Instabilität des Elektroenergieübertragungsnetzes der DDR
10. Januar 1983
Information Nr. 25/83 über die zunehmende Instabilität des Elektroenergieübertragungsnetzes der DDR durch Ausfall von Transformatoren, Spannungswandlern und Bündelstützern
Die von der Partei- und Staatsführung der DDR seit 1976 zur Energiewirtschaft gefassten Beschlüsse sind insgesamt darauf gerichtet, eine stabile und hohe Versorgungszuverlässigkeit der Volkswirtschaft und der Bevölkerung mit Elektroenergie zu gewährleisten.
Diese geforderte Versorgungszuverlässigkeit wird jedoch in zunehmendem Maße seit 1979 durch auftretende Havarien und Störungen im Elektroenergieübertragungsnetz, insbesondere an Transformatoren, Spannungswandlern und Bündelstützern in Umspannwerken, aber auch in Elektroenergieversorgungsanlagen von Großbetrieben, beeinträchtigt.
In diesem Zusammenhang vom MfS gemeinsam mit Experten geführte Untersuchungen zu den Ursachen und zu begünstigenden Bedingungen für das Auftreten von Havarien und Störungen führten zu folgenden Ergebnissen:
Im Energienetz der DDR kam es von 1978 bis Ende 1982 zu 54 Ausfällen von Transformatoren, die ausschließlich im VEB Transformatorenwerk »Karl Liebknecht« Berlin (VEB TRO) – teilweise bereits im Jahre 1957 – hergestellt wurden.
Von den 122 im Zeitraum 1978 bis 1982 im VEB TRO insgesamt produzierten Transformatoren havarierten sieben in der DDR und sechs im Ausland (zwei Syrien, drei VR Bulgarien, einer ČSSR).
Entsprechende Expertenüberprüfungen ergaben, dass sich die Ursachen der Havarien im Wesentlichen auf die 220-kV-Kabeldurchführungen, Heißstellen an der Spulenabschirmung sowie auf Kontaktprobleme an Stufenschaltern konzentrieren.
Dazu liegen Erkenntnisse vor, die in abgestimmten Maßnahmeplänen, Entwicklungsthemen und durch Experten bearbeitet werden, um weitere Havarien vorbeugend zu verhindern.
(Dabei ist zu beachten, dass die Transformatorenproduktion im VEB TRO nach international üblichen und vergleichbaren Konstruktionen und Technologien erfolgt und die Qualität dieser Transformatoren nach Aussagen von Experten durchaus dem internationalen Niveau entspricht.)
Bei der Sicherung und Stabilisierung der Energiewirtschaft wirkt sich jedoch die zu geringe Reserve für den Austausch von Transformatoren bei erkannten Fehlerquellen negativ aus. Ursache dafür sind unzureichende Reparatur- und Prüfkapazitäten in der DDR.
(Zum Beispiel wurde das zentral geplante Investitionsvorhaben »Transformatorenreparaturwerk Halle-Büschdorf« – Beschluss des ZK vom 13. Juni 1978 und Ministerratsbeschluss vom 27. September 1979 bisher nicht in vollem Umfang wirksam.)1
Seit Juni 1979 sind 22 Spannungswandler im Spannungsbereich 110 kV und seit Oktober 1979 acht Spannungswandler im Spannungsbereich 380 kV hauptsächlich durch Explosion ausgefallen.
Die auf Veranlassung des MfS in diesem Zusammenhang veranlassten Befundaufnahmen an mehreren havarierten Spannungswandlern ließen jedoch aufgrund des hohen Zerstörungsgrades keinen zweifelsfreien Nachweis der Ursachen zu. Die betroffenen Spannungswandler wurden seit 1978 vom VEB TRO mit einer neuen Technologie – automatengewickelte Spulen – gefertigt. Die bis zu diesem Zeitpunkt mit handgewickelten Spulen ausgerüsteten Spannungswandler zeigten keine nennenswerten Ausfälle.
Durch die Umstellung der Produktion auf Automatenentwicklung ist im VEB TRO eine ca. 800%ige Steigerung der Arbeitsproduktivität erreicht worden, wodurch der gestiegene Bedarf der Volkswirtschaft an Spannungswandlern befriedigt werden kann.
(Nach der neuen Technologie wurden bisher insgesamt 2 400 Spannungswandler 110 kV und 56 Spannungswandler 380 kV produziert.)
Während zu den 1 134 Spannungswandlern 110 kV, die im Netz der DDR installiert sind (1 266 wurden exportiert), noch keine allgemeingültigen Aussagen hinsichtlich des Langzeitverhaltens unter Netzbetrieb getroffen werden können, ist bei den Spannungswandlern 380 kV festzustellen, dass die 46 derzeit im Netz eingesetzten havariegefährdet sind. Um weiteren Explosionen vorzubeugen und Schäden abzuwenden, werden zu diesen Spannungswandlern spezielle Überwachungsmaßnahmen durchgeführt, die einen rechtzeitigen Austausch gewährleisten sollen.
Aufgrund des Havariegeschehens an den Spannungswandlern 110 kV ohne hermetischen Luftabschluss, die bis 1966 produziert und installiert wurden, hat die Technische Überwachung 1982 insgesamt 4 597 Wandler überprüft. Diese Überprüfungen ergaben, dass trotz bestehender Sanierungskonzeption der ehemaligen VVB Kraftwerke und VVB Energieversorgung aus den Jahren 1978/79 noch 226 havariegefährdete Messwandler dieses Typs im Einsatz sind.
Analoge Erscheinungen eines sich ausweitenden Störgeschehens zeigen sich bei den in Zentralen Umspannwerken bzw. in Umspannwerken installierten Bündelstützern sowie bei den in unterschiedlichem Umfang in den Industriebereichen der Volkswirtschaft vorhandenen Leistungsschaltern.
So ergaben entsprechende Untersuchungen der Technischen Überwachung, dass von den mit Stand 1982 in der Energieübertragung der DDR installierten über 17 500 Stück Bündelstützern ca. 2 100 Stück an den Kappen rissbehaftet sind, wodurch ihre Zuverlässigkeit eingeschränkt ist. (Rissbehaftete Bündelstützer waren wiederholt Ursache von Störungen und Havarien an den 380- bzw. 220-kV-Schaltanlagen.)
Obwohl die Ursachen, die zu den Schäden an den Bündelstützern führen, seit zehn Jahren erkannt sind, hat der VEB TRO – trotz vielfältiger Forderungen und Festlegungen der Energiewirtschaft und staatlicher Kontrollorgane – seine Technologie und den Materialeinsatz nicht verändert. Dadurch kommen beim notwendigen Austausch und bei der Neueinstellung von Bündelstützern im Zuge des Ausbaus des Verteilungsnetzes immer wieder Stützer zum Einsatz, die von vornherein störungsgefährdet sind und letztlich keine Lösung des Problems darstellen.
Weitere die Versorgungszuverlässigkeit beeinflussende Faktoren sind immer wieder Bedienungsfehler und Fehlhandlungen des Betreiberpersonals der Umspannwerke infolge unzureichender Qualifikation, Leichtfertigkeit und Verletzung der bestehenden betrieblichen Ordnungen zum Betreiben derartiger Anlagen.
So wurden durch Bedienungsfehler und Fehlhandlungen des Personals allein in Umspannwerken des Hochspannungs- und Verteilungsnetzes der DDR im Jahre 1982 27 Störungen ausgelöst, die die Versorgungssicherheit erheblich beeinträchtigten.
Hinzu kommt, dass bei Störungsfällen die Regimeverhältnisse nicht in jedem Fall beherrscht werden, wodurch es zu vermeidbaren Ausweitungen von Störungen in der Elektroenergieversorgung gekommen ist.
Weitere Untersuchungen zu den Spannungswandlern konzentrieren sich gegenwärtig darauf, ein Gutachten unter Beteiligung der Generalstaatsanwaltschaft, des Ministeriums für Elektrotechnik/Elektronik und vom Ministerium für Staatssicherheit ausgewählten Experten zu erarbeiten. Dieses Gutachten soll nach einer noch mit dem Ministerium für Elektrotechnik/Elektronik, der Generalstaatsanwaltschaft und dem Staatlichen Amt für Technische Überwachung abzustimmenden Aufgabenstellung einen zweifelsfreien Nachweis der Ursachen und Umstände sowie der eventuell vorliegenden personellen Verantwortung bzw. strafrechtlichen Relevanz für die eingetretenen Havarien ermöglichen.
Im Ergebnis durchgeführter Kontrollen der Arbeitsgruppe für Organisation und Inspektion beim Ministerrat der DDR wurde Ende November 1982 festgestellt, dass die Zielstellung der Winterdirektive 1982/83 des Zentralkomitees der SED und des Präsidiums des Ministerrates, bis zum 31. Oktober 1982 42 Stück Spannungswandler 380 kV auszuwechseln, nicht erfüllt wurde.2 Von der elektrotechnischen Industrie wurde bisher kein einziger Wandler geliefert.
Ähnlich stellt sich die Situation bei der notwendigen Auswechslung beschädigter und havariegefährdeter Bündelstützer dar.
Insgesamt ist einzuschätzen, dass in den zuständigen Verantwortungsbereichen des Ministeriums für Kohle und Energie und des Ministeriums für Elektrotechnik/Elektronik noch konsequenter und kompromissloser um die Durchsetzung der Beschlüsse der Parteiführung und Regierung sowie eigener Maßnahmen und Festlegungen zur zielgerichteten Stabilisierung der Elektroenergieerzeugungs-, -fortleitungs- und -verteilungsanlagen gerungen werden müsste.