Reaktion westlicher Messvertreter, Leipziger Frühjahrsmesse 1983
15. März 1983
Erste Reaktionen westlicher Messevertreter im Zusammenhang mit dem Rundgang der Partei- und Staatsführung der DDR anlässlich der Leipziger Frühjahrsmesse 1983 [O/114]
Erste Hinweise zu internen Reaktionen aus westlichen Wirtschafts-, Handels- und Finanzkreisen machen eine große Übereinstimmung mit den in den Massenmedien vorgenommenen Veröffentlichungen deutlich. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass stärker als zu vorangegangenen Messen von führenden Repräsentanten westlicher Wirtschafts-, Handels- und Finanzkreise versucht wird, eine Trennung zwischen wirtschaftlichen Beziehungen und politischen Bedingungen zum Ausdruck zu bringen. Es wird eingeräumt, dass die »Handelsbeziehungen eine wichtige Grundlage für geregelte, möglichst von Komplikationen freie politische Beziehungen darstellen«. Das dürfte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei den Geschäftsbeziehungen, insbesondere durch die gegenwärtigen komplizierten weltwirtschaftlichen Verhältnisse, »um klare rechnerische Größen Zahl um Zahl gehe«.
Wie bereits zur letzten Messe, gab es wegen rechtzeitiger Bekanntgabe des Besuchsprogramms keine entsprechenden Spekulationen über vorgesehene Standbesuche. Deshalb konzentrierte sich die volle Aufmerksamkeit auf den Besuch des Konzerns Mannesmann Demag1 und des luxemburgischen Firmenverbandes Arbed.2 Im Falle des Besuches von Arbed wurde von vornherein davon ausgegangen, dass der Aufenthalt der Parteiführung an diesem Stand in Wirklichkeit der Saarstahl/BRD gelte.
Anwesende Vertreter kleinerer und mittlerer Firmen brachten zum Ausdruck, dass sie zwar kaum selbst mit einer solchen Ehrung, die mit Besuchen im Rahmen des Rundganges verbunden sind, zu rechnen hätten, verbuchen es jedoch schon als Erfolg, wenn die Besuchswahl auf Konzerne falle, zu denen intensive Verbindungen bzw. Kapitalverflechtungen bestehen.
Nach vorliegenden internen Informationen ist einzuschätzen, dass durch die Vertreter der besuchten Konzerne bzw. Kollektivstände der kapitalistischen Industrieländer intensive Vorbereitungen getroffen wurden.
Die durch diese Vertreter den Standbesuchen beigemessene Wertung reicht von der Absolvierung einer »Höflichkeitsgeste« bis hin zu Erwartungen auf eine Verbesserung bzw. Intensivierung der Handelsbeziehungen mit der DDR.
In internen Äußerungen nach dem Standbesuch brachte Dr. Overbeck3 von Mannesmann Demag zum Ausdruck, dass die Auswahl seines Konzerns für den Besuch der Parteiführung als Anerkennung für viele Jahre relativ stabiler Beziehungen zur DDR zu werten sei. Die Geschäfte hätten zwar keine spektakulären Umsatzhöhen in der Vergangenheit erbracht, seien aber wesentlich ausbaufähig.
Es wird erwartet, dass sich die DDR zu einer stärkeren Zusammenarbeit auf dem Anlagensektor entschließen werde.
Als Hemmnis für die Ausweitung der Beziehungen werden allerdings durch die DDR zu vertretende Qualitätsprobleme, insbesondere bei Rohrlieferungen, gesehen. In diesem Zusammenhang wurde formuliert, dass durch »die DDR produzierte Rohre häufig nur Schrottwert hätten« (betrifft DDR-Lieferungen mit einem Volumen von ca. 15 Mio. VM zum Weiterverkauf in der BRD und in Drittländern als Mannesmann-Erzeugnisse).
Vertreter von Mannesmann ließen durchblicken, dass man bereit sei, das Rohrkombinat Riesa4 bei der Überwindung von Qualitätsproblemen zu unterstützen, wenn damit die Erwartung auf größere Anlagenimporte durch die DDR (u. a. Warmbandstraße Eisenhüttenkombinat Ost) verbunden werden könnte (Adjustage-Einrichtung5 für das Rohrkombinat in Riesa zur Verbesserung der Rohrqualität).
Als eine weitere Möglichkeit für die Ausweitung der Zusammenarbeit mit der DDR wird seitens in Leipzig anwesender Mitarbeiter von Mannesmann die Kooperation auf Drittmärkten angesehen.
Vorliegende Informationen weisen aus, dass die Ausführungen des Generalsekretärs des ZK der SED am Mannesmann-Stand in BRD-Wirtschafts- und Handelskreisen sehr intensiv analysiert wurden. In internen Gesprächen wurde darauf hingewiesen, dass dies auch der Fall bei führenden Politikern der BRD sei. Es habe eine große Skepsis in Bezug auf die Reaktion der Partei- und Staatsführung der DDR auf das BRD-Wahlergebnis vom 6. März6 geherrscht.
Mit Erleichterung sei aufgenommen worden – so habe man den Staatsratsvorsitzenden der DDR verstanden –, dass seitens der DDR eine echte Bereitschaft vorhanden sei, auch unter den Bedingungen der CDU/CSU/FDP-Regierung die Handelsbeziehungen zur BRD weiter auszubauen (Dr. Giesecke,7 Deutscher Industrie- und Handelstag – DIHT – Köln; Dr. Kriwet8 von Thyssen; Flohr9 von der Hoesch AG).
Als Beweis dafür, dass die DDR bereit sei, den Handel unabhängig von Fortschritten in anderen Bereichen, insbesondere in der Politik, weiter zu entwickeln, wurde die Äußerung des Genossen Honecker10 verstanden, sich auf zu Lösendes zu konzentrieren und nicht zu lösende Probleme zurückzustellen. Die erzielten Ausgangsgrößen für 1983 seien sehr günstig, es wird für realistisch gehalten, 1983 die 15 Milliarden-Grenze zu überschreiten.
Aus Kreisen der mittelständischen Industrie (z. B. der Vertreter des DIHT in Westberlin, Wetzke11) wird Unwille dahingehend geäußert, dass sich die DDR nach wie vor sehr stark auf die Konzerne konzentriere (das habe das Besuchsprogramm erneut bestätigt), ohne die Interessen kleiner und mittlerer Unternehmen genügend zu berücksichtigen. Das werde für die DDR mit Konsequenzen dahingehend verbunden sein, dass sich die Präsenz der mittelständischen Industrie zu den Leipziger Messen wesentlich reduzieren werde. Immerhin handele es sich, so wird argumentiert, bei den in Leipzig anwesenden Ausstellern bei zwei Dritteln um kleine und mittelständische Firmen und nur zu einem Drittel um Konzerne.
Im Vergleich zur letzten Messe sind Spekulationen über die Zahlungsfähigkeit der DDR deutlich zurückgegangen. Aus Bank- und Konzernkreisen wird mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass man der angekündigten Offenlegung der Zahlungssituation durch die Deutsche Außenhandelsbank große Bedeutung beimesse.12 Ein solcher Schritt hätte viel eher erfolgen sollen, um Unsicherheiten auf den Kreditmärkten im Zahlungsverkehr mit der DDR nachhaltiger zu begegnen.
Führende Vertreter der Deutschen Kredit- und Handelsbank/BRD machten in persönlichen Gesprächen deutlich, dass sie bestrebt seien, zur DDR wieder solche Beziehungen herzustellen, wie sie in den 1960er-Jahren vorherrschten. Es wurde die Bereitschaft spürbar, für Wirtschaftsobjekte eine Vorfinanzierung realisieren zu wollen. Verschiedene Vertreter der Deutschen Kredite- und Handelsbank/BRD brachten zum Ausdruck, sie seien nicht länger bereit, die Boykott- und Hochzinspolitik13 weiter zu verfolgen.
Differenziert sind die internen Kommentare zu den Äußerungen des Genossen Honecker, »mit weniger Waffen Frieden zu schaffen«.14 So wird diese Haltung als realistisch eingeschätzt und zum Ausdruck gebracht, dass sich die DDR in ihrer Zielstellung, alles für den Frieden zu tun, nicht durch die Haltung der BRD-Regierung zu den Vorschlägen für eine kernwaffenfreie Zone entmutigen lasse.15
Andererseits wird die Meinung vertreten, in dieser Äußerung komme zum Ausdruck, dass die Abrüstungsfragen auf der Ebene der NATO, des Warschauer Vertrages16 und in den Verhandlungen in Genf17 zu entscheiden seien.
In den Reaktionen auf die Standbesuche bei anderen kapitalistischen Industrieländern haben ökonomische Fragen ein deutliches Übergewicht. So konzentrierte sich die Auswertung des Besuches zum Beispiel am britischen Kollektivstand in Gesprächen eindeutig auf Erwartungen nach höheren Importen seitens der DDR.
Durch die am Stand der VÖEST18 anwesenden Persönlichkeiten Österreichs (Apfalter,19 Vorstandsvorsitzender; Dr. Staribacher,20 Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie) wurde im Anschluss an den Messerundgang zum Ausdruck gebracht, dass sich die jahrelangen stabilen Beziehungen zur DDR auszahlen würden und man der Fortsetzung dieser Beziehungen sicher sein könne.
Von Vertretern des japanischen Mitsui-Konzerns21 wurde geäußert, dass man sich auf den Besuch der Partei- und Staatsführung sehr gründlich vorbereitet habe, den erfolgten Besuch als bedeutsam insbesondere für die Öffentlichkeitsarbeit im Heimatland einschätze, aber insgesamt gelernt habe, dass damit nicht automatisch höhere Geschäftsabschlüsse verbunden seien.
Obwohl der Besuch am USA-Stand intern unterschiedlich kommentiert und teilweise als »Höflichkeitsfloskel« ausgelegt wurde, überwiegen Aussagen dahingehend, dass es als außerordentlich positiv zu werten sei, dass trotz der politisch angespannten Situation dieser Besuch erfolgt sei.
Die Visite bei der französischen Creusot-Loire-Unternehmensgruppe22 war durch das verspätete Eintreffen der Partei- und Regierungsdelegation »vorbelastet«. Dadurch war es dem neu eingesetzten und erstmalig in der DDR anwesenden Pineau-Valencienne,23 Präsident der Gruppe Empain-Schneider,24 nicht möglich, seine vorbereitete Rede zu halten. Im Unterschied zu bisherigen Gepflogenheiten waren diese Ausführungen sehr gründlich vorbereitet und erstmalig mit dem Ministerium für Außenhandel der DDR abgestimmt worden.
Wie bekannt wurde, hatte sich Pineau-Valencienne zu einer sehr positiven Haltung in seinen Worten gegenüber der DDR entschlossen, die nach vorliegenden internen Informationen im Widerspruch zu den Auffassungen ebenfalls anwesender führender Persönlichkeiten des Unternehmens Creusot-Loire standen (Mayer,25 Präsident von CLE; Saint-Loubert-Bie,26 Generaldirektor).
Aus Reaktionen westlicher Diplomaten (insbesondere aus den USA, Frankreich und Großbritannien) geht hervor, dass man überrascht war über die offene und herzliche Atmosphäre beim Besuch der Kollektiv- und Informationsstände durch die Partei- und Staatsführung der DDR.
Gleichzeitig wurde aber zum Ausdruck gebracht (besonders am britischen Informationsstand), dass »alle schönen Worte der Partei- und Staatsführung wertlos seien, wenn sie sich nicht in konkreten Verhandlungs- und Geschäftsabschlüssen niederschlagen würden, wozu man schließlich nach Leipzig gekommen sei«. Unter englischen Diplomaten wurde die Meinung vertreten, dass sich der Handel DDR – Großbritannien in den letzten Jahren einseitig zum Vorteil der DDR entwickelt habe.
Die Auffassung, dass ein »Widerspruch« bestehe zwischen dem offiziellen Auftreten der Partei- und Staatsführung und den konkreten Vertrags- und Verhandlungsabschlüssen wurde auch durch dänische Wirtschaftskreise vertreten. Es herrscht die Auffassung vor, dass die DDR nur in die westlichen Länder exportieren wolle, ohne entsprechende Importgeschäfte zu tätigen.
Akkreditierte westliche Korrespondenten äußerten sich lobend zur Organisation und den ihnen gebotenen Arbeitsmöglichkeiten.