Geplante Aktion am 4.11.1983
4. November 1983
Information über die geplante Aktion am 4. November 1983 [K 1/132d]
Nach internen Angaben haben führende Vertreter der »Grünen« auch nach dem Gespräch des Genossen Häber1 mit Bastian2 weiterhin die Absicht, die für den 4.11.1983 geplante Aktion3 in der Hauptstadt der DDR durchzuführen.
Die an dieser Aktion teilnehmenden Vertreter der »Grünen« wollen sich am 4.11.1983 um 9.00 Uhr in einem Westberliner Café treffen und anschließend versuchen, um 12.30 Uhr oder 13.00 Uhr über die Grenzübergangsstelle Friedrichstraße oder Heinrich-Heine-Straße in die DDR einzureisen. Im Anschluss an diese Aktion wollen die Vertreter der »Grünen« um 17.00 Uhr in einem Café auf dem Kurfürstendamm in Westberlin noch zu einem abschließenden Treffen zusammenkommen.
Neben Beckmann, Lukas4 und Schily, Otto5 beabsichtigen die Mitglieder der Bundestagsfraktion der »Grünen« Potthast, Gabriele,6 Schoppe, Waltraud7 und Hoss, Willi8 an der Aktion teilzunehmen. Der Hauptorganisator Beckmann ist bestrebt, möglichst alle Teilnehmer an dem Gespräch9 mit Genossen Honecker10 zu einer Einreise in die DDR zu bewegen, da es nach seiner Ansicht die Organe der DDR nicht wagen würden, diesem Personenkreis die Einreise in die DDR zu verweigern.
Konkrete Zusagen weiterer Vertreter der »Grünen« sind bisher nicht bekannt.
(Schily soll im Besitz eines Diplomatenpasses sein, den er möglicherweise für die Einreise nutzen will.)
Bastian hätte empfohlen, keinen Vertreter der »Grünen« am 4.11.1983 in die Hauptstadt der DDR zu entsenden. Er selbst könne keinesfalls an dieser Aktion teilnehmen, da er am 4.11.1983 nach Großbritannien (vermutlich mit der Kelly,11 die in den Vortagen diese Reise bereits angekündigt hatte) reisen würde.
Über das Vorgehen der »Grünen« ist der in der DDR akkreditierte ZDF-Korrespondent Westermann, Hans-Herbert12 informiert.
Den an dieser Aktion beteiligten Kräften aus der DDR gehe es in erster Linie darum, »die Aktion, die sie bereits am 1. September versucht hatten, im Windschatten der ›Grünen‹ zu wiederholen«. (Er selbst beabsichtigt, sich am 4.11.1983 in der Hauptstadt der DDR aufzuhalten, um einen entsprechenden Bericht fertigen zu können; zwei Fernsehteams sind eingeplant.)
Zuverlässig wurde bekannt, dass maoistische Führungskräfte der Alternativen Liste Westberlin um Tietz, Uwe13 am 4.11.1983 eine Kettenbildung zwischen den Botschaften der UdSSR und den USA sowie die Übergabe von Petitionen in den Botschaften planen. Die Aktivitäten von Tietz würden insbesondere durch Esche14 und Heinrich15 unterstützt, die mit dieser Aktion »eine Anti-DDR-Stimmung zum Ausdruck bringen wollen«. (Offenkundig handelt es sich dabei um eine Variante der Durchführung der gemeinsam mit diesen Kräften geplanten Aktion. Weitere Details sind aus der dazu vorliegenden Information nicht ersichtlich.)
Im Ergebnis des staatlicherseits mit Konsistorialpräsident Stolpe16 (Berlin) geführten Gesprächs zu der für den 4. November 1983 geplanten Aktion äußerte Stolpe zunächst, dass »unter dem Druck der Ereignisse Vorbeuge-Maßnahmen in Kraft gesetzt wurden. Die Kirche beabsichtigt nicht, sich dazu zu äußern.«
Er informierte über einen »abgestimmten Text« der Leitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Berlin-Brandenburg:
1. Bischof Forck17 vertritt den Standpunkt, dass die geplante Aktion (4. November 1983, 13.00 Uhr/14.00 Uhr vor den Botschaften der UdSSR und der USA) undurchführbar ist. Er fordert alle Glieder seiner Kirche auf, von diesen Aktionen Abstand zu nehmen.
2. Forck möchte aber das ursprüngliche Anliegen der Aktion aufgreifen und zu einem späteren Zeitpunkt (nach Beruhigung der Lage) mit wenigen Begleitern (entsprechend der anfänglichen Konzeption) in den genannten diplomatischen Vertretungen vorstellig werden.
3. Er ist bereit, sich dabei von Vertretern der Grünen begleiten zu lassen, wenn diese es wollen.
4. Die Regierung der DDR wird gebeten, sich zu dieser Frage zu äußern. Die Kirchenleitung geht davon aus, dass mit diesem »Vorschlag« unnötiger Spektakel und unnötige Komplikationen vermieden werden können.
Stolpe betonte, dass »solche Leute aus den eigenen Reihen wie die Pfarrer Eppelmann,18 Passauer,19 Pahnke20 und Pastorin Misselwitz21 diesen Standpunkt der Kirchenleitung respektieren«.
Aber nicht alle interessiere das.
Die Kirche (vertreten durch Stolpe) werde die Grünen vom genannten Standpunkt informieren und sie bitten, von geplanten Aktionen abzusehen. Die Kirchleitung gehe davon aus, die Grünen dürfen keinen Spektakel bei ihrer Zurückweisung an der Grenze provozieren:
Das würde nur der »Springer«-Presse Stoff bieten.
Stolpe gehe davon aus, »dass die Grünen einlenken, wenn Aussicht darauf besteht, dass der Bischof mit einigen Begleitern eine solche Kleinaktion starten kann, wie sie von Anfang an geplant war«.
Nach Stolpes Meinung würde die Schlagzeile »Grüne abgewiesen« die Lage komplizieren.
Sollte eine Besuchsmöglichkeit Forcks bei den genannten Botschaften ermöglicht werden, dann müssten sich – nach Einschätzung von Stolpe – die Grünen auf die Haltung der Kirchenleitung einlassen. Nach Meinung Forcks sei das Vorhaben in der jetzt bekannt gewordenen Planung undurchführbar. Allerdings möchte er seine Möglichkeiten nutzen, um »5 Minuten vor 12.00 Uhr Schlimmeres zu verhindern«.
(Von Stolpe wird um schnelle Entscheidung seitens der zuständigen Organe der DDR ersucht.)
Nach Angaben von Stolpe sei er am 3.11.1983 von einem führenden Vertreter der »Grünen« unter Bezugnahme auf die zwischenzeitlich bekannt gewordene Reaktion der DDR auf die geplante Aktion am 4.11.1983 telefonisch aufgefordert worden, dass die Kirche alles unternehmen solle, damit diese Aktion dennoch stattfinden könne. Er hätte dieses abgelehnt, dabei jedoch den Eindruck gewonnen, dass die »Grünen« an diesem Vorhaben festhalten.
Entsprechend der Weisung des Genossen Minister zur Verhinderung der Aktion22 wurden differenziert vorbeugende Sicherungsmaßnahmen eingeleitet:
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Sperrung der Einreise aller bekannten Mitglieder und Sympathisanten der »Grünen«, der »Alternativen Liste« Westberlin (AL) sowie maoistischer, linksextremistischer Organisationen, Gruppen und Kräfte, einschließlich Personen aus anderen westlichen Ländern, von denen bereits in der Vergangenheit Aktivitäten im Zusammenhang mit der sogenannten unabhängigen Friedensbewegung in der DDR bekannt wurden.
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Am 3.11.1983 wurden an den Grenzübergangsstellen Bahnhof Friedrichstraße und Heinrich-Heine-Straße insgesamt sechs Personen, darunter zwei Sperrobjekte, im Kontroll- und Filtrierungsprozess erkannt und zurückgewiesen. Zu den vier neu erkannten Sympathisanten der AL bzw. linksextremistischer Kräfte (zwei Holländer) wurden Reisesperrmaßnahmen eingeleitet.
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Differenzierte Maßnahmen zu 118 Bürgern aus der Hauptstadt, von denen inoffiziell bekannt wurde, dass sie an der geplanten Provokation am 4.11.1983 teilnehmen wollen bzw. als potenzielle Teilnehmer betrachtet werden müssen.
Mit Stand vom 3.11.1983, 24.00 Uhr, waren 92 Zuführungen geplant; vier wurden bereits am 3.11.1983 realisiert (Bohley, Bärbel,23 Böttger, Martin,24 Poppe, Gerd,25 Templin, Wolfgang26).
Durch die BV Halle erfolgten eine Zuführung (Eigenfeld, Frank27; E. führte einen Brief der Katrin Eigenfeld28 an den Vorsitzenden des Staatsrates bei sich, in dem sie für die Freilassung dankt und um positive Entscheidung der Haftüberprüfung von Rochau29 bittet.) und vier Blockierungen (darunter die Eigenfeld, Katrin). In der Hauptstadt sind weiterhin geplant: zwölf Blockierungen und 14 Beauflagungen.
Streng intern wurde bekannt, dass Lutz Rathenow30 über die bisher bekannt gewordenen Maßnahmen des MfS den hinlänglich bekannten Jürgen Fuchs31 in Westberlin informierte. Er beabsichtige, Fuchs auch am 4.11.1983 weiter zu informieren.