IX. Synode der Ev. Kirche der Kirchenprovinz Sachsen
5. Dezember 1983
Information Nr. 410/83 über eine gerichtliche Hauptverhandlung beim Stadtgericht Berlin gegen einen ehemaligen verantwortlichen Mitarbeiter des Außenhandelsbetriebes Limex-Bau-Export-Import
Am 7. November 1983 verurteilte der Strafsenat 1a des Stadtgerichtes Berlin, Hauptstadt der DDR, den ehemaligen Gruppenleiter im Außenhandelsbetrieb (AHB) Limex-Bau-Export-Import [Name 1, Vorname] (34), wohnhaft 1100 Berlin, [Straße, Nr.] Schulzenstr. 14, wegen Vertrauensmissbrauchs in Tateinheit mit Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums in schwerem Fall gemäß §§ 165, 161a und 162 StGB1 zu sieben Jahren Freiheitsentzug. (Das Urteil ist rechtskräftig.)2
Im Ergebnis der gerichtlichen Hauptverhandlung wurde nachgewiesen, dass der [Name 1] als Baustellenbeauftragter für das Vorhaben »Werratalbrücke«,3 dessen Errichtung vom AHB Limex als Auftraggeber mit der Firma Hochtief AG Essen/BRD als Auftragnehmer erfolgte, diesem Konzern zum Nachteil der DDR ungerechtfertigte Vermögensvorteile verschaffte und sich dafür von dessen Vertretern korrumpieren ließ.
So missbrauchte er im Zeitraum von Januar bis Dezember 1981 die ihm übertragenen Entscheidungs- und Verfügungsbefugnisse und bestätigte nach internen Absprachen mit Vertretern der Hochtief AG Essen/BRD durch Unterzeichnung von Abnahmeprotokollen wissentlich falsch die im Vertrag festgelegte termingerechte Fertigstellung der Bauabschnitte Widerlager Ost sowie von neun Brückenpfeilern, obwohl diese Bauabschnitte zu den damaligen Zeitpunkten durch den Auftragnehmer nicht fertiggestellt waren.
Da er die daraufhin von der Hochtief AG ausgestellten Rechnungen wider besseres Wissen als sachlich richtig abzeichnete, löste er damit vorfristige Zahlungen durch den AHB Limex an die BRD-Firma in Höhe von 26 058 000 DM/VE aus und belastete somit die Zahlungsbilanz der DDR.
Durch seine Handlungen versetzte [Name 1] das BRD-Unternehmen in die Lage, auf Kredite zur Finanzierung der Bauleistungen am Vorhaben »Werratalbrücke« verzichten zu können. Dadurch entstanden diesem Unternehmen unrechtmäßige Vermögensvorteile in Höhe von 1 043 163 DM.
Darüber hinaus verschaffte [Name 1] dem Unternehmen weitere finanzielle Vorteile, indem er mit der pflichtwidrigen Bestätigung der Fertigstellung des Widerlagers Ost und durch Unterlassung der erforderlichen Meldung über einen tatsächlich eingetretenen Bauverzug an den AHB Limex das Geltendmachen der für diesen Bauabschnitt vereinbarten Vertragsstrafe verhinderte. Dadurch entstand der DDR ein Schaden von 130 290 DM.
Die Verbrechen des [Name 1] wurden durch eine Reihe von Bedingungen, die insbesondere in einer mangelhaften Leitungstätigkeit und in grober Vernachlässigung der Kontroll- und Aufsichtspflicht durch solche Leitungskader des AHB Limex wie den Stellvertreter des Generaldirektors [Name 2] und den Bereichsleiter Import [Name 3], aber auch von Leitungskadern des Bereiches Zentrale Vertragsabrechnung und Hauptbuchhaltung zum Ausdruck kommen, begünstigt. Diese begünstigenden Bedingungen trugen insbesondere dazu bei, dass die verbrecherischen Handlungen des [Name 1] über einen längeren Zeitraum ein derartiges Ausmaß annehmen konnten.
Durch zum Teil verantwortungslose Arbeit und ungenügende Leitungstätigkeit, die sich beispielsweise in nicht eindeutigen Formulierungen bzw. Festlegungen im für das Bauvorhaben ausgearbeiteten Zahlungsplan ausdrückt, wurde [Name 1] hinsichtlich der Zahlungsauslösung ein Ermessensspielraum eingeräumt, der eine wirksame Kontrolle der Zahlungstermine durch die Zentrale Vertragsabrechnung nur sehr schwer möglich machte.
Obwohl entsprechend dem Importvertrag zwei Bevollmächtigte der DDR-Seite (neben [Name 1] für den Endabnehmer ein Beauftragter des Ministeriums für Verkehrswesen) festgelegt waren, erfolgte weder vom AHB noch durch den Endabnehmer eine notwendige, eindeutige schriftliche Abgrenzung der Verantwortlichkeit zwischen beiden Bevollmächtigten.
In Ergänzung des Importvertrages sowie der entsprechenden, im AHB geltenden Betriebsorganisationsanweisung (BOA) über die Tätigkeit und den Einsatz von Baustellenbeauftragten wäre es erforderlich gewesen, [Name 1] in seiner damaligen Funktion eine spezifische Arbeitsrichtlinie mit entsprechender schriftlicher Vollmacht zu übergeben.
Im Gegensatz dazu wurden [Name 1] jedoch mit der Formulierung im Importvertrag, wonach »… diese Personen bevollmächtigt sind, im Rahmen der Bestimmungen dieses Vertrages alle zur reibungslosen Ausführung der Bauleistungen erforderlichen Maßnahmen im Namen des jeweiligen Vertragspartners an Ort und Stelle festzulegen«, über die BOA weit hinausgehende Vollmachten erteilt.
Darüber hinaus wurden [Name 1] entgegen betrieblichen Festlegungen von verantwortlichen Leitern mündliche Vollmachten zum Abschluss von Dienstleistungs- und Exportverträgen erteilt, ohne dass diese dafür zuständig waren.
Die daraufhin von [Name 1] abgeschlossenen Dienstleistungs- und Exportverträge (Alleinunterschrift) wurden weder von seinen Vorgesetzten kontrolliert noch von den zuständigen Exportkontoren beanstandet.
(Das ermöglichte [Name 1] beispielsweise für die DDR unvorteilhafte Exportverträge über Transportbeton sowie Dienstleistungsverträge für das Wohnlager ohne Limitpreisgenehmigung und Unterschriftsvollmacht abzuschließen.)
Da [Name 1] den gesamten Schriftverkehr und die Vertragsdokumentation in seinem Büro auf der Baustelle aufbewahrte, war es ihm z. B. möglich, eigenmächtig und in Überschreitung seiner Vollmachten Schriftverkehr mit vertragsänderndem Charakter zu führen.
Seitens der Zentralen Vertragsabrechnung des AHB Limex erfolgte nur eine mangelhafte Kontrolle der zahlungsauslösenden Dokumente (z. B. trotz Fehlen der Unterschrift des Endabnehmers, Nichtvorhandensein eines Zwischenabnahmeprotokolls, Abweichungen vom Zahlungsplan).
Darüber hinaus konnte auf den zahlungsauslösenden Dokumenten keine Bestätigung der sachlichen und rechnerischen Richtigkeit durch das zuständige Importkontor festgestellt werden.
Bezeichnend für die Leitungstätigkeit des Bereiches Import ist auch der Umstand, dass am 30.4.1982 durch verantwortliche Leiter ein Vertragsnachtrag zum Importvertrag mit der Firma Hochtief AG Essen/BRD ohne Genehmigung und entsprechende Vollmacht erfolgte, der die strafbaren Handlungen des [Name 1] praktisch nachträglich teilweise sanktionierte.
Die mangelhafte Leitungstätigkeit durch verantwortliche Leiter des AHB Limex kommt u. a. auch in der ungenügenden Beachtung von Ordnung und Sicherheit zum Ausdruck. So erhielt [Name 1] bis 1982 in mindestens 20 Fällen Aufträge zu Dienstreisen in fast alle kapitalistischen Länder Europas sowie nach Japan, ohne an einer einzigen Reisekaderschulung teilgenommen zu haben.
Beim Generaldirektor des AHB Limex selbst fehlte ein strenges Kontroll- und Rapportsystem für die Realisierungsphase eines volkswirtschaftlich so bedeutungsvollen NSW-Importauftrages.
In Auswertung des Strafverfahrens gegen [Name 1] wird deshalb vom MfS empfohlen, im AHB Limex entsprechende Prüfungshandlungen zu solchen Pflichtverletzungen von Leitungskadern durchzuführen, die die Verbrechen [Name 1] begünstigten.
Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob Voraussetzungen bestehen, gegen die Firma Hochtief AG Wiedergutmachungsleistungen durchzusetzen.4