Probleme Transportgüter der DR
14. November 1983
Information Nr. 340/83 über einige Probleme im Zusammenhang mit Schäden und Verlusten bei Transportgütern der Deutschen Reichsbahn
Im Ergebnis der vom MfS gemeinsam mit Experten der Deutschen Reichsbahn geführten Untersuchungen zur Aufklärung der Ursachen aufgetretener Schäden und Verluste bei den von der Deutschen Reichsbahn im Binnen- und internationalen Verkehr beförderten Transportgütern ist zusammenfassend festzustellen, dass diese Schäden und Verluste sowohl auf Fehlverhaltensweisen von Angehörigen der Deutschen Reichsbahn als auch von Versendern der Transportgüter verschuldete Ursachen – insbesondere durch den Einsatz ungeeigneter Verpackungsmittel sowie fehlerhafte Beladung der Waggons – zurückzuführen sind.
Ausgehend von den durch energiewirtschaftliche Erfordernisse verstärkten Verlagerungen von Gütertransporten auf die Schiene1 (1983 werden ca. 71 % der Binnengütertransportleistungen durch die Deutsche Reichsbahn erbracht; 1985 werden es ca. 82 % sein), sind von den zuständigen Leitungsorganen der Deutschen Reichsbahn entsprechend den zunehmenden Anforderungen an die Gewährleistung der sicheren und verlustlosen Beförderung dieser Transporte nach entsprechenden Festlegungen vom Ministerrat der DDR entsprechende Maßnahmen eingeleitet worden.2 So hat z. B. die Leitung des Ministeriums für Verkehrswesen der DDR Maßnahmen zur Einflussnahme auf nachgeordnete Leitungsorgane (Reichsbahndirektion – Rbd –, Reichsbahnämter – RbÄ –) und zur Aktivierung des Ausgleichs- und Auswertungsamtes der Deutschen Reichsbahn – AGAWA –, der Arbeitsgruppen Schadensverhütung in den Rbd und RbÄ sowie der Schadensverhütungskollektive in den Dienststellen der Deutschen Reichsbahn eingeleitet.
Die seit 1982 zunehmenden Schäden und Verluste an den von der Deutschen Reichsbahn beförderten Transportgütern im Binnen- und internationalen Verkehr zeigen jedoch, dass diese Maßnahmen noch zu keinen entscheidenden Verbesserungen der Situation geführt haben.
Hinzu kommt, dass die im Verantwortungsbereich der Deutschen Reichsbahn getroffenen Entscheidungen bzw. eingeleiteten Maßnahmen von Experten als noch nicht ausreichend bezeichnet werden, um das zunehmende Transportaufkommen aus den verschiedensten Bereichen der Volkswirtschaft schadensfrei befördern zu können.
Vorliegenden Hinweisen zufolge musste die Deutsche Reichsbahn für die von ihr verschuldeten Schäden und Verluste bei der Beförderung von Transportgütern 1981 38,1 Mio. Mark, 1982 53,0 Mio. Mark und im 1. Halbjahr 1983 bereits 29,1 Mio. Mark Schadensersatzleistungen erbringen.
Eine differenzierte Darstellung weist aus, dass sich im Binnenverkehr sowohl die Anzahl der Schadensfälle (1982 gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um 18,3 % und im 1. Halbjahr 1983 nochmals um 5,1 %) als auch die von der Deutschen Reichsbahn zu erbringenden Schadensersatzleistungen (für vorgenannten Zeitraum um 29,1 % bzw. um 25 %) erhöhten.
Im internationalen Verkehr sank nach vorliegenden Hinweisen im Analysezeitraum (1982 und im 1. Halbjahr 1983) die Anzahl der Schadensfälle um 17,8 % bzw. 10 %), die dafür erforderlichen Schadensersatzleistungen stiegen jedoch um 54 % an.
Der durch Transportkunden infolge mangelhafter Verladung bzw. durch Verpackungsmängel verursachte Schaden erreichte im 1. Halbjahr 1983 im Binnenverkehr die Höhe von 20 Mio. Mark bzw. im internationalen Verkehr 12 Mio. Mark.
Wie die Untersuchungen ergaben, entstehen Schäden und Verluste an den beförderten Transportgütern hauptsächlich durch die mangelhafte Behandlung bzw. Verluste von Stückgut sowie durch unsachgemäßes Rangieren.
Insbesondere fehlende, überzählige und beschädigte Stückgutsendungen, Trennung der Begleitpapiere vom Transportgut haben einen hohen Anteil am Gesamtschadensgeschehen (ca. 40 % des Umfangs und 17 % der Schadensersatzleistungen) und sind somit in bedeutendem Umfang an der 1982 und im 1. Halbjahr 1983 eingetretenen Verschlechterung des Gesamtzustandes beteiligt.
Allein das Ausgleichs- und Auswertungsamt der Deutschen Reichsbahn hatte 1982 ca. 88 000 Meldungen über fehlende Stückgutsendungen bzw. etwa 8 000 Überzähligmeldungen zu bearbeiten.
Die zum Beispiel für Stückgutsendungen von Rund- und Stabstahl, Blechen usw. vorgeschriebene Bezettelung erweist sich als ungeeignet, sodass gegenwärtig überzählige Sendungen dieser Gutart wegen nicht mehr zu ermittelnder Empfänger der Verschrottung zugeführt werden müssen.
Die Verluste von Stückgut – ca. 50 % aller Schadensersatzleistungen – bzw. zeitweiliges Abhandenkommen von Stückgutsendungen, die nach geltenden Beförderungsbestimmungen den Versender bzw. Empfänger zur Förderung von Schadensersatzleistungen berechtigen, entstehen fast ausschließlich aufgrund von Fehlhandlungen der in Güterabfertigungen beschäftigten Reichsbahnangehörigen. So führen lückenhafte Kontrollen der Vollzähligkeit der Güter bei der Übernahme von Transportkunden oder der Spedition, Verursachung von Schäden an der Verpackung und Gewaltschäden durch unsachgemäßen Umgang mit dem Ladegut sowie mangelnde Übersicht über gelagerte oder umzuladende Güter zu Schäden, zur Unbrauchbarkeit oder Fehlleitung von Teilen zusammengehörender Stückgutladungen.
Ein weiterer beachtenswerter Umstand, der zu diesem Schadensgeschehen mit beiträgt, besteht darin, dass die Untersuchungen zur allseitigen Aufklärung der Ursachen eingetretener Schäden und Verluste in den dafür zuständigen Dienststellen der Deutschen Reichsbahn noch nicht mit der erforderlichen Gründlichkeit, insbesondere hinsichtlich der subjektiven Ursachen geführt werden. Demzufolge bestehen gegenwärtig auch keine ausreichenden Voraussetzungen für eine konkrete objektiv- und sachbezogene vorbeugende Arbeit zur Zurückdrängung des Schadens- und Verlustgeschehens. So werden z. B. durch starken Aufprall von Waggons während des Rangierens und den dabei herbeigeführten Ladegutbeschädigungen nur bei offensichtlich gewordenen Sachbeschädigungen die zuständigen Dienststellen des Verkehrsdienstes verständigt.
In gedeckten Waggons wird dagegen der Zustand des Ladegutes nur äußerst selten auf Unterwegsbahnhöfen bzw. bei den erforderlichen Zugauflösungen geprüft. Das hat zur Folge, dass die schadensverursachenden Angehörigen der Deutschen Reichsbahn in der Regel unerkannt bleiben. Eine entsprechende Ursachenermittlung und die erforderliche Einflussnahme auf die tatsächlichen Verursacher zur Verhinderung von auf Fehlverhaltensweisen zurückzuführenden Sachbeschädigungen bzw. Verlusten werden so fast unmöglich gemacht.
Beim Weitertransport besteht darüber hinaus noch die Gefahr der Vergrößerung des bereits eingetretenen Sachschadens.
Ein Großteil des Schadensgeschehens an dem der Deutschen Reichsbahn zur Beförderung übergebenen Stückgut ist auf Handlungen der in Güterabfertigungen (Ga) tätigen Angehörigen der Deutschen Reichsbahn zurückzuführen.
Wie die Untersuchungen ergaben, ist die steigende Anzahl von Schadensfällen in erheblichem Maße auf von in diesem Bereich Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn begangene Verstöße gegen die Sicherheit, Ordnung und Disziplin, gegen Betriebs- und Beförderungsvorschriften zurückzuführen. So werden z. B. beschädigte/überzählige Güter nicht immer sofort an die zuständigen Stellen in Güterabfertigungen unter Verschluss gebracht, Unregelmäßigkeiten nicht sofort weitergemeldet, Stückgüter im Umschlagprozess in den Güterabfertigungen rücksichtslos behandelt, Güterböden während der Arbeitsruhe bzw. Arbeitspausen unzureichend gesichert, wodurch Möglichkeiten des unkontrollierten Betretens der Güterböden und zur Entwendung von Stückgutsendungen begünstigt werden.
Hinzu kommt, dass die mittleren leitenden Kader der Deutschen Reichsbahn und des Kraftverkehrs als Partner des direkten Zusammenwirkens keine ausreichend konkrete Kontrolle über den Umschlagprozess ausüben.
Die technologischen Arbeitsbedingungen in den Güterabfertigungen werden u. a. auch dadurch beeinträchtigt, dass der Abstellplatz häufig mit Ermittlungsgut belegt ist und längere Ermittlungszeiten (z. T. bis zu mehreren Jahren) die Beräumung der Stellflächen behindern.
Die in Güterabfertigungen beschäftigten Angehörigen der Deutschen Reichsbahn verfügen in der Regel nur über ein weit unter dem Durchschnitt liegendes allgemeines Bildungsniveau, Vorarbeiter sind oftmals nicht vollständig schriftkundig und demzufolge auch nicht immer in der Lage, notwendige Meldungen bei festgestellten Unregelmäßigkeiten im Stückgutverkehr (Ausfertigung der Meldezettel) abzufassen.
In dieser Beschäftigungskategorie konzentriert sich auch ein relativ hoher Anteil kriminell gefährdeter Personen, sind fristlose Entlassungen oder entsprechende Disziplinarverfahren wegen häufiger Fehlschichten, Alkoholmissbrauch u. a. Verstöße erforderlich.
Die Ermittlungsdienste in den Güterabfertigungen sind durchgängig unterbesetzt. Hinzu kommt ein überalterter, teilweise im Rentenalter befindlicher Kaderbestand. Das hat zur Folge, dass der Ermittlungsdienst den gewachsenen Anforderungen zur Ermittlung abhandengekommener Güter, der Ursachen/Verursacher angezeigter Schäden nicht mehr bewältigen kann bzw. lediglich oberflächlich Prüfhandlungen vornimmt. Tatbestandsmeldungen, u. a. beim Verdacht von Diebstahlshandlungen, werden oftmals nur nach telefonischen Angaben bzw. auch mit Verzögerungen bearbeitet oder deren Bearbeitung unterbleibt vollkommen.
Vereinzelt sind Beschäftigte des Ermittlungsdienstes an strafbaren Handlungen bei Transportgutdiebstählen selbst beteiligt.
Der Einsatz geeigneter Kader im Ermittlungsdienst der Deutschen Reichsbahn wird u. a. auch von den für diese Beschäftigungsgruppe geltenden Entlohnungs- und Stimulierungsmöglichkeiten nachteilig beeinflusst. (1982 wurde der Arbeitskräfteplan – 923 Vollbeschäftigteneinheiten – um rund 100 VbE unterschritten, effektiv befanden sich 723 Arbeitskräfte im Einsatz.)
Oftmals werden die im Ermittlungsdienst vorhandenen Arbeitsplätze als Schonarbeitsplätze (Schwangere, Rehabilitanten) genutzt. Im Interesse der personellen Verstärkung des Ermittlungsdienstes im Juni 1983 eingeleitete Maßnahmen sind nach vorliegenden Hinweisen erst von einigen Reichsbahnämtern konkret umgesetzt worden.
Auch eine durchgängige Mechanisierung des Umschlages als eine wesentliche Voraussetzung für [die] Reduzierung der Beschädigungen/Verluste im Verlade- und Transportprozess fehlt.
Dieser Umstand und das Fehlen von etwa 765 Arbeitskräften in den Beschäftigungsgruppen Lademeister, Güterbodenvorarbeiter und Güterbodenarbeiter in den Güterabfertigungen wirkt sich unter Berücksichtigung der Notwendigkeit der schrittweisen Neu- bzw. Wiedereröffnung von Tarifbahnhöfen – nachteilig auf den schadlosen bzw. verlustfreien Be- und Entladeprozess aus.
Mit zu dem Schadens- und Verlustgeschehen trugen auch von Angehörigen der Deutschen Reichsbahn begangene Straftaten bei.
Der von dieser Personengruppe dem Transportgut zugefügte Schaden beträgt im Jahr 1982 ca. 1,2 Mio. Mark und im 1. Halbjahr 1983 ca. 395 TM.
Begünstigende Bedingungen für Straftaten im Gütertransport der Deutschen Reichsbahn ergeben sich demzufolge vor allem dadurch, weil
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die Arbeits- und damit Sicherheitsbedingungen auf einer Reihe von Güterabfertigungen den neuen Erfordernissen nicht gerecht werden,
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Vernachlässigungen der Leitungs- und Aufsichtspflicht durch mittlere Kader, Arbeitskräftemangel, fehlende oder defekte Umschlagtechnik, der bauliche Zustand der Anlagen dazu führte, dass Kapazität und Leistung dieser Einrichtungen mit dem wachsenden Frachtaufkommen nicht mehr Schritt hielten,
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Stauerscheinungen im Stückgutverkehr und daraus resultierende erschwerte Arbeitsbedingungen höhere Anforderungen an die Beschäftigten hinsichtlich Einhaltung und Beachtung von Sicherheit, Ordnung und Disziplin, der Einhaltung entsprechender Betriebs- und Beförderungsbestimmungen stellen,
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die Anforderungen an den Materialeinsatz und die Konstruktion von Verpackungsmitteln im Zusammenhang mit der Verlagerung von Stückguttransporten auf den Schienenweg Veränderungen zur Folge hatten, die von den Versendern bisher noch nicht genügend berücksichtigt wurden bzw. werden konnten (z. B. halten Paletten und ähnliche Transportmittel, die für den Straßentransport geeignet waren, den Rangierstößen und Fahrterschütterungen des Bahntransportes nicht stand, sodass erhebliche Beschädigungen an ganzen Transportsendungen, u. a. an Erzeugnissen der Farben- und Lackindustrie zu Warenverlusten führen, aber auch den ungehinderten Zugriff zu diesen Transportgütern erleichtern).
In Anbetracht des Umfangs der beim Transport von Gütern durch die Deutsche Reichsbahn eingetretenen Schäden wird es im Interesse des Zurückdrängens bzw. der Verhinderung der Schäden und Verluste für erforderlich gehalten, nach Prüfung bestehender Voraussetzungen und Möglichkeiten weitergehende Maßnahmen mit der Zielstellung einzuleiten, um
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die Rolle und Verantwortung der Leiter und der Leitungen der gesellschaftlichen Organisationen der Eisenbahndienststellen der RbÄ und Rbd’en für die politische Erziehung und fachlichen Ausbildung der Beschäftigten insgesamt, insbesondere der Beschäftigten im Bereich des Güterverkehrs weiter zu erhöhen,
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auf der Grundlage der bestehenden Weisungen, Orientierungen und Dienstvorschriften die Durchsetzung von Sicherheit, Ordnung und Disziplin im Arbeitsprozess weit mehr Aufmerksamkeit zu widmen, indem besonders leitende und mittlere leitende Kader konsequenter ihre Dienstaufsichtspflicht wahrnehmen, Verstößen gegen Weisungen und Vorschriften konsequenter entgegengetreten und im gesamten Transport- und Umschlagprozess ein schadensfreies Arbeiten durchsetzen,
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die bei der Deutschen Reichsbahn vorhandenen gesellschaftlichen Potenzen für die Zurückdrängung und Überwindung von Schadenshandlungen und für das kompromisslose Auftreten gegen Arbeitsbummelei, Verstöße gegen die Arbeitsdisziplin, Unordnung und Schlamperei am Arbeitsplatz zu mobilisieren,
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die Herausbildung einer dauerhaften und perspektivvollen Personalstruktur zu gewährleisten und solche Facharbeiter zuzuführen und zu gewinnen, die entsprechend ihrem Bildungsstand, der Ausbildung, Lebenserfahrung und Einstellung zur Arbeit gute Voraussetzungen zur Veränderung der Situation besitzen und dadurch vorhandene Konzentrationen von Haftentlassenen und kriminell gefährdeten Bürgern systematisch abzubauen,
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eine Verbesserung der materiell-technischen Bedingungen für den Verlade- und Umschlagprozess (Ladetechnik und deren ständige Einsatzbereitschaft, bauliche Rekonstruktionsmaßnahmen) zu erreichen.
Zur stärkeren Zurückdrängung des von den Transportkunden zu verantwortenden Schadensumfangs sollten Möglichkeiten geprüft werden, auf der Grundlage einer ständigen Analysierung der Schadensersatzanträge nach Schwerpunktbetrieben und -gutarten eine ziel-gerichtete fachliche Unterstützung für die verladende Wirtschaft zu organisieren.
In Erwägung zu ziehen wäre auch, Erkenntnisse aus den vom Ausgleichs- und Auswertungsamt der Deutschen Reichsbahn zurückgewiesenen Schadensersatzanträgen für eine zielgerichtete Informationstätigkeit an die zuständigen Fachministerien aufzubereiten.