Reaktion der Bevölkerung auf Abrüstungsvorschläge der UdSSR
10. Januar 1983
Hinweise über Reaktionen der Bevölkerung der DDR auf die jüngsten Abrüstungsvorschläge der UdSSR und der Staaten des Warschauer Vertrages [O/113]
Hinweisen aus einer Reihe von Bezirken zufolge haben die jüngsten Abrüstungsvorschläge der UdSSR – vornehmlich die in der Rede des Generalsekretärs des ZK der KPdSU, Genossen Andropow,1 anlässlich der Festsitzung zum 60. Jahrestag der UdSSR,2 im »Appell an die Parlamente, die Regierungen, die politischen Parteien und die Völker der Welt«3 – sowie die in der Politischen Deklaration der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages4 enthaltenen Vorschläge5 große Aufmerksamkeit unter allen Bevölkerungskreisen gefunden. Sie werden ausschließlich positiv und zustimmend kommentiert.
Die Meinungsäußerungen wurden überwiegend aus politisch progressiven Personenkreisen bekannt. Bemerkenswert ist jedoch auch das Ausmaß von diesbezüglichen Äußerungen und Diskussionen von Personenkreisen, die bisher in der Regel politisch desinteressiert in Erscheinung traten.
Positive Wertungen widerspiegeln sich insbesondere in solchen Äußerungen, wie
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die UdSSR und die Warschauer Vertragsstaaten haben erneut ihren festen Friedenswillen bekundet,
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die UdSSR zeigt eine hohe Kompromissbereitschaft; das sind keine Lippenbekenntnisse, sondern das ist fester Wille zur Sicherung des Friedens;
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es ist das Bestreben erkennbar, Spannungen in der Welt abzubauen, den imperialistischen Konfrontationskurs zu vereiteln und eine Wiederbelebung des Ost-West-Dialogs zu erreichen,
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diese Vorschläge sind als konstruktive politische Reaktion auf Reagans6 Null-Variante7 zu sehen.
Häufig wird damit die Hoffnung verknüpft, dass eine möglichst weltweite Resonanz auf diese Initiative erfolgt, sich der Druck auf die USA-Regierung verstärkt und die Verhandlungen in Genf positiv beeinflusst werden.
In zahlreichen Diskussionen werden die Vorschläge des Genossen Andropow sowie die im »Appell« formulierten Forderungen und Vorschläge als kontinuierliche Weiterführung der sowjetischen Friedensinitiativen, als nahtlose Fortsetzung der vom Genossen Breschnew8 betriebenen Friedenspolitik bezeichnet. Darüber hinaus wird in einer Reihe von Argumenten betont, es sei zu erkennen, dass die jüngsten Vorschläge vom Genossen Andropow noch zwingender, nachhaltiger und mit aller Konsequenz formuliert seien als frühere Vorschläge und Appelle.
Das bestätigen solche Meinungsäußerungen, wie
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Genosse Andropow habe mit seinen Vorschlägen grundsätzlich die Kontinuität der Politik der KPdSU unter Beweis gestellt,
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noch ausdrücklicher als bisher seien die Konsequenzen der friedensgefährdenden Politik der USA und ihrer Verbündeten dargestellt worden,
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es sei neu, dass mit großer Offenheit und Klarheit aufgezeigt werde, dass die UdSSR Waffensysteme entwickelt und erprobt, die geeignet sind, eine militärische Überlegenheit des Imperialismus zu verhindern,
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dass die KPdSU unter Leitung des Genossen Andropow noch entschiedener als bisher Schritte zur Erhaltung des Friedens einleite.
In zahlreichen Meinungsäußerungen wird die Erwartung ausgesprochen, dass auf diese Vorschläge zur Erhaltung des Friedens eine Antwort seitens der USA erfolgt; die USA könne sich nicht wie bisher an den Friedensinitiativen der UdSSR »vorbeimanövrieren«. Die USA würden endgültig ihr Gesicht vor der Weltöffentlichkeit verlieren, wenn von ihnen die Vorschläge der Warschauer Vertragsstaaten nicht geprüft und beantwortet würden.
Wiederholt drückte sich in Meinungsäußerungen, besonders älterer Bürger, die Sorge über eine wachsende Kriegsgefahr aus.
Teilweise werden Vergleiche zur Zeit vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gezogen. Erinnert wird dabei an Friedensbeteuerungen aggressivster Kreise, wobei aus heutiger Sicht auf die Haltung Reagans verwiesen wird. In diesen Diskussionen wird Angst vor einem verheerenden Krieg eingestanden, verbunden mit der Auffassung, man könne selbst nur wenig tun, um den Frieden sicher zu machen.
In stärkerem Umfang ist bei Bürgern der DDR eine Anti-Reagan-Haltung festzustellen.
In Einzelfällen werden auch Zweifel an der Möglichkeit der Erhaltung und Sicherung des Friedens geäußert oder Pessimismus verbreitet. (Personen aller Bevölkerungskreise, darunter Rentner sowie kirchlich gebundene Kräfte – Bezirke Erfurt, Neubrandenburg.)
Ebenfalls in Einzelfällen wurden Argumente mit feindlich-negativer Grundaussage, offenbar in Anlehnung an Kommentare feindlicher elektronischer Massenmedien, bekannt. Darin wird der Sowjetunion unterstellt, auch sie rüste hemmungslos auf und strebe militärische Überlegenheit an, wobei davon ausgegangen wird, die Sowjetunion habe auch in Europa in größerer Anzahl atomare Sprengköpfe stationiert.
Hinweisen zufolge treten immer wieder – und in letzter Zeit verstärkt – Fragen zur weiteren Entwicklung in der VR Polen auf.9
Besorgnis gibt es dahingehend, dass der Ausnahmezustand zu früh ausgesetzt worden sei und freigelassene Feinde erneut eine große Gefahr für die Sicherheit der VR Polen bedeuten könnten.
Meinungsäußerungen beinhalten weiter, dass durch militärische Macht zwar die sozialistischen Errungenschaften geschützt worden seien, die Autorität der Partei und ihre Massenverbundenheit seien aber noch nicht wiederhergestellt. Es wären auch keine Aktivitäten seitens der polnischen Parteiführung erkennbar, die ideologischen Grundlagen für den Aufbau des Sozialismus zu festigen.
Betont wird, die gegenwärtige Entwicklung in der VR Polen – insbesondere die Aussetzung des Ausnahmezustandes und die fehlende Einflussnahme der PVAP, die Freilassung von Wałęsa10 und anderer Feinde der sozialistischen Gesellschaftsordnung, würden auch eine Reihe von Gefahren für die sozialistischen Bruderländer in sich bergen, wobei hauptsächlich angeführt werden: Die Sicherheit in der VR Polen sei nicht gegeben, da die Feinde der Volksmacht ihre Absichten nicht aufgegeben hätten und wieder aktiv würden, »Solidarność«11 illegal weiter bestehen würde und es erneut zu Unruhen kommen könnte.
Mehrfach werden Fragen gestellt, inwieweit zwischen der Partei- und Staatsführung der VR Polen und den Parteiführungen der Bruderländer Abstimmungen erfolgen und wie seitens der polnischen Führung die Ratschläge der Bruderländer beherzigt und umgesetzt würden.