Probleme Energieversorgung Winterhalbjahr 1983/84
15. November 1983
Information Nr. 382/83 über einige Probleme im Zusammenhang mit der Energieversorgung im Winterhalbjahr 1983/84
Nach dem MfS vorliegenden internen Hinweisen wurden durch die zuständigen staatlichen und wirtschaftsleitenden Organe auf der Grundlage der »Gemeinsamen Direktive des Sekretariats des ZK der SED und des Präsidiums des Ministerrates zur Gewährleistung der Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft mit Energie und Brennstoffen im Winter 1983/84«1 sowie in Auswertung vorangegangener Winterperioden und entsprechend der Situation in allen Bereichen der Kohle- und Energiewirtschaft Maßnahmen zur Sicherung einer planmäßigen Brennstoff- und Energieversorgung unter allen Lagebedingungen eingeleitet und wesentliche Zielstellungen erreicht.
Es zeigte sich aber auch, dass noch erhebliche Mängel und Rückstände bei der Durchsetzung der Beschlüsse bestehen und keine ausreichenden Bedingungen für eine hohe Versorgungszuverlässigkeit mit Energieträgern gegeben sind.
Das betrifft u. a. Überschreitungen des geplanten spezifischen Energieverbrauches, Verstöße gegen das Verbot des Einsatzes elektrischer Direktheizung, Energieverschwendung durch Qualitätsmängel im Wohnungsbau und eine nach wie vor hohe Anzahl von Störungen und Havarien mit negativen Auswirkungen auf eine kontinuierliche Produktion.
Begünstigend wirken in diesem Zusammenhang auch weiterhin viele Verletzungen der Arbeits- und Produktionssicherheit sowie von Sicherheit, Ordnung und Disziplin, fehlende materiell-technische Voraussetzungen und die z. T. noch unzureichende Wirksamkeit der Organe für Arbeits- und Produktionssicherheit.
Im Folgenden zu Problemen einzelner Energieträger:
In der Braunkohlenindustrie wurden bis Anfang November 1983 die anteilmäßigen Produktionsziele in allen Positionen z. T. beträchtlich überboten (z. B. Abraumbewegung mit 35 Mio. m³, Rohbraunkohleförderung mit 1 056,4 kt, Brikettproduktion mit 571,0 kt).
Wie von Experten eingeschätzt wird, ist jedoch trotz dieser günstigen Situation die Kontinuität der Produktion in einer Reihe von Tagebauen und Brikettfabriken infolge von Störungen an Förderanlagen bzw. Ausrüstungen noch nicht gewährleistet. (Das betrifft insbesondere die Tagebaue Schlabendorf-Süd, Delitzsch-Südwest und Groitzscher Dreieck sowie die Brikettfabriken Regis, Böhlen und Laubusch.)
Auch die Brikettproduktion weist trotz Planerfüllung insgesamt weiterhin Unsicherheiten wegen des hohen Verschleißgrades der Produktionsanlagen aus. Die materiell-technischen und personellen Voraussetzungen zur Durchführung der erforderlichen Instandhaltungsmaßnahmen reichten bisher nicht aus, um dem fortschreitenden Verschleiß und akuten Gefährdungssituationen entgegenzuwirken. (Zum Beispiel arbeiten die Brikettfabriken im Raum Borna zzt. auf der Basis von 91 Ausnahme- und Sondergenehmigungen der Obersten Bergbehörde.)
Die festgelegten normativen Bestände an sofort greifbarer, freigelegter Rohbraunkohle sind bis Ende Oktober 1983 insgesamt wesentlich überboten worden (+ 6 075 kt).
Bei der termingerechten Inbetriebnahme neuer Tagebaukapazitäten sind aus materiell-technischen Gründen und durch Engpässe in der Montagekapazität der Bereiche Ministerium für Schwermaschinen- und Anlagenbau und Ministerium für Elektrotechnik/Elektronik Verzögerungen eingetreten. (Zum Beispiel fehlen bei einer weiteren Verzögerung der Inbetriebnahme eines Schrägbandes im Tagebau Spreetal-Nordost ab November 1983 im Förderraum Cottbus 1,2 Mio. t sofort greifbare Kohlebestände. Die nicht zeitgerechte Aufnahme der Rohbraunkohleförderung in diesem Tagebau kann zu erheblichen Problemen in der Versorgung des Gaskombinates Schwarze Pumpe mit qualitätsgerechter Rohkohle führen.)
Wegen Reduzierungen notwendiger Instandhaltungs- und Reparaturmaßnahmen (z. B. infolge fehlender Gurtbandförderer für Abraumförderbrücken) bestehen weiterhin Schwachstellen und begünstigende Bedingungen für Störungen.
In einigen Tagebauen gibt es z. T. erhebliche Rückstände bei der unbedingt erforderlichen Gleisstabilisierung. (Bis Mitte Oktober 1983 waren in ausgewählten Tagebauen erst 70 % der Stabilisierungsmaßnahmen realisiert.)
Der Stand in der Ersatzteilversorgung der Braunkohlenindustrie durch die Kombinate TAKRAF, Getriebe- und Kupplungen sowie Plast- und Elastverarbeitung für Tagebauausrüstungen, Veredlungsanlagen, Baggereimer und Eimermesser, Getriebe (z. B. für 54 Bagger keine Getriebeersatzteile) und Textilfördergurte wird als völlig unzureichend eingeschätzt, sodass Ausfälle bestimmter Baugruppen zu Stillständen von Produktionsanlagen für einige Tage bzw. Wochen führen können.
Der erreichte Stand bei der Bevorratung mit festen Brennstoffen bietet günstige Voraussetzungen für eine stabile Versorgung der Verbraucher. Einschränkend dazu wird jedoch festgestellt, dass eine Reihe von Verbrauchern nicht über die erforderlichen Lagerkapazitäten verfügt.
Die Zielstellung der Direktive für die Belieferung der Haushalte konnte trotz entsprechender Voraussetzungen weder mengenmäßig noch haushaltsbezogen realisiert werden, da die Bereitschaft zur Abnahme von Braunkohlenbriketts zurückgegangen ist (durchschnittliche Bestellungen 2,6 t/Haushalt gegenüber 3,0 t/Haushalt 1982).
Über 400 000 Haushalte beabsichtigen, ihre Bestellungen an Braunkohlenbriketts erst nach dem 31.10.1983 zu realisieren. Diese Lieferungen können sich bis ins Jahr 1984 hinziehen. (Offensichtlich steht dieses Verhalten im Zusammenhang mit einem noch hohen Bevorratungsstand.)
Trotz der bisher erreichten hohen Bestände an festen Brennstoffen bei den Verbrauchern sind bei extremen Witterungsbedingungen in der Direktbelieferung zeitweilige Unterbrechungen mit versorgungswirksamen Auswirkungen nicht auszuschließen.
Für eine stabile Elektroenergieversorgung im Winterhalbjahr 1983/84 bestehen noch erhebliche Unsicherheiten und Gefahren. Das ist im Wesentlichen auf nachfolgende Faktoren zurückzuführen:
Die Elektroenergieerzeugung ist in einigen Großkraftwerken nach wie vor instabil. Allein im September 1983 traten an zehn Tagen Leistungsausfälle von über 1 500 MW auf. Maßgeblichen Anteil daran haben die Kraftwerke Boxberg und Lübbenau-Vetschau. In diesen Kraftwerken ist eine steigende Tendenz im Stör- und Havariegeschehen zu verzeichnen.
Die instabile Fahrweise des Kraftwerkes Boxberg ist vor allem auf Mängel in der leitungsmäßigen Beherrschung des Kraftwerksprozesses und nichtplanmäßige Realisierung von Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten infolge fehlender materiell-technischer Voraussetzungen zurückzuführen.
Im Kraftwerk Lübbenau-Vetschau ereigneten sich allein von Januar bis August 1983 über 1 200 Störungen mit 472 Netztrennungen der Kraftwerksblöcke, wobei ein erheblicher Teil der Störungen auf Verschleißschäden an Dampferzeugern zurückzuführen ist.
In einer Reihe von Großkraftwerken setzt sich die Tendenz der Reduzierung der Inhalte der Reparaturprogramme fort, sodass Schwachstellen bzw. anlagentechnische Mängel auch nach Durchführung von Reparaturen weiterhin vorhanden sind.
Im Kernkraftwerk »Bruno Leuschner« Greifswald können aufgrund der vorgeschädigten Nadelrohre der Dampferzeuger der Blöcke 1 und 2 weitere Stillstände über die Zeitdauer von jeweils bis zu zehn Tagen auch im Winterhalbjahr 1983/84 nicht ausgeschlossen werden.
Die Versorgungszuverlässigkeit des 380/220-kV-Elektroenergieverbundnetzes im Süd-Südwestraum der DDR bleibt bis zur Inbetriebnahme der 1. Baustufe des Umspannwerkes [Erfurt-]Vieselbach (Inbetriebnahme voraussichtlich Mitte Dezember 1983) eingeschränkt. (Neben schwerwiegenden Mängeln in der Projektierung und Bauausführung verzögern auch fehlende Bereitstellungen elektrotechnischer Ausrüstungen die ursprünglich für September 1983 vorgesehene Inbetriebnahme.)
Zu Beginn der Winterperiode 1983/84 stehen weitere zur Stabilisierung der Elektroenergieübertragung geplante Kapazitäten aufgrund nicht ausreichender elektrotechnischer Ausrüstungen, wie Schaltanlagen, Steuerkabel, Wandler, nicht termingerecht zur Verfügung. (Die Realisierung eines Programms über den Austausch qualitätsgeminderter elektrotechnischer Betriebsmittel weist erhebliche Rückstände auf.)
Die Anstrengungen der elektrotechnischen Industrie reichten bisher nicht aus, um die seit Jahren bestehende Havariegefährdung im Elektroenergieverbundnetz der DDR zu beseitigen. Für eine kurzfristige Beseitigung von Störungen stehen keine ausreichenden Reservegrundmittel zur Verfügung.
Die Mittel- und Niederspannungsnetze weisen aufgrund ihres hohen Verschleißgrades insgesamt noch zu viele Schwachstellen auf, deren Beseitigung entsprechend der begrenzt zur Verfügung stehenden Fonds nur über längere Zeiträume erfolgen kann.
Auch die Störungen in den Elektroenergiefortleitungsanlagen zeigen eine steigende Tendenz.
Hinzu kommt, dass fehlende oder verspätet vorbereitete Antihavariekonzeptionen zu Rückständen bei der Qualifizierung und Schulung des operativen Betriebspersonals in den Bereichen des VE Kombinat Verbundnetz Energie und der Staatlichen Hauptlastverteilung führten.
Zu Problemen der Stadt- und Erdgasversorgung
Aus der Energieträgersubstitution und dem planmäßig erhöhten Heizgasfonds für die Bevölkerung ergibt sich selbst bei Sicherung des geplanten Aufkommens an Stadtgas eine angespannte Situation in der Versorgung, die nur bei strengster Einhaltung der Kontingente und weiteren Einsparungen voll beherrscht werden kann.
Vorliegende Einschätzungen besagen, dass trotz Steigerung der Stadtgasproduktion im Jahre 1983 der Spitzenbedarf in Kälteperioden um zwei bis drei Mio. m³/Tag über dem maximal möglichen Aufkommen liegen kann und Versorgungseinschränkungen durch staatlich sanktionierte Aufrufe von Abgeboten (temperaturabhängige Zusatzkontingente, Stufenprogramm) nicht auszuschließen sind. (Aus diesem Grund erfolgte die Überarbeitung der Versorgungskonzeption Stadtgas.)
Weitere z. T. erhebliche Gefahren und Unsicherheiten für das geplante Stadtgasaufkommen im Winterhalbjahr 1983/84 bestehen darin, dass im Stammbetrieb des Gaskombinates Schwarze Pumpe aufgrund von Leitungsmängeln und nicht ausreichenden materiell-technischen Voraussetzungen Rückstände bei der Stabilisierung der Stadtgasproduktion eingetreten sind.
Hinzu kommt, dass die aufgrund der schweren Havarie im Stammbetrieb des Gaskombinates Schwarze Pumpe am 22. Februar 19822 festgelegten Maßnahmen bisher nur ungenügend umgesetzt wurden (z. B. waren von 162 zu erarbeitenden Betriebsvorschriften, Gefährdungsanalysen und Nachweisen für den Gesundheits-, Arbeits- und Brandschutz zur Qualifizierung und Befähigung des Leitungs- und Betriebspersonals bis zum 30. September 1983 erst 24 realisiert).
In der Großgaserei Magdeburg bestehen erhebliche Verzüge bei der Stabilisierung einer maximalen Gasabgabe in das Verbundnetz. Die vorhandene havariegefährdete Stadtgasleitung zur Abförderung des Stadtgases (7,2 km, Nennweite 500 mm) gestattet gegenwärtig aus sicherheitstechnischen Gründen nur eine reduzierte Stadtgasabgabe. Im November 1983 soll durch die Auswechselung dieser Stadtgasleitung die Gefährdungssituation beseitigt sein.
In der Großgaserei Magdeburg bestehen darüber hinaus begünstigende Bedingungen für Störungen und Havarien, da die Stabilität der Fahrweise der Verdichter noch nicht erreicht wurde und die Nichteinhaltung der Stadtgasqualität infolge des Eindringens von Kondensat in das Verbundnetz auf einer Gesamtlänge von ca. 100 km Rohrleitung Gefährdungen (Eintritt von Korrosionsschäden) in sich birgt.
Die Zielstellung »verfügbare Aktivgasbestände in den Untergrundgasspeichern (UGS)« wurde insbesondere infolge
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instabiler Fahrweise der Jenbachverdichter3 auf dem UGS Bad Lauchstädt,
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Verletzungen des technologischen Regimes im UGS Ketzin und
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des fehlenden Stadtgasaufkommens zur Einspeisung
sowie aufgrund fehlender Verdichterkapazität nicht erreicht.
Die Versorgung mit Importerdgas wird bei Einhaltung der vereinbarten Lieferungen aus der UdSSR als gesichert betrachtet.
Für die Hauptstadt der DDR, Berlin, können Störungen an der Importerdgaszuleitung (z. B. Rohraufrisse) zu einer kritischen Versorgungslage führen, weil diese die schnellstmögliche Umstellung der Heizkraftwerke und Heizwerke auf Heizöl bedingen. (Die Versorgung der Bevölkerung mit Importerdgas kann in derartigen Fällen nur für maximal fünf Stunden bei 0°C gesichert werden, die Industrie müsste den Importerdgasbezug einstellen.)
Für eine maximale Förderleistung von Erdgas aus Eigenaufkommen sind gegenwärtig keine ausreichenden Bedingungen vorhanden, da erhebliche Rückstände bei der Realisierung von Investitionen auf dem Förderfeld Salzwedel/Peckensen, [Bezirk] Magdeburg, eingetreten sind.
Die im Winterhalbjahr 1983/84 erforderliche Versorgung von ca. 1,2 Mio. Wohnungen mit Fernwärme soll ausschließlich auf der Basis einheimischer fester Brennstoffe sowie von Gas- und Kernenergie, ohne den Einsatz von Heizöl, erfolgen.4
Die Inbetriebnahme neuer Fernwärmekapazitäten konnte durch ungenügende Leistungen des Schwermaschinen- und Anlagenbaus in einigen Territorien bisher nicht erfolgen, woraus sich negative Auswirkungen auf die Stabilität der Fernwärmeversorgung, ein erhöhter Stadtgasbedarf und weiterer Heizöleinsatz ergeben können.
Diese Information – auch wenn Teile davon den jeweils zuständigen Ministern bekannt sein dürften – wurde erarbeitet, um zur Übersicht über beachtenswerte Probleme beizutragen.