Konferenz der Ev. Kirchenleitungen der DDR, Berlin (2)
10. Mai 1983
Information Nr. 166/83 über den Verlauf der turnusmäßigen Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR (KKL) vom 29. bis 30. April 1983 in der Hauptstadt der DDR, Berlin
Am 29. und 30. April 1983 fand die 86. ordentliche Tagung der KKL in der Hauptstadt der DDR, Berlin, statt.
An dieser Tagung nahmen alle Bischöfe und Chef-Juristen der evangelischen Landeskirchen sowie die Mitglieder des Vorstandes der KKL teil.
Im Mittelpunkt der Beratungen standen
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eine Stellungnahme von Landesbischof Leich1 zum Gespräch mit dem Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker,2 am 21. April 1983 auf der Wartburg,
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Berichte aus den Gliedkirchen,
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ein Bericht der KKL über die Ergebnisse des Gespräches des Vorstandes der KKL mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR, Genossen Gysi,3 vom 10. Januar 1963 sowie
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der Bericht des Vorstandes der KKL.
In seiner Stellungnahme zum Gespräch mit dem Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, anlässlich der Wiedereröffnung der Wartburg am 21. April 19834 führte Landesbischof Leich nach streng intern vorliegenden Hinweisen u. a. aus:
Auf der diesem Treffen vorhergehenden Sitzung des kirchlichen Lutherkomitees, in dessen Auftrage er an der staatlichen Veranstaltung zur Wiedereröffnung der Wartburg teilnahm, wäre der Wunsch der staatlichen Seite vorgetragen worden, ein Gespräch unter vier Augen zwischen Genossen Honecker und Landesbischof Leich zu vereinbaren. Umso erstaunter sei er gewesen, als er vom Staatsratsvorsitzenden auf der Wartburg mit den Worten begrüßt wurde: Sie wollen mich sprechen, Herr Bischof? Nach dem offiziellen Staatsakt sei er in einen vorbereiteten Raum geleitet worden. Erst unmittelbar vor Beginn des Gespräches mit Erich Honecker habe er festgestellt, dass es kein Gespräch »unter vier Augen« sei und der Staatssekretär für Kirchenfragen daran teilnehmen wird. Aufgrund der Kürze der Zeit war es ihm nicht möglich, einen zweiten kirchlichen Gesprächspartner mit hinzuzuziehen. Der Verlauf des Gespräches und die durch die Presseveröffentlichung5 entstandene Situation zeigten jedoch, dass es in Zukunft notwendig sei, hier konsequent und hart zu bleiben. Man solle darauf bestehen, dass auf beiden Seiten die gleiche Anzahl Personen als Gesprächsteilnehmer anwesend seien.
Im Verlaufe des Gesprächs habe er drei Themenkreise berührt:
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Dank für die Unterstützung des kirchlichen Lutherkomitees und die Vorbereitung und Durchführung der Lutherehrungen,6
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Dank an den Vorsitzenden des Staatsrates der DDR für dessen in diesem Zusammenhang gezeigtes persönliches Engagement sowie für dessen Aktivitäten im Sinne der Gestaltung einer kontinuierlichen Friedenspolitik und
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»Umsetzung der humanistischen Prinzipien der DDR in die Realität«.
Auf das letzte Problem eingehend brachte Landesbischof Leich zum Ausdruck, dass er »hier die vorhandenen Probleme in der Volksbildung, der Ausbildung von Lehrlingen und die Gleichachtung der Bausoldaten7 angesprochen habe. Hinsichtlich der Volksbildung und Ausbildung habe der Staatsratsvorsitzende erklärt, es müsse eine Chancengleichheit für alle geben. Vorhandene Widersprüche sollten in Zukunft über den Staatssekretär für Kirchenfragen geklärt werden. Zur Gewissensentscheidung bei Reservisten kam es zu keiner Grundsatzentscheidung.«
Leich berichtete weiter, dass eine »Vertraulichkeit des Gespräches« mit Erich Honecker vereinbart worden sei. Mit großem Unverständnis habe er dann am gleichen Tage im Fernsehen der DDR Einzelheiten über das geführte Gespräch gehört und am folgenden Tage in der Tagespresse gelesen. Er habe daraufhin in einem persönlichen Brief an den Staatssekretär für Kirchenfragen8 seine Verwunderung über diese unseriöse Art der Handhabung eines vertraulichen Gespräches geäußert.
Dem Bericht von Landesbischof Leich stimmte die KKL zu. Bedauern wurde über die »Verfahrensweise staatlicherseits« zum Ausdruck gebracht. (Eine Veröffentlichung des Berichtes und des Beschlusses der KKL dazu sind nicht vorgesehen.)
Zum Tagesordnungspunkt »Berichte aus den Gliedkirchen« erscheinen u. a. folgende Ausführungen beachtenswert:
Bischof Forck9 (Berlin) berichtete über die Frühjahrssynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und erklärte, dass insgesamt fünf Briefe, welche sich mit »Friedensfragen« beschäftigten, auf der Synode behandelt und bestätigt worden seien. (Auf Einzelheiten ging er nicht ein.)10
Er informierte die KKL, dass sich eine »Basisgruppe«11 an die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg mit der Bitte um Unterstützung bei der Durchführung einer »Friedenswerkstatt« am 4./5. Juni 1983 gewandt habe.12 Die Kirchenleitung unterbreitete dieser »Basisgruppe« in Abstimmung mit den anderen Landeskirchen den Vorschlag, diese »Friedenswerkstatt« im Rahmen der »Friedensdekade« im November 198313 durchzuführen. Diesen Vorschlag habe die »Basisgruppe« abgelehnt. Sie beabsichtigt jetzt, die »Friedenswerkstatt« am 3. Juli 1983 in der Erlöserkirche in Berlin-Lichtenberg – dem Austragungsort mehrerer »Blues-Messen«14 in der Vergangenheit – durchzuführen. Hierzu wollen die Organisatoren Vertreter der CDU, der Christlichen Friedenskonferenz (CFK) und fünf Mitglieder der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg einladen.
Bischof Hempel15 (Dresden) berichtete über die Teilnahme einer Delegation aus der DDR an der »Christlichen Weltkonferenz« zum Thema »Leben und Frieden« in Uppsala/Schweden in der Zeit vom 21. bis 24. April 1983.
Mit Unbehagen habe er zur Kenntnis genommen, dass sich die an der Konferenz teilnehmenden Bischöfe aus den USA und der BRD durch ihr Auftreten völlig isoliert hätten. Dies sei besonders darauf zurückzuführen, dass sie sich nicht gegen eine Ächtung der Atomwaffen ausgesprochen haben. Im Gegensatz dazu haben die Vertreter der DDR-Delegation mit ihrem politischen Engagement die volle Zustimmung der Teilnehmer der »Christlichen Weltkonferenz« erhalten.
Unter Bezugnahme auf eine vom Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR herausgegebene sogenannte Schnellinformation über das Gespräch des Vorstandes der KKL mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR am 10. Januar 198316 wurden zusammenfassend und ergänzend nochmals folgende Probleme hervorgehoben:
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Bis auf drei Personen seien alle genannten Inhaftierten aus der Haft entlassen und in Bausoldaten-Einheiten eingegliedert worden.
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Die »Reservistenproblematik« (Verweigerung des Reservistenwehrdienstes) könne nur in Einzelfällen zu »positiven Entscheidungen« geführt werden.
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Die Wehrkreiskommandos der NVA sind rechtzeitig und schriftlich über bevorstehende Immatrikulationen von Personen für ein Hochschulstudium – auch bezogen auf kirchliche Hochschulen – in Kenntnis zu setzen. Es erfolgt dann keine Einberufung.
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Zur Frage der »Bausoldaten« sei eine »generelle Einigung« erzielt worden.
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Im Zusammenhang mit der vormilitärischen Ausbildung an den Erweiterten Oberschulen und an den Lehrstätten für Berufsausbildung mit Abitur sei auch in Zukunft mit Schwierigkeiten zu rechnen. Es konnte keine Einigung erzielt werden. Einzelfälle sollen ohne Öffentlichkeitswirksamkeit an den Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR herangetragen werden.
Den Bericht des Vorstandes der KKL erstattete Bischof Hempel unter Bezugnahme auf den Verlauf und die Ergebnisse der 150. (16. März 1983) und der 151. (26. März 1983) Sitzung des Vorstandes der KKL. Schwerpunkt seiner Ausführungen bildeten anstehende Probleme bezogen auf Aktivitäten der »Evangelischen Kirche in Deutschland« (EKD/BRD). Bischof Hempel führte u. a. aus:
Die EKD beabsichtige, auf ihrer nächsten Synode eine Grundordnungsveränderung »zur besonderen Gemeinschaft der beiden deutschen Kirchen« – EKD und Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) – vorzunehmen.17 Der Vorstand der KKL habe der EKD empfohlen, dieses Thema nicht auf der Synode zu behandeln.
Seitens der EKD habe es auch Initiativen gegeben, die »kirchliche Friedensbewegung der DDR und der BRD« für die Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis vorzuschlagen. Auch dagegen habe sich der Vorstand der KKL energisch ausgesprochen.
Zur bisherigen Tätigkeit einer »Konsultationsgruppe« von Mitgliedern der Leitung des BEK und der EKD – seitens des BEK gehören ihr an: Bischof Gienke18 (Greifswald), Propst Falcke19 (Erfurt), Dr. Demke20 (Berlin), Präsident Domsch21 (Dresden), Superintendent Große22 (Saalfeld) – habe es im Vorstand der KKL »ernste Diskussionen« gegeben.
Die EKD-Mitglieder dieser »Konsultationsgruppe« lehnen es ab, mit den DDR-Mitgliedern weiter über das Thema »Frieden« zu sprechen. Sie fühlen sich durch die Mitglieder des BEK »unter Druck gesetzt und angegriffen«. Es würde von ihnen mehr verlangt, als die EKD in dieser Frage mitgehen kann.
Der Vorstand der KKL unterbreitete den Vorschlag, einzelne Mitglieder dieser »Konsultationsgruppe« auszutauschen. Demzufolge sollten Bischof Leich (Erfurt), als Präsident der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirchen (VELK) in der DDR, Konsistorialpräsident Kramer (Magdeburg), als Vizepräsident der Evangelischen Kirche der Union – Bereich DDR und der Präses der Synode des Bundes, Wahrmann23 (Wismar), neu berufen werden.
Der Vorstand der KKL ist ferner der Auffassung, dass die DDR-Mitglieder zukünftig nicht mehr die Problematik »Frieden« in den Mittelpunkt der Beratungen dieser »Konsultationsgruppe« stellen sollten. Es wurde empfohlen, allgemeine Probleme zu behandeln und zu diskutieren, wie gemeinsames Gesangbuch, Tauffragen u. Ä.
(Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten innerhalb der KKL wurde dieses Problem auf die Juli-Sitzung der KKL vertagt.)
Bischof Hempel berichtete weiter, dass sich die Leitung der EKD gegenüber dem Vorstand der KKL »sehr empört« über die Veröffentlichung des Materials »Sicherheitspartnerschaft und Frieden in Europa. Aufgaben der deutschen Staaten, Verantwortung der deutschen Kirchen« der Theologischen Studienabteilung beim BEK (März 1983) geäußert habe.24
Die darin enthaltene Forderung, »dass im Interesse der Erhaltung des Friedens und der Sicherheit in Europa die EKD gegen die Stationierung von neuen US-Mittelstreckenraketen in Westeuropa und für die Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft und der damit verbundenen Veränderung des Grundgesetzes der BRD« eintreten solle, habe unter breiten Kreisen leitender Mitglieder der EKD Unwillen hervorgerufen. Ihrer Auffassung nach mische sich damit der BEK in die inneren Angelegenheiten der BRD ein.
Sollte der BEK bei diesen Forderungen bleiben, werde die EKD in ähnlicher Weise reagieren und vom BEK fordern, sich verstärkt »gegen die Gewaltakte der DDR-Grenzorgane an der Staatsgrenze zur BRD und Westberlin und gegen ähnliche Probleme« zu wenden.
Die Mitglieder der KKL waren über die ihnen von Bischof Hempel übermittelten Entscheidungen und Reaktionen der Leitung der EKD zu den Friedensfragen sichtlich deprimiert.
Der Vorstand der KKL unterbreitete der KKL den Vorschlag, während der Pfingsttreffen der Jugend der DDR keine besonderen Aktivitäten zu planen und durchzuführen. In dem von der KKL dazu bestätigten Beschluss wird festgestellt:
»Der Staatssekretär hat erneut hervorgehoben, dass eine breite Beteiligung der Jugendlichen erstrebt wird mit dem ›Recht auf Selbstdarstellung‹.
Der Vorstand beschloss: Der Vorstand stellt fest, dass der Wortlaut des Aufrufes keinen Anlass bietet, vonseiten der kirchlichen Jugendarbeit Initiativen für die Beteiligung zu ergreifen. Wenn es zu einer Beteiligung kommt, sollte Mitteilung an die jeweilige Leitung der Landeskirche erfolgen; es sollten lediglich eigene Sachlosungen ohne Gruppenfirmierung mitgeführt werden, über die mit der Veranstaltungsleitung vorher eine Absprache zu treffen ist. Das Sekretariat wird beauftragt, entsprechend diesen Gesichtspunkten eine Unterrichtung für die Gliedkirchen vorzubereiten.«
Im Ergebnis der Beratungen zur Arbeit der Kommissionen und Ausschüsse fasste die KKL u. a. Beschlüsse zu solchen Fragen, wie:
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Gemeindepädagogengesetz;
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Qualifizierung von Absolventen, die von der Kirche zum Jurastudium delegiert werden;
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Berufung des Facharbeitskreises »Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche, Familie und Gesellschaft«;
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Tagesordnung für die 3. Tagung der 4. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR vom 16. bis 20. September 1983 in Potsdam-Hermannswerder.
(Die Materialien der KKL-Tagung liegen dem MfS im Original vor und können bei Bedarf angefordert werden.)
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.