»Friedenswerkstatt in Erlöserkirche«
4. Juli 1983
Information Nr. 249/83 über den Ablauf der »Friedenswerkstatt« am 3. Juli 1983 in der Erlöserkirche in Berlin-Lichtenberg
Am 3. Juli 1983 wurde in Verantwortung der Leitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg im Zeitraum vom 10.00 bis 19.00 Uhr eine »Friedenswerkstatt«1 unter dem Thema »Frieden pflanzen« auf dem Gelände der Erlöserkirche Berlin-Lichtenberg durchgeführt. Seitens der Kirchenleitung waren Generalsuperintendent Krusche2 und Stadtjugendpfarrer Passauer3 mit der Überwachung der Vorbereitung und des Ablaufes sowie mit der Wahrnehmung des Hausrechtes beauftragt.
Für die Teilnahme an dieser Veranstaltung wurde mittels zahlreicher Plakate in fast allen Kirchenschaukästen der Hauptstadt, durch Verteilung von ca. 3 000 vervielfältigten Handzetteln, durch Bekanntmachung bei vorangegangenen kirchlichen Großveranstaltungen sowie durch Flüsterpropaganda geworben.
Der inhaltliche und organisatorische Ablauf der »Friedenswerkstatt« wurde durch eine Vorbereitungsgruppe erarbeitet, der u. a. solche hinlänglich bekannten Personen angehörten wie Pfarrer Eppelmann4/Samaritergemeinde Berlin, Stadtjugendpfarrer Passauer/Berlin, Pfarrer Linke5/Neuenhagen bei Berlin, Pfarrer Langhammer6/Erlöserkirche Berlin, Pastorin Ruth Misselwitz7/Berlin-Pankow, Dr. Berndt8/Friedenskreis Samaritergemeinde9 Berlin, Peter Köhn10/Friedenskreis Samaritergemeinde Berlin, Dietmar Miehlke11/Friedenskreis der ESG Berlin, Reinhard Schult12/Friedenskreis der ESG Berlin13.
Der Inhalt der Veranstaltungen wurde durch Konsistorialpräsident Stolpe,14 Generalsuperintendent Krusche, Präses Becker15 und Oberkonsistorialrat Giering16 bestätigt.
Von der Kirchenleitung waren ca. 5 000 Teilnehmer zu der »Friedenswerkstatt« erwartet worden. Anwesend waren insgesamt ca. 2 500 Personen. Circa 60 bis 70 % der Besucher waren zwischen 14 und 25 Jahren, die Mehrheit der übrigen Teilnehmer bis 40 Jahre alt. Während der Veranstaltungen der »Friedenswerkstatt« wurden ca. 20 Punker festgestellt, die sich jedoch zurückhaltend verhielten.
Auf dem Gelände der Erlöserkirche wurden weiter ca. 100 Teilnehmer aus dem nichtsozialistischen Ausland festgestellt, u. a. Bürger Österreichs, der USA, Schwedens, Dänemarks, Frankreichs, der BRD und Westberlins. Einige von ihnen beteiligten sich aktiv an Diskussionen im Rahmen des Programms im Außengelände der Kirche. Durch diesen Personenkreis wurden in großem Umfang Fotoaufnahmen auf dem Veranstaltungsgelände getätigt.
Als prominentes Mitglied der Friedensbewegung der BRD nahm Prof. Dr. Richter, Horst-Eberhard17 (Mitglied des PEN-Zentrums der BRD und der Internationalen Ärztebewegung für die Verhinderung eines Kernwaffenkrieges18) an der »Friedenswerkstatt« teil. Er hielt einen Beitrag im Rahmen der sogenannten Hydepark-Veranstaltung19 im Außengelände.
Folgende Angehörige diplomatischer Vertretungen wurden auf dem Veranstaltungsgelände festgestellt:
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Hans-Otto Bräutigam,20 Leiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR,
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Walter Andruszyszyn,21 Vizekonsul der USA-Botschaft in der DDR,
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Lynn Turk,22 Mitarbeiter der USA-Botschaft in der DDR,
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Christopher Burrow,23 3. Sekretär der Botschaft Großbritanniens in der DDR.
Darüber hinaus nahmen zeitweise Vertreter westlicher Massenmedien teil, wie Hans-Jürgen Röder,24 Evangelischer Pressedienst der BRD (epd), Korrespondenten des ARD-Fernsehens und Rundfunks, der »Frankfurter Rundschau«, der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, der britischen Nachrichtenagentur Reuter und der BBC.
Als Vertreter kirchlicher und kirchenleitender Gremien der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg beteiligten sich aktiv an der Gestaltung der »Friedenswerkstatt« Bischof Dr. Forck,25 Generalsuperintendent Krusche, Oberkonsistorialrat Giering, Stadtjugendpfarrer Passauer, Dr. Fischbeck26 (Synodaler).
Außerdem traten u. a. die Pfarrer Eppelmann (Samaritergemeinde), Tschiche27 (Evangelische Akademie/Samswegen bei Magdeburg), Pahnke28 (Borgsdorf), Tietsch29 (Berlin-Marzahn), Buntrock30 (Berlin-Marzahn), Huhn31 (Berlin-Marzahn) und Cyrus32 (Galiläa-Gemeinde) sowie Pastorin Misselwitz (Berlin-Pankow) und Rechtsanwalt Wolfgang Schnur33 (Binz) als Programmgestalter oder Teilnehmer in Erscheinung.
Der Regionalausschuss der Christlichen Friedenskonferenz34 (CFK) wurde durch Prof. Dr. Karl-Heinz Bernhardt35 (Sektion Theologie der Humboldt-Universität zu Berlin), Prof. Dr. Heinrich Fink36 (Sektion Theologie der Humboldt-Universität zu Berlin) und Carl Ordnung37 (Nationaler Sekretär der Regionalgruppe der Christlichen Friedenskonferenz der DDR) repräsentiert.
Die »Friedenswerkstatt« wurde mit folgendem Programm durchgeführt:
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9.00 bis 10.00 Uhr, Bittgottesdienst für Mitarbeiter und Helfer
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10.00 bis 11.30 Uhr, Gottesdienst, Predigt – Generalsuperintendent Krusche
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11.30 bis 13.00 Uhr, Orgelkonzert – Pfarrer Iskraut38
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13.15 bis 15.00 Uhr, Auftritte von vier Schriftstellern und ca. acht Liedermachern (R. Schneider,39 U. Kolbe,40 St. Heym41 und Hilbig,42 G. Schöne,43 Bomberg44)
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15.00 bis 15.30 Uhr, Friedensgebet
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15.30 bis 16.00 Uhr, Orgelkonzert
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16.15 bis 18.00 Uhr, Podiumsgespräch mit Präses Becker (Berlin), Carl Ordnung (Berlin) und Rolf Schneider (Berlin)
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18.30 bis 19.00 Uhr, Abschlussmeditation.
Auf dem Außengelände der Erlöserkirche wurde ein sogenanntes Außenprogramm parallel zu den Veranstaltungen in der Kirche durchgeführt. Es beinhaltete u. a.
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Reden, Gesang, Musik auf einer Bühne,
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Auftritte von Spielgruppen im Gemeindesaal,
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Durchführung von Spielen auf dem Kinderspiel- und Volleyballplatz,
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Diskussionsrunden für Besucher im sogenannten Hydepark (Parkgelände hinter dem Gemeindehaus),
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Informationsstände (z. B. für Homosexuelle, Friedensdienst – »Auf welche Art«, Frauen für den Frieden,45 Raketen in Ost und West),
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»Antikriegsausstellung«46 in der Sakristei der Kirche,
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einen »Raum der Stille« für junge Mütter mit ihren Babys im Keller des Gemeindehauses.
Zum Verlauf der Veranstaltung ist Folgendes beachtenswert: Die »Friedenswerkstatt« wurde um 10.00 Uhr mit einem Gottesdienst eröffnet. Die Predigt hielt Generalsuperintendent Krusche vor ungefähr 700 Besuchern. Krusche äußerte u. a., es gäbe gegenwärtig nur eine Alternative: Vertrauen wagen. Er richtete einen Appell an Washington und Moskau, abzurüsten und als ersten Schritt die Stationierung neuer Raketen in Westeuropa zu verhindern.47 Danach müsse man daran gehen, wirklichen Frieden zu stiften.
Im weiteren Verlauf wurde eine Fürbitte gesprochen für die Wehrdienstverweigerer, die Bausoldaten48 und auch für diejenigen, die der Wehrpflicht nachkommen.
Die Kollekte wurde gesammelt für die Unterstützung von Wehrdienstverweigerern und Verfolgte sowie für den weiteren Ausbau der sogenannten »Antikriegsausstellung«. (Diese aus der Samaritergemeinde bekannte Ausstellung war im Innern der Kirche sowie im Gemeindehaus aufgebaut.)
Insgesamt enthielt der Gottesdienst keine gegen den sozialistischen Staat gerichteten Aussagen.
Unter dem Motto »Lieder und Texte« wurde die Veranstaltung in der Kirche um 13.15 Uhr mit dem Auftritt von Schriftstellern und Liedermachern fortgesetzt. Das Programm eröffnete der Liedermacher Ekkehard Maaß,49 dessen Lieder keine negativen Aussagen enthielten. Anschließend verlas Stefan Heym seine Stellungnahme von der Westberliner Schriftstellerbegegnung im Mai 1982.50 Insbesondere betonte er, dass selbst ein Massenmörder wie Eichmann51 sich darauf berufen habe, Soldat zu sein und nur Befehle ausgeführt zu haben.
Der Sänger Gerhard Schöne trat mit fünf Liedern pazifistischen Inhalts auf. Seine Darbietungen fanden große Zustimmung.
Von den 700 Besuchern verließ nach diesem Programmpunkt über die Hälfte die Kirche.
Die Podiumsdiskussion unter Leitung von Präses Becker wurde geführt von Generalsuperintendent Krusche, Pfarrer Pahnke (Borgsdorf), Pfarrer Tschiche (Samswegen), Carl Ordnung (Sekretär der CFK), Rolf Schneider (Schriftsteller), Reiner Dietrich52 (Friedenskreis Samariter), Reinhard Schult (Friedenskreis ESG), Dr. Fischbeck (Physiker AdW, Synodaler), Bärbel Bohley53 (Gruppe »Frauen für den Frieden«).
Daran nahmen 500 Besucher teil.
Offene feindliche Aussagen enthielt das Auftreten des Pfarrers Tschiche (Samswegen). Er forderte verstärkten Druck von unten auf die Regierenden. »Erst wenn wir nein sagen, haben es die Politiker leichter.«
Weiterhin stellte er die Forderung, die Gesellschaft und sich selbst durch radikale Verweigerung, d. h. »Gewaltfreiheitspolitik« zu verändern.
»Die Sprache, die in öffentlichen Gesprächen gesprochen wird, und ich sage das mit aller Schärfe, ist eine Mördersprache.« Diese Äußerung wurde ebenfalls mit Beifall bedacht. Auf eine Zwischenfrage aus dem Publikum präzisierte er: »Die Mördersprache, die anderen das Lebensrecht bestreitet, ist bei uns Politik.«
In einem weiteren Beitrag kritisierte Tschiche die »Korruption« in unserer Gesellschaft und formulierte, dass die derzeitige gesellschaftliche Entwicklung zu Konflikten und Konfrontationen führen muss. Er wandte sich weiterhin gegen die Sicherheitskräfte, die insbesondere im Umfeld der »Friedenswerkstatt« im Einsatz seien.
Der Schriftsteller Rolf Schneider bezweifelte die Friedensfähigkeit der DDR und führte als Beleg die staatlichen Reaktionen auf die Aufnäher »Schwerter zu Pflugscharen«54 und die Initiative »Sozialer Friedensdienst«55 an.
Durch Reinhard Schult wurde geäußert, dass die Friedensfähigkeit des Staates nicht zu bezweifeln sei, das konkrete Verhalten der Staatsorgane gegenüber Einzelnen könne aber entgegenstehende Meinungen hervorbringen.
Präses Becker warf die Frage auf, wie die Staaten des Warschauer Vertrages56 im Falle der Raketenstationierung in Westeuropa reagieren würden. Er gab selbst die Antwort, dass »der Osten in diesem Fall berechtigterweise nachrüsten muss«.
Diese Position wurde durch den Synodalen Dr. Fischbeck mit pazifistischen Argumenten in Zweifel gezogen. Fischbeck erläuterte weiterhin, dass er in erster Linie Christ sei und in zweiter Linie Wissenschaftler. Er werde deshalb seinen infrage kommenden Dienst oder Einsatz für die Verteidigung versagen.
Der dem MfS bekannte Hans-Jürgen Misselwitz57 verlas vor dem Publikum die Eingabe des »Friedenskreises Pankow« an den Vorsitzenden des Staatsrates58 betreffs möglicher Gegenmaßnahmen der sozialistischen Staatengemeinschaft im Falle der Raketenstationierung in Westeuropa, ohne den Text als Eingabe anzukündigen.
Durch weitere Diskussionsteilnehmer wurde Kritik geäußert am Einsatz der Sicherheitskräfte im Zusammenhang mit der »Friedenswerkstatt«. Sie warfen auch die Frage auf, ob man nicht Aktionen an möglichen Raketenstationierungsorten in der DDR vorbereiten solle.
Eine männliche Person, die sich als im April in die Reserve versetzter Armeeangehöriger bezeichnete, sprach davon, dass man in der NVA nicht zum Frieden, sondern zur »Feindschaft« erzogen würde.
Die dem MfS bekannte Bärbel Bohley berichtete über die Arbeit der Gruppe »Frauen für den Frieden«. Die Gruppe sei von offiziellen Stellen als »vom Westen angestiftet« bezeichnet worden und starkem Druck ausgesetzt. Auf die von ihrer Gruppe initiierten Eingaben seien keine Reaktionen erfolgt. Die Kirche sei die einzige Basis, wo man sich mit bestehenden Problemen auseinandersetzen könne. Dieser Satz wurde mit großem Beifall bedacht.
Der anwesende Sekretär der Christlichen Friedenskonferenz Carl Ordnung vertrat offensiv die Friedens- und Verteidigungspolitik der sozialistischen Staatengemeinschaft. Durch einen Teil der Anwesenden wurden seine Ausführungen mit Buhrufen bedacht.
Aufgrund verschiedener Anfragen und der Anwesenheit einiger sich als Vertreter einer Jenaer »Friedensgruppe« bezeichnenden Personen nahm Bischof Dr. Forck zu den Vorgängen in Jena Stellung.59 In diesem Zusammenhang sprach sich Forck gegen den Versuch aus, unter Hinweis auf eine angebliche Betätigung in der kirchlichen Friedensarbeit gestellte Anträge zur Übersiedlung in die BRD/WB schneller realisieren zu wollen. Nach seinen Darlegungen häuften sich derartige Fälle insbesondere bei Jugendlichen. Konkret nahm Bischof Forck zur Übersiedlung des ehemaligen DDR-Bürgers Roland Jahn60 Bezug. Er erläuterte, dass nach Kenntnis der Kirche Jahn während seiner Haftzeit einen Ausreiseantrag schriftlich gestellt habe und daraufhin aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen worden sei. Auch im Rahmen derzeitiger telefonischer Kontakte der Kirche mit Jahn habe man den Eindruck bestätigt gefunden, dass er in Westberlin verbleiben wolle. Forck erklärte, dass kirchliche Stellen sich erst dann an die zuständigen staatlichen Organe mit der Bitte um Unterstützung bei der Rückkehr Jahns in die DDR wenden würden und könnten, wenn er ein diesbezügliches Dokument unterschrieben hätte. Ein solches Schreiben gäbe es derzeit nicht. Ein Diskussionsteilnehmer wollte ein angeblich von Jahn verfasstes Ersuchen zur Wiedereinreise in die DDR übergeben. Als festgestellt wurde, dass es ohne Unterschrift war, wies Forck dieses entschieden zurück.61
Bischof Forck verlas außerdem einen »Brief« der Leitung der Kirchenprovinz Sachsen zur Inhaftierung des ehemaligen Diakons Lothar Rochau62 (Halle). (Dieser Brief hat sinngemäß folgenden Inhalt:
Der Rat des Bezirkes Halle habe mitgeteilt, dass der ehemalige Diakon Rochau am 23.6.1983 inhaftiert wurde.63 Gegen Rochau wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Durch die entsprechenden staatlichen Stellen wurde nachdrücklich betont, dass die Inhaftierung von Rochau nicht mit seiner offenen Jugendarbeit64 zusammenhängt.
Es ist zzt. nicht möglich, weitere Informationen zu geben. Wir bitten, dass Rochau und seine Familie in die Fürbitte aufgenommen werden.)
Nach der öffentlichen Diskussion führte Bischof Forck ein Gespräch mit ausländischen Besuchern der »Friedenswerkstatt«, darunter mit dem Korrespondenten der »Frankfurter Rundschau« in der DDR, Karl-Heinz Baum.65 Forck beklagte die nicht exakte Wiedergabe von Vorgängen in der DDR durch westliche Medien und bezeichnete sie als untauglich, weil sie im Grunde solche Personen wie Roland Jahn nur belasteten.
Nach dem Gespräch mit Forck zu den Ereignissen in Jena forderte ein namentlich bisher nicht bekannter Jenaer zu einer Diskussion und zu einer Information über die Jenaer »Friedensgruppe« in einem Gemeinderaum auf. (Anwesend waren ca. 35 Personen.)66
Dort waren Wandzeitungen (sechs Stück) aufgebaut, die Aktionen der Jenaer »Friedensgruppe« darstellten (Beteiligung an öffentlichen Demonstrationen mit eigenen Plakaten und Eingaben).67 Eine Person aus Jena berichtete von den Ereignissen in Jena und führte aus, dass Forcks Darstellung nicht den Tatsachen entspreche. Die Jenaer Gruppe stehe zu Jahn und »arbeitet weiter«.
Die sogenannte Abschlussmeditation in der Kirche stand unter dem Thema »Beten und Träumen«. Sie wurde vor ca. 150 Besuchern mit religiösem Inhalt durchgeführt.
Breites Publikumsinteresse fanden die Veranstaltungen im sogenannten »Außenprogramm«, die in der Zeit von 11.30 Uhr bis 16.30 Uhr auf dem Freigelände und in dem Gemeinderaum der Erlöserkirche abliefen und zeitweise von ca. 700 Personen verfolgt wurden. Es wurden folgende bedeutsame Programmpunkte festgestellt:
Hyde-Park
Bestimmend für den negativen Charakter dieser Veranstaltung waren die Diskussionsbeiträge auf dem Podium, das nach dem Muster des Londoner Hyde-Parks gestaltet war. Die Mehrzahl der Diskussionsredner setzte sich für die Schaffung einer »unabhängigen Friedensbewegung«68 in der DDR und ihre Integration in eine »blockübergreifende Friedensbewegung« ein. Etwa ein Drittel der Redner stammte aus der BRD, anderen nichtsozialistischen Staaten und Westberlin. So trat Prof. H.-E. Richter aus Gießen für die sogenannte »Jenaer Friedensinitiative« ein. Er informierte, dass ein Text, in dem er gemeinsam mit Gert Bastian,69 Petra Kelly,70 Heinrich Albertz71 und Helmut Gollwitzer72 zur Unterstützung der ehemaligen Jenaer aufruft, in verschiedenen BRD-Zeitungen als Anzeige erschienen ist.73
Ein Vertreter der »Alternativen Liste« aus Österreich sprach über den Zusammenhang von Friedenskampf und Umweltschutz und berichtete über die Erfolge im Kampf gegen die Inbetriebnahme von Atomkraftwerken in Österreich. (In persönlichen Gesprächen schlug er vor, ein Zusammengehen mit Umweltgruppen aus der ČSSR zu organisieren.)
Eine Vertreterin der Gemeinde der Gedächtniskirche Westberlins berichtete, dass jeweils eine Frauengruppe ein sogenanntes Sitzgedächtnis veranstaltet. Sie forderte dazu auf, solche Aktionen künftig zwischen Ost und West zu koordinieren.
Andere Teilnehmer aus der BRD bzw. aus Westberlin würdigten die Tatsache, dass die Friedenswerkstatt in der Hauptstadt der DDR stattfinden könne und »sich endlich die einfachen Menschen zusammenfinden«, um für den Frieden einzutreten.
Einzelne Teilnehmer aus der DDR (an deren Identifizierung gearbeitet wird) betonten u. a. im Podium,
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die marxistisch-leninistische Weltanschauung im Zeitalter der Atomgefahr bedürfe einer »Erneuerung«, insbesondere in Bezug auf die Imperialismustheorie. Es gehe nicht mehr darum, die historische Mission der Arbeiterklasse durchzusetzen, sondern eine reale Basis für die friedliche Koexistenz zu schaffen. Gefordert wurde die verstärkte Einbeziehung nichtchristlicher Bürger in die »unabhängige Friedensbewegung« der DDR.
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es wäre angebracht, nach den Ereignissen in Jena die Haltung zur DDR zu überprüfen. Jetzt solle man »stolz sein«, einer oppositionellen Gruppe anzugehören und dies durch öffentliches und aktives Auftreten bekunden, um damit die Stärke dieser Bewegung in der DDR zum Ausdruck zu bringen.
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der Oberbürgermeister der Stadt Halle habe versucht, der »Fraueninitiative Halle«74 im Zusammenhang mit dem von ihnen verfassten »Friedensappell«75 die »Staatsmeinung aufzudiktieren«.
Das Auftreten verschiedener Liedermacher wurde durch den anwesenden Lutz Rathenow76 unterbrochen, der bekanntgab, dass die »Jenaer Friedensfreunde« nicht teilnehmen dürften. Er verlas eine Eingabe an den Vorsitzenden des Staatsrates zur »Ausbürgerung« des Roland Jahn und eine fiktive Antwort des Genossen Honecker,77 die u. a. beinhaltete, dass die Leute, die Jahn »zwangsweise« in den Zug gesetzt haben, westliche Geheimdienstagenten gewesen seien, denn das MfS bediene sich bekanntlich solcher Methoden nicht. Dies wurde mit großem Gelächter aufgenommen.78
Realistische Äußerungen einzelner Diskussionsredner fanden bei der Mehrzahl der Zuhörer keinen Anklang und wurden zum Teil scharf zurückgewiesen.
Theaterszenen im Gemeindehaus
Vor ca. 150 Besuchern führte der Theaterkreis der ESG Berlin das Stück »Die Polizei« des polnischen Autors Mrożek79 auf. Der Inhalt dieses Stückes wurde von den Anwesenden als Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR verstanden.
In einem Dia-Ton-Vortrag des Evangelischen Jungmännerwerkes unter dem Titel »Kain, wo ist dein Bruder Abel?« wurde von pazifistischen Positionen aus Kritik an der Existenz der NVA geübt.
Stand »Frauen für den Frieden«
In den ausliegenden Materialien wurde u. a. eine »Friedenserziehung« für Kinder gefordert und die besondere Verantwortung der Frauen für den Frieden betont. Zu Beginn lag ebenfalls die durch Bärbel Bohley bereits im Oktober 1982 an den Staatsratsvorsitzenden der DDR gerichtete Eingabe gegen den Wehrdienst für Frauen aus.80
Am Stand wurden Fotokopien des Symbols »Schwerter zu Pflugscharen« mit der Textzeile »Atomwaffenfreie Zone« verkauft.
An weiteren Ständen, darunter des »Friedens- und Ökologiekreises der ESG Berlin«, des »Friedenskreises Pankow« und »Friedenskreises Samariter« wurden u. a.
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Eingaben zu Fragen des Umweltschutzes und die staatlichen Reaktionen darauf dokumentiert,
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»Informationsmaterial« zu Fragen des Wettrüstens mit pazifistischem Inhalt verteilt,
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ein Antwortschreiben der Bundestagsabgeordneten der »Grünen« auf das an sie gerichtete Schreiben des Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Erich Honecker, vom 13. Mai 1983 ausgelegt,81
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Tafeln mit Vorstellungen zur einseitigen Abrüstung gezeigt,
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Informationsmaterialien mit pazifistischem Inhalt ausgelegt, verteilt oder verkauft (Vliesdrucke mit Aufdrucken »Schwerter zu Pflugscharen«, »Atomwaffenfreie Zone«).
Am Stand »Versteigerung« wurden u. a. Bücher mit Widmungen von Stefan Heym ersteigert. Durch den Grafiker Steffen Mertens82 aus Rathenow erfolgte die Gestaltung einer »Antikriegsplastik«. Weiterhin bestand die Möglichkeit, Plaketten mit kirchlichen Symbolen sowie kleine aus Ton modellierte Stahlhelme, in die Blumen gepflanzt waren, zu erwerben.
Es gab außerdem Stände »Homosexuelle für den Frieden« und »Lesbische für den Frieden«.
Homosexuelle traten mit der Forderung auf, innerhalb der Kirche Möglichkeiten zur Entfaltung zu erhalten.
Der Stand der Homosexuellen war mit einem rosa Dreieck gekennzeichnet (Symbol für die homosexuellen Häftlinge in den faschistischen KZ). Der Einspruch des Magistrates gegen diese haltlose Gleichsetzung wurde mit der Bemerkung der Verantwortlichen für den Stand quittiert, das Zeichen sei seit einigen Jahren das internationale Symbol der Homosexuellen und habe keinen Bezug zum Faschismus mehr.
Den Teilnehmern wurde mitgeteilt, dass am 6. August 1983 (Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima) in der Erlöserkirche eine Veranstaltung unter dem Motto »Fasten für den Frieden« stattfinden soll.83 Weiterhin wurden Einladungen für eine Friedenswanderung am 3. September nach Halbe verteilt, die von Pfarrer Linke (Neuenhagen) organisiert wird.
Es ist festzustellen, dass reaktionäre kirchliche und andere feindlich-negative Kräfte analog des Verlaufs der »Blues-Messen«84 am 24. Juni 1983 während der »Friedenswerkstatt« erneut den Versuch unternahmen, insbesondere die Veranstaltungen auf dem Außengelände der Erlöserkirche zur öffentlichkeitswirksamen Propagierung pazifistischen Gedankengutes und sogenannter alternativer Lebensformen sowie zu indirekten, teilweise auch offenen Angriffen gegen Teilbereiche der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR zu nutzen.
Offensichtlich rechneten diese Kräfte angesichts einer Vielzahl von anwesenden z. T. bekannten Personen aus dem nichtsozialistischen Ausland mit einer breiten Popularisierung und weitgehend ungehinderten Durchführung der Veranstaltungen.
Die vonseiten kirchenleitender Personen der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (Bischof Forck, Konsistorialpräsident Stolpe, Generalsuperintendent Krusche, Stadtjugendpfarrer Passauer) in Gesprächen mit Vertretern staatlicher Organe (Staatssekretär Genosse Gysi,85 Stellvertreter des Oberbürgermeisters für Inneres, Genosse Hoffmann86) im Zusammenhang mit der Auswertung der Vorkommnisse bei den »Blues-Messen« (24. Juni 1983) gegebenen Zusagen, den politischen Missbrauch der »Friedenswerkstatt« zu verhindern, wurden nicht konkret eingehalten.
Angriffe einiger hinlänglich als feindlich-negativ bekannter Personen gegen die Friedens-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der DDR wurden seitens der Organisatoren der »Friedenswerkstatt« nicht zurückgewiesen.
Es wird vorgeschlagen:
Der Staatssekretär für Kirchenfragen, Genosse Gysi, sollte in einem Gespräch mit Bischof Forck und Konsistorialpräsident Stolpe unter Bezugnahme auf Inhalt und Verlauf der »Friedenswerkstatt« den erneuten massiven politischen Missbrauch von Veranstaltungen im Rahmen des »Außenprogrammes« entschieden zurückweisen und sein Befremden über die Inkonsequenz der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg bei der Realisierung der dem Staat gegenüber gegebenen eindeutigen Zusagen zum Ausdruck bringen, verbunden mit dem Hinweis darauf, dass es feindlich-negative Kräfte offensichtlich darauf angelegt haben, unter Ausnutzung von Veranstaltungen der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg das Verhältnis zwischen Staat – Kirche erheblich zu belasten.
Den Vertretern der Kirchenleitung sollte nachdrücklich empfohlen werden, ihre Veranstaltungen künftig ausschließlich in kircheneigenen Räumlichkeiten durchzuführen, um unkontrollierte Aktivitäten und Handlungen von Personen, die in der Regel nicht konfessionell gebunden sind, von Anfang an zu verhindern.
Ein analoges Gespräch sollte durch den Stellvertreter des Oberbürgermeisters für Inneres, Genossen Hoffmann, mit dem Generalsuperintendenten Krusche sowie mit Stadtjugendpfarrer Passauer durchgeführt werden.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 249/83
Während der »Friedenswerkstatt« verteilte bzw. zum Kauf angebotene schriftliche Materialien, Fotos und andere Gegenstände
a) schriftliche Materialien (Ormigabzüge):
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Eingabe der Gruppe »Frauen für den Frieden« an den Staatsratsvorsitzenden, Gen. Erich Honecker, vom 12.10.1982
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Gesetzblatt der DDR: Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR über die Aufstellung von Baueinheiten im Bereich des Ministeriums für Nationale Verteidigung vom 7.9.196487
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Auszug aus dem Wehrdienstgesetz zur Mobilmachung mit abgeleiteten Fragestellungen
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einige Fragen zum Wehrdienst88
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Information des Vorstandes über das Gespräch zwischen dem Staatssekretär für Kirchenfragen und dem Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen am 10. Januar 1983 über Wehrfragen
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Protokoll der Konsultation über Fragen des Wehrdienstes und des Wehrdienstgesetzes (Abschrift des Stadtjugendpfarramtes)
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Information in Sachen Zivilverteidigung
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Mitteilung zur Einbeziehung des Wurfgerätes F-1 in die Abschluss- und Reifeprüfungen und die Bewertung der Einzelleistungen in den Abschluss- und Reifeprüfungen im Fach Sport vom 13.3.198089
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Auszüge aus »Zwei neue Leninbriefe«90 und der »Aufgaben der Kinder- und Jugendautoren (mit militärischem Ziel)«
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Zitatensammlung zur »Militarisierung der Erziehung« unter dem Titel »Frage-Zeichen«
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Auszug aus »Die marxistisch-leninistische Ästhetik und die Erziehung der Soldaten« – Berlin, Militärverlag der DDR, 1979
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Zitate aus den Reden der Teilnehmer der Wissenschaftlichen Konferenz »Karl Marx91 und unsere Zeit – der Kampf um Frieden und sozialen Fortschritt«92
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Thesen zur Friedenserziehung
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Meditationstext – verlesen zur Friedensmeditation am 19.3.1983 in einer Kirche aus Jena
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Rundbrief der »Women for peace union« aus Helsinki93
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Brief des Bundesvorstandes »Der Grünen« aus der BRD an den Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Herrn Erich Honecker, vom 19.5.198394
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»Vorschlag für einen schwulen Friedensarbeitskreis«95 und eine diesbezügliche Argumentation der Lesben
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30. Pugwash-Konferenz: Bericht der medizinischen Arbeitsgruppe96
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Dietrich Bonhoeffer,97 Rede auf der Konferenz in Fanö 193498
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Dietrich Bonhoeffer, aus »Widerstand und Ergebung« – Briefe und Aufzeichnungen eines Theologen aus faschistischer Haft99
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Bertha von Suttner100 (Kurzbiografie)
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Schreiben der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg an die Gemeindekirchenräte und kirchlichen Friedenskreise vom 22.4.1983 mit Fragen zur Diskussion über die Friedensverantwortung der Kirche101
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Briefe der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg an die Konferenz Europäischer Kirchen vom 12.4.1983102 (Drucksachen 126, 132–136)
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Brief der 8. Synode Berlin-Brandenburg (4. ordentliche Tagung vom 16. bis 20.4.1982) an die Gemeinden103
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Arbeitsmaterial zur Umweltverantwortung der Christen (Brief der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, Missionarischer Dienst, AG Umweltverantwortung der Christen, an die Gemeindekirchenräte)104
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Argumentation »Die Natur begegnet uns unübersehbar als vom Menschen verschmutzte, bedrohte und zerstörte Umwelt«105
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»Weltcharta für die Natur« (angenommen in der 48. Plenarsitzung am 28.10.1982)
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Prof. Horst-Eberhard Richter: Psychologische Wirkungen der Atomkriegsdrohung
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Dr. Christof Schaefer:106 Wettrüsten – die Verlierer sterben heute schon107
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Argumentationen
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»Für eine neue Sicherheitspolitik in Europa«
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»Sicherheit durch Waffen – Sicherheit ohne Waffen«,
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»Die Friedensbewegung Westeuropas und der USA«,
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»Kriegst Du, was Du brauchst? – Brauchst Du, was Du hast?« und »Was können wir tun?«
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Einladung zur »2. Radsternfahrt nach Potsdam-Hermannswerder« vom 8. bis 10. Juli 1983
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Einladung zum »Friedensausflug zum zentralen Waldfriedhof Halbe« am 3. September 1983
b) Sonstiges:
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Fotos mit pazifistischen Motiven
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Vliesdrucke
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Plaketten
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T-Shirt mit UNO-Abrüstungssymbol