – und das, ohne dabei amerikanisches Territorium zu gefährden. Diese ungleiche Gefährdungslage drohte die NATO zu spalten – ihr Prinzip der unteilbaren Sicherheit wurde auf eine harte Probe gestellt.2 Die Bundesregierung unter Helmut Schmidt drängte daher zum Handeln und erreichte im Dezember 1979 den legendären NATO-Doppelbeschluss: Zunächst sollte der Versuch unternommen werden, eine Beschränkung und Kontrolle aller eurostrategischen Waffen auf dem Verhandlungswege zu erreichen. Gäbe es hier keinen Erfolg, sollte in einem zweiten Schritt die Nachrüstung auf westlicher Seite erfolgen.3 Als die seit November 1980 laufenden Gespräche zwischen den USA und der Sowjetunion in Genf auch nach mehreren Anläufen nicht vorankamen, begann die NATO im Herbst 1983 hochmoderne Marschflugkörper und Pershing-II-Raketen in Großbritannien, Italien, Belgien und der Bundesrepublik zu stationieren. Der Deutsche Bundestag gab dafür am 22. November 1983 nach turbulenter Debatte und landesweiten Großdemonstrationen grünes Licht. Etwas überrascht von dieser schnellen Entwicklung verließ die sowjetische Delegation den Genfer Verhandlungstisch und kündigte kurzerhand eine Vorverlegung ihrer Kurz- und Mittelstreckenraketen in die Tschechoslowakei und die DDR an. Ohne erkennbare Strategie drohte Juri Andropow, Chef der KPdSU, dem Westen eine lange Eiszeit an.4
Wie verhielt sich die SED-Führung in dieser Lage? Mit großem Aufwand versuchte sie in der ersten Hälfte des Jahres 1983, die westdeutsche Öffentlichkeit gegen die Nachrüstungspläne in Stellung zu bringen. Dafür griff sie auf loyale, von ihr finanzierte Organisationen zurück wie die aus ranghohen NATO-Militärs bestehende Gruppe »Generale für den Frieden« oder das »Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit«. Diese planten Demonstrationen, Unterschriftenaktionen oder Blockaden vor Raketendepots. So unterschrieben zum Beispiel bis Ende 1983 über vier Millionen Menschen den von der SED-nahen Partei »Deutsche Friedensunion« verfassten Krefelder Appell (»Der Atomtod bedroht uns alle – keine neuen Atomraketen in Europa!«).5
Mitinitiator des Aufrufes war auch die Partei »Die Grünen«, die seit März 1983 im Deutschen Bundestag saß und in den Augen der SED-Führung ein besonders vielversprechender Partner war. Ihre Neigung zu spontanen Aktionen barg zwar ein gewisses Risiko, dennoch erkannte Staats- und Parteichef Erich Honecker die Chance, mithilfe der grünen Politstars Petra Kelly, Gert Bastian und Lukas Beckmann in die westdeutsche Öffentlichkeit hineinzuwirken. Am 31. Oktober lud der SED-Chef die Grünen-Politiker sogar kurzerhand in seinen Amtssitz im Staatsratsgebäude ein. Das Treffen machte international Schlagzeilen und stärkte Honeckers Image als kooperativer Entspannungspolitiker.6
Auch wenn der Raketenprotest im Laufe des Jahres – nicht zuletzt mit östlicher Unterstützung7 – zu einer Massenbewegung anschwoll, ahnte die SED-Führung bereits ab Frühjahr 1983, dass ihre Kampagne zum Scheitern verurteilt war. Spätestens mit dem deutlichen Wahlsieg der CDU/CSU unter Helmut Kohl am 6. März 1983 ließ sich die Stationierung von NATO-Raketen kaum noch aufhalten. Honecker fürchtete, dass die Dynamik des Raketenstreits die mühsam errungene internationale Anerkennung der DDR in Mitleidenschaft ziehen könnte. Frühzeitig sendete er daher Signale der Kooperation aus: Auf der Leipziger Frühjahrsmesse bediente sich Honecker ganz bewusst eines Wahlslogans der CDU (»Frieden schaffen mit immer weniger Waffen«) und verkündete zum Erstaunen seiner Genossen im Politbüro, noch im Sommer nach Bonn reisen zu wollen.8 Auf der Karl-Marx-Konferenz im April 1983 nutzte er seine Rede, um eine »blockübergreifende Friedenskoalition« vorzuschlagen9 – eine Idee, die er in einem Schreiben an Helmut Kohl vom 5. Oktober 1983 auf den griffigen Leitsatz »Koalition der Vernunft« brachte. In seinem Antwortbrief nahm Kohl diese Formulierung auf, sprach von einer »Verantwortungsgemeinschaft« und signalisierte damit den Willen der Bundesregierung zur weiteren Zusammenarbeit.10
Mit der vorsichtigen Absetzungsbewegung gegenüber der Sowjetunion wollte die DDR ihren Handlungsspielraum gegenüber dem Westen bewahren. Das war bitter notwendig, da sich der ostdeutsche Staat Anfang der 1980er-Jahre in einer schweren Finanz-, Wirtschafts- und Versorgungskrise befand – die zweite große Herausforderung für die SED im Jahr 1983. Verantwortlich dafür waren hohe Ausgaben für Kreditzinsen, sowjetische Rohstoffimporte und Sozialprogramme. Verschärfend kam der schwache Westexport hinzu.11 Als die Sowjetunion im Dezember 1981 die vertraglich vereinbarten Öl-, Getreide- und Steinkohlelieferungen ohne Vorwarnung kürzte, stand die DDR mit einem Schuldenvolumen von über 25 Milliarden Valutamark gegenüber westlichen Gläubigern kurz vor der Zahlungsunfähigkeit.12 Um die existentielle Liquiditätskrise in den Griff zu bekommen, schnürte die politische Führung ein umfassendes Maßnahmepaket: Sie drosselte die Einfuhren von Konsumgütern, verpflichtete die Betriebe zur Exportsteigerung und Materialeinsparung, etablierte ein Netzwerk aus Handelsfirmen ohne strenge Planbindung und erreichte bei der Sowjetunion Agrar- und Ölimporte unter Sonderbedingungen.13 Ein zentraler Baustein der Konsolidierungsstrategie war die sogenannte Heizölablöse: Ziel war es, die Wärme- und Stromgewinnung auf den heimischen Energieträger Braunkohle umzustellen und gleichzeitig den Rohstoff Erdöl stärker als Exportgut auf westlichen Märkten abzusetzen.14 Tatsächlich gelang es der Wirtschaftsverwaltung bis 1985, den inländischen Verbrauch von Heizöl um sechs Millionen Tonnen abzusenken und die Ausfuhren von Erdölprodukten zu verdreifachen.15 Gleichzeitig avancierte die DDR zum weltweit größten Förderer und Verbraucher von Braunkohle.16
All diese Maßnahmen waren allerdings kaum wirksam, solange sich westliche Banken weigerten, Ostblockländer mit langfristigen Krediten zu annehmbaren Konditionen zu versorgen – die dringlichste Sorge der SED im Jahr 1983. Schließlich gewährte eine Tochter der Bayerischen Landesbank der DDR im Sommer 1983 einen Kredit über eine Milliarde DM, der über eine Bürgschaft der Bundesregierung abgesichert wurde, und stellte so wieder einen verlässlichen und günstigen Zugang zum Kapitalmarkt für die DDR her.17 Eingefädelt hatte diesen Deal der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, der darüber seit Mai 1983 mit Unterstützung des Bundeskanzleramtes Gespräche mit dem für Bank- und Kreditwesen zuständigen DDR-Staatssekretär Alexander Schalk-Golodkowski führte. Am 24. Juli 1983 traf Strauß Honecker am Werbellinsee und signalisierte dem SED-Chef, dass der Westen kein Interesse an einem Kollaps des ostdeutschen Staates habe und mit dieser Finanzspritze die Dialogpolitik Honeckers honoriere.18 Im Gegenzug verpflichtete sich die ostdeutsche Seite, die Grenzabfertigung für Bundesbürger humaner zu gestalten, Kinder vom Mindestumtausch auszunehmen und entlang der deutsch-deutschen Grenze Minen zu entfernen und Selbstschussanlagen abzubauen.19
Tatsächlich verbesserte sich daraufhin das Ansehen der DDR innerhalb der Finanzwelt spürbar: Indem der ostdeutsche Staat die nicht zweckgebundenen Kredite als Guthaben bei westlichen Banken anlegte (und nicht sofort in den Konsum steckte), konnte er zumindest auf dem Papier eine gute Bonität vorweisen. Gleichzeitig warb er mit ungewöhnlichen Aktionen um Vertrauen. So lud die Deutsche Außenhandelsbank (DABA)20 auf der Leipziger Frühjahrsmesse im März 1983 alle Vertreter westlicher Geschäftsbanken zu einem Empfang ein, auf dem sie ihren jüngsten Geschäftsbericht verteilen ließ. Darin wurde hervorgehoben, dass der DDR-Westhandel 1982 einen Überschuss von 1,5 Milliarden US-Dollar erzielt habe.21 Eine solche Aktion hatte es zuvor noch nicht gegeben. Als die DABA bis 1985 einen Rückgang der Westverschuldung auf 15,5 Milliarden Valutamark verkünden konnte, war die Kreditwürdigkeit der DDR wiederhergestellt.22
Der Preis für diese erfolgreiche Entschuldung war allerdings hoch: Der enorme Exportdruck führte zu einem Entzug von Lebensmitteln sowie Konsum- und Investitionsgütern vom Binnenmarkt, was zu Versorgungsengpässen und einer sichtbaren Überforderung der Industrie führte. Während die Investitionsquote von 29 Prozent im Jahr 1970 auf 18 Prozent im Jahr 1989 abstürzte,23 kletterte der Verschleißgrad im Bereich Schwermaschinen- und Anlagenbau bis 1988 auf ganze 57 Prozent.24 Die Umlenkung der Investitionen in den Braunkohlesektor bewirkte zudem massive Belastungen durch Schwefel-, Staub- und Kohlendioxidemissionen. Bis Ende der 1980er-Jahre wurden 42 000 Hektar Land durch Tagebauaufschlüsse vernichtet, zwei Drittel aller Fließgewässer stark verunreinigt und die Hälfte des Waldbestandes schwer geschädigt. Die Pro-Kopf-Belastung mit Schwefeldioxid stieg auf den weltweiten Rekordwert von 239 Kilogramm pro Jahr.25
Für die SED war diese Entwicklung einigermaßen besorgniserregend, da ihre zentrale Legitimationsgrundlage auf dem Versprechen von Wohlstand und Sicherheit beruhte. Nun beherrschten aber ökologische Risiken, nukleare Untergangsszenarien und relative Armut die Wahrnehmung, was zu einer bis dahin ungekannten Dynamik in der Bevölkerung führte – die dritte große Herausforderung für die SED im Jahr 1983. Die Führung der Partei musste mit ansehen, wie sich vor allem in den urbanen Zentren einzelne Bürgerinnen und Bürger in Umwelt-, Friedens- und Menschenrechtsgruppen außerhalb offizieller Institutionen zusammenfanden, um über die existentielle Bedrohung des Menschen durch Hochrüstung und rücksichtslose Industrialisierung zu diskutieren. Den Anfang machte 1977 der Friedens- und Ökologiekreis der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) Berlin, bis Ende der 1980er-Jahre kamen weitere 160 Basisgruppen hinzu, ein Großteil von ihnen unter dem Dach der evangelischen Kirche. Friedenskreise in Ostberlin, Kessin oder Halle organisierten Schweigeminuten und Blues-Konzerte, riefen zu Fastenaktionen und Friedensgebeten auf und trafen sich zu Radsternfahrten und Vernissagen. So vielfältig wie ihre Ausdrucksformen waren auch ihre Themen: Sie protestierten gegen die groteske Militarisierung von Kindergärten und Schulen, sprachen über die Zerstörung von Kulturdenkmälern und Siedlungsräumen durch Tagebaue und Straßenbau und forderten Transparenz bei Umweltdaten oder die Einführung eines Sozialen Friedensdienstes.26 Übergeordnetes Anliegen aller Gruppen war die konsequente Abrüstung aller Atomwaffen – und zwar in Ost und West. Dabei kam auch die Friedensrhetorik der SED zur Sprache, bei der NATO-Waffen stets den Frieden gefährdeten und sowjetische Waffen den Frieden verteidigten. »Gute Bombe, böse Bombe« kommentierte Peter Eisenfeld diese Propaganda. Im Juli 1983 verteilte das Mitglied des Friedenskreises der Dresdner Trinitatiskirche auf dem Evangelischen Kirchentag in Dresden ein von dem Grafiker Manfred Böttcher gestaltetes Plakat, das diese Schwarz-Weiß-Logik illustrierte und auf dem Cover dieser Edition zu sehen ist.27
Die Gruppen und ihre Veranstaltungen können als erste Vorboten einer unabhängigen ostdeutschen Zivilgesellschaft gesehen werden. Doch auch wenn es erste Ansätze einer Vernetzung gab – am 5./6. März 1983 kamen in der Christuskirche in Berlin-Schöneweide 37 Friedenskreise zu einem Koordinierungstreffen zusammen und gründeten das Netzwerk »Frieden konkret« –, wurde nur ein verschwindend kleiner Teil der DDR-Bevölkerung aktiv, nach Einschätzung der Stasi nicht mehr als 2 500 Personen.28 Ein richtiger Bewegungscharakter wie in der Bundesrepublik mit abgestimmten Aktionen und offiziellen Sprechern, Bankkonten und Publikationen konnte sich unter den Bedingungen einer kommunistischen Diktatur nicht herausbilden.29 Es blieb ein lockerer Verbund von spontan und dezentral agierenden Einzelgruppen, deren Aktivitäten außerhalb der Kirche entweder gar nicht beachtet wurden oder sogar Ablehnung hervorriefen, nicht zuletzt, weil sich viele ihrer Akteure betont anti-bürgerlich gaben.30
Wie reagierte die SED-Führung auf diese gesellschaftliche Unruhe? Zunächst mit einer Imagekampagne, um die Akzeptanz der politischen Ordnung zu verbessern: Auf einem »Friedenskonzert der FDJ« im Palast der Republik am 25. Oktober 1983 inszenierte sich die DDR als fortschrittlicher Friedensstaat. Vor ausgewähltem Publikum erlaubte die SED Auftritte von Harry Belafonte und Udo Lindenberg.31 Weltläufigkeit und humanistische Tradition sollten auch die Feierlichkeiten zum 500. Geburtstag von Martin Luther ausstrahlen. Christen und Kulturinteressierte aus dem In- und Ausland bestaunten herausgeputzte Lutherhäuser in Eisleben, sanierte Denkmäler in Wittenberg und einen aufwendig gestalteten deutsch-deutschen Gottesdienst auf der Wartburg. Die Idee, die Reformation als Wegbereiter des sozialistischen Staatsprojekts zu präsentieren, ging auf Honecker persönlich zurück. »Beim Ringen um den Frieden«, erklärte er auf einem Festempfang am 10. November 1983, fühle er sich »großen Persönlichkeiten wie Martin Luther besonders verbunden«.32
Im Schatten solcher Großereignisse ging die SED-Führung rigoros gegen unabhängige Umwelt- und Friedensgruppen vor. Schon das Tragen der Losung »Schwerter zu Pflugscharen« als Aufnäher auf Jacken oder Taschen, seit der Friedensdekade 1981 das Erkennungssymbol der kirchlichen Friedensbewegung, zog mitunter harte Sanktionen wie Exmatrikulationen, Schulverweise oder eine Nichtzulassung zum Abitur nach sich.33 Die SED duldete nur eine legitime Friedensorganisation: den sozialistischen Staat mit seinen angebundenen Massenorganisationen. Unabhängige Basisgruppen und ihre alternativen Foren wie Friedensdekaden, Friedenswerkstätten oder Friedensseminare wurden unisono als staatsfeindliche Strukturen bewertet. Ganz abwegig war diese Einschätzung allerdings nicht. Auch wenn die Aktivisten keine zweite »Solidarność« sein wollten – also keine politische Konkurrenz zur kommunistischen Partei –, umfasste ihr Friedensbegriff nie nur eine technisch-militärische Dimension wie Abrüstung oder Kriegsvermeidung, sondern stets auch Überlegungen zu einer Humanisierung, Ökologisierung und Demokratisierung von Staat und Gesellschaft. Struktur, Praxis und Ideologie der SED-Herrschaft wurden damit durchaus infrage gestellt.34
Ein Ort, an dem SED und Staatssicherheit besonders hart gegen Friedensaktivisten vorgingen, war die Universitätsstadt Jena. Seit den frühen 1970er-Jahren hatte sich hier eine besonders lebendige Oppositionsszene im Umfeld der Jungen Gemeinde Stadtmitte entwickelt. Mit Schweigeminuten, Eingaben an den Staatsrat und Plakataktionen wie an Heiligabend 1982 vor der Jenaer Stadtkirche St. Michael traten die jungen Christen immer wieder für Meinungs- und Versammlungsfreiheit ein und forderten die Freilassung ihrer Mitstreiter Manfred Hildebrand, Michael Blumhagen und Roland Jahn. Im Januar und Februar 1983 wurden daraufhin zwölf Jugendliche von der Staatssicherheit festgenommen.35 Während sich die Thüringer Kirchenleitung auffallend zurückhielt, um die bevorstehenden Lutherfeierlichkeiten nicht zu gefährden, löste die Verhaftungswelle in westlichen Medien große Resonanz aus. Vor allem der aus Jena stammende Schriftsteller Lutz Rathenow versorgte von Ostberlin aus Journalisten, Grünen-Politiker und Aktivisten von Amnesty International mit aktuellen Informationen.36 Spätestens als die Exil-Jenenser Thomas Auerbach, Jürgen Fuchs und Peter Rösch am 22. Januar 1983 die Namen aller Verurteilten im ARD-Magazin »Report« verlasen, waren die Vorgänge in Jena bundesweit bekannt.37 Angesichts dieser medialen Aufmerksamkeit sah sich die SED gezwungen, alle Jugendlichen Ende Februar vorzeitig aus der Haft zu entlassen. Die Konflikte einer Universitätsstadt sollten nicht die Feierlichkeiten im Reformationsland Thüringen überschatten. Dieser Rückzieher setzte allerdings eine ungeahnte Dynamik frei. Von der plötzlichen Haftentlassung ermutigt, schlossen sich die jungen Aktivisten im März 1983 zur »Friedensgemeinschaft Jena« zusammen und starteten mehrere Aktionen: Am Jahrestag der Bombardierung Jenas am 18. März 1983 zogen sie mit zwölf Friedenslosungen über den Marktplatz (»Militarisierung raus aus unserem Leben!«, »Verzicht auf Gewalt!«), beim Netzwerk »Frieden konkret« in Berlin berichteten sie über die schwierige Basisarbeit im Bezirk Gera und auf dem Pfingsttreffen der FDJ in Jena zeigten sie ein Plakat mit dem Schriftzug »Schwerter zu Pflugscharen« und forderten lautstark politische Mitsprache ein.38 Die Staatssicherheit bereute bald die vorzeitige Freilassung der Jugendlichen und entschied sich für eine systematische Zerschlagung der Friedensgemeinschaft. Am 18. Mai 1983 mussten die ersten drei Aktivisten binnen 24 Stunden die DDR verlassen, bis Ende des Sommers wurden weitere 50 Jenenser ins Exil getrieben.39 Spektakulärster Fall der großangelegten Abschiebeaktion, die Stasi-intern unter dem Codewort »Gegenschlag« lief, war der gewaltsame Rauswurf Roland Jahns am 7. Juni 1983. Gegen seinen erbitterten Widerstand schleppte ihn die Stasi mit Knebeln und Handschellen zum Grenzübergang Probstzella und warf ihn in einen Interzonenzug nach Bayern. Zufrieden stellte die Bezirksverwaltung (BV) Gera Anfang Juli 1983 fest: »Durch die Übersiedlungsaktion wurde der auf eine offene Konfrontation mit der sozialistischen Staatsmacht ausgerichtete aktive, handlungsbereite Kern kadermäßig dezimiert. Es gelang, die aktivsten, hasserfülltesten Kräfte dieser Gruppierung aus dem Schwerpunktterritorium zu entfernen.«40
Ein Grund für diese Härte waren die Kontakte der »Friedensgemeinschaft« zu westlichen Friedens- und Menschenrechtsgruppen. Dass der Staat auf blockübergreifende Aktivitäten besonders misstrauisch reagierte, mussten auch andere Basisinitiativen erfahren: Im Oktober 1983 trafen sich zum Beispiel Mitglieder der Münchener und Berliner Evangelischen Studentengemeinde zu einem lockeren Austausch in einer Ostberliner Wohnung. Einer der Initiatoren, der Physikstudent Ralph Mönchmeyer aus Oberbayern, erinnert sich an eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung seit dem Grenzübertritt. »Es war teilweise geradezu grotesk«, so Mönchmeyer im Rückblick. »Ich sah Männer in Trenchcoats mit umgehängten Kassettenrekordern mit einem Loch in der Lautsprecherabdeckung. Bei der Rückkehr wurden Gepäck, Bücher und Notizzettel akribisch kontrolliert.«41
Als Ostberliner Oppositionelle wie Rainer Eppelmann und Lutz Rathenow zusammen mit Grünen-Politikern wie Gabriele Potthast, Milan Horáček und Lukas Beckmann für den 4. November 1983 eine Protestaktion vor den Botschaften der USA und der Sowjetunion in Berlin-Mitte planten, veranlasste die SED-Führung einen Großeinsatz von Staatssicherheit und Volkspolizei. Im Rahmen der Stasi-Maßnahme »Wirrwarr-4« kam es zu zahlreichen Verhaftungen, Einreisesperren und Festsetzungen am Wohnort. Politbüromitglied Herbert Häber, Vertrauensmann Honeckers für Westkontakte, war tags zuvor eigens nach Bonn gereist, um Gert Bastian in seinem Bundestagsbüro gegen die Aktion in Stellung zu bringen.42
Für zwei prominente Oppositionelle hatte der 4. November noch ein bitteres Nachspiel. Am 12. Dezember 1983 verhaftete die Staatssicherheit Ulrike Poppe und Bärbel Bohley. Ihre Kooperation mit westdeutschen Grünen-Mitgliedern und britischen Friedensaktivisten wurde ihnen als Landesverrat ausgelegt. Doch während die Aktion »Wirrwarr-4« ohne größeres Aufsehen verlaufen war, regte sich nun Protest. Briefe an Erich Honecker und eine Mahnwache am Checkpoint Charlie forderten die Freilassung der beiden Mitbegründerinnen der Gruppe »Frauen für den Frieden« – und das mit Erfolg. Am 24. Januar 1984 wurden Bohley und Poppe wieder auf freien Fuß gesetzt.43
Der Umgang mit den beiden Bürgerrechtlerinnen war ein Beispiel für die widersprüchliche Politik der SED-Führung im Jahr 1983: Sie empfing westliche Friedensaktivisten wie Petra Kelly im Staatsratsgebäude und verweigerte ihnen wenige Tage später die Einreise, sie wetterte gegen den Kapitalismus und bemühte sich gleichzeitig um Zugang zum Kapitalmarkt, sie besuchte einen Gottesdienst auf der Wartburg und kriminalisierte parallel Akteure der kirchlichen Friedensbewegung. Grund für diese Ambivalenz waren strukturelle Zwänge, die die herrschende Partei zu zerreißen drohten: Bündnispflichten gegenüber der Sowjetunion, Abhängigkeiten vom Westen, ökologische Belastungen, gesellschaftliche Verselbstständigungstendenzen und das eigene Streben nach Kontrolle und Reputation. Um in dieser Situation wenigstens halbwegs handlungsfähig zu bleiben, waren aktuelle Lagebilder und Problemanalysen mehr denn je erforderlich. Das Berichtswesen der Staatssicherheit war hier ein wichtiges Hilfsinstrument, um die Stimmung in der Bevölkerung zu analysieren sowie kritische soziale und ökonomische Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. Welche Themen die Staatssicherheit dabei in den Mittelpunkt rückte – und welche Ereignisse sie weitgehend ignorierte – soll im Folgenden erläutert werden.
2. Ausgewählte Themenfelder der Berichte
2.1 Projektpartner und Überwachungsopfer: Die Leitungsgremien der evangelischen Kirche
Ein Standardthema der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) – dem zentralen Berichtsorgan der Staatssicherheit – sind die Debatten und Beschlüsse der Synoden, Kirchentage und Führungsgremien der evangelischen Kirche. 41 von 177 Parteiinformationen der ZAIG weisen im Jahr 1983 einen Kirchenbezug auf. Sachlich dokumentierte die Stasi hier Gespräche über Kirchenpartnerschaften mit der Bundesrepublik, den Bau eines kirchlichen Krankenhauses in Berlin oder die Ausgestaltung der Friedensdekade. Auf politisch Brisantes achtete sie dabei besonders, sei es der Streit um das Emblem »Schwerter zu Pflugscharen«, die Kritik an der Kriminalisierung von Bausoldaten oder Gremienbeschlüsse »mit stark pazifistischen Tendenzen« wie der Antrag der Synodaltagung der Landeskirche Sachsen im März 1983, in dem eine »Unterlassung von Demonstrationen militärischer Macht« gefordert wurde.44 Anträge wie dieser, aber auch Referate, Beschlüsse und Programmhefte wurden oft als Abschriften den Berichten beigefügt.
Warum schenkte die Stasi der Kirche so viel Aufmerksamkeit? Weil sie die einzige intakte Großorganisation unabhängig von der SED war und mit ihren ganz eigenen Ausdrucksformen wie Andachten, Kirchenblättern oder Friedenswerkstätten einen Rest an demokratischer Debattenkultur praktizierte.45 Langfristig wollte die SED diesen Fremdkörper im Herrschaftssystem beseitigen. Kurzfristig vertraute sie auf eine Doppelstrategie aus offizieller Kooperation und konspirativer Einflussnahme.46 Gerade im Jahr 1983 wünschte sich der Staat die Kirche als konstruktiven Partner, um mit Veranstaltungen wie dem Lutherjahr die eigene Bevölkerung zu integrieren und die deutsch-deutschen Beziehungen zu pflegen.
Der Geheimpolizei war dabei bewusst, dass es sich bei der Kirche nicht um einen einheitlich auftretenden Akteur handelte. Einzelne Landeskirchen, Gremien und Amtsträger vertraten jeweils ganz unterschiedliche Positionen. Wer verhielt sich loyal? Wer konfrontativ? Grob lassen sich in den Berichten drei Lager herauslesen: Die Pragmatiker um den brandenburgischen Konsistorialpräsidenten Manfred Stolpe, die Konflikte auf offener Bühne vermeiden und Kircheninteressen hinter den Kulissen diplomatisch durchsetzen wollten. Dann staatsnahe Figuren wie der Thüringer Oberkirchenrat Martin Kirchner oder der Berliner Generalsuperintendent Günter Krusche, die demonstrativ SED-Ansätze verteidigten und in der Regel auch mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) kooperierten.47 Und schließlich unbequeme Geistliche wie der Berliner Bischof Gottfried Forck und sein persönlicher Referent Martin-Michael Passauer, die immer wieder Kritik am Regierungshandeln übten und für die oft unkonventionellen Aktionen von Basisgruppen Partei ergriffen.48 Naturgemäß konzentrieren sich die ZAIG-Berichte auf letztere Gruppe. »Bei uns ist zwar kein Gefängnis, aber es besteht nur eine relative Freiheit. Man kann die Meinung frei äußern, die erlaubt ist«, zitiert die Stasi zum Beispiel den sächsischen Landesjugendpfarrer Harald Bretschneider auf dem Kirchentag in Dresden im Juli 1983.49 Ähnliche »offen feindliche Aussagen« dokumentierte sie auch von anderen Kirchenleuten, etwa von Pfarrer Hans-Jochen Tschiche, der auf der Friedenswerkstatt in der Erlöserkirche in Ostberlin die Korruption und feindliche Rhetorik der Regierenden anprangerte: »Die Mördersprache, die anderen das Lebensrecht bestreitet, ist bei uns Politik«, so Tschiche.50 Besonders ins Visier geriet im Jahr 1983 der Superintendent von Karl-Marx-Stadt Christoph Magirius. Über den »reaktionärsten Vertreter der Landeskirche Sachsens« fertigte die Stasi sogar eine eigene Parteiinformation an.51 Darin hebt sie hervor, dass Magirius die »Nichtanerkennung der staatlichen Macht des Arbeiter-und-Bauern-Staates« propagiere, Wehrunterricht und Wehrerziehung ablehne und für die »konterrevolutionären Ereignisse in der VR Polen« Sympathie zeige. Immer wieder würde der Kirchenmann »Formulierungen aus dem westlichen Sprachgebrauch« benutzen. Etwas resigniert heißt es am Ende, Magirius habe sich bei einer Aussprache mit dem Oberbürgermeister von Karl-Marx-Stadt Kurt Müller am 29. Juni 1983 »uneinsichtig« gezeigt.
2.2 Herausbildung einer Zivilgesellschaft: Die Aktionen der neuen Umwelt- und Friedensgruppen
Die Staatssicherheit interessierte sich auch deshalb für die evangelische Kirche, weil unter ihrem Dach immer mehr kritische Bürger in unabhängigen Basisgruppen zusammenkamen. Kein anderer Ort der DDR bot größere kulturelle und akademische Freiheiten als die Seminare, Werkstätten, Ausstellungen und Akademien der Protestanten. Die Geheimpolizei nutzte diese Räume, um staatsferne Milieus zu observieren. Im Jahr 1983 fertigte sie zwar keine systematische Analyse über die Strukturen, Methoden und Mitglieder der Basisgruppen an.52 Dafür berichtete sie detailliert über einzelne Veranstaltungen wie das von dem Mediziner Peter Rüth organisierte Sommerfest im Karolinenhof bei Neubrandenburg mit Lesungen und Filmvorführungen oder die Aktion »Fasten für das Leben« am Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima, an der sich Bürgerrechtler wie Martin Böttger, Bärbel Bohley und Katja Havemann beteiligten.53 Letzteres bezeichnete das MfS als »politisch negativ akzentuiert«, unter anderem weil die Teilnehmer »alternative Sozialismusvorstellungen« propagierten.54
Zwei Großereignisse der evangelischen Basisgruppen beschrieb die ZAIG besonders ausführlich, beide fanden in der Lichtenberger Erlöserkirche statt: Zunächst die sogenannte Friedenswerkstatt am 3. Juli 1983. Unter dem Motto »Frieden pflanzen« kamen hier über 3 000 Interessenten zu Workshops, Ausstellungen, Andachten und Podiumsdiskussionen zusammen, darunter der amerikanische Vizekonsul Walter Andruszyszyn und der Schriftsteller Stefan Heym. Die Programmpunkte, Plakate und Infostände zeigen eine erstaunliche Vielfalt der Kirchenbasis und wurden von der Stasi akribisch dokumentiert.55 Was fand sie dabei besonders beachtenswert? Unter anderem, dass Horst-Eberhard Richter, Psychoanalytiker und IPPNW-Aktivist aus Gießen, im »Hyde-Park«, einer Ecke für freie Rede im Kirchhof, die Jenaer Friedensgemeinschaft lobte. Dass der Schriftsteller Rolf Schneider die »Friedensfähigkeit der DDR bezweifelte«. Und dass Bärbel Bohley, Malerin und Mitbegründerin der Gruppe »Frauen für den Frieden«, feststellte: »Die Kirche ist die einzige Basis, wo man sich mit bestehenden Problemen auseinandersetzen könne.« Dieser Satz, so die Stasi, »wurde mit großem Beifall bedacht«.56
Auch dass der gewaltsame Rauswurf Roland Jahns hier zur Sprache kam, registrierte die Geheimpolizei sehr genau. Die Parteiinformation vom 4. Juli 1983 geht auf eine Eingabe von Lutz Rathenow ein, die der Schriftsteller an Erich Honecker verfasst hatte und öffentlich im Garten der Erlöserkirche vorlas. Roland Jahn, so Rathenow, »sei vermutlich von Agenten westlicher Geheimdienste entführt worden. Diese verkleideten sich möglicherweise als Mitarbeiter staatlicher Organe unseres Landes und wollten so den Eindruck erzeugen, die DDR rollt einen Bürger gegen seinen Willen außer Landes.« Der Verfasser appellierte an Honecker, die Verschleppung rückgängig zu machen: »Sind Mitarbeiter unserer Dienste nicht in der Lage, Roland Jahn einfach zurückzuentführen?« Rathenows Frage, so die Stasi, »wurde mit großem Gelächter aufgenommen«.57
Das zweite Großereignis der Basisgruppen im Jahr 1983 waren die sogenannten Blues-Messen im April, Juni und September. Die Idee für diese Mischung aus Blues- und Punkkonzert, Theateraufführung, Predigt und Bibellesung ging auf den Musiker Günter Holwas zurück. »Ich mach dir deine Kirche voll«, versprach er Rainer Eppelmann im Jahr 1979.58 Holwas sollte Recht behalten. Im Juni 1983 kamen in dem Lichtenberger Gotteshaus über 7 000 Blueser, Tramper und Punker mit Lederjacken, Parkas und langen Haaren zusammen, »Jugendliche im Alter zwischen 16 und 25 Jahren«, wie die Stasi notierte, »mit teilweise dekadentem Äußeren«.59 Sie diskutierten über Konsumdruck, freien Willen und staatliche Gewalt, sahen Anspiele mit biblischen Themen und tanzten zu Bands wie »Keim-Schleim«, »Infarkt« oder »Größenwahn«.60 Vorbereitung und Ablauf der Messen sind in den ZAIG-Berichten fast lückenlos wiedergegeben, dazu die wichtigsten Ansprachen, Predigten, Liedertexte und informellen Debatten.61 Diese besondere Form der Offenen Jugendarbeit führte zu einer Polarisierung der Kirchgemeinde: Für viele Jugendliche war sie ein erster Zugang zur Kirche und oft die einzige Möglichkeit, um über persönliche Sehnsüchte und Schwierigkeiten zu sprechen – »eine Art Therapie für die Gesellschaft«, so Eppelmann in seiner Biografie.62 Viele Mitglieder des Gemeindekirchenrates und der Kirchenleitung empfanden das Spektakel hingegen als kulturelle und organisatorische Zumutung.63 Generalsuperintendent Günter Krusche, seit Anfang 1983 im Amt, wollte das Großprojekt nur unter Vorbehalten unterstützen. Der gottesdienstliche Charakter mit »Stille und Besinnung« müsse gewahrt bleiben, so Krusche.64 Da am Ende aber Punk und Politik die »Messen« bestimmten, gingen nicht wenige Gemeindemitglieder und Anwohner auf Distanz.65
Die Stasi ließ nichts unversucht, um das beliebte Event zu behindern: Sie fotografierte demonstrativ Teilnehmer auf dem Kirchengelände, streute Gerüchte über alkoholisierte Massen und neonazistische Umtriebe, mobilisierte konservative Geistliche im Gemeindekirchenrat und veranlasste Funktionäre wie Klaus Gysi, Staatssekretär für Kirchenfragen, Druck auf die Kirchenleitung auszuüben.66 Für Eppelmann war eine Gefängnisstrafe geplant. Dafür eröffnete das MfS 1981 einen Operativen Vorgang, dem sie – »fantasievoll wie sie nun einmal war« (Eppelmann) – den Namen »Blues« gab.67
Besondere Verärgerung löste bei der Geheimpolizei die Messe im Juni 1983 aus – mit 7 000 Teilnehmern die größte ihrer Art. Laut ZAIG hatte die Band »Planlos« an diesem Wochenende »faschistisches Gedankengut« verbreitet, eine Liedzeile lautete: »Rote Parolen und Sowjetmacht haben Deutschland kaputtgemacht.« Auf einem Bettlaken soll unübersehbar »Wo Mauern sind, kann keine Freiheit sein« gestanden haben. Dazu ein Schild mit der Aufschrift: »Ich stehe hinter jeder Regierung, wenn ich nicht sitzen muss, wenn ich nicht hinter ihr stehe.« Ihr Versprechen, solcherlei Provokationen nicht zu dulden, hätten die verantwortlichen Kirchenleute Forck, Krusche und Passauer »nicht konsequent eingehalten«, so die ZAIG.68 In ihrer Information schlug sie daher vor, gegenüber Forck und Stolpe diesen »politischen Missbrauch entschieden zu verurteilen«. »Im Wiederholungsfall« würden »rechtliche Maßnahmen gegen die Organisatoren zur Anwendung kommen« – das solle Staatssekretär Gysi dem Bischof und Konsistorialpräsidenten ausrichten.69 Gegenüber der Gruppe »Planlos« veranlasste die Stasi sogar ein Gerichtsverfahren. Im Februar 1984 wurden die Sängerin Jana Schloßer und der Gitarrist Micha Horschig zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.70
In den Berichten des Jahres 1983 stehen Großereignisse wie die Blues-Messen oder die Friedenswerkstatt ganz im Mittelpunkt. Allerdings bemerkten die Analysten der ZAIG auch, dass die Akteure der verschiedenen Aktionen nicht isoliert agierten, sondern sich anschickten, übergeordnete Strukturen aufzubauen. Am 5. und 6. März 1983 kamen zum Beispiel in der Christuskirche in Berlin-Schöneweide 130 Vertreter aus 37 Friedenskreisen zusammen, um das Netzwerk »Frieden konkret« ins Leben zu rufen – eine Art »Parlament der Gruppen«, um Erfahrungen auszutauschen, Kommunikationswege zu etablieren und neue Projekte zu planen.71 Aus Sicht der Stasi eine beunruhigende Entwicklung. Am 25. Februar und 1. März 1983 berichtete sie ausführlich über die Planung dieser Zusammenkunft, am 7. März folgte eine ebenso ausführliche Auswertung.72 Ahnten die Offiziere, dass hier etwas Neues entstand – die ersten Versuche einer unabhängigen ostdeutschen Zivilgesellschaft? Wenn ja, bewiesen sie ein sicheres Gespür. Bis 1989 entwickelte sich »Frieden konkret« tatsächlich zum einflussreichsten oppositionellen Netzwerk der DDR mit zuletzt über 200 Gruppen und sechs großen Seminaren.73
Auch wenn dieser Prozess im Jahr 1983 noch ganz am Anfang stand, löste er innerhalb der evangelischen Kirche bereits handfeste Kontroversen aus. Während der Initiator Hans-Jochen Tschiche, seit 1978 Leiter der Evangelischen Akademie in Magdeburg, die Zeit für eine »Solidargemeinschaft« reif sah, sprach sich Stolpe strikt »gegen ein solches Forum mit einem derartigen Teilnehmerkreis« aus.74 Unter Vermittlung von Synodalpräsident Manfred Becker einigten sich beide Seiten Ende Februar 1983 auf konkrete Vorsichtsmaßnahmen, die in den ZAIG-Informationen deutlich hervorgehoben werden: keine öffentliche Erklärung, keine Erwähnung der »unabhängigen Friedensbewegung«, Ausschluss aller Westmedien und eine Prüfung des Programms durch die Kirchenleitung.75
Trotz dieser Zurückhaltung versuchte die Stasi das Vernetzungstreffen bis zuletzt zu verhindern – auch das wird in den ZAIG-Berichten deutlich. Sie wandte dabei eine bewährte Methode an: Druck mithilfe staatlicher Leiter aufbauen. Manfred Becker erhielt Besuch von seinem Arbeitgeber, dem Direktor des Zentralinstituts für Sprachwissenschaften Werner Bahner. Manfred Stolpe und der Pfarrer der Kirchengemeinde Berlin-Karlshorst Joachim Rißmann mussten ein Gespräch mit dem stellvertretenden Ostberliner Oberbürgermeister für Inneres Alfred Meyer über sich ergehen lassen. Und Bischof Forck erhielt von Staatssekretär Gysi den Hinweis, dass das Seminar eine »Provokation gegen die Friedenspolitik der DDR« darstelle. Forck, so der ZAIG-Bericht, »versuchte daraufhin in der von ihm hinlänglich bekannten Art zu lavieren, das geplante Vorhaben herunterzuspielen und als im Sinne der Kirche gerechtfertigt darzustellen«.76
Das Treffen »Frieden konkret« konnte die Stasi am Ende nicht verhindern. Das neue Selbstbewusstsein der Gruppen und die verschärfte Gangart des Staates stellten die Kirche aber vor eine Zerreißprobe. »Wie hältst du’s mit den Basisgruppen?« wurde zur zentralen politischen Standortfrage. Aufmerksam registrierte die ZAIG hier scharfe Gegensätze: Joachim Garstecki, Referent für Friedensfragen des DDR-Kirchenbundes, bezeichnete auf einer Tagung des Ausschusses »Kirche und Gesellschaft« in Potsdam Ende Januar 1983 die Friedenskreise als »neue soziale Friedensträger«, die von den Kirchenleitungen beraten und ermutigt werden sollten.77 Dagegen forderte Carl Ordnung, Sekretär der SED-loyalen Christlichen Friedenskonferenz, auf der gleichen Veranstaltung ein klares Bekenntnis der Aktivisten zur Bibel. Die Kirche sei kein »Rummelplatz für reaktionäre Gruppen«, so Ordnung.78 Und der thüringische Bischof Werner Leich wünschte sich auf einer Synodaltagung des Kirchenbundes im September 1983 eine deutlichere Abgrenzung »von Personen mit einer feindlich-negativen Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung«. »Wir sind Kirche für alle, aber nicht für alles«, so Leich.79 Gerade in Thüringen wünschte man sich im Lutherjahr eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit staatlichen Organen.
Welche Ausmaße diese Spannungen zwischen Basis und Leitung annehmen konnten, zeigen die Vorgänge in der Universitätsstadt Jena. Hier machte die Junge Gemeinde Stadt-Mitte immer wieder mit spektakulären Aktionen wie der Schweigeminute an Heiligabend vor der Jenaer Stadtkirche auf sich aufmerksam. Sie wünschte sich ein mutigeres Eintreten der Kirche für Meinungsfreiheit und Demokratie und forderte ganz konkret eine Aufklärung des plötzlichen Todes ihres Mitstreiters Matthias Domaschk im April 1981 im Gewahrsam der Stasi-Bezirksverwaltung in Gera.
Die zentrale Ebene des Stasi-Berichtswesens fertigte über diese Gruppe zunächst keine Berichte an. Auch die Eskalation der Auseinandersetzungen mit der Verhaftung von zwölf jungen Christen zwischen dem 14. Januar und 7. Februar 1983 und ihrer überraschenden Freilassung nach internationalen Protesten Ende Februar 1983 war der ZAIG keine Erwähnung wert.80 Als sich die Jugendlichen Anfang März aber zur »Friedensgemeinschaft Jena« zusammenfanden und auf dem Marktplatz in Jena ihre erste große Aktion starteten, griffen auch die Auswerter in Berlin das Thema auf. Am 21. März 1983 informierten sie die Parteiführung, dass bei einer Gedenkveranstaltung der Nationalen Front anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Jenas im Zweiten Weltkrieg 30 Jugendliche mit eigenen Plakaten und Losungen wie »Verzichtet auf Gewalt« oder »Frieden schaffen ohne Waffen« aufgetaucht waren. Die Vorgeschichte dieser Aktion erwähnt der Bericht allerdings nicht: Am 8. März hatten Uwe Sinnig, Dorothea und Michael Rost unter dem Namen »Friedensgemeinschaft Jena« beim Volkspolizeikreisamt offiziell eine »Schweigeminute für Frieden« beantragt. MfS und SED hatten überrascht reagiert. Noch nie hatte es jemand gewagt, eine Protestaktion offiziell anzumelden. Um für diesen Anlass die Deutungshoheit zu behalten, organisierte die SED-Kreisleitung im Eiltempo eine offizielle Kundgebung für den 18. März und eine Kranzniederlegung für den 19. März – Aktivitäten, die an einem unrunden Jahrestag eigentlich unüblich waren.81
Als sich die Jugendlichen dann am 18. März 1983 unter die Schaulustigen der SED-Veranstaltung auf dem Marktplatz mischten, schlug ein Kommando aus Sicherheitskräften unvermittelt zu. »Plötzlich begannen mehrere Personen uns die Plakate und Spruchbänder zu entreißen«, schilderten die Jugendlichen den Vorgang später in einem Brief an Erich Honecker. »Es wurde mit brutaler Gewalt und Beschimpfungen gegen uns vorgegangen. […] Mit dem Ruf ›Bringt die Kinder in Sicherheit!‹ verließen wir den Platz.«82 Der Stasi-Bericht vom 21. März geht auf den Vorfall ebenfalls ein, allerdings mit einer etwas anderen Perspektive: »Kundgebungsteilnehmer«, so die ZAIG, hätten gegen die »provokatorisch und aggressiv auftretenden Personen« spontan eingegriffen und dabei Spruchbänder und Plakate zerrissen.83
Die Stasi-Information berichtet weiter, wie die aufgebrachten Jugendlichen über das Erlebte sprechen wollten und dafür am Abend des 18. März 1983 in der Jenaer Friedenskirche zusammenkamen. Die Kirchengemeinde wurde jetzt Zeugin eines schweren Konflikts zwischen den jungen Aktivisten und Bischof Werner Leich. Leich betonte zunächst in einer längeren Ansprache, dass jedes Friedensengagement einzig »mit kirchlich-eigenen Mitteln« zu erfolgen habe. »Es geht nicht darum, eine Ideologie oder Propaganda (Plakate und andere Proteste) vorzutragen«, so Leich. Kirche müsse ihre Integrität bewahren und »mit dem Staat im Gespräch bleiben«.84 Einer der Aktivisten, der Bildhauer Frank Rub, versuchte dagegen, einen offenen Brief über die gewaltsame Vertreibung vom Marktplatz zu verlesen. Leich intervenierte: So ein Brief habe im Gottesdienst nichts zu suchen. Er entzog Rub das Wort »mit der Zurechtweisung, er könne nicht machen, was er wolle«, heißt es im ZAIG-Bericht. Daraufhin erklärte Rub, dass es sich bei dem Brief »um eine ›Beschwerde‹ wegen der Ereignisse am Nachmittag handele. Er habe nun die Absicht, diesen Brief am Ende der Veranstaltung zu verlesen und forderte die Anwesenden auf, den Brief zu unterschreiben. Dies wurde nochmals vom Bischof untersagt mit dem Hinweis auf einen Verstoß gegen das Hausrecht.«85
Am Ende gelang es der Friedensgemeinschaft, den Brief vor der Kirchentür zu verlesen. 96 Personen sollen den Text unterzeichnet haben – ein Protestakt nicht nur gegen die Aggressivität des Staates, sondern auch gegen die fehlende Solidarität der Thüringischen Amtskirche.86 »Leich hat uns deutlich gezeigt, dass wir unter dem Dach der Kirche keinen Platz finden würden«, so Rub im Rückblick. Gerade im Lutherjahr hatte die Kirchenleitung »Angst vor den Konflikten«.87
Über die vielen weiteren Aktionen der Friedensgemeinschaft – etwa Dorothea Rosts Teilnahme am Seminar »Frieden konkret« in Berlin oder Roland Jahns Auftritt auf dem Pfingsttreffen der FDJ in Jena – findet sich nichts in den ZAIG-Berichten. Auch die Zerschlagung der Oppositionsgruppe im Rahmen der Stasi-Aktion »Gegenschlag« ab Mitte Mai 1983 spiegelt sich in den Berichten nicht wider.88 Dennoch sind die Jenaer Ereignisse das ganze Jahr über im Berichtswesen präsent, da nicht wenige Synoden, Kirchenleitungskonferenzen, Friedensdekaden und Friedenswerkstätten auf das Thema zu sprechen kamen. Die ZAIG-Berichte schenkten diesen Debatten stets eine besondere Aufmerksamkeit.89
2.3 Staatssicherheit im Alarmzustand: Die Grünen in Ostberlin
Ein weiteres zentrales Thema der ZAIG im Jahr 1983 war das Auftreten der Grünen in der DDR. Den neuen Politstars aus der Bundesrepublik, die seit ihrem Einzug in den Bundestag im März 1983 die westlichen Medien faszinierten, begegnete die SED-Führung mit Neugier und Skepsis: Einerseits positionierten sie sich klar gegen NATO-Raketen, scheuten keine Kooperation mit DDR-loyalen Organisationen und hatten die Fähigkeit, mit ihren prominenten Repräsentanten wie Petra Kelly weit in die Mitte der westdeutschen Gesellschaft hineinzuwirken. Andererseits waren die Grünen auch ein Sammelbecken für DDR-Dissidenten wie Rudolf Bahro. Sie suchten die Nähe zu unabhängigen Frauen-, Friedens- und Umweltgruppen und neigten immer wieder zu spontanen, publicityträchtigen Aktionen.90 Wie gefährlich das sein konnte, zeigt ihr plötzlicher Auftritt auf dem Alexanderplatz, über den die ZAIG ausführlich berichtete. Zur Überraschung der DDR-Sicherheitsbehörden enthüllten Lukas Beckmann, Petra Kelly, Gert Bastian, Roland Vogt und Gabriele Potthast am 12. Mai 1983 um »5 vor 12« zwei Transparente vor der Weltzeituhr mit der Aufschrift »Die Grünen – Schwerter zu Pflugscharen« und »Die Grünen – Jetzt anfangen: Abrüstung in Ost und West«.91 Auch wenn die Sicherheitskräfte sichtbar überrumpelt waren, gelang es ihnen, die Demonstration binnen weniger Minuten aufzulösen und die Aktivisten ins Polizeipräsidium Mitte abzuführen. Dort entwickelte sich laut Stasi eine zweistündige Debatte über Bürgerrechte, Meinungsfreiheit und eine für Erich Honecker verfasste Erklärung zu Abrüstungsfragen. »Besonders Beckmann trat während des Gesprächs politisch-aggressiv auf«, so die ZAIG. »Er forderte entschieden – assistiert von der Kelly, die provozierend erklärte, dass in der DDR Friedenskämpfer inhaftiert seien – die Freiheit der Demonstration in der DDR. Dem wurde unter Hinweis auf die sozialistische Gesetzlichkeit und die Verurteilung auf der Grundlage unserer sozialistischen Rechtsordnung entgegengetreten.«92 Am Ende erlaubte die Polizei den Politikern, ihre Erklärung bei der Bürgersprechstunde des Staatsrates abzugeben. Bei dieser Übergabe, hielt die Stasi fest, habe Petra Kelly das »brutale Vorgehen insbesondere gegenüber Frauen« auf dem Alexanderplatz verurteilt und sich mit den »in Jena ›kriminalisierten Bürgern‹ solidarisch« erklärt.93
Wie reagierte Honecker auf diesen unerwarteten Besuch? Zuerst überrascht, dann aber durchaus schlagfertig und kreativ. In einem Antwortbrief an die Grünen bedauerte er seine Abwesenheit und lud die Grünen-Politiker spontan zu sich ins Staatsratsgebäude ein. Er sei für »Abrüstung in Ost und West«, so Honecker, und wolle die Welt vor einem »atomaren Inferno bewahren«.94 Mit diesem Schritt hatte er das Überraschungsmoment geschickt auf seine Seite gezogen und konnte sich gegenüber der westlichen Öffentlichkeit als konzilianter, friedensbewegter Gesprächspartner in Szene setzen.95
Die Grünen gingen auf das Angebot ein und starteten damit ihre für 1983 charakteristische Doppelstrategie: Sie pflegten Kontakte zu führenden Bürgerrechtlern wie Rainer Eppelmann, Gerd und Ulrike Poppe sowie Bärbel Bohley und zeigten sich gleichzeitig offen für Gespräche mit ranghohen SED-Funktionären. So traf zum Beispiel am 18. Oktober 1983 eine Delegation um Bundessprecher Wilhelm Knabe den Umweltminister der DDR Hans Reichelt, um einen Tag später den Leiter des Kirchlichen Forschungsheims in Wittenberg Hans-Peter Gensichen aufzusuchen.96 Höhepunkt dieser Vorgehensweise war zweifelsohne das Treffen mit Erich Honecker am 31. Oktober 1983. Die ZAIG begleitete das Spektakel mit zwei längeren Berichten.97 Sie beschrieb zunächst, wie Petra Kelly, Gert Bastian, Antje Vollmer, Lukas Beckmann, Dirk Schneider, Otto Schily, Gustine Johannsen und Renate Mohr dem SED-Chef ein Bild der Plastik »Schwerter zu Pflugscharen« überreichten und sich nach den Aktionsmöglichkeiten der unabhängigen Friedensbewegung erkundigten.98 Dann geht der Bericht auf die Pressekonferenz der Grünen im Anschluss an das Treffen ein, bei der sie die inhaftierten Aktivisten Lothar Rochau und Katrin Eigenfeld erwähnten, die Diskriminierung der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR kritisierten und auch das Thema Kriegsdienstverweigerung ansprachen. Die Stasi stellte fest: »Massiv wurde die DDR wegen ›Behinderung‹, ›Unterdrückung‹, ›Repressalien‹, ›Pressionen‹, ›Verboten‹ usw. gegenüber der sogenannten unabhängigen Friedensbewegung angegriffen.«99 Dass Honecker zur Überraschung der Anwesenden während des Gesprächs zwei von drei Punkten eines von den Grünen formulierten »persönlichen Friedensvertrags« unterschrieben hatte, fehlt in der Darstellung.100 Auch der berühmt gewordene Auftritt Petra Kellys, bei dem sie Erich Honecker während eines Gruppenfotos im weißen Pullover mit einem Aufdruck des Symbols »Schwerter zu Pflugscharen« gegenübertrat, wird nicht erwähnt. Die ZAIG überspringt diese Ereignisse und befasst sich gleich mit dem Agieren der Grünen vor dem Staatsratsgebäude kurz vor ihrer Abreise. Dort drohte nämlich eine ähnliche Situation wie auf dem Alexanderplatz im Mai. Vor Kamerateams von ARD und ZDF begann die Delegation, drei Transparente zu entfalten: »Einseitig abrüsten statt beidseitig aufrüsten«, »Lasst den Frieden frei« und »Schwerter zu Pflugscharen« war darauf zu lesen.101 Genau solche Aktionen hatte die Stasi eigentlich verhindern wollen und dafür zahlreiche Sicherheitskräfte am Brandenburger Tor, auf dem Alexanderplatz und vor dem Staatsratsgebäude postiert.102 Ein Kontrollverlust wie im Mai schien sich aber nicht wiederholt zu haben. Zumindest konnte die ZAIG am Ende ihres Berichts feststellen: »Es wurde jeweils nur eine geringe Öffentlichkeitswirksamkeit erzielt.«103
Getreu ihrer Doppelstrategie machten sich die Grünen nach ihrem Gespräch mit dem SED-Chef noch am selben Abend zur Friedrichshainer Samariter-Gemeinde auf. Dort trafen sie Rainer Eppelmann und etwa 25 weitere Vertreter der unabhängigen Friedensbewegung. Auch einen Tag später kamen sie mit Friedensaktivisten und Bürgerrechtlern in Ostberlin zusammen. Die ZAIG beobachtete diese Interaktion sehr genau und fertigte acht längere Analysen an.104 Festgehalten wurden darin unter anderem »heftige Angriffe gegen die Staats- und Rechtsordnung in der DDR« durch Lutz Rathenow und Hans-Jochen Tschiche. »Es gäbe keine politische Moral in der DDR. Man müsse das System abschaffen«, so die beiden Aktivisten. Von den Grünen erwarte man »einen stärkeren Einfluss auf innenpolitische Fragen«, es gehe um »mehr Freiheitsrechte, freie Meinungsäußerung und Reisemöglichkeiten zwischen beiden deutschen Staaten«.105 Die Grünen-Politiker, so die ZAIG, unterstützten diese Forderungen, sprachen sich für blockübergreifende Aktionen aus und warben auch bei der Führung der Berlin-Brandenburgischen Kirche für eine Stärkung der unabhängigen Friedensgruppen.106
Ein erster Höhepunkt dieser neuen Kooperation sollte der 4. November 1983 werden. An diesem Tag beabsichtigten Vertreter der Grünen, Friedensbewegte aus den Niederlanden und ostdeutsche Friedenskreise in zwei Gruppen die Botschaften der USA und der Sowjetunion aufzusuchen, um jeweils eine Petition und einen selbstgebastelten Globus mit der Aufschrift »So sieht die Erde jetzt noch aus« zu überreichen. Stasi und SED-Führung zeigten sich alarmiert. Lukas Beckmann konnte sich bei dieser Aktion laut ZAIG eine Teilnahme von über 1 000 DDR-Bürgerinnen und -Bürgern vorstellen. Eppelmann pflichtete ihm bei: Mit ein bisschen Werbung in den Westmedien werde sich »eine große Zahl von DDR-Bürgern« daran beteiligen. »Es werde schwer sein, die Zahl zu begrenzen«, so Eppelmann laut ZAIG.107
Der Staat reagierte auf diese Planungen mit einem Großeinsatz von Sicherheitskräften: 86 DDR-Bürger wurden vorübergehend inhaftiert, 22 an der Reise nach Berlin gehindert und 31 an ihrem Wohnort festgehalten. Für sämtliche Mitglieder der Grünen und der Westberliner Alternativen Liste verhängte das MfS eine Einreisesperre. Als sich am frühen Morgen des 4. November dennoch etwa 25 bis 30 Aktivisten am Bahnhof Friedrichstraße einfanden, wurden sie von Stadtjugendpfarrer Martin-Michael Passauer empfangen und aufgefordert, den abgeschirmten Bereich zu verlassen.108 Mit der Stasi-Aktion »Wirrwarr-4« gelang es Polizei und Staatssicherheit, einen spektakulären Auftritt von Grünen und Basisgruppen ohne größeres Aufsehen zu unterbinden. Gleichzeitig setzte eine Eiszeit in den Beziehungen zu den Grünen ein. Galten sie zu Beginn des Jahres noch als vielversprechender Partner, standen sie jetzt auf einer Stufe mit »Feindorganisationen« wie dem Bahro-Komitee oder der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte.109
2.4 Reale Kriegsangst: Die Bevölkerungsstimmung im Jahr 1983
Einen wichtigen Bestandteil des Berichtswesens bilden die Berichte über Meinungen und Stimmungen in der Bevölkerung – die sogenannten O-Berichte, eine Art geheimpolizeiliche Demoskopie. Im Jahr 1983 dokumentierte das MfS zum Beispiel die Stimmung auf der Leipziger Frühjahrsmesse, die Reaktionen der Bevölkerung auf die Abrüstungsvorschläge der Sowjetunion oder die Meinungen zur Karl-Marx-Konferenz im April. In der Regel wurden diese Dossiers nicht an die SED-Führung weitergegeben, sondern dienten leitenden Stasi-Offizieren als Orientierung für ihre operative Arbeit.
Die Stimmungsberichterstattung auf der zentralen Ebene wies dabei nicht selten ein spezifisches Grundmuster auf: Anstatt die Stimmungen neutral und ungefiltert widerzugeben, differenzierte die ZAIG oft nach »positiven«, »gleichgültigen« und »feindlich-negativen« Aussagen, um diese dann ganz bestimmten Milieus und Berufsgruppen zuzuordnen. Ein solcher Bericht setzt meist mit der Betonung einer übergroßen Unterstützung für die Politik von SED und Sowjetunion ein. Im zweiten und dritten Absatz folgen dann einige Einwände und Bedenken von Landwirten oder technischen Angestellten. Am Ende werden dezidiert »feindliche« Aussagen einiger »hinlänglich bekannter« Personen meist aus dem kirchlichen Milieu erwähnt. »Soziales Klassentheater« nennt Uta Stolle diese über Jahre einstudierte Berichtstechnik. Mit ihr war es der ZAIG möglich, gegenüber der Führungsebene von SED und MfS auch negative Entwicklungen zu artikulieren, ohne sich dabei den Vorwurf der Parteifeindlichkeit einzuhandeln.110
Ein Paradebeispiel für dieses Muster sind die Stimmungsberichte zum Raketenstreit – im Jahr 1983 das mit Abstand wichtigste Thema der O-Reihe. In fünf ausführlichen Berichten fragte die ZAIG nach der Reaktion der Bevölkerung auf den Stationierungsbeschluss des Deutschen Bundestages am 22. November 1983 und die Reaktion der Sowjetunion darauf (Abbruch der Genfer Verhandlungen, Stationierung weiterer nuklearer Mittelstreckenraketen in der DDR, der Tschechoslowakei und im europäischen Teil der Sowjetunion). Die »überwiegende Mehrheit«, heißt es zunächst, lehne den »forcierten Hochrüstungs- und Konfrontationskurs der NATO-Staaten« ab und würde den Stationierungsbeschluss »entschieden verurteilen«.111 Die Bereitschaft Honeckers, weiter mit der Bundesrepublik zu kooperieren, werde hingegen von »progressiven und politisch engagierten Personenkreisen« begrüßt. »Es zeuge von Weitsicht, dass trotz des Stationierungsbeschlusses des Bundestages nicht alle Brücken zur BRD abgebrochen würden«, so die vorherrschende Meinung.112
Im mittleren Teil der Stimmungsberichte hob das MfS dann »neutralistische und pseudopazifistische Grundpositionen« bei einigen Naturwissenschaftlern und Medizinern hervor. »In der DDR werde über die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in der BRD ein ›großes Geschrei‹ gemacht, aber in der DDR sei die Bevölkerung überhaupt nicht gefragt worden, ob sie mit den angekündigten Gegenmaßnahmen einverstanden sei«, wird zum Beispiel zitiert.113
Am Ende zählt die ZAIG einige negative Aussagen »reaktionärer kirchlicher Kräfte« auf, die zum Beispiel Verteidigungswaffen als »Mordwerkzeuge« bezeichnen und von »Hass und Feindbildvermittlung« sprechen würden.114 »Jetzt beweisen die UdSSR und die DDR ihr ›wahres Gesicht‹, alles Vorherige war nur ›Propaganda‹«, so eine Aussage. Diese »Personenkreise«, meint die ZAIG, missbrauchen kirchliche Veranstaltungen wie die Friedensdekade, »um ihre ablehnende Haltung demonstrativ zu bekunden und ihr den Anschein einer gewissen Breitenwirkung zu verleihen«.115
Trotz dieses festgefügten Schemas wird in den O-Berichten des Jahres 1983 auch eine sehr reale Kriegsangst bei weiten Teilen der Bevölkerung sichtbar. Es gebe »Sorge vor der Zukunft«, heißt es in einem Bericht. »Vor allem bei Frauen aller Altersklassen, älteren Bürgern, Angehörigen der Intelligenz, Studenten, Schülern an POS und EOS und Beschäftigten des Gesundheitswesens« seien eine »gewisse Ratlosigkeit und Gefühle der Ohnmacht« verbreitet.116 An einer Stelle wird die Beobachtung eines Arztes aus Berlin-Friedrichshain wiedergegeben: Er habe »den Eindruck gewonnen, dass die Furcht unter den Menschen groß sei, dass ein Krieg immer näher rücke, unaufhaltsam, durch nichts und niemanden aufzuhalten«.117
Neben der Kriegsgefahr beunruhigte viele Bürger auch eine mögliche Absenkung des Lebensstandards als Folge einer verstärkten Aufrüstung. Spekuliert wurde über Preiserhöhungen bei Industriewaren und Grundnahrungsmitteln, Urlaubskürzungen und den Wegfall des arbeitsfreien Sonnabends.118 Für die Interessen der Großmächte, so eine verbreitete Meinung laut ZAIG, »müsse der kleine Mann ohnmächtig zusehen und am Ende die Zeche zahlen«.119
2.5 Verschleiß und Absatzschwäche – Die Wirtschaft im Blick der ZAIG
Die Sorge der Bürger um die zukünftigen Lebens- und Arbeitsbedingungen verweist bereits auf einen weiteren Schwerpunkt der ZAIG-Berichte: Die Lage in den Agrar- und Industriebetrieben. Ganz unterschiedliche Vorkommnisse und Schadensfälle aus der ökonomischen Sphäre werden in den Stasi-Informationen behandelt – etwa die Unterbrechung der Stromversorgung in den Leuna-Werken, der Ausbruch der Maul- und Klauenseuche im Kreis Ribnitz-Damgarten oder der störanfällige Gütertransport bei der Deutschen Reichsbahn.120 Die ZAIG schilderte solche Mängel und Unfälle meist isoliert in Bezug auf einzelne Betriebe und Industriezweige. Eine übergeordnete gesamtwirtschaftliche Analyse mit konkreten Reformvorschlägen lieferte sie nicht.121 So wird zum Beispiel das beherrschende Wirtschaftsthema des Jahres 1983 – die akute Verschuldungskrise mit einer unmittelbar bevorstehenden Staatspleite – nicht ausführlich besprochen. Die unmittelbaren Folgen dieser Ausnahmesituation, ein harter Konsolidierungskurs mit hohem Leistungsdruck für Exportbetriebe und einer nie dagewesenen Ausweitung der Braunkohleförderung, werden aber trotzdem in Teilen sichtbar. So erarbeitete die ZAIG zum Beispiel eine sehr detailreiche und ungeschönte Dokumentation über den Zustand der 49 Brikettfabriken des Landes.122 Darin ist von stark verschlissenen, verschmutzten und störanfälligen Industrieanlagen die Rede. Die Mehrzahl der Kohlebetriebe könnte nur mit Ausnahmegenehmigungen betrieben werden, so der Bericht. Besonders akut sei die Lage im Gaskombinat Schwarze Pumpe, wo die Stilllegung der Brikettfabrik aufgrund fehlender Investitionsmittel immer wieder verschoben werden musste. Die Folge: Massive Belastungen für Ingenieure und Facharbeiter, die in Scharen das Werk verließen. Zurück blieben oft nur ehemalige Strafgefangene, die im Jahr 1983 bereits ein Fünftel der Belegschaft ausmachten.123
Wohin diese Zustände führen konnten, zeigt ein Großbrand in der Brikettfabrik Regis im Bezirk Leipzig zu Silvester 1982, über den die ZAIG eine gesonderte Information anfertigte. Ein Rohkohlebunker fing hier Feuer, zahlreiche Maschinen und Stahlkonstruktionen wurden zerstört, es entstand ein Sachschaden in Höhe von 15 Millionen Mark. Hauptursache war die Unterbesetzung und der »katastrophale Sauberkeitsgrad« der Fabrik. »In den Anlagen«, so die ZAIG, »wurden nach dem Brand teilweise noch Kohlenstaubablagerungen von 25 bis 45 cm Höhe festgestellt«.124
Anzeichen von Missmanagement und Überforderung fand die ZAIG auch in der Exportbranche. Ein Bericht über den schleppenden Absatz des Zschopauer Motorradwerks (MZ) zeigt ein verstörendes Bild: Von 60 000 Motorrädern, die für den Westexport vorgesehen waren, ließen sich im Jahr 1982 gerade einmal 12 000 verkaufen. Der Grund: Korrosion an Rohren, Speichen und Bremsscheiben, dazu Lackschäden, defekte Kolben und verschmutzte Chromteile. »Offensichtlich wird der Prozess der Qualitätssicherung nicht umfassend beherrscht«, mutmaßte die ZAIG. Nicht selten wurden Motorräder ausgeliefert, die gar nicht vollständig waren. Es fehlten beispielsweise Spiegel, Blinker, Rückleuchten oder Hupen. Eine Zufallskontrolle am Bahnhof Schkopau offenbarte, »dass von 24 kontrollierten Maschinen, die kurz vor der Verladung nach Frankreich standen, keine mehr im NSW-exportfähigen Zustand war«. Als besonderen Problembereich des MZ-Werkes machte die Stasi die Galvanikanlage aus. Dieser Werkteil, in dem einzelne Karosserieteile in Formen gegossen wurden, war laut ZAIG »soweit verschlissen, dass keine Havariesicherheit mehr gegeben ist und damit eine potenzielle Gefahr für Leben und Gesundheit der im Raum Zschopau lebenden Bürger besteht«. Eine Betriebsgenehmigung gab es für diesen Werksabschnitt schon lange nicht mehr. Dass trotzdem gearbeitet wurde, nahmen die zuständigen Behörden nur noch »duldend zur Kenntnis«, so der Bericht.125
Um den Exportbetrieb wieder fit zu machen, formulierte die ZAIG am Ende ihrer Information ein paar allgemein gehaltene Empfehlungen: Sie wünschte sich Auflagen und strengere Kontrollen durch die Ministerien für Fahrzeugbau und Umweltschutz und beauftragte Staatssekretär Harry Möbis, im Ministerrat zuständig für die Koordinierung der betrieblichen Sicherheitsbeauftragten, mit der Einsetzung einer Expertengruppe, um alle Schwächen der Motorradproduktion noch einmal eingehend zu untersuchen.
Bemerkenswert ist, dass die ZAIG die Schwierigkeiten einiger Branchen und Industriebetriebe sehr ausführlich schilderte, das große Thema der Bevölkerungsversorgung mit Grundnahrungsmitteln und Konsumgütern aber in ihren Berichtsreihen aussparte. Bemerkenswert ist das deswegen, weil die Versorgungslage 1983 infolge drastischer Importdrosselungen besonders angespannt war, die Bezirksebene sehr häufig über Engpässe in Kaufhallen und Fachgeschäften berichtete und Rudi Taube, der Leiter des Berichtswesens der ZAIG, Ende Januar 1983 alle Dienststellen des MfS noch einmal aufgefordert hatte, diese Angelegenheit besonders im Blick zu behalten.126 Doch das einzige, was die ZAIG zu diesem Thema zu bieten hatte, war eine Art Prognose über mögliche Versorgungsprobleme im ersten Halbjahr 1983.127 Diese liest sich allerdings nicht wie eine realistische Defizitanalyse, sondern wie eine Aneinanderreihung von erstaunlichen Erfolgsmeldungen: Bei Kondensmilch, Backwaren und Röstkaffee heißt es zum Beispiel, »kann eine durchgängige Versorgung erfolgen«. Auch »Damenstraßenschuhe«, »Herrenoberhemden« oder »Ersatzdeckel für Rillengläser« seien »in planmäßig vorgesehenen Mengen« vorhanden. Ebenso böten die Warenfonds für das 1. Halbjahr 1983 die Voraussetzung, »die stabile Versorgung mit Nahrungs- und Genussmitteln wie Milch, Eiern, Butter, Margarine, Speiseöl, Mehl, Nährmitteln, Teigwaren, Speisekartoffeln, Gemüsekonserven, Äpfeln, Zucker, Salz, Gewürzen, Kindernahrung, Marmelade u. a. fortzusetzen«. Mit Sicherheit handelte es sich bei diesem neunseitigen Bericht nicht um eine genuine Stasi-Information, sondern um die gewohnt optimistische Vorausschau der Wirtschaftsverwaltung zu Beginn eines Jahres. Die ZAIG reichte diese wohl im Januar 1983 als Kontrastfolie an alle Auswertungsgruppen der Bezirksverwaltungen weiter, um die tatsächlichen Abweichungen vor Ort besser erfassen zu können. Rätselhaft bleibt, warum die zentrale Ebene im Laufe des Jahres keinen zusammenfassenden Bericht zur Versorgungslage erstellte. Mit den zahlreichen Informationen aus den Bezirken hätte sie dafür auf jeden Fall auf genügend Ausgangsmaterial zurückgreifen können.
2.6 Grenzerfahrungen aus Sicht des MfS: Fluchten, Protestaktionen und Todesfälle
Für die DDR-Führung waren die Themen Ausreise, Flucht und Grenze stets von hoher sicherheitspolitischer Relevanz und damit ebenfalls Gegenstand des MfS-Berichtswesens. 1983 können 15 Informationen diesem Bereich zugeordnet werden.128 Dabei ist zu unterscheiden zwischen Berichten zu Ausreiseantragstellern, Fluchten und Fluchtversuchen sowie Grenzverletzungen und Zwischenfällen im Grenzgebiet und auf den Transitstrecken. Über Ausreiseantragsteller fertigte die ZAIG 1983 nur zwei Berichte an: Einmal im Zusammenhang mit dem DDR-Besuch des bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, als mehrere Antragsteller auf ständige Ausreise Strauß Zettel mit ihren persönlichen Daten zusteckten, in der Hoffnung, dass er Einfluss auf ihre Anträge nehmen könne.129 In einem anderen Fall informierte die Staatssicherheit über die Protestaktion eines Ehepaars auf dem Berliner Alexanderplatz.130 Während Ende der 1970er-Jahre noch mehr als 20 Informationen zu diesem Thema verfasst wurden, nahm die Anzahl in den folgenden Jahren stetig ab, 1981 waren es nur noch zehn Berichte.131 Demgegenüber informierte die ZAIG 1983 mehrfach über Fluchtversuche sowie »Grenzprovokationen« von westlicher Seite.
Grenzverletzungen von westdeutscher Seite
Bei illegalen Grenzüberschreitungen, die 1983 von Westdeutschland und Westberlin aus begangen wurden, stechen vor allem Verletzungen des Luftraumes hervor.132 In einer Information vom 29. August 1983 berichtete das MfS zum Beispiel, wie Gerd Leipold und John Sprange von der Umweltorganisation Greenpeace am 28. August 1983 mit einem Heißluftballon in den Westberliner Himmel aufstiegen, um gegen die Aufrüstung mit atomaren Waffen zu demonstrieren.133 Geplant war eine Fahrt in geringer Höhe über Berlin mit anschließender Landung im Ostteil der Stadt. Das weltweit einzigartige Territorium der Viermächte-Metropole sollte symbolisch besetzt und damit gegen die vier Hauptatommächte demonstriert werden. Die ZAIG-Information schildert, wie der Ballon schon kurz nach dem Start nach Südosten abtrieb und wenig später in der Nähe von Großziethen in unmittelbarer Nähe zum Flughafen Schönefeld landete. Dort wurden die beiden Ballonfahrer von DDR-Grenzern verhaftet.134 Zwar durften beide Piloten noch am selben Tag nach Westberlin zurückkehren, doch ihr Fluggerät mussten sie zurücklassen. Erst als Greenpeace 1985 bei Erich Honecker intervenierte, wurde der Ballon gegen eine Zahlung von 8 523 DM für Lagerung und Transport nach Westberlin überstellt.135
Eine ähnliche Friedensaktion unternahm auch Swami Vishnudevananda am 15. September 1983. Der indisch-kanadische Yogalehrer startete in den Morgenstunden mit einem Leichtbauflugzeug von Berlin-Spandau nach Ostberlin, überflog hier die Leipziger Straße sowie die Landsberger und die Berliner Allee und landete schließlich auf einem Acker in Berlin-Weißensee. Über die Aktion des als »Friedensflieger« bekannten Aktivisten fertigte die ZAIG einen längeren Bericht an. Sie schildert darin, wie er nach seiner Landung einem Traktoristen erklärte, dass er für den Weltfrieden geflogen sei und ihn bat, die Polizei zu verständigen. Ähnlich wie die Greenpeace-Piloten durfte auch Vishnudevananda nach einer kurzen Vernehmung und einer Verwarnung wieder nach Westberlin zurückkehren. Auch er musste sein Fluggerät in Ostberlin zurücklassen.136
Eine weitere Form der Luftraumverletzung, über die die ZAIG berichtete, war ein spektakulärer Fluchtversuch mit einem Sportflugzeug am 21. Mai 1983. Der westdeutsche Friedemann Späth, der in der Vergangenheit mehrfach mit riskanten Flugmanövern und Schleusungsaktionen aufgefallen war, versuchte am 21. Mai 1983, einer jungen Studentin aus dem thüringischen Pößneck mit dem Flugzeug zur Flucht zu verhelfen. Kurz nach Eintritt in den DDR-Luftraum wurde Späth allerdings von einem DDR-Agrarflieger entdeckt, daraufhin von zwei sowjetischen Militärhubschraubern verfolgt und schließlich zur Landung aufgefordert. »Durch gefährliche Flugmanöver«, so die ZAIG, versuchte Späth, die Verfolger abzuschütteln. Trotz mehrerer Warnschüsse, die den Rumpf und die Tragflächen des Sportflugzeugs durchlöcherten, gelang Späth in letzter Minute die Überquerung der Staatsgrenze zur Bundesrepublik.137 Die am Boden gebliebene fluchtwillige Studentin wurde hingegen verhaftet.
Nur wenige Tage später berichtete das MfS über das Eindringen weiterer westdeutscher Privatflugzeuge, etwa am 4. Juni 1983 in Thierbach und am 5. Juni 1983 in Treffurt, als ein sowjetischer Hubschrauber aufstieg und den Flieger mit Warnschüssen zur Landung zwang. Das MfS stellte allerdings fest, dass es sich in diesen beiden Fällen nicht um politische Provokation oder Fluchtaktionen handelte, sondern um technische Schwierigkeiten, die zur Grenzüberschreitung geführt hatten wie Treibstoffmangel und eine defekte Navigation. Die beteiligten Piloten konnten unverzüglich in die BRD zurückkehren.138
Das MfS zeigte sich dennoch besorgt über all diese Zwischenfälle und reagierte am 11. Juli 1983 mit einem umfangreichen Maßnahmepaket. Mit der »Bekämpfung spektakulärer Schleusungsaktionen durch kriminelle Menschenhändlerbanden« sollte fortan der deutsch-deutsche Grenz- und Flugraum deutlich strenger überwacht werden.139
Fluchtversuche
Neben dem illegalen Eindringen von Leichtflugzeugen auf DDR-Territorium gehen die ZAIG-Berichte auch auf Grenzverletzungen von DDR-Bürgern am Boden ein. Das Jahr 1983 war geprägt von zahlreichen, teils spektakulären Fluchtversuchen.140 Das MfS berichtet zum Beispiel, wie im Mai 1983 ein 24-jähriger Mann eine junge S-Bahnfahrerin zwang, den Grenzbahnhof Friedrichstraße mit der S-Bahn nach Westberlin zu passieren. Da der Zug dabei ein rotes Signal überfuhr, wurde eine automatische Bremse ausgelöst, sodass der Wagen noch im Bahnhofsgebäude zum Stehen kam. Mitarbeiter der Passkontrolleinheiten, also Angehörige des MfS, überwältigten daraufhin den Kidnapper und nahmen ihn fest.141
Die ZAIG berichtet weiter, wie Ende Juli ein 21-jähriger Lkw-Fahrer aus Berlin versuchte, mit einem Kipper durch die Berliner Mauer zu rasen.142 Obwohl sich der Lkw mit ca. 70 Stundenkilometern der Grenzübergangsstelle Heinrich-Heine-Straße näherte, konnte er von einer Rollsperre gestoppt werden. Mitarbeiter der Staatssicherheit nahmen den jungen Mann unverzüglich fest.
Ebenfalls mit einem Lkw versuchten am 21. November ein 29-jähriger Kraftfahrer und sein 15-jähriger Beifahrer den Grenzübergang Marienborn nach Westdeutschland zu überqueren. Die Staatssicherheit schilderte den Versuch wie folgt: In den Abendstunden gegen 21.15 Uhr näherte sich der Tanklaster dem Grenzübergang und durchfuhr hinter einem westdeutschen Lkw einen Kontrollpunkt der Volkspolizei. »Mit zunehmender Geschwindigkeit (ca. 70–80 km/h) durchbrach der Tankzug Passagensperreinrichtungen, verkehrsregulierende Schlagbäume […] und prallte mit einer Geschwindigkeit von ca. 80–100 km/h auf die geschlossene Rollsperre im Sicherungsbereich«. Obwohl die Zugmaschine »total zerstört« und das Fahrerhaus »völlig deformiert« war, versuchten die beiden Personen »zu Fuß im Laufschritt zur Staatsgrenze zu gelangen«. Die Grenzer gaben daraufhin insgesamt 21 Schuss ab und verletzten die beiden Fluchtwilligen. »650 Meter von der Staatsgrenze entfernt« erfolgte ihre Festnahme.143
Über den am 1. Weihnachtstag 1983 im Grenzstreifen am Städtischen Friedhof Pankow angeschossenen und verbluteten 21-jährigen Silvio Proksch verfasste die ZAIG hingegen keine Information. Sie verzichtete womöglich auf die Unterrichtung der Parteiführung, weil der Fluchtversuch auf westlicher und östlicher Seite unbemerkt geblieben war und von der Staatssicherheit erfolgreich verschleiert werden konnte. Dazu wurde der Bruder des Verstorbenen mit massivem Druck zur Verschwiegenheit verpflichtet und die Eltern bis zum Ende der SED-Diktatur über das Schicksal ihres Sohnes im Unklaren gelassen. Erst im August 1990 räumte die DDR-Militärstaatsanwaltschaft nach zahlreichen Anzeigen ein, dass Proksch bei einem Fluchtversuch erschossen worden war.144
Todesfälle im Transitverkehr
Auf den Autobahnen zwischen Westberlin und der Bundesrepublik ereigneten sich 1983 ebenfalls einige Todesfälle, die jedoch weniger leicht vertuscht werden konnten und daher das deutsch-deutsche Verhältnis zeitweise schwer belasteten. Am 24. April starb zum Beispiel eine 69-jährige Frau am Grenzübergang Selmsdorf an Herzversagen145 und zwei Tage später erlitt der 68-jährige Hans Moldenhauer am Grenzübergang Wartha einen tödlichen Herzinfarkt.146 Über beide Fälle berichtete auch die ZAIG.
Besonderes Aufsehen erregte der Fall Rudolf Burkert.147 Der aus Bremen stammende Rentner unternahm am 10. April 1983 eine Reise nach Westberlin und traf in der Nähe des Rasthofs Börde Verwandte aus der DDR, um ihnen einige Westwaren zu übergeben. Auf seiner Rückfahrt kontrollierten ihn deshalb DDR-Zöllner am Grenzübergang Drewitz. Während einer Befragung räumte Burkert die Übergabe von Westwaren ein, bevor er gegen 14.30 Uhr plötzlich zusammenbrach. Eine Ärztin konnte wenig später nur noch seinen Tod feststellen. Dieser Vorfall löste in der Bundesrepublik eine mittlere politische Krise aus. Zunächst veranlassten die Hinterbliebenen eine Obduktion des überstellten Leichnams, da sie im Gesicht eine Schnittwunde festgestellt hatten und die genauen Todesumstände von der DDR verschwiegen wurden. Die rechtsmedizinische Untersuchung bestätigte zwar die offizielle Todesursache Herzversagen, meinte allerdings auch, dass Burkert Verletzungen erlitten habe, die auf Gewalteinwirkung zurückgeführt werden könnten. Daraufhin griffen westdeutsche Medien den Fall mit teils reißerischen Schlagzeilen auf. Die »Berliner Morgenpost« schrieb von »DDR-Posten«, die Transitreisende »erschlagen« würden. Die »Bild«-Zeitung titelte: »Besucher von ›DDR‹-Grenzern totgeschlagen«. Es wurde über rüde Verhörmethoden und mögliche Misshandlungen spekuliert. Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß sprang auf den Zug auf und sprach ohne jede Vorkenntnis von einem »Mordfall«, worauf SED-Wirtschaftsfunktionär Günter Mittag mit einem Boykott der Hannover-Messe drohte.148 Bundeskanzler Kohl sagte wiederum ein Treffen mit Mittag ab und forderte in einem Telefonat mit Erich Honecker eine genaue Untersuchung der Todesumstände von der DDR-Seite. Diese wurde wenig später tatsächlich durchgeführt. Eine Vor-Ort-Begehung samt Nachstellung der Todesumstände kam zu dem Ergebnis, dass Burkert eines natürlichen Todes gestorben war und die Verletzungen von einem anschließenden Sturz herrührten.149
Über den eigentlichen Fall Burkert hatte die ZAIG nicht berichtet. Sie griff das Thema erst auf, als seine politischen Auswirkungen sichtbar wurden. So informierte sie am 21. April 1983 die MfS-Führung über »feindliche Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Hochspielen des Todes des BRD-Bürgers Burkert«.150 Die Offiziere berichten darin von Provokationen und Bombendrohungen gegen die Ständige Vertretung der DDR in der BRD, von »Hetzblättern« an Autos von DDR-Bürgern, die in der Bundesrepublik arbeiteten, ebenso von negativen Kommentaren bei Transitkontrollen und Drohanrufen bei Grenzübergangsstellen.
Seit dieser Begebenheit begann die ZAIG die Führung von Partei und Staatssicherheit regelmäßig über Todesfälle an der Grenze zu unterrichten.151 Auch das »Neue Deutschland« veröffentlichte von nun an kurze Meldungen zu diesem Thema.152 Um weitere politische Irritationen durch Grenzzwischenfälle zu vermeiden, wurden die Kontrolleure an den Grenzübergangsstellen zudem ab Mai 1983 angehalten, Gepäckstücke und Formulare weniger streng zu prüfen und die durchreisenden Bürger höflicher zu behandeln.153
2.7 Straftaten sowjetischer Soldaten in der DDR
Auf dem Territorium der DDR waren Anfang der 1980er-Jahre mehr als 500 000 Angehörige der sowjetischen Streitkräfte (GSSD) stationiert, davon etwa 338 000 Soldaten.154 Das Zusammenleben mit der Zivilbevölkerung gestaltete sich nicht immer konfliktfrei. Im Gegensatz zur frühen Besatzungszeit, in der es immer wieder zu Vergewaltigungen, Plünderungen und willkürlichen Verhaftungen gekommen war, war das Zusammenleben zwar »berechenbar« geworden. Die »fragilen Kompromisse«,155 die das alltägliche Zusammenleben prägten, wurden in den frühen 1980er-Jahren jedoch zunehmend infrage gestellt. In dieser Zeit nahmen Straftaten von Angehörigen der GSSD spürbar zu. In einigen Regionen gehörten Einbrüche und Diebstähle schon fast zum Alltag. Mit über 3 000 registrierten Fällen erreichten die Straftaten 1984 einen Höhepunkt, was in der Bevölkerung zunehmend Verstimmung auslöste.
Wie groß die Unzufriedenheit war, zeigt ein Vorfall aus der Gemeinde Neuheim bei Jüterbog, über den die ZAIG ausführlich berichtete.156 Am Abend des 20. Juli 1983 stoppten zwei Anwohner zwei sowjetische Kolonnen mit 29 Kettenfahrzeugen und 30 Lkw, die auf dem Weg vom Truppenübungsplatz zum Bahnhof Jüterbog waren. Erst mit ausgebreiteten Armen, dann indem sie sich auf die Straße legten und am Ende sogar mit einer Feuersperre brachten sie die Armeefahrzeuge zum Stehen. Anschließend begannen die beiden Anwohner, die gepanzerten Fahrzeuge zu beschädigen und die Soldaten zu attackieren. Durch »einfache körperliche Gewalt«, so die ZAIG, konnten die Angreifer »von weiteren Handlungen abgehalten« werden. Die Staatssicherheit leitete daraufhin strafrechtliche Ermittlungen ein. Zudem unterrichtete sie die SED-Führung über »wiederholte Beschwerden« der Neuheimer Bürger, dass sich die Truppen der GSSD nicht an Durchfahrtsverbote hielten, in ortsansässigen VEB und Wohnlauben immer wieder Diebstähle geschähen und es mit den stationierten Soldaten häufig zu »tätliche[n] Auseinandersetzungen nach erfolgtem Alkoholgenuss« komme. Auch einer der Täter führte an, sich seit Längerem über die Regelverletzungen der GSSD-Angehörigen geärgert und dann unter Einfluss von Alkohol gehandelt zu haben.157
Schon in den Vorjahren hatte die Staatssicherheit wiederholt über Einzelvorkommnisse mit sowjetischen Soldaten berichtet.158 So zum Beispiel im Juni 1981 über die »Vergewaltigung einer Bürgerin der DDR durch sechs Angehörige der GSSD in Potsdam«.159 Doch 1983 fertigte die ZAIG erstmals eine ausführliche Übersicht zu Straftaten des sowjetischen Militärs an.160 Demnach zählten die Sicherheitsorgane der DDR zwischen dem 1. Juli 1982 und dem 31. März 1983 insgesamt 1 011 Straftaten,161 davon 853 Diebstähle, 127 teils schwere Körperverletzungen, 21 Fälle von Raub und zehn Fälle von Widerstand gegen staatliche Maßnahmen. Am 22. November 1983 brachen zum Beispiel zwei GSSD-Soldaten »gewaltsam in den Modesalon ›Exquisit‹ in Zeitz, Bezirk Halle, ein und entwendeten diverse Bekleidungsgegenstände im Wert von ca. 14 000 Mark«.162 Im Oktober 1982 waren zwei DDR-Bürger von fünf sowjetischen Soldaten »grundlos geschlagen und körperlich misshandelt« worden, nachdem die beiden Nichtraucher der Aufforderung nicht nachgekommen waren, den Soldaten Zigaretten auszuhändigen. Und Anfang Dezember verließen vier alkoholisierte Angehörige der GSSD eine Diskothek und wurden von einem DDR-Bürger daran gehindert, mit einem Lkw fortzufahren. Daraufhin wurde dieser »durch die Angehörigen der Sowjetarmee geschlagen und dabei erheblich verletzt (Knochenabsplitterung an der Schulter)«.163
Neben solchen Straftaten schilderte die ZAIG auch zahlreiche Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere den sorglosen und fahrlässigen Umgang mit Waffen und Munition. Soldaten würden in Gaststätten, Wohnungen oder auf öffentlichen Straßen Schusswaffen abfeuern, bei militärischen Übungen »unkontrolliert« Infanteriemunition und Granaten einsetzen, Munition an Kinder verkaufen oder Waffen illegal auf Mülldeponien entsorgen. Am 17. Oktober 1982 wurde eine Frau im Bezirk Halle »durch einen Schrotschuss lebensgefährlich verletzt«, der von einem sowjetischen Soldaten »ohne ausreichende Sicht auf flüchtiges Wild« abgegeben worden war. Nur fünf Tage später schlugen in Stülpe (Kreis Luckenwalde) »vier Granatsplitter in zwei Wohnhäuser und 48 Granatsplitter (Länge ca. 30–100 mm, Durchmesser ca. 18 mm) im Straßenbereich und Hof der Wohnhäuser ein. Durch ein offenes Fenster eines der beiden Wohnhäuser flog ein Projektil (Länge 70 mm, Kaliber 14,5 mm) und blieb in einem Türfutter stecken.«164 Die Munition stammte vom nahegelegenen sowjetischen Truppenübungsplatz Heidehof.
Im Bezirk Neubrandenburg kam es im April 1983 zu einer besonders brisanten Konfrontation: Drei sowjetische Soldaten gingen mit Maschinenpistolen auf Jagd und brachen anschließend mehrere Autos auf, um Radios und Autozubehör zu stehlen. Nachdem sie einen Streifenwagen der Volkspolizei bemerkten, flohen sie mit bis zu 120 Stundenkilometern durch die Stadt Schwedt und versuchten, den Polizeiwagen von der Straße zu drängen. Nachdem der Lkw zum Stehen gebracht worden war, drohte ein Soldat mit einer geladenen und entsicherten Maschinenpistole, was ein Volkspolizist mit einem Warnschuss quittierte, woraufhin die Soldaten mit ihrem Lkw erneut die Flucht ergriffen und dabei gezielt auf den Streifenwagen schossen. Erst nachdem sich der Lkw festgefahren hatte, gelang die Festnahme der Delinquenten.
Die von der ZAIG gefertigte Übersicht zu Straftaten von Angehörigen der GSSD, die auch dem Oberbefehlshaber der GSSD Michail Mitrofanowitsch Saizew zugesendet wurde, ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass die ostdeutsche Seite dem Thema Straftaten von sowjetischen Soldaten zu dieser Zeit eine hohe Brisanz und Dringlichkeit beimaß. Die Genese der Übersicht weist zudem daraufhin, dass die Information an die sowjetische Seite für die Staatssicherheit eine diffizile Angelegenheit war. Erst nachdem zwei inhaltlich fast deckungsgleiche Berichte der ZAIG »überarbeitet« worden waren, kam die finale Information zur Verteilung.165
Warum begann die Staatssicherheit gerade im Jahr 1983, den sowjetischen Generalstab in Karlshorst umfassend über die Kriminalität seiner Soldaten zu informieren? Zum einen, weil die Anzahl der Delikte spürbar zunahm. Ursache dafür könnte ein Abzug von Elitesoldaten aus der DDR für den Einsatz in Afghanistan gewesen sein.166 Zum anderen, weil Bürger, aber auch Behörden, schon seit Langem mit der laxen Verfolgungspraxis unzufrieden waren. Eigentlich war die Zusammenarbeit von ostdeutschen und sowjetischen Justiz-, Polizei- und Verwaltungsorganen bei solchen Angelegenheiten schon seit 1957 umfassend in einem Stationierungsvertrag und in einem Rechtshilfeabkommen geregelt. Darin war unter anderem festgelegt, dass bei Strafverfolgung grundsätzlich DDR-Recht167 zu gelten hatte und Ermittlungen von regional zuständigen Militärstaatsanwaltschaften der Nationalen Volksarmee (NVA) geführt werden sollten. Die Praxis sah allerdings anders aus: Die örtlichen Polizeidienststellen legten zwar Ermittlungsvorgänge an, leiteten die Materialien der jährlich etwa 450 Fälle dann aber nicht an die NVA-Staatsanwaltschaften, sondern an die zuständigen sowjetischen Kommandanten und Militärstaatsanwälte weiter, die kaum einen der Fälle weiter verfolgten.168 In der Regel wurden die Täter von ihren Vorgesetzten gedeckt und meist ohne Anklage und Verurteilung in die Sowjetunion zurückgeschickt.169 Nicht selten kam es auch vor, dass sowjetische Stellen Opfer und Zeugen in der DDR unter Druck setzten oder bestachen, um sie zum Schweigen zu bringen.170
Die Zunahme von Straftaten und die verschleppte Strafverfolgung von Tätern durch die sowjetische Justiz rief in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre immer größere Unzufriedenheit in der Bevölkerung hervor. Die Stasi berichtete von »zunehmenden Protesten, Unterschriftensammlungen sowie Eingaben und Verunglimpfungen der Sowjetarmee«.171 Damit die Situation nicht außer Kontrolle geriet, kamen ostdeutsche Regierungsvertreter und sowjetische Oberkommandierende überein, dass die Hauptabteilung (HA) VII des MfS, zuständig für die Überwachung des Ministeriums des Innern und die Volkspolizei, ab 1984 alle Straftaten von GSSD-Angehörigen lückenlos dokumentieren und die involvierten ostdeutschen Behörden darüber in Kenntnis setzen sollte. Außerdem wurden Vereinbarungen zwischen dem MfS und dem KGB geschlossen, die dem MfS im Rahmen gegenseitiger Rechtshilfe und Zusammenarbeit Ermittlungen in klar geregelten Fällen ermöglichten. Eine eigens gebildete Untersuchungskommission der Staatssicherheit wertete fortan Beweismittel aus und nahm Verhöre mit Verdächtigen und Zeugen vor. Zusätzlich wurde die Position der NVA-Militärstaatsanwaltschaften bei der Strafverfolgung gestärkt. Doch trotz dieser sowjetischen Konzessionen beließen es die ostdeutschen Organe meist bei ersten Vorermittlungen und übergaben jeden Fall auch weiterhin der sowjetischen Militärstaatsanwaltschaft. Bis zum Ende der SED-Herrschaft erkannte diese nur bei einem Fünftel aller Fälle die Täterschaft von GSSD-Angehörigen an. Von einer ordentlichen Gerichtsbarkeit konnte auch weiterhin keine Rede sein.172
3. Struktur und Entwicklung der ZAIG bis 1983
Die Lage- und Stimmungsberichterstattung des MfS war eine direkte Folge des Juni-Aufstandes im Jahr 1953. Um nicht noch einmal von einer derartig existenziellen Krise überrascht zu werden, richtete der damalige Stasi-Chef Ernst Wollweber eine achtköpfige Informationsgruppe ein. Sie sollte die Parteiführung rechtzeitig über herrschaftsgefährdende Entwicklungen informieren. Dieses kleine Nachrichtenbüro wurde in den Folgejahren kontinuierlich ausgebaut und professionalisiert. Im Jahr 1960 erhielten zum Beispiel die Bezirksverwaltungen und operativen Hauptabteilungen des MfS eigene Informationsgruppen als Unterbau der jetzt »Zentrale Informationsgruppe« genannten Diensteinheit. Ab 1965 wurden diese Informationsgruppen in ein einheitliches System der Recherche, Selektion und Auswertung von Informationen inkorporiert. Die »Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe« an der Spitze besaß nun Auswertungs- und Informationsgruppen als »Filialen« in allen operativen und regionalen Diensteinheiten. Diese hierarchische Struktur zum Sammeln und Verarbeiten von Informationen, eine Art Nervenzentrum des MfS, zog in der Folgezeit weitere Funktionen an sich: So wurde 1968 das innerministerielle Kontrollwesen, ein Jahr später die Verantwortung für die elektronische Datenverarbeitung und 1985 die Öffentlichkeitsarbeit und Traditionspflege des MfS eingegliedert. Der Institution untergeordnet waren nun auch das Archiv, die Registratur, das Rechenzentrum und die Rechtsstelle. Die ZAIG sollte damit nicht nur das an der Spitze angesammelte geheimpolizeiliche Wissen auswerten, aufbereiten und bei Bedarf der politischen Führung zur Verfügung stellen. Mithilfe von Auswertungs- und Kontrollgruppen (AKG) in jeder Hauptabteilung, selbstständigen Abteilung und Bezirksverwaltung des MfS stand die ZAIG auch in der Pflicht, eine einheitliche und effektive Anleitung, Kontrolle und Weiterentwicklung sämtlicher administrativer und operativer Verfahren bis hinunter auf die Kreisebene sicherzustellen.173
Binnen zwei Jahrzehnten hatte sich damit aus einer einfachen Redaktionskommission für MfS-Berichte die wichtigste Schaltzentrale der Staatssicherheit entwickelt. Ablesen lässt sich dieser Bedeutungszuwachs vor allem an der Zunahme des Personalbestands der Diensteinheit, der sich von 57 Mitarbeitern im Jahr 1972 auf 225 Mitarbeiter im Jahr 1983 vergrößert hatte. Rechnet man noch die Mitarbeiter der AKG auf BV-Ebene hinzu, arbeiteten Anfang der 1980er-Jahre 831 Mitarbeiter für das Stasi-interne Auswertungs- und Kontrollsystem.174 Treibende Kraft dieser Expansion war Generalleutnant Werner Irmler, der faktisch seit 1957 für das innere System der Informationssammlung und -auswertung zuständig war und 1965 die Leitung der ZAIG auch formal übernahm. Er zählte zu den engsten Vertrauten Erich Mielkes, in dessen direktem Anleitungsbereich die Diensteinheit angesiedelt war.
Der traditionelle Kernbereich der ZAIG blieb bis zuletzt der Bereich 1, zuständig für die Auswertungs- und Informationstätigkeit. Die von den zentralen und unteren Diensteinheiten eingehenden Informationen wurden hier in sechs Arbeitsgruppen analog zu den wichtigsten Überwachungsschwerpunkten des MfS sortiert, verdichtet und interpretiert.175 Die Ergebnisse flossen anschließend in das Berichtswesen ein, für das der Stellvertreter Irmlers, Rudi Taube, zuständig war. Taube sollte sicherstellen, dass die Leitungsebenen des MfS, der SED und des Staatsapparates über Meinungen in der Bevölkerung zu bestimmten Ereignissen und über einzelne sicherheitsrelevante Vorkommnisse frühzeitig und umfassend unterrichtet wurden. Das Verfassen der Berichte übernahmen vor allem die von Taubes Stellvertreter Günter Hackenberg angeleiteten Arbeitsgruppen (AG) 1 (internationale Fragen, Systemauseinandersetzung), 2 (Extremismus, Terror, Spionage, Verkehr, Volkswirtschaft) und 6 (Politische Untergrundtätigkeit, Kirche, Kultur, Jugend). Die AG 6 war erst 1981 als Reaktion auf die immer selbstbewusster auftretenden unabhängigen Friedens- und Umweltgruppen gegründet worden. AG 4 (Auswertung westlicher Medien) und AG 5 (Dokumentation) übernahmen eher unterstützende Funktionen.176 Alle Arbeitsgruppen zusammen verfügten 1986 über 44 Planstellen.177
Eine formale Ordnung über Inhalt und Aufbau der Berichte gab es nicht. Welche Themen am Ende aufgegriffen wurden, entschied allein der Minister, abgestimmt mit der Leitung der ZAIG und oft in Absprache mit der engeren SED-Führung. Grundsätzlich konnte das 56-köpfige Team des Bereiches 1 unter der Leitung Taubes zu allen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Fragen Stellung nehmen, da ihm von ganz unterschiedlicher Seite Informationen zugespielt wurden, vor allem von den Auswertungs- und Kontrollgruppen der operativen Hauptabteilungen, aber auch vom strafrechtlichen Untersuchungsorgan (HA IX) und den regionalen Dienststellen der Staatssicherheit. Hinzu kamen die Meldungen des Zentralen Operativstabs – eines rund um die Uhr aktiven Lagezentrums des MfS – und die Erkenntnisse aus westlichen Medienberichten. Ein Großteil dieser Informationen stammte dabei aus der »operativen Arbeit« der Offiziere, also aus dem Einsatz konspirativer Zuträger, der Kontrolle des Postverkehrs oder dem Einsatz von Abhör- und Überwachungstechnik. Eine nicht zu unterschätzende Quelle stellten aber auch die direkten Gespräche zwischen Offizieren und leitenden Mitarbeitern der Industriebetriebe, staatlichen Organe oder gesellschaftlichen Einrichtungen dar.178
4. Die Berichtsserien der ZAIG im Jahr 1983
Der Bereich 1 fertigte im Jahr 1983 211 Inlandsberichte an. Sie lassen sich in drei Berichtserien unterteilen, deren Bezeichnung auf die jeweilige Ablage innerhalb des Sekretariats der ZAIG zurückgeht. Die Hauptserie unter dem Titel »Informationen« thematisiert einzelne sicherheitsrelevante Ereignisse wie die Tagungen der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen oder die Störung der Energieversorgung in den Leuna-Werken. Intern liefen diese Berichte auch unter dem Namen »Parteiinformationen«, da sie stets auch an ausgewählte Vertreter der Partei- und Staatsführung weitergeleitet wurden. Sie besaßen daher ein einheitliches Formblatt mit dem Aufdruck »Information über …«, einer Datumsangabe und dem Namen der herausgebenden Institution (ZAIG). In der Regel beschäftigen sich die »Informationen« ausschließlich und einmalig mit einem einzelnen Ereignis, ohne dieses später noch einmal aufzugreifen. Bei einigen Themen wird aber auch mehrmals berichtet, etwa zum Friedensseminar in Berlin am 5. und 6. März 1983 (Gründung von »Frieden konkret«), zur Blues-Messe im April oder zur Alexanderplatzaktion der Grünen im Mai 1983.179
Da die »Informationen« in die Hände von Vertretern der SED- und Staatsführung gelangten, mussten die Verfasser dreierlei beachten: Einmal durften sie keine ausgeprägten Fachkenntnisse erwarten, die Texte sollten auch für Laien zugänglich sein. Darüber hinaus sollte bei politisch heiklen Themen stets der Grad der Öffentlichkeit angegeben werden, etwa die Anwesenheit von Medienvertretern, die Anzahl der Beteiligten oder die Öffentlichkeit des Raumes. Und schließlich sollten es die ZAIG-Mitarbeiter vermeiden, die Effektivität anderer staatlicher und wirtschaftsleitender Organe umfassend zu analysieren und zu bewerten – das war allein Sache der SED. Gerade bei Sachverhalten, die andere Ämter und Ministerien betrafen wie die Planeinhaltung von Exportbetrieben, wandelten die Offiziere auf einem schmalen Grat: Sie hatten Informationen zur aktuellen Lage zu liefern, ohne sich dabei eine Gesamteinschätzung anzumaßen.
Neben den »Informationen« fertigte die ZAIG auch eine Reihe von Berichten an, die nur für den innerdienstlichen Gebrauch vorgesehen waren und das MfS nur im Ausnahmefall verließen. Diese landeten im ZAIG-Sekretariat in der Ablage »K«, die für die Rubrik »Verschiedenes« stand und in die Untergruppen K 1 (Diverse Probleme), K 2 (Bewaffnete Organe) und K 3 (Kultur, Medien, Opposition) unterteilt wurde. Diese Nebenserie ist im Jahr 1983 mit 14 Dokumenten vertreten. Die K-Reihe diente in erster Linie der Unterstützung der MfS-Dienststellenleiter bei ihrer geheimpolizeilichen Arbeit und unterscheidet sich thematisch nur geringfügig von den »Informationen«. Im Jahr 1983 wurde hier überwiegend über das Auftreten der Grünen in der DDR berichtet (9 von 14 Berichten). Ein abweichendes Merkmal ist allerdings ihre Ausfertigung: Nicht selten erscheinen sie als »unfirmierte Dokumente«, das heißt der Dokumentenkopf besteht nur aus dem Titel »Hinweise zu …« ohne Angaben von Datum und herausgebender Institution, manchmal allerdings mit dem Vermerk »Streng geheim!«.
Eine zweite Nebenreihe des Berichtswesens, die sogenannten O-Berichte, befasst sich mit der Stimmungslage in der Bevölkerung. Im Jahr 1983 gab es 14 dieser Ablageeinheiten, die jeweils mit dem Titel »Hinweise auf Reaktionen der Bevölkerung im Zusammenhang mit …« eingeleitet wurden. Mit dieser Überschrift wird bereits deutlich, dass diese Berichte auf Meinungen und Stimmungen zu einem konkreten Anlass eingehen, etwa zu den Abrüstungsvorschlägen der Sowjetunion zu Beginn des Jahres oder zur Karl-Marx-Konferenz im April 1983. Obwohl auch hier ein einheitlicher Aufbau mit festen Zwischenüberschriften fehlt, lassen sich bei den vier- bis zehnseitigen O-Berichten einige wiederkehrende Elemente finden, die von Mielke ausdrücklich eingefordert wurden: So hatten die Verfasser frühzeitig auf Unzufriedenheiten aufmerksam zu machen, dabei Äußerungen verschiedener Personenkreise wie Arbeiter, Jugendliche, Landwirte oder SED-Mitglieder zu berücksichtigen, ferner den konkreten Anlass und die Art und Weise der Äußerungen (z. B. Diskussion, Pausengespräch oder Eingabe) kenntlich zu machen und schließlich auf eine Kritik an der SED-Politik zu verzichten.180 Die Autoren befanden sich damit in einem Zwiespalt: Auf der einen Seite waren sie tatsächlich daran interessiert, riskante Verschiebungen der Stimmungen zu erkennen und unmissverständlich mitzuteilen. Auf der anderen Seite streuten sie in ihre Berichte immer wieder gewünschte Aussagen »progressiver«, also SED-loyaler Personenkreise ein und vermieden allzu scharfe Formulierungen. Die oben beschriebene Technik des »Sozialen Klassentheaters« sollte verhindern, dass die widergespiegelten Meinungen von der SED-Führung als kritische Ansichten des MfS oder als Ausdruck einer gescheiterten Politik missverstanden wurden.
Solche Zwänge der Berichterstattungen führten bisweilen zu weltfremden oder arg konstruierten Einschätzungen in den O-Berichten – eine Eigenheit, die abschnittsweise auch in den Informationen und K-Berichten zu finden ist und bei einer wissenschaftlichen Betrachtung der Dokumente unbedingt berücksichtigt werden muss. Neben unterschiedlich ausgeprägten ideologischen Verzerrungen weisen die Berichte der ZAIG aus quellenkritischer Sicht zwei weitere Nachteile auf: zum einen ihre Fokussierung auf Einzelereignisse ohne größeren Kontext. Meist geben die Verfasser einen bestimmten Vorfall zwar detailreich, aber ohne eine Vorgeschichte und ohne eine fundierte sicherheitspolitische Bewertung wieder. Zum anderen fallen einige erstaunliche thematische Lücken auf – unter anderem spielen die Stimmungen an Schulen und Universitäten oder die Debatten und Aktionen innerhalb der alternativen Kulturszene in Leipzig oder Berlin-Prenzlauer Berg keine Rolle. Auch das politisch hochsensible Problem der alltäglichen Versorgungsmängel wird nicht aufgegriffen. Selbst Ereignisse, die aus Stasi-Perspektive eigentlich hochrelevant gewesen sein müssten, sucht man vergebens – etwa den live im Fernsehen übertragenen deutsch-deutschen Gottesdienst am 4. Mai 1983 auf der Wartburg, den Auftritt Udo Lindenbergs im Palast der Republik am 25. Oktober 1983 oder die Besuche bundesdeutscher Politgrößen wie Helmut Schmidt oder Egon Bahr in Ostberlin.
5. Adressaten und Rezeption der Berichte
Die Beschreibung der verschiedenen Berichtsreihen deutete es bereits an: Nicht jeder Bericht war für den gleichen Empfängerkreis gedacht. Wer bekam welche Dossiers? Die Berichte aller drei Serien gingen in jedem Fall an ausgewählte Vertreter der MfS-Führung. Zum Empfängerkreis gehörten in der Regel der Minister, seine Stellvertreter Rudi Mittig und Gerhard Neiber, die Leiter der thematisch involvierten operativen Diensteinheiten und Bezirksverwaltungen sowie einige leitende Vertreter der ZAIG, neben Werner Irmler meist Rudi Taube (Leiter Bereich 1), Karl Großer (Leiter AG 2 im Bereich 1: Wirtschaft, Spionageabwehr), Peter Poppitz (Leiter AG 3 im Bereich 1: Verteidigung, Grenze, Ausreise), Dieter Tannhäuser (Leiter AG 6 im Bereich 1: PID/PUT, Kirche, Kultur) und Eberhard Rebohle (Offizier für Auswertung in der AG 6 im Bereich 1). Berichte über Aktionen von und mit westlichen Organisationen und Einzelpersonen wurden oft auch an den KGB in Berlin-Karlshorst weitergeleitet, darunter vor allem die K-Berichte zu den Aktivitäten der Grünen. Die Berichte über Straftaten sowjetischer Soldaten erhielt ebenso der Oberkommandierende der GSSD Michael Saizew.181
Für die Führungsebene der SED waren nur die »Informationen« vorgesehen. ZAIG-Chef Irmler schlug für diesen Berichtstyp jeweils einen externen Verteilerkreis vor, über den anschließend der Minister persönlich entschied. In der Regel ließ er neben dem Generalsekretär nur einigen wenigen politisch und fachlich zuständigen Funktionären aus dem Politbüro und Staatsapparat ein Exemplar zukommen. Häufig umfasste der Verteiler nicht mehr als drei bis acht externe Empfänger. Zu ihnen gehörten im Jahr 1983 in der Regel Erich Honecker, die Politbüromitglieder Werner Krolikowski, Konrad Naumann, Alfred Neumann und Horst Dohlus, die 1. Sekretäre der betroffenen SED-Bezirksleitungen sowie Mitglieder des Ministerrates, darunter Willi Stoph (Vorsitzender) und die Minister Oskar Fischer (Auswärtige Angelegenheiten), Herta König (stellvertretende Finanzministerin), Friedrich Dickel (Inneres), Fritz Streletz (Verteidigung) und Wolfgang Mitzinger (Kohle und Energie). Berichte mit Kirchenthemen gingen häufig an den Leiter der AG für Kirchenfragen im ZK Rudi Bellmann, den ZK-Sekretär für Sicherheit und Kirchenfragen Paul Verner und den Staatssekretär für Kirchenfragen im Ministerrat Klaus Gysi. Die Hinweise für das Gespräch Erich Honeckers mit Franz Josef Strauß am 23. Juli 1983 – ein K-Bericht – sendete die ZAIG ausnahmsweise auch an den Staatsekretär im Außenhandelsministerium Alexander Schalk-Golodkowski.182
Die Frage, wie die für die Staats- und SED-Führung gedachten »Informationen« rezipiert wurden, ob sie die Entscheidungsfindung an der Spitze in irgendeiner Form beeinflussten oder eher unbedeutend blieben, ist nicht ganz einfach zu beantworten. In dreifacher Hinsicht kann man zumindest von einer indirekten politischen Wirkung ausgehen: Zunächst beruht jede Entscheidung auf einem bestimmten Kenntnisstand, sodass ein so ausgebautes Berichtswesen wie das der ZAIG, das ausdrücklich für die Informierung der politischen Führung installiert worden war, mit großer Wahrscheinlichkeit einen politischen Effekt gehabt haben muss. Auch wenn die SED-Spitze über zahlreiche alternative Informationsquellen aus den Parteiorganisationen, Betrieben, Massenorganisationen und Ministerien verfügte, maß sie einer Information mit ZAIG-Briefkopf doch eine besondere Bedeutung bei. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Berichte auch die Grundlage für die regelmäßigen Vier-Augen-Gespräche zwischen Honecker und Mielke gebildet haben. Darauf deutet zumindest ein Hinweis auf den Verteilerlisten der beiden Informationen 264/83 und 280/83 über eine Preisreform in der Landwirtschaft und die kirchliche Veranstaltung »Fasten für das Leben« hin. Neben dem Namen »Honecker« steht hier jeweils die Notiz: »durch Min[ister] persönlich ausgewertet«.183
Eine politische Wirkung der Berichte ist – zweitens – ebenso anzunehmen, weil oft konkrete Handlungsempfehlungen gegeben werden. Vor allem in Bezug auf innerkirchliche Debatten und Aktivitäten oppositioneller Gruppen beschrieb das MfS nicht nur einzelne Vorgänge, sondern legte auch konkrete Reaktionsweisen nahe. Dass staatliche Stellen solche Empfehlungen durchaus in die Tat umsetzten, belegen die wenigen Folgeberichte der ZAIG zu einzelnen Ereignissen. So forderten zum Beispiel die Offiziere in einer Information vom 25. Februar 1983 eine Verhinderung des Vernetzungstreffens »Frieden konkret« am 5. und 6. März 1983 in Berlin-Schöneweide mithilfe »vorbeugender Aussprachen«. Ein Folgebericht vom 1. März 1983 macht deutlich, dass diese Aussprachen tatsächlich durchgeführt wurden. Laut ZAIG gab es jeweils ein Gespräch zwischen Staatssekretär Gysi und Bischof Gottfried Forck, Oberbürgermeister Meyer und Konsistorialpräsident Stolpe sowie von Synodenchef Becker mit Professor Bahner.184
Schließlich geben noch Briefwechsel zwischen Stasi-Chef Erich Mielke und führenden Mitgliedern des Politbüros einen Hinweis auf die Rezeption der ZAIG-Berichte. In einer Akte befindet sich zum Beispiel ein Schreiben des stellvertretenden Ministerratsvorsitzenden Werner Krolikowski an Mielke vom 19. Januar 1983, in dem er sich für die ZAIG-Informationen 25/83, 26/83 und 28/83 zu den Störungen in der Energiewirtschaft bedankt und auf entsprechende Auflagen für die verantwortlichen Minister verweist. Dabei nennt er auch einen Beschluss des Präsidiums des Ministerrates vom 6. Januar 1983 zu den Ursachen und Folgen des Brandes in der Brikettfabrik Regis. Krolikowski betont, dass »umfangreiche Festlegungen zur Arbeits- und Produktionssicherheit« getroffen worden seien und die Inspektion kontinuierliche Kontrollen eingeleitet habe. Man kann davon ausgehen, dass diese Maßnahmen eine unmittelbare Folge der Stasi-Berichte waren. Handschriftlich notierte Mielke auf dem Schreiben noch: »L XVIII unter Kontrolle halten.« Die für Wirtschaft zuständige Linie XVIII des MfS sollte also Krolikowski noch ein bisschen auf die Finger schauen.185
6. Druckauswahl und Formalia
In dieser Buchausgabe liegt eine Auswahl der 211 edierten Dokumente des Jahres 1983 vor. Die Zusammenstellung umfasst sowohl standardmäßige Berichte als auch Exemplare mit besonderen formalen oder inhaltlichen Auffälligkeiten. In ihrer Gesamtheit sollen sie einen Eindruck von der Dramatik des Jahres und der Vielfalt der wiedergegebenen Ereignisse vermitteln. Die Abschriften aller edierten Berichte des Jahres 1983 sind vollständig auf der Website 1983.ddr-im-blick.de abrufbar. In Form einer Datenbank ist hier auch eine elektronische Volltextrecherche möglich.
Die Wiedergabe der Dokumente folgt grundsätzlich dem Original. Die Rechtschreibung ist den heutigen gültigen Regeln angeglichen. Während kleinere Tipp- und Rechtschreibfehler stillschweigend korrigiert werden, bleiben größere Orthografie- und Grammatikfehler aus Gründen der Quellenauthentizität unverändert. Ungewöhnliche Abkürzungen werden stillschweigend in übliche umgewandelt oder ausgeschrieben. Eventuelle Unterstreichungen, Randvermerke und Einkreisungen werden im Dokumentenkopf erwähnt, wenn sie gleichmäßig einen Großteil des Textes betreffen. Auf besondere Markierungen einzelner Wörter oder Sätze wird in einem Fußnotenkommentar aufmerksam gemacht.
Gemäß § 32 a des Stasi-Unterlagen-Gesetzes wurden die in den Texten erwähnten Personen der Zeitgeschichte sowie Amts- und Funktionsträger öffentlicher Institutionen vor der Veröffentlichung von Informationen zu ihrer Person benachrichtigt, wenn die Angaben nach einer Einordnung verlangen oder über ihre reine Funktionstätigkeit hinausgehen. Betroffene, die nicht zu diesen Personenkreisen gehören, wurden um eine Einwilligung für die Publikation von Daten zu ihrer Person gebeten. Um den Schutz der Persönlichkeitsrechte zu gewährleisten, war es bei einigen wenigen Berichten notwendig, Passagen, Personennamen oder Adressenangaben zu anonymisieren. Die Aussagekraft der Quellen wird dadurch aber in keiner Weise beeinträchtigt, da es sich hierbei in der Regel um weniger relevante Angaben handelt. Die mitunter sehr aufschlussreichen Anmerkungen und Richtigstellungen von Personen, die sich auf Nachfrage zu den sie betreffenden Aussagen der Berichte äußerten, wurden den Dokumenten als Fußnotenkommentar hinzugefügt.
7. Schlussbetrachtung
Das Jahr 1983 zählt nicht zu den prominenten Zäsurjahren in der Geschichte der DDR wie 1953 oder 1961. Historiker schenken diesen zwölf Monaten meist keine größere Aufmerksamkeit, ordnen sie in die stabile Phase kurz vor der finalen Krise des sozialistischen Staates ein und bewerten sie als eine ruhige Zeit ohne größere Zwischenfälle. Schaut man genauer hin, nehmen 1983 allerdings Entwicklungen ihren Anfang, die einige Jahre später epochale Auswirkungen haben sollten: die vorsichtige Emanzipation der Gesellschaft, die zunehmende Entschlossenheit vieler Bürger, das Land zu verlassen, der Beginn eines schärferen Umweltbewusstseins, die intensive Auseinandersetzung mit der nuklearen Bedrohung und die enorme Überlastung der Industrie angesichts der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise. 1983 war das Jahr der Kreditvereinbarung und der Lutherfeierlichkeiten, der Raketenstationierung und der Vernetzung von Friedensgruppen, der Jenaer Friedensgemeinschaft und der Rauswürfe von Oppositionellen wie Lothar Rochau und Roland Jahn. In der Endgeschichte der SED-Diktatur, so Peter Maser, nahm 1983 eine Schlüsselstellung ein.186
Diesen genaueren Blick auf das Jahr ermöglichen die zentralen Berichte der Staatssicherheit an die Staats- und Parteiführung, die hier in edierter Form vorliegen. Detailverliebt, nicht selten im Stile von Polizeiprotokollen, schildern sie unter anderem die Straftaten sowjetischer Soldaten, Todesfälle an den Grenzübergangsstellen wie den aufsehenerregenden Fall Rudolf Burkerts, die szenischen Lesungen und Debatten in der Lichtenberger Erlöserkirche während der Blues-Messen, die Protestaktionen der Jenaer Friedensgemeinschaft und die waghalsige Landung des Yoga-Lehrers Vishnudevanandas auf einer Wiese in Weißensee. Trotz der bisweilen etwas verzerrten Betrachtungsweise der Staatssicherheit gewinnt der Leser der ZAIG-Berichte einen umfassenden und plastischen Eindruck von den frühen 1980er-Jahren in der DDR. Zusammen mit ergänzenden Überlieferungen wie den Unterlagen der SED, der Wirtschaftsverwaltung und der lokalen Diensteinheiten des MfS bieten sie eine ideale Quellengrundlage für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur.
8. Anhang: Adressaten der Berichte 1983
Tabelle 1: Adressaten der Berichte 1983 außerhalb des MfS
Name, Vorname, Funktion | Information Nr. (auch Nr. des O- bzw. K-Berichtes) | Anzahl |
---|---|---|
Arndt, Otto (Jg. 1920) ZK-Mitglied, Minister für Verkehrswesen | 6 | |
Axen, Hermann (Jg. 1916) SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Außenpolitik | 2 | |
Bellmann, Rudi (Jg. 1919) Leiter der AG Kirchenfragen beim ZK der SED | 39, 53, 56, 68, 81, 83, 86, 97, 101, 111, 145, 150, 162, 166, 209, 227, 239, 249, 251, 258, 261, 269, 280, 294, 296, 305, 307, 311, 313, 314, 325, 326, 363, 377, 378, 391, 395, 406, 409, 417, 439 | 41 |
Dickel, Friedrich (Jg. 1913) ZK-Mitglied, Minister des | 12 | |
Dohlus, Horst (Jg. 1925) SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Parteiorgane | 1 | |
Donda, Arno (Jg. 1930) Leiter der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik | 4 | |
Felfe, Werner (Jg. 1928) SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Landwirtschaft | 4 | |
Fischer, Oskar (Jg. 1923) ZK-Mitglied, Minister für Auswärtige Angelegenheiten | 38, 149, 152, 161, 190, 207, 268, 283, 293, 306, 309, 328, 338, 339 | 14 |
Georgi, Rudi (Jg. 1927) ZK-Mitglied, Minister für Werkzeug- und Verarbeitungsmaschinenbau | 1 | |
Gysi, Klaus (Jg. 1912) Staatssekretär für Kirchenfragen im Ministerrat | 39, 56, 68, 69, 81, 83, 86, 97, 101, 111, 145, 150, 162, 166, 209, 227, 239, 249, 251, 258, 261, 269, 280, 294, 296, 305, 307, 311, 313, 314, 325, 326, 363, 377, 378, 391, 395, 406, 409, 417, 439 | 41 |
Häber, Herbert (Jg. 1930) ZK-Mitglied, Leiter der Westabteilung bzw. der Abt. Internationale Politik und Wirtschaft im ZK | 1 | |
Hager, Kurt (Jg. 1912) SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Wissenschaft, Bildung und Kultur | 7 | |
Halbritter, Walter (Jg. 1927) ZK-Mitglied, Leiter des Amtes für Preise beim Ministerrat | 1 | |
Herrmann, Joachim (Jg. 1928) SED-Politbüro, Chefredakteur des »Neuen Deutschlands«, ZK-Sekretär für Medien | 5 | |
Hoffmann, Heinz (Jg. 1910) SED-Politbüro, Minister für Nationale Verteidigung | 5 | |
Honecker, Erich (Jg. 1912) SED-Generalsekretär, Staatsratsvorsitzender, Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates | 1, 38, 53, 55, 56, 68, 69, 81, 83, 86, 97, 101, 145, 149, 150, 152, 161, 162, 166, 176, 177, 190, 196, 207, 227, 229, 230, 239, 266, 269, 280, 283, 293, 294, 296, 305, 306, 307, 309, 311, 313, 314, 325, 326, 328, 338, 339, 350, 351, 361, 362, 377, 395, 404, 405, 406, 407, 417, 439, K 1/132a | 60 |
Junker, Wolfgang (Jg. 1929) ZK-Mitglied, Minister für Bauwesen | 1 | |
KGB Karlshorst »AG« | 52, 100, 148, 176, 257, 271, 283, 293, 309, 338, 350, 381, K 1/132a, K 1/132b, K 1/132c, K 1/132d, K 1/132e | 17 |
Kleiber, Günther (Jg. 1931) ZK-Mitglied, Minister für Allgemeinen Maschinen-, Landmaschinen- und Fahrzeugbau | 1 | |
König, Herta Abteilungsleiterin im Ministerium der Finanzen | 29, 40, 42, 54, 57, 70, 72, 84, 95, 98, 102, 112, 123, 144, 146, 151, 165, 167, 191, 194, 197, 208, 228, 240, 250, 252, 254, 263, 265, 270, 281, 282, 292, 295, 308, 312, 324, 327, 337, 349, 364, 376, 380, 392, 408, 411, 418, 435, 438, 440 | 50 |
Krolikowski, Werner (Jg. 1928) SED-Politbüro, 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates | 21, 22, 23, 25, 26, 27, 28, 41, 96, 198, 259, 309, 323, 340, 382, 404, 405, 410 | 18 |
Lietz, Bruno (Jg. 1925) ZK-Mitglied, Minister für | 4 | |
Meier, Felix (Jg. 1936) SED, Minister für Elektrotechnik/Elektronik | 2 | |
Mittag, Günter (Jg. 1926) SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Wirtschaft | 25, 26, 27, 28, 41, 55, 96, 196, 198, 264, 309, 323, 351, 382, 404, 405 | 16 |
Mitzinger, Wolfgang (Jg. 1932) SED, Minister für Kohle und Energie | 7 | |
Modrow, Hans (Jg. 1928) ZK-Mitglied, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden | 1 | |
Naumann, Konrad (Jg. 1928) SED-Politbüro, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin | 2, 68, 86 (über Müller), 113, 124, 162, 187, 193, 196, 230, 239, 249, 253, 258, 269 (über Müller), 280, 293, 311, 326, 338, 361, 362, 436 | 23 |
Neumann, Alfred (Jg. 1909) SED-Politbüro, 1. Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates | 2 | |
Nier, Kurt (Jg. 1927) SED, Stellvertretender Minister für Auswärtige Angelegenheiten | 2 | |
Ragwitz, Ursula (Jg. 1928) Leiterin der ZK-Abteilung für Kultur | 1 | |
Saizew, Michael Mitrofanowitsch (Jg. 1923) | 1 | |
Scheibe, Herbert (Jg. 1914) Generaloberst, Leiter der Abt. Sicherheit des SED-ZK | 2 | |
Singhuber, Kurt (Jg. 1932) SED, Minister für Erzbergbau, Metallurgie und Kali | 1 | |
Stoph, Willi (Jg. 1914) SED-Politbüro, Vorsitzender des DDR-Ministerrates | 13 | |
Streletz, Fritz (Jg. 1926) Generaloberst, Stellvertretender Minister für Nationale Verteidigung, Chef des Hauptstabes der NVA | 3 | |
Verner, Paul (Jg. 1911) SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Sicherheit und Kirchenfragen | 39, 53, 56, 69, 81, 86, 111, 145, 150, 162, 166, 209, 227, 239, 249, 251, 258, 261, 280, 294, 296, 305, 307, 311, 313, 314, 325, 326, 363, 377, 378, 391, 395, 406, 409, 417, 439, | 37 |
Wyschowsky, Günther ZK-Mitglied, Minister für Chemische Industrie | 1 |
Tabelle 2: Name und Funktion der Adressaten innerhalb des MfS 1983
Name, Vorname | Funktion |
---|---|
Brückner, Lothar | ZAIG/1, AG 2, Offizier für Sonderaufgaben |
Carlsohn, Hans | Leiter des Sekretariats des Ministers |
Coburger, Karli | Stellv. des Leiters der HA IX |
Ehrhardt, Heinz | 1. Stellv. des Leiters der BV Berlin |
Eschberger, Manfred | Stellv. Leiter HA IX/2 |
Frenzel, Karl-Heinz | ZAIG/1, AG 3, Offizier für Sonderaufgaben |
Geisler, Otto | Leiter der Arbeitsgruppe des Ministers |
Giersch, Jean | ZAIG/1, AG 2, Offizier für Sonderaufgaben |
Göbel, Heinz | ZAIG/1, AG 3, Offizier für Sonderaufgaben |
Großer, Karl | ZAIG/1, Leiter der AG 2 |
Großmann, Werner | 1. Stellv. Leiter der HV A |
Irmler, Werner | Leiter der ZAIG |
Kienberg, Paul | Leiter der HA XX |
Kleine, Alfred | Leiter der HA XVIII |
Kratsch, Günther | Leiter der HA II |
Mielke, Erich | Minister für Staatssicherheit |
Mittig, Rudi | Stellv. Minister für Staatssicherheit |
Neiber, Gerhard | Stellv. Minister für Staatssicherheit |
Oettel, Karl | ZAIG/1, Leiter der AG 1 |
Pfeiffer, Helmut | ZAIG/1, stellv. Leiter der AG 4 |
Poppitz, Peter | ZAIG/1, Leiter der AG 3 |
Rebohle, Eberhard | ZAIG/1, AG 2, Offizier für Sonderaufgaben |
Reuter, Wolfgang | Leiter der HA XX/9 |
Riedel, Klaus-Dieter | ZAIG/1, AG 6, Offizier für Sonderaufgaben |
Salevsky, Bernd | Leiter der Abt. X/3 |
Schalck-Golodkowski, Alexander187 | OibE im Sonderbereich Devisenbeschaffung im Büro der Leitung |
Schorm, Ursula | ZAIG/1, AG 2, Offizier für Sonderaufgaben |
Schwanitz, Wolfgang | Leiter der BV Berlin |
Tannhäuser, Dieter | ZAIG/1, Leiter der AG 6 |
Taube, Rudi | 1. Stellv. des Leiters ZAIG, Leiter ZAIG/1 |
Vogel, Horst | Leiter des Sektors Wissenschaft und Technik und stellv. Leiter der HV A |
Volpert, Heinz | Leiter des Sonderbereichs Devisenbeschaffung im Büro der Leitung |
Wiegand, Jochen | Leiter der HA XX/4 |
Wolf, Markus | Stellv. Minister für Staatssicherheit, Leiter der HV A |