Geplante Blues-Messe, Erlöserkirche
26. April 1983
Information Nr. 150/83 über Aktivitäten im Zusammenhang mit einer geplanten »Blues-Messe« am 29. April 1983 in der Erlöserkirche in Berlin-Lichtenberg
Nach dem MfS vorliegenden internen Hinweisen soll unter der Verantwortlichkeit eines feindlich-negativen Personenkreises um Pfarrer Eppelmann1 am 29. April 1983 in der Erlöserkirche in Berlin-Lichtenberg in Fortführung dieser Veranstaltungsreihe erneut eine »Blues-Messe« durchgeführt werden.2
Wie bei vorangegangenen »Blues-Messen« ist für die Vorbereitung dieser Veranstaltung ein sogenannter Vorbereitungskreis verantwortlich, dem u. a. solche hinlänglich bekannten reaktionären kirchlichen Kräfte wie Pfarrer Eppelmann und Jugenddiakon Syrowatka3 sowie die führenden Organisatoren der Arbeitsgemeinschaft »Frieden stiften«4 der Samaritergemeinde Berlin Kahlau5 und Dietrich6 angehören.
Darüber hinaus wurde eine sogenannte Kontaktgruppe gebildet, der Mitglieder des Vorbereitungskreises und die Mitglieder der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Generalsuperintendent Krusche,7 Propst Winter8 und Stadtjugendpfarrer Passauer9 angehören. Die Kontaktgruppe ist verantwortlich für die inhaltliche und organisatorische Abstimmung des Programms der »Blues-Messe«. Vorliegenden Hinweisen zufolge haben zu diesem Zweck bereits wiederholt Zusammenkünfte stattgefunden.
Für die Organisation des Ablaufes innerhalb der Erlöserkirche und für die Gestaltung des »Außenprogrammes« in deren unmittelbaren Umgebung fungiert eine sogenannte Informationsgruppe, der ca. 60 Personen angehören (Festlegung konkreter Verantwortlichkeiten, wie Informationsdienst, Kollektendienst usw.).
Die Organisatoren der »Blues-Messe« rechnen mit einer Beteiligung von ca. 5 000 Jugendlichen aus allen Teilen der DDR, vorwiegend jedoch aus der Hauptstadt der DDR, Berlin, und aus dem Bezirk Gera (Jena).
Zur Programmgestaltung und zur Organisation der »Blues-Messe« wurde dem MfS intern zuverlässig bekannt:
Beginnend ab 17.00 Uhr sollen am 29. April 1983 nacheinander drei Veranstaltungen in der Erlöserkirche durchgeführt werden. Die Begrüßung soll durch das Mitglied des Vorbereitungskreises/Bernd Schröder,10 erfolgen, dem sich eine Nacherzählung der »Versuchungsgeschichte« (Matt. 4) durch Pfarrer Eppelmann anschließen wird. Ferner ist ein sogenanntes Anspiel »Steine zu Brot« vorgesehen, an dem Eppelmann, Syrowatka, Kahlau und Schröder mitwirken werden.11 Für die musikalische Gestaltung wurden Regine Dobberschütz12 und Band gewonnen. Am Schluss jeder Veranstaltung soll bekannt gegeben werden, dass das Spendenergebnis der durchgeführten Kollekte der »offenen Jugendarbeit«13 und solchen Personen zukomme, die sich in Haft befinden.
Die dem MfS vorliegenden streng internen Texte (z. T. als Anlage der Information beigefügt) zur Begrüßung, zur Nacherzählung der »Versuchungsgeschichte« und zum sogenannten Anspiel »Steine zu Brot« beinhalten im der gegenwärtigen Fassung keine offenen Angriffe gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung in der DDR, enthalten jedoch unterschwellig wiederholt politisch-negative Aussagen und Aufforderungen zu oppositionellem Verhalten.
Auf dem Außengelände der Samariterkirche sollen Unterhaltungsmöglichkeiten für solche Personen geschaffen werden, die aufgrund der begrenzten Platzkapazität der Kirche nicht an der jeweiligen Veranstaltung teilnehmen können. Dieses »Außenprogramm« soll durch Liedermacher aus der Hauptstadt der DDR, Berlin, durch Theatergruppen der ESG Berlin, des »Großen Friedenskreises« Pankow14 und der KSG Frankfurt/O., durch weitere Musikgruppen und den Kunsttöpfer Christian Richter15 gestaltet werden. Darüber hinaus sind Informationsausstellungen vorgesehen. Allen Personen soll auf dem Gelände der Samariterkirche die Möglichkeit des freien Vortrags von Liedern und Worttexten gegeben werden.
Wie weiter intern bekannt wurde, wollen die Veranstalter keine Film- bzw. Fernsehaufzeichnungen über die »Blues-Messe« gestatten. Aufnäher oder Aufkleber sollen nicht hergestellt bzw. vertrieben werden. Lediglich am Ende jeder Veranstaltung sollen Zettel mit dem Aufdruck »Hiermit erkläre Dir den Frieden« verteilt werden. Unterschriftssammlungen sollen nicht erfolgen. Kirchliche Ordnungskräfte werden vor der Kirche zur Sicherung des sowjetischen Denkmals vor »Provokationen« wirksam werden.
Zur Verhinderung der Möglichkeit von Filmaufnahmen durch die Sicherheitsorgane soll die Schule neben der Erlöserkirche mit Scheinwerfern angestrahlt werden.
Eine Generalprobe zur »Blues-Messe« ist für den 28. April 1983 vorgesehen.
Nach streng internen Informationen des MfS schätzen verantwortliche Personen der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg sowie Pfarrer Eppelmann den Stand der Vorbereitung dieser »Blues-Messe« als gut und besser gegenüber gleichen Veranstaltungen der Vorjahre ein.
Es wird vorgeschlagen, dass der Stellvertreter des Oberbürgermeisters für Inneres des Magistrats der Hauptstadt der DDR, Berlin, Genosse Hoffmann,16 mit dem Generalsuperintendenten von Berlin, Krusche, unter Bezugnahme auf im Zusammenhang mit der Durchführung von »Blues-Messen« in den zurückliegenden Jahren gegebenen Hinweisen und erteilten Vorgaben ein Gespräch führt. Krusche sollte nachdrücklich darauf hingewiesen werden, während der »Blues-Messe« keine politisch-negativen Aktivitäten zuzulassen, die das Verhältnis Staat – Kirche, insbesondere im Rahmen des Lutherjahres,17 belasten können.
Anlage 1 zur Information Nr. 150/83
Begrüßung zur BM am 29. April 1983
Hallo liebe Freunde, wir finden es dufte, dass Ihr alle wieder gekommen seid.
Heute begrüßen wir nicht die Sachsen, Mecklenburger und Berliner extra. Heute interessiert uns, wie viele von Euch noch nicht 18 sind. Meldet Euch mal. – Und wer von Euch ist schon mehr als 18, aber noch nicht 30? – Und jetzt bin ich gespannt – wer ist denn schon über 30 von Euch? – Ich finde, Ihr seid ein erstaunlich buntes Publikum.
Jetzt noch etwas anderes. Wir feiern heute die 14. BM und da interessiert mich, wer schon einmal dabei war? – Und wer hat schon fünf von den 14 BM miterlebt? – Und wer war bei zehn BM dabei? – Dass jemand alle BM miterlebt hat, kann ich mir zwar kaum vorstellen, aber wenn doch, dann zeigt Euch mal. – Ein extra Beifall für die »alten Hasen«.
Ihr habt Euch wieder einladen lassen. Ihr seid dem Ruf zu diesem Bluesgottesdienst gefolgt. Damit habt Ihr eine Entscheidung getroffen. Eine Entscheidung für uns, für den Blues und das gemeinsame Erleben und sicher auch eine Entscheidung für unser Thema heute. Ich glaube, dass diese Entscheidung wichtig war für Euch und für manchen nicht einmal leicht. Vielleicht musste sich mancher gegen einen gemütlichen Kneipennachmittag oder eine Fete entscheiden. Oder es war sogar eine Entscheidung gegen Mahnungen oder sogar Drohungen, ja nicht zu so einer kirchlichen Veranstaltung hinzufahren. Eine Entscheidung vielleicht gegen die eigene Angst vor Schwierigkeiten mit der Trapo18 unterwegs, mit den Eltern oder dem Betrieb.
Entscheidungen sind wichtig für unser Leben, aber eine Entscheidung für etwas ist auch immer eine Entscheidung gegen etwas anderes. Wir nehmen Euch ernst mit Eurer Entscheidung, denn wenn dieser Gottesdienst gelingen soll, sind wir auf Euch angewiesen. Wir brauchen Eure Mitverantwortung bei den vielen Kleinigkeiten, die die meisten von Euch schon kennen. Sicher pfeift Euch die Lunge auch wenn Ihr hier in der Kirche seid oder ihr habt Lust, Euch einen anzusaufen. Wir möchten Euch Mut machen, heute diesen Versuchungen zu widerstehen, praktisch ihnen den Gehorsam verweigern. An so einer Stelle könnt Ihr die Echtheit Eurer eigenen Entscheidung für den heutigen Tag überprüfen. Wir fänden es echt dufte, wenn Ihr die Hinweise der Infogruppe ernst nehmt, damit wir uns alle miteinander wohlfühlen können.
So ganz nebenbei habe ich unser heutiges Thema schon erwähnt: die Versuchungsgeschichte. In dieser Geschichte hat sich Jesus entschieden, dem Ruf Gottes zu folgen. Er sollte die Menschen befreien von Sachen, mit denen sie sich kaputtmachen. Er ging in die Einsamkeit der Wüste, um zu lernen, wie man den Verlockungen solcher Sachen standhalten kann. Mehr und genauer zu dieser Geschichte aber nachher. Jetzt erst einmal wieder Blues.
Anlage 2 zur Information Nr. 150/83
Nacherzählung von Matthäus 4 – Versuchungsgeschichte
Die Bibel ist voll von Geschichten und Erzählungen, damit sie auch von uns heute erzählt werden. Ein Mensch mit dem Namen Jesus hatte sich zu Gott bekannt und versuchte neue Brücken zwischen den Menschen zu schlagen. Aus eigner Erfahrung kannte er politischen Druck und das dürftige Leben der Menschen, weil andere auf deren Kosten prassen!
Er kannte die mühsame Arbeit für das tägliche Brot und wusste, dass die Menschen auf Veränderungen warteten, für die ihre Hoffnung nicht reichte. Er steckte den Kopf nicht in den Sand, sondern machte sich auf und ging in die Wüste. Er ließ alle festgefügten Ordnungen zurück und ging einfach. Seine Gedanken stießen nicht an Wände und Mauern: Er fastete um zu lernen, was Brot ist! Nach vierzig Tagen meldete sich die Versuchung, der, der ständig infrage stellt und uns kaputtmacht, meldete sich der Teufel. Dieser führte Jesus auf den höchsten Turm einer Stadt und meinte zu ihm, er solle sich runterwerfen, und da Gott ihn lieb hat, würde ihm nichts passieren. Ist das nicht ein Angebot? Man wird dich bestaunen! Du wärst der Absolute und davon ließe sich leben? Jesus sprang nicht, sondern ließ das Angebot fahren und sagte dem, der ständig infrage stellt, du sollst Gott nicht herausfordern! Nicht die Angst hielt ihn vom Sprung zurück, sondern der Mut mit Menschen zu reden, die Möglichkeit der Veränderung, die kein Mensch für möglich hielt! Der Teufel ging, war aber nicht aus der Welt. Er traf Jesus wieder, als dieser Hunger hatte, denn in der Wüste gab es nur Steine und Sand. Der Teufel versuchte es ein zweites Mal und sprach, wenn dich Gott lieb hat mein Freund, so sprich, dass diese Steine hier Brot werden, versuch deine Möglichkeit! Die Leistung macht dich satt und wäre einen Versuch wert! Aus Erfahrungen könnte man lernen! Jesus tat es nicht, sondern überlegte, was das Ganze mit Leben zu tun hat. Vom Brot alleine lebt der Mensch nicht, das macht ihn kaputt, sondern die Liebe hilft mir vom Brot zu leben. Also, warum soll ich aus dem letzten Stein noch Geld machen? Es besteht kein Grund in der Wüste den letzten Stein zu vermarkten. Jesus verließ die Stadt und die beiden standen sich das letzte Mal auf einem hohen Berg gegenüber, wo der Teufel – ihr wisst schon wen ich meine – großzügig Macht verteilte. Alles was du rundum siehst, will ich dir geben, sagte der Teufel, wenn du niederkniest und mich anbetest! Verständlich die Forderung: Macht fordert Sicherheit!
Leistung bedingt Gegenleistung. | Eine Hand wäscht die … | Jeder kennt das!
Aber das Niederknien muss niemand sehen, eine Unterschrift genügt auch, ein Gastgeschenk, vielleicht eine kleine Aufmerksamkeit, aber bitte verbindlich. Was ist schon ein Kniefall? Jesus ging nicht in die Knie, auch wenn es schwer ist, nicht vor diesen Versuchungen der Macht! Weg mit dir, schrie er, hau ab man, knie du vor der Liebe nieder, wie du auch immer heißt!
Der Teufel – wie er auch immer heißt, verließ Jesus, der nicht mehr aufhörte in die Knie zu gehen, um die Niedergedrückten aufzurichten! – um den Belasteten den Kopf zu heben! – um sich denen gleichzumachen, die von den Mächtigen aller Art in die Knie gezwungen werden! – um seinen Freunden niedrige Dienste zu erfüllen – die Füße zu waschen!