Politischer Missbrauch Friedensseminar
1. März 1983
Information Nr. 83/83 über Ergebnisse der eingeleiteten Maßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung bzw. zur Unterbindung des politischen Missbrauchs des geplanten sogenannten Friedensseminars von »Friedensarbeitskreisen« der evangelischen Kirchen am 5./6. März 1983 in der Hauptstadt der DDR, Berlin
Dem MfS wurde streng vertraulich bekannt, dass Pfarrer Eppelmann1 sowie weitere dem MfS namentlich bekannte kirchliche Amtsträger und Laien beabsichtigen, in der Zeit vom 5. bis 6. März 1983 in der »Christuskirche« Berlin-Oberschöneweide ein sogenanntes Friedensseminar für alle »Friedensarbeitskreise« der evangelischen Kirchen in der DDR durchzuführen, das dem Ziel dienen soll, die bestehenden »Friedenskreise« weiter zusammenzuschließen und sie einheitlich auf feindlich-negative Positionen auszurichten.2
(Dazu wurde in der Information des MfS Nr. 81/83 vom 25. Februar 1983 berichtet.)
Zur vorbeugenden Verhinderung dieser geplanten Tagung bzw. zur Unterbindung feindlich-negativer Aktivitäten wurden am 28. Februar 1983 Aussprachen durchgeführt
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vom Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR, Gen. Gysi,3 mit dem Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Forck,4
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vom amtierenden Stellvertreter für Inneres beim Magistrat der Hauptstadt der DDR, Berlin, Gen. Meyer,5 mit Präses Becker,6 Konsistorialpräsident Stolpe7 und Superintendent Rißmann8 sowie
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vom Direktor des Zentralinstitutes für Sprachwissenschaften der Akademie der Wissenschaften der DDR, Prof. Dr. Bahner,9 mit dem Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Dr. Becker (wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentralinstitut für Sprachwissenschaften).
In der Aussprache mit Bischof Forck erklärte der Staatssekretär für Kirchenfragen, Gen. Gysi, dass die geplante Durchführung des sogenannten Friedensseminares wegen dessen feindlich-negativer Zielstellung eine Provokation gegen die Friedenspolitik der DDR und den Versuch darstelle, die Haltung der evangelischen Kirchen und Kirchenleitungen in der DDR zum Staat negativ zu beeinflussen. Unter Hinweis auf die Einhaltung der Rechtsordnung der DDR erhob er die Forderung, die genannte Veranstaltung abzusetzen und Pfarrer Eppelmann sowie weitere in diesem Zusammenhang um diesen agierende Personen zu disziplinieren.
Bischof Forck versuchte in der von ihm hinlänglich bekannten Art zu lavieren, das geplante Vorhaben herunterzuspielen und als im Sinne der Kirche gerechtfertigt darzustellen. Er sicherte zu, die aufgeworfenen Probleme durchdenken, sich mit seiner Kirchenleitung beraten und Überlegungen anstellen zu wollen, wie das »Friedensseminar« nach den Vorstellungen der Kirchenleitung verlaufen könnte.
Während des Gesprächs beim amtierenden Stellvertreter für Inneres beim Magistrat der Hauptstadt, Berlin, versuchte auch der das Vorhaben »Friedensseminar« aktiv unterstützende Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Dr. Becker, die staatlichen Einwände zu bagatellisieren, das »Friedensseminar« als reine kirchliche, nicht öffentliche sowie unter »Vorherrschaft der Kirchenleitung« organisierte Veranstaltung darzustellen. Inhaltlich solle es Vorstellungen zur kirchlichen Friedensarbeit entwickeln. Präses Becker, Konsistorialpräsident Stolpe und Superintendent Rißmann akzeptierten im Ergebnis der Aussprache die vorgetragenen Bedenken und erklärten sich bereit, den Organisatoren des »Friedensseminars« entsprechende »Auflagen« zu erteilen, worüber Stolpe am 1. oder 2. März den amtierenden Stellvertreter für Inneres unterrichten werde.
Im Ergebnis der Aussprache durch den Direktor des Zentralinstitutes für Sprachwissenschaften, Prof. Dr. Bahner, erklärte Präses Becker, die Position von Eppelmann sei nicht die Haltung der »offiziellen Kirche«. Die Kirche wolle den Kräften um Eppelmann »keine Tribüne geben, aber auch nicht das Tuch zu ihnen ganz zerschneiden«. Daher habe er sich bereit erklärt mitzuhelfen, ein kircheninternes Gremium der »Friedenskreise« vorzubereiten und durchzuführen. Er nehme die Besorgnis des Staates zur Kenntnis, könne sie jedoch nicht teilen. (Mit Präses Becker wurde ein weiteres Gespräch für den 2. März 1983 festgelegt.)
Dem MfS liegen streng vertrauliche Informationen vor, wonach innerhalb der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg divergierende Auffassungen zur Durchführung des geplanten »Friedenseminars« bestehen. Mehrere Mitglieder der Kirchenleitung – u. a. Konsistorialpräsident Stolpe und Oberkonsistorialrat Giering10 – sprachen sich bereits auf einer Sitzung der Kirchenleitung am 25. Februar 1983 gegen ein solches Forum mit einem derartigen Teilnehmerkreis zum Zeitpunkt 5./6. März 1983 aus.
Der Sitzungsteilnehmer, Moderator Grüber,11 welcher im Auftrage der Synode diese Veranstaltung mit leiten sollte, zog seine Zusage mit der Begründung zurück, er lasse sich »nicht vor einen Wagen spannen, den er nicht selber mitbestimmen könne«.
Seitens des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) wurde durch die Oberkirchenrätin Lewek12 der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg der Vorwurf eines »Alleinrittes« gemacht. Im Auftrage des amtierenden Vorsitzenden der KKL, Bischof Gienke,13 teilte sie mit, dass eine derartige Veranstaltung die Kompetenzen einer Landeskirche überschreiten und die verantwortlichen Mitarbeiter für »Friedensfragen« beim BEK sich vom »Friedensseminar« distanzieren würden.
Trotz vorgebrachter Bedenken und ablehnender Haltungen wurde durch die Leitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg festgelegt, das »Friedensseminar« durchzuführen.
Im Ergebnis dieser Kirchenleitungssitzung hatte Präses Becker die Mitglieder des sogenannten Vorbereitungskreises – ca. 20 Personen – für den 28. Februar 1983 zu einer »Dringlichkeitssitzung« einberufen. An dieser von 18.00 bis 21.00 Uhr durchgeführten Beratung nahmen seitens der Kirchenleitung Bischof Forck, Konsistorialpräsident Stolpe, Propst Winter,14 Moderator Grüber und Generalsuperintendent Krusche15 teil.
Zu Beginn der Beratung wurden die Teilnehmer über die staatlicherseits geführten Gespräche mit Bischof Forck, Präses Becker, Konsistorialpräsident Stolpe und Superintendent Rißmann informiert.
Im Anschluss daran wurde der Beschluss der Kirchenleitung zum Modus und zum Inhalt des »Friedensseminars« am 5./6. März 1983 erläutert, darunter solche Festlegungen, wie
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keine Öffentlichkeit und keine Informationen nach außen,
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keinerlei Erwähnung bzw. Bezugnahme auf eine »unabhängige« Friedensbewegung,
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Bildung einer sogenannten Steuer-Gruppe,
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Durchführung von Einlasskontrollen.
In der geführten Diskussion unterstrichen die Vertreter der Kirchenleitung den Standpunkt, dass sie es nicht zulassen werden, den »Gleichklang« zu den anderen Landeskirchen infrage zu stellen. Der Grundtenor der staatlicherseits zum »Friedensseminar« dargelegten Position sei zu respektieren.
Pfarrer Eppelmann als wesentlicher Organisator der genannten Veranstaltung erklärte, die Festlegungen der Kirchenleitung respektieren und im Ergebnis des »Friedensseminares« keine sogenannte öffentliche Erklärung erarbeiten bzw. verbreiten zu wollen. Pfarrer Linke16 (Neuenhagen) äußerte sich in gleicher Art.
Wie weiter intern bekannt wurde, wird über den Verlauf und das Ergebnis dieser Tagung des sogenannten Vorbereitungskomitees der Tagung durch die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg eine Information für den Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR und die anderen Landeskirchen erarbeitet.
Nach dem MfS vorliegenden Erkenntnissen haben bis zum 28. Februar 1983 ca. 50 Personen ihre Teilnahme am »Friedensseminar« zugesagt.
Durch das MfS sind weitere Maßnahmen zur Verhinderung des politischen Missbrauchs der Veranstaltung eingeleitet worden.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.