Explosionen von Spannungswandlern
3. Juni 1983
Information Nr. 198/83 über die Ergebnisse der Untersuchungen zu den Ursachen und Bedingungen der Explosionen von Spannungswandlern
Seit dem 20. Juni 1979 sind im Elektroenergienetz der DDR 37 Spannungswandler der Spannungsebenen 110 kV (Typ ET 110 N), 220 kV (Typ ET 220 NE) und 380 kV (Typ ET 380 NE), die in der Zeit von 1979 bis 1982 mit veränderter Konstruktion und Technologie vom VEB Transformatorenwerk »Karl Liebknecht« Berlin (TRO) hergestellt wurden, havariert, während die vor dem Jahr 1979 vom VEB TRO für diese Spannungsebenen produzierten Geräte sich bis jetzt als sichere Betriebsmittel in den Elektroenergienetzen bewährt haben. Diese Wandler, deren Spulen als wichtigste Bauteile sich in einem mit speziellem Öl gefüllten Gehäuse befinden, auf dem ein Porzellankörper montiert ist, stellen vom Funktionsprinzip Transformatoren sehr kleiner Leistung dar. Durch sie wird in den Umspannwerken die jeweils anliegende Hochspannung auf 100 V heruntertransformiert, da nur mit dieser niedrigen Spannung die für Mess- und Schutzzwecke in den Energienetzen installierten Geräte sicher betrieben werden können.
Wie durch die Untersuchungen festgestellt wurde, sind die 37 Havarien bis auf eine explosionsartig eingetreten.
Ausgelöst werden die Explosionen durch Windungsschlüsse (Kurzschlüsse) in der Hochspannungsspule. Diese Kurzschlüsse erwärmen die Lackdraht- und Papierisolation, erfassen weitere Windungen und haben thermische Zerstörungen der Isolierungen zur Folge. Die dadurch entstehenden Gasblasen führen zu Teilentladungen und schließlich zum Durchschlag (Lichtbogen) der Isolation vom Hochspannungspotenzial zum geerdeten Wandlerkern bzw. Gehäuse. Der Lichtbogen wiederum verursacht eine starke Gasentwicklung und damit einen schlagartigen Druckanstieg, der die Wandlergehäuse auseinanderreißt und brennendes Öl herausschleudert. Beim Bersten der Porzellanisolatoren werden spitze und scharfkantige Splitter unterschiedlicher Größe bis zu 50 Meter weggeschleudert. Deshalb sind mit den Explosionen ernste Gefährdungen für das Leben und die Gesundheit der Werktätigen gegeben.
Der durch die Vorkommnisse unmittelbar entstandene Sachschaden beträgt ca. 1,8 Mio. Mark. Der volkswirtschaftlich insgesamt eingetretene Schaden ist jedoch noch bedeutend höher, da die Wandlerhavarien meist zu flächenhaften Ausfällen der Elektroenergieversorgung in größeren Territorien führten, wovon Großabnehmer, Verkehrseinrichtungen und die Bevölkerung betroffen waren. (Beispielsweise kam es bei den Wandlerhavarien am 29.12.1982 in den Umspannwerken Breitungen und Großschwabhausen zu einem Versorgungsausfall für 23 000 Abnehmer, darunter für den VEB Kalikombinat Werra und den VEB Eichsfelder Zementwerk Deuna, mit erheblichen Produktionsunterbrechungen.)
Da die im Jahre 1982 von dem VEB Kombinat Elektroenergieanlagenbau und dem Kriminalistischen Institut der DVP durchgeführten Untersuchungen zu den Havarien der Spannungswandler lediglich Erkenntnisse über den Verlauf der Havarien einzelner Wandler erbrachten, jedoch keine Beweisführung zu den Ursachen und Umständen des gesamten Havariegeschehens zuließen, wurde seitens des MfS im engen Zusammenwirken mit der Expertenkommission »Transformatoren und Wandler« des VEB Kombinat Braunkohlenkraftwerke begonnen, die Ursachen und Umstände der Havarien eindeutig aufzuklären.
Die im Verlaufe dieser Untersuchungen erzielten Ergebnisse an havarierten sowie vorbeugend aus dem Netz genommenen Wandlern, die in einem Abschlussbericht vom 28. Januar 1983 dokumentiert wurden, bewiesen, dass die Havarien durch Windungsschlüsse ausgelöst werden und wie der Ablauf des Havariegeschehens bis zum Eintritt der Explosion erfolgte.
Da diese Ergebnisse jedoch noch keine umfassenden Einschätzungen zu den Ursachen und Umständen sowie eventuell vorliegender strafrechtlicher Verantwortung zuließen, erfolgte in Abstimmung mit dem zuständigen Staatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft der DDR, Gen. Dr. Tenner,1 durch den Leiter des Staatlichen Amtes für Technische Überwachung (SATÜ) die Berufung einer Sachverständigenkommission, die auf der Basis eines mit allen beteiligten Institutionen abgestimmten Auftrages am 10.2.1983 ihre Tätigkeit aufnahm.
Diese aus fünf Experten bestehende Kommission wurde beauftragt, die Ursachen und Bedingungen der Havarien zweifelsfrei nachzuweisen sowie dazu beizutragen, dass im Herstellerwerk VEB TRO die Produktion dieser Erzeugnisse stabilisiert wird und Gefährdungen durch die im Elektroenergienetz installierten Spannungswandler künftig weitgehendst ausgeschlossen werden.
Die von der Kommission im VEB TRO unmittelbar vor Ort der Produktion von Spannungswandlern durchgeführten Untersuchungen erbrachten folgende wesentliche Ergebnisse:
Die Ursachen für die Produktion havariegefährdeter Wandler und damit der 37 Havarien sind auf
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subjektive Fehlentscheidungen bei der Beurteilung des Erfordernisses wissenschaftlich-technischer Grundlagenuntersuchungen,
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pflichtwidriges Unterlassen erforderlicher Entscheidungen,
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mangelhafte Leitungstätigkeit sowie
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Verletzungen gesetzlicher Bestimmungen
durch leitende Mitarbeiter einschließlich dem Werkdirektor des VEB TRO zurückzuführen.
Dazu im Einzelnen:
Die ab 1979 im VEB TRO erfolgte Produktion havariegefährdeter Spannungswandler der Spannungsebenen 110, 220 und 380 kV und damit die 37 bisher eingetretenen Havarien hätten vermieden werden können, wenn bei der Produktionsumstellung der Wandlerspulen auf eine automatische Wicklung von den dafür Verantwortlichen des VEB TRO pflichtgemäß gehandelt worden wäre.
Die automatische Wicklung, die eine große Steigerung der Arbeitsproduktivität erbrachte, erforderte wesentliche konstruktive Veränderungen an der bis dahin handgewickelten Spule. Diese konstruktiven Veränderungen, wie der Einsatz eines anderen Isoliersystems für den verwendeten Kupferdraht und die Veränderung des Spulenaufbaus, erfolgten jedoch in verantwortungsloser Gleichgültigkeit, ohne die hierfür erforderlichen grundlegenden wissenschaftlich-technischen Untersuchungen durchzuführen. Obwohl von den Verantwortlichen zu diesem Zeitpunkt erkannt wurde, dass die vorgenommenen konstruktiven Veränderungen zu Kreuzungen von Drähten, zur Bildung von Schlaufen oder sogenannten Locken führten und diese Mängel Windungsschlüsse (Kurzschlüsse) innerhalb der Spule mit unmittelbaren Gefährdungen für die Betriebssicherheit der Wandler hervorrufen, erfolgte 1979 die Aufnahme der Serienproduktion automatengewickelter Spulen. Nachdem im gleichen Jahr zwei mit diesen Spulen ausgerüstete Spannungswandler havarierten und damit die Gefährdung der Wandler für alle verantwortlichen Leiter offensichtlich war, wurde zwar ein Arbeitsplan für die Sicherung der Qualität angefertigt, der aber wiederum nicht die Durchführung grundsätzlicher Untersuchungen vorsah.
Trotz des Vorhandenseins aller objektiven Voraussetzungen, auf der Grundlage notwendiger Berechnungen und Laboruntersuchungen betriebssichere Spannungswandler herzustellen, ein selbstständiges Forschungs- und Entwicklungsthema für die konstruktive Entwicklung automatengewickelter Spulen aufzunehmen, wurden auch nach der zunehmenden Anzahl der Havarien vonseiten der Verantwortlichen ihre elementaren Pflichten – die Produktion havariegefährdeter Wandler einzustellen und wirksame Maßnahmen zur Beendigung von Gefährdungen der im Netz eingesetzten Wandler – nicht wahrgenommen.
Anstelle grundsätzlicher wissenschaftlich-technischer Untersuchungen zur Verbesserung der Konstruktion wurde schriftlich angewiesen, dass die am Wickelautomat beschäftigten Werktätigen die Bildung von Drahtkreuzungen und Schlaufenbildungen zu verhindern haben, obwohl diesem Personenkreis zur Erfüllung dieser Weisung die Voraussetzungen fehlten.
Bis zum Zeitpunkt der Tätigkeit der Sachverständigenkommission haben die verantwortlichen Leiter des VEB TRO weder die Grundprobleme zur Gewährleistung der Produktion funktionssicherer Spannungswandler gelöst noch die richtigen Maßnahmen zur Beseitigung der Gefährdungen, die von den im Energienetz der DDR eingesetzten ca. 1 200 havariegefährdeten Spannungswandlern ET 110 N gegenwärtig ausgehen, durchgeführt. Die Gefährdungen, die durch die Spannungswandler ET 220 NE und ET 380 NE gegeben sind, wurden – wenn auch zeitlich verzögert – weitgehend durch den VEB TRO unter Kontrolle gebracht.
Im Ergebnis der gemeinsam geführten Untersuchungen wird nachgewiesen, dass folgende leitende Mitarbeiter des VEB TRO für die Entwicklung und Produktion der havariegefährdeten Spannungswandler und damit für die Explosionen und Brände in den Umspannwerken und den Ausfall von Elektroenergie sowie die hohen volkswirtschaftlichen Schäden – wenn auch individuell unterschiedlich – verantwortlich sind:
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Friedrich, Manfred2 (45), Beruf: Diplom-Wirtschaftler, Tätigkeit: Werkdirektor, SED
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Röske, Kurt3 (49), Beruf: Ingenieur für Energieanlagen, Tätigkeit: Leiter des Betriebsteiles Transformatoren- und Wandlerbau, SED
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[Name 1, Vorname] (55), Beruf: Ingenieur für Elektrotechnik, Tätigkeit: Leiter der Forschung und Entwicklung Transformatoren und Wandler, parteilos
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Dr. Ing. [Name 2, Vorname] (44), Beruf: Diplom-Ingenieur für Eletrotechnik, Tätigkeit: von 1974 bis 1977 Leiter der Hauptabteilung Wandler- und Stufenschalterentwicklung (jetzt Direktor für Forschung und Entwicklung des dem VEB TRO übergeordneten Kombinates, Elektroenergieanlagenbau), SED
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[Name 3, Vorname] (41), Beruf: Diplom-Ingenieur, Tätigkeit: Leiter der Hauptabteilung Wandler- und Stufenschalterentwicklung, SED
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Dr. Ing. [Name 4, Vorname] (53), Beruf: Dipl.-Ingenieur, Tätigkeit: Laborleiter für Wandler und Stufenschalter, LDPD
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[Name 5, Vorname] (44), Beruf: Technologe für Maschinenbau, Tätigkeit: Hauptabteilungsleiter für Wandlerbau, SED
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[Name 6, Vorname] (49), Beruf: Ingenieur für Elektrotechnik, Ingenieur für BMSR-Technik, Tätigkeit: Staatlicher Leiter der TKO, SED
Zu den Pflichtverletzungen der angeführten leitenden Mitarbeiter des VEB TRO wird im vorliegenden Sachverständigengutachten festgestellt, dass sie aufgrund ihrer Ausbildung und Berufserfahrung ausnahmslos in der Lage gewesen sind, die ihnen übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Auch wurden von den Sachverständigen keine anderen Gründe erkannt, die ein pflichtgemäßes Verhalten der genannten Personen objektiv verhindert oder erschwert hätten.
Hinweise für die Motive, die den Pflichtverletzungen zugrunde liegen, konnten bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht erarbeitet werden.
Die im Verlaufe der Tätigkeit von der Kommission gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere die Ergebnisse ihrer wissenschaftlich-technischen Untersuchungen und die daraus abzuleitenden Lösungswege zur Beseitigung der Mängel an den automatengewickelten Spulen und damit zur Produktion betriebssicherer Spannungswandler, wurden durch den Leiter der Sachverständigenkommission und seine Experten dem Leitungskollektiv des VEB TRO im Detail dargelegt und mit Beendigung der Tätigkeit der Kommission nochmals schriftlich übergeben. Ebenso wurde ein von der Sachverständigenkommission ausgearbeitetes Programm zur Prüfung aller im Energienetz der DDR befindlichen havariegefährdeten Wandler mit dem Ziel ihrer schrittweisen Aussonderung übergeben.
Ausgehend von den erzielten Untersuchungsergebnissen, in Anbetracht der eingetretenen bedeutenden volkswirtschaftlichen Verluste und ernster Gefährdungen der Zuverlässigkeit des Elektroenergienetzes, die auch gegenwärtig noch nicht umfassend abgewendet werden können, wird vorgeschlagen, die im Bericht genannten Angehörigen des VEB TRO schrittweise aus ihren Funktionen abzulösen, da die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass keine der genannten Personen den Anforderungen entspricht, die an sozialistische Leiterpersönlichkeiten zur Überwindung der im VEB TRO hervorgerufenen komplizierten Situation und damit zur Stabilisierung der Produktion volkswirtschaftlich dringend benötigter Erzeugnisse gestellt werden.
Unabhängig davon ist in Übereinstimmung mit verantwortlichen Mitarbeitern des Generalstaatsanwaltes der DDR beabsichtigt, schrittweise Ermittlungsverfahren ohne Haft gegen die in der Information genannten Mitarbeiter des VEB TRO nach den Tatbeständen der §§ 167 – Wirtschaftsschädigung durch Berufspflichtverletzung –, 188 – Fahrlässige Verursachung eines Brandes – und 194 – Gefährdung der Gebrauchssicherheit – StGB einzuleiten.4
Die Verfahren wären geeignet, die zur gegenwärtigen Zeit notwendigen Maßstäbe für das Verhalten leitender Mitarbeiter von der Bedeutung her über den VEB TRO hinaus zu setzen und zur Vermeidung solcher bzw. ähnlicher Schäden vorbeugend beizutragen.
Besonders schwerwiegend ist die Tatsache einzuschätzen, dass der genannte Personenkreis auch nach der Zunahme der Havarien keine wirksamen Maßnahmen zur Vermeidung weiterer volkswirtschaftlicher Schäden einleitete.
Durch das MfS werden dem zuständigen Minister für Elektrotechnik und Elektronik die Ergebnisse der Untersuchungen erläutert.
Im Rahmen der schadensabwendenden Arbeit wird seitens des MfS eine ständige Kontrolle hinsichtlich der Verwirklichung der von der Sachverständigenkommission aufgezeigten Lösungswege zur schnellstmöglichen Produktion betriebssicherer Wandler der Spannungsebenen 110 kV, 220 kV und 380 kV sowie der höchstmöglichen Minimierung der volkswirtschaftlichen Schäden, die von den im Netz eingesetzten havariegefährdeten Wandlern ausgehen, ausgeübt.
Mit dem Ziel, weiteren volkswirtschaftlichen Schäden vorzubeugen, die auch durch andere mit Mängeln behaftete Erzeugnisse des VEB TRO Berlin, wie Transformatoren, Bündelstützer u. a. verursacht wurden, sind seitens des MfS geeignete Maßnahmen vorgesehen, die den Prozess der Stabilisierung der Gesamtproduktion des VEB TRO Berlin und den weitestgehenden Abbau noch bestehender Gefährdungen durch den VEB TRO unterstützen.