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Erneuter Aufenthalt von Mitgliedern der Grünen

2. November 1983
Hinweise über den erneuten Aufenthalt von Mitgliedern der Bundestagsfraktion der »Grünen« in der Hauptstadt der DDR, Berlin [K 1/132b]

Die erneute Einreise von Mitgliedern der Bundestagsfraktion der »Grünen« am 1. November 1983 in die Hauptstadt der DDR, Berlin, erfolgte ausschließlich mit dem Ziel, Gespräche mit Exponenten der sogenannten staatlich unabhängigen Friedensbewegung bzw. mit kirchenleitenden Kräften der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg zu führen.1

Die Mitglieder der Bundestagsfraktion der »Grünen«, Gert Bastian,2 Petra Kelly3 und Lukas Beckmann4 trafen gegen 11.40 Uhr an der Grenzübergangsstelle Heinrich-Heine-Straße ein und fuhren nach der Grenzpassage auf direktem Wege in die Wohnung des dem MfS hinlänglich bekannten Ehepaares Gerd5 und Ulrike Poppe.6 (G. Poppe ist Initiator und Organisator zahlreicher illegaler Lesungen. Seine Ehefrau zählt zum Kern der sogenannten Initiative »Frauen für den Frieden«.)7

Gegen 14.40 Uhr verließen die genannten Vertreter der »Grünen« die Wohnung der Familie Poppe und trafen sich anschließend in der Wohnung des Dr. Böttger8 in Berlin-Mitte, [Straße, Nr.].

Die gegen 14.40 Uhr über die Grenzübergangsstelle Bahnhof Friedrich-Straße eingereiste Bundestagsabgeordnete der »Grünen«, Dr. Antje Vollmer,9 begab sich ebenfalls zur Wohnung des Dr. Böttger. (Böttger war aktiv an provokatorisch-demonstrativen Aktionen im Rahmen der sogenannten staatlich unabhängigen Friedensbewegung10 u. a. vor der UdSSR-Botschaft beteiligt und in der Zeit vom 2.9.1983 bis 15.9.1983 vom MfS inhaftiert. Er wurde auf zentrale Entscheidung entlassen.)

Gegen 17.00 Uhr suchten Beckmann und die Vollmer die Wohnung des Pfarrers Rainer Eppelmann11 in Berlin-Friedrichshain auf, von wo sie sich gegen 18.00 Uhr in Begleitung des Eppelmann zum Sitz des Konsistorialpräsidenten Stolpe12 begaben. Dort führten sie bis gegen 20.15 Uhr Gespräche, an denen weiter die Oberkirchenrätin Lewek13 teilnahm.

Gert Bastian und Petra Kelly trafen gemeinsam mit Dr. Böttger gegen 20.00 Uhr am Wohnsitz der Bärbel Bohley14 (zählt zum Kern der sogenannten Initiative »Frauen für den Frieden«) in Berlin-Friedrichshain, [Straße, Nr.] ein. Internen Hinweisen zufolge hielten sich in der Wohnung der Bohley ca. 25 Personen auf, darunter weitere Führungskräfte der sogenannten Fraueninitiative aus der Hauptstadt sowie eine Vertreterin der sogenannten Fraueninitiative aus Halle. An den Gesprächen nahm in der Folgezeit auch die Antje Vollmer teil.

Beckmann traf nach dem Gespräch mit Konsistorialpräsident Stolpe gegen 21.45 Uhr mit dem Mitglied der zum Kern des »Friedenskreises Pankow«15 zählenden Wollenberger, Vera16 zusammen. (Die Führungskräfte des »Friedenskreises Pankow« zählen zu den Mitinitiatoren zahlreicher provokativ-demonstrativer Aktionen.) Gegen 23.15 Uhr traf Beckmann in der offenkundig als zentraler Auflaufpunkt fungierenden Wohnung der Bohley ein.

Die gemeinsame Ausreise der Mitglieder der Bundestagsfraktion der »Grünen« erfolgte gegen 23.55 Uhr über die Grenzübergangsstelle Heinrich-Heine-Straße nach Westberlin.

Vom MfS werden die erforderlichen Maßnahmen zur Aufklärung des inhaltlichen Gegenstandes der Zusammenkünfte durchgeführt. Über die Ergebnisse wird nachberichtet.

  1. Zum nächsten Dokument Einnahmen, Mindestumtausch, 24.–30.10.1983

    3. November 1983
    Information Nr. 376/83 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 24. Oktober 1983 bis 30. Oktober 1983
  2. Zum vorherigen Dokument Delegation der Grünen in Hauptstadt der DDR

    1. November 1983
    Hinweise zum Aufenthalt der Delegation der Grünen in der Hauptstadt der DDR am 31. Oktober 1983 und auf weitere von ihnen beabsichtigte Aktivitäten [K 1/132a]

  1. Der Besuch diente u. a. der Vorbereitung einer öffentlichen Aktion am 4.11.1983 vor den Botschaften der USA und der Sowjetunion in Ostberlin. Vertreter der Grünen und einiger Friedenskreise aus Ostberlin wollten in zwei Gruppen jeweils eine Petition und einen gebastelten Globus mit der Aufschrift »So sieht die Erde jetzt noch aus« an die Botschafter beider Großmächte überreichen. Der Petitionstext verwies auf die Gefahren der Hochrüstung und mahnte Anstrengungen zur Verhinderung der Stationierung von Nuklearwaffen in Ost und West an. Obwohl sich am 4.11.1983 gegen 13 Uhr tatsächlich einige Aktivisten am Bahnhof Friedrichstraße einfanden, konnte die DDR-Regierung durch massive Sicherheitsvorkehrungen dieses Vorhaben verhindern. Gegenüber allen bekannten Mitgliedern der Grünen und der Alternativen Liste wurden Einreisesperren verhängt. In der DDR wurden 82 Personen vorübergehend verhaftet, darunter Bärbel Bohley, Martin Böttger, Gerd Poppe und Wolfgang Templin in Ostberlin sowie Frank Eigenfeld in Halle, Heiko Lietz in Rostock und Dietmar Linke in Neuenhagen. 28 DDR-Bürger erhielten die Auflage, ihre Wohnungen am 4.11.1983 nicht zu verlassen. Bis zum Abend wurden am Grenzübergang Friedrichstraße 49 Personen zurückgewiesen. Vgl. Bahr, Andrea; Gieseke, Jens: Die Staatssicherheit und die Grünen. Zwischen SED-Westpolitik und Ost-West-Kontakten. Berlin 2016, S. 48–56; siehe auch Berichte K 1/132a v. 1.11.1983, K 1/132c v. 3.11.1983, K 1/132d v. 4.11.1983, K 1/132e v. 5.11.1983, K 1/132f v. 7.11.1983, K 1/132g v. 7.11.1983 und K 1/132h v. 8.11.1983.

  2. Im Original durchgehend: »Gerd«. Gert Bastian, Jg. 1923, Politiker der Grünen und Offizier der Bundeswehr, zuletzt im Rang eines Generalmajors, schloss sich Ende der 1970er-Jahre als Gegner der Stationierung von Mittelstreckenraketen der Friedensbewegung an und zählte zu den Initiatoren des »Krefelder Appells«, seit dieser Zeit Lebensgefährte von Petra Kelly, 1980 Mitbegründer der Partei »Die Grünen«, 1983–87 Mitglied des Bundestages, gewählt über die Landesliste der bayerischen Grünen.

  3. Petra Kelly, Jg. 1947, Politikerin der Grünen, engagiert in der Friedens- und Antiatombewegung, 1980 Gründungsmitglied der Grünen und Bundesvorstandssprecherin, März 1983 bis 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages, protestierte 1983 auf dem Berliner Alexanderplatz mit einem Plakat »Schwerter zu Pflugscharen«, pflegte enge Kontakte zu DDR-Oppositionellen wie Rainer Eppelmann, Bärbel Bohley sowie Ulrike und Gerd Poppe.

  4. Lukas Beckmann, Jg. 1950, Politiker der Grünen, in den 1970er-Jahren in verschiedenen Umwelt- und Dritte-Welt-Gruppen aktiv, Mitglied von Amnesty International und Teilnehmer der von Joseph Beuys initiierten Freien Internationalen Universität, 1979–84 Bundesgeschäftsführer der Grünen, 1984–87 zusammen mit Jutta Ditfurth und Rainer Trampert Bundesvorstandssprecher der Partei, stand bis 1989 in engem Kontakt mit der DDR-Opposition, 1986 Mit-Initiator der Heinrich-Böll-Stiftung.

  5. Gerd Poppe, Jg. 1941, Ingenieur, 1959–64 Physikstudium, 1965–76 Physiker im Halbleiterwerk Stahnsdorf, aufgrund seines Protestes gegen Biermann-Ausbürgerung keine Anstellung in der Akademie der Wissenschaften, bis 1984 tätig als Maschinist in einer Berliner Schwimmhalle, seit den 1960er-Jahren in Oppositionskreisen aktiv, 1985/86 Mitbegründer der »Initiative Frieden und Menschenrechte«, Mitherausgeber der Samisdat-Schriften »grenzfall«, »Spuren« und »Ostkreuz«, Februar bis April 1990 Minister ohne Geschäftsbereich in der DDR, 1990–98 Mitglied des Deutschen Bundestages (Bündnis 90/Die Grünen), 1998–2003 Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe.

  6. Ulrike Poppe, Jg. 1953, Angestellte, seit 1982 Mitglied in der Gruppe »Frauen für den Frieden«, seit 1986 Mitglied der Initiative Frieden und Menschenrechte, seit 1987 Arbeitskreis »Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung«, Mitbegründerin von »Demokratie Jetzt« (DJ), Dezember 1989–März 1990 DJ-Vertreterin am Zentralen Runden Tisch, 1990 Mitarbeiterin der Volkskammerfraktion Bündnis 90/Die Grünen, 2009–2017 Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur.

  7. Die Gruppe »Frauen für den Frieden« ging im Oktober 1982 aus dem Protest gegen das neue Wehrdienstgesetz vom 25.3.1982 hervor. In einem Protestschreiben an Erich Honecker vom 12.10.1982 wandten sich über 150 Frauen gegen ihre Einbeziehung in den Wehrdienst im Verteidigungsfall, die Verlängerung der Reservistenübung und die Einführung einer vormilitärischen Ausbildung an Schulen und Universitäten. Mit zahlreichen Aktionen befasste sich die Gruppe um Bärbel Bohley, Katja Havemann, Almut Ilsen, Irena Kukutz, Ulrike Poppe, Bettina Rathenow und Karin Teichert in der Folgezeit mit den Themen Gerechtigkeit, Abrüstung, Friedenserziehung, friedliche Konfliktbeilegung und die Ächtung von Gewalt in der Ehe und bildete damit einen hoch engagierten Teil der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR. Vgl. Ilsen, Almut; Leiserowitz, Ruth (Hg.): Seid doch laut! Die Frauen für den Frieden in Ost-Berlin. Berlin 2019.

  8. Martin Böttger, Jg. 1947, Physiker, seit 1972 in der kirchlichen Friedensarbeit aktiv, 1982 Promotion an der TU Dresden, bis 1983 als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Deutschen Bauakademie tätig, 1976 und 1980 nach der Teilnahme an 1.-Mai-Demonstrationen zugeführt, als potenzieller Teilnehmer an einer Menschenkette zum Weltfriedenstag, die von der Friedensbewegung am 12.9.1983 zwischen den Botschaften der USA und der Sowjetunion gebildet wurde, vom 2. bis 9.9.1983 verhaftet, 1985 Mitbegründer der Initiative Frieden und Menschenrechte, war an der Herausgabe und Verbreitung von Samisdat-Schriften beteiligt, 1989 Gründungsmitglied des »Neuen Forums« und Koordinator der Bewegung in Karl-Marx-Stadt, 1990–94 Mitglied des Sächsischen Landtags.

  9. Antje Vollmer, Jg. 1943, evangelische Theologin und Politikerin der Grünen, 1971–74 Pastorin in Berlin-Wedding, 1976–82 Dozentin in der ländlichen Bildungsarbeit an der Evangelischen Heimvolkshochschule bei den Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld, seit März 1983 Abgeordnete des Deutschen Bundestages, Mitglied der ersten Grünenfraktion als parteilose Mandatsträgerin, seit 1985 Mitglied der Partei Die Grünen, zählte zum linken Flügel der Partei.

  10. Ende der 1970er-Jahre entstanden in der DDR eine Reihe unabhängiger Gruppen innerhalb der evangelischen Kirche, die sich mit dem Thema Abrüstung, Friedenspädagogik und internationale Entspannung auseinandersetzten. Der 1977 gegründete Friedenskreis der ESG in Ostberlin machte den Anfang. Bis Mitte der 1980er-Jahre kamen landesweit mehr als 50 dauerhafte Friedenskreise hinzu, die sich ab März 1983 mit der Delegiertenversammlung »Konkret für den Frieden« vernetzten. Zu den zahlreichen Aktionen gehörten u. a. die jährlichen Friedensseminare in Königswalde, die Friedensdekade im November, der Berliner Appell von Rainer Eppelmann und Robert Havemann im Januar 1982, zahlreiche Radsternfahrten und Fastenaktionen sowie die Dresdner Initiative für einen Sozialen Friedensdienst. Das Friedensforum in Dresden im Februar 1982 und die Friedenswerkstatt in Ostberlin im Juli 1983 waren Höhepunkte dieser kirchennahen, aus der Gesellschaft hervorgegangenen Protestbewegung, die vor allem durch die zunehmende Militarisierung des DDR-Bildungswesens seit 1978 (Einführung des Wehrkundeunterrichts) und einer neuen Runde des Wettrüstens mit der Stationierung von Mittelstreckenraketen in Mitteleuropa ausgelöst wurde.

  11. Rainer Eppelmann, Jg. 1943, evangelischer Theologe, 1966 Verweigerung des Eides als Bausoldat, Verurteilung zu acht Monaten Haft, 1975–89 Pfarrer an der Samariter-Gemeinde in Berlin-Friedrichshain, 1979–86 Organisator von Blues-Messen (Gottesdienst mit Konzert) im Rahmen seiner kirchlichen Jugendarbeit, die einen Ausgangspunkt oppositioneller Aktivitäten bildeten, 1982 zusammen mit Robert Havemann Verfasser des Berliner Appells »Frieden schaffen ohne Waffen« zur Entmilitarisierung beider deutscher Staaten, daraufhin Inhaftierung durch das MfS vom 9. bis 11.2.1982.

  12. Manfred Stolpe, Jg. 1936, Kirchenjurist, 1969–81 Oberkonsistorialrat und Leiter des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, 1982–90 Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, 1990–2002 Ministerpräsident des Landes Brandenburg.

  13. Christa Lewek, Jg. 1927, Kirchenjuristin, 1969–88 Oberkirchenrätin und Referentin für »Kirche und Gesellschaft« im Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Stellvertreterin der Sekretariatsleitung unter Manfred Stolpe, Christoph Demke und Martin Ziegler, seit 1979 Präsidentin des Menschenrechtsprogramms der Kirchen zur Verwirklichung der KSZE-Schlussakte von Helsinki.

  14. Bärbel Bohley, Jg. 1945, Malerin, Mitbegründerin der Oppositionsgruppe »Frauen für den Frieden« (1982) und der Initiative Frieden und Menschenrechte (1985/86), Januar 1988 Verhaftung nach Protestaktionen während der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration und Abschiebung nach England, August 1988 Rückkehr in die DDR, September 1989 Mitbegründerin des »Neuen Forums«.

  15. Der Friedenskreis Pankow wurde im Oktober 1981 in der Kirchgemeinde Alt-Pankow von der Pastorin Ruth Misselwitz und dem Biochemiker Hans-Jürgen Misselwitz ins Leben gerufen. Zu den Gründungsmitgliedern zählten u. a. Martin Hoffmann, Marina Grasse, Freya Klier, Gerd Stadermann und Vera Wollenberger. Der Arbeitskreis widmete sich den Themen Friedenspolitik, Abrüstung, Friedenserziehung und Umweltschutz. Er nahm an kirchlichen Großveranstaltungen wie der Berliner Friedenswerkstatt und der Friedensdekade teil und war über die jährlichen Treffen von »Konkret für den Frieden« in das DDR-weit agierende Netzwerk der unabhängigen Friedens- und Umweltbewegung integriert. Vgl. Subklew, Marianne (Hg.): Ich wurde mutiger. Der Pankower Friedenskreis – politische Selbstbehauptung und öffentlicher Widerspruch. Berlin 2003.

  16. Vera Wollenberger (heute Lengsfeld), Jg. 1952, Bürgerrechtlerin, 1975–80 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1981–83 Lektorin im Verlag Neues Leben, 1983 Mitbegründerin des Pankower Friedenskreises, im gleichen Jahr SED-Ausschluss und Berufsverbot, 1985–88 Theologiestudium am Sprachenkonvikt Berlin, 1985 und 1987 Mitglied im Fortsetzungsausschuss des Netzwerks »Frieden konkret«, 1987 Mitbegründerin der »Kirche von Unten«, Mitorganisatorin des »Kirchentags von Unten« und von verschiedenen Friedensseminaren und Ökogruppen, nach ihrer Verhaftung am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration im Januar 1988 Abschiebung nach England, im November 1989 Rückkehr in die DDR, Eintritt in die Grüne Partei und Mitarbeit am Zentralen Runden Tisch, 1990–2005 Mitglied des Deutschen Bundestages, seit 1996 für die CDU.