Rechtswidrige Unterschriftensammlung
24. September 1983
Information Nr. 314/83 über eine beabsichtigte rechtswidrige Unterschriftensammlung in der DDR
Nach dem MfS vorliegenden internen Hinweisen wurde von den profilierten Vertretern der Friedensbewegung in der BRD, Oskar Lafontaine,1 Ingeborg Drewitz,2 Alfred Mechtersheimer,3 Heinrich Albertz,4 Horst-Eberhard Richter5 und Peter Brandt6 im Entwurf ein »Offener Brief von Bürgern der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik an die Abgeordneten des Bundestages« erarbeitet, der nach den Vorstellungen der Autoren mit einer Unterschriftensammlung in beiden deutschen Staaten verknüpft und im Falle des Scheiterns der Genfer Abrüstungsverhandlungen7 Gegenstand einer Bundestagsdebatte werden soll.8
Der Brief soll nach bisherigen Erkenntnissen u. a. Forderungen nach Verzicht der Stationierung von Raketen in beiden deutschen Staaten, nach Beendigung des atomaren Rüstungswettlaufes in Europa, für eine Entspannung in der Welt und »Disengagement« in Mitteleuropa enthalten (an der endgültigen Fassung des Wortlautes des Briefes wird noch gearbeitet).
Nach erfolgten ersten Abstimmungen über den durch eine Verbindungsperson an die hinlänglich als feindlich-negativ bekannten Personen Rainer Eppelmann9 und Lutz Rathenow10 überbrachten Briefentwurf und der in diesem Zusammenhang noch ausstehenden Entscheidung beider Seiten, ob zwei im Wortlaut unterschiedliche Briefe bzw. ein mit einheitlichem Text versehener Brief zur Unterschriftensammlung in der BRD und in der DDR in Umlauf gebracht werden soll, sicherten Eppelmann und Rathenow die Organisierung einer derartigen rechtswidrigen Aktion zu.
Als Unterzeichner sollen hauptsächlich »oppositionelle« und dem Umgangskreis der Genannten zuzuordnende Personen gewonnen werden.
Nach streng internen Hinweisen erfolgt das Einholen der Unterschriften konspirativ. Das Material soll auf verschiedenen Kanälen in die BRD verbracht werden.
Es ist nicht auszuschließen, dass Vertreter westlicher Massenmedien Kenntnis von diesbezüglichen Aktivitäten erhalten und sie erneut zum Anlass einer Hetz- und Verleumdungskampagne gegen die Friedenspolitik der DDR nehmen.
Zur vorbeugenden Unterbindung feindlicher Aktivitäten wird vorgeschlagen:
1. Den Staatssekretär für Kirchenfragen, Genossen Gysi,11 zu beauftragen, auf der Grundlage der als Anlage beigefügten Empfehlungen (Anlage 1) kurzfristig ein Gespräch mit dem Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Forck,12 zu führen und ihn zu veranlassen, auf Pfarrer Eppelmann unter Bezugnahme auf die am 9. September 1983 durch einen Staatsanwalt beim Generalstaatsanwalt der DDR erfolgten Belehrungen und Verwarnungen dahingegen disziplinierend einzuwirken, die erneut von Eppelmann geplanten, gegen die Friedenspolitik der DDR gerichteten Aktivitäten zu verhindern.
2. Den Abteilungsleiter im Ministerium für Kultur, Genossen Dr. Selbig,13 zu beauftragen, kurzfristig auf der Grundlade der als Anlage beigefügten Hinweise (Anlage 2)14 mit Rathenow ein Gespräch mit der Zielstellung zu führen, seine negativ-feindlichen Aktivitäten bei der Formierung einer »staatlich unabhängigen Friedensbewegung« in der DDR zu unterlassen.
Gegenstand des Gespräches sollen sein
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die Beantwortung der Eingabe Rathenows15 an das Mitglied des Politbüros, Genossen Prof. Kurt Hager,16
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die Veröffentlichung seines sogenannten Gedächtnisprotokolls in der in der BRD-Zeitschrift »Die Zeit« vom 12. August 1983 mit verleumderischem Inhalt gegen das Büro für Uhreberrechte der DDR,17
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seine Aktivitäten im Zusammenhang mit der vorgesehenen Unterschriftensammlung.
3. Den Leiter der Westabteilung des ZK der SED, Genossen Häber,18 zu veranlassen, in geeigneter Form Einfluss auf die Initiatoren der geplanten Aktion auszuüben, damit diese von dem geplanten Vorhaben einer Unterschriftensammlung durch DDR-Bürger Abstand nehmen.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage 1 zur Information Nr. 314/83
Empfehlungen für das Gespräch mit Bischof Forck/Berlin
Erneut ist es erforderlich, in einem Gespräch rechtswidrige Aktivitäten des hinlänglich bekannten Pfarrers Eppelmann/Berlin zurückzuweisen und zu unterbinden.
Eppelmann ist gegenwärtig damit befasst, Unterschriften zu sammeln und missbraucht erneut seine Tätigkeit als Pfarrer für politische Zielstellungen, die sich gegen die Friedenspolitik der DDR richten. Er mischt sich wiederum in Angelegenheiten ein, die nicht in seine Kompetenz fallen.
Der Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzende des Staatsrates der DDR, Genosse Honecker,19 und weitere führende Repräsentanten der DDR haben die Friedenspolitik der DDR und der anderen sozialistischen Staaten umfassend und eindeutig vor der Weltöffentlichkeit erläutert und ihre Bereitschaft zu konstruktiven Lösungen unter Beweis gestellt. Die Haltung der Regierung der DDR ist somit auch in der BRD hinreichend bekannt. Es bedarf daher keiner rechtswidrigen Aktivitäten wie die des Pfarrers Eppelmann, der das sachliche und sich weiter positiv entwickelnde Verhältnis zwischen Staat und Kirche in der DDR ständig belastet und in Misskredit bringt.
Bischof Forck ist aufzufordern, die Unterschriftensammlung des Eppelmann zu unterbinden und ihn endlich unter Beachtung des zuletzt mit ihm geführten Gesprächs zu disziplinieren.
Anlage 2 zur Information Nr. 314/83
Hinweise für ein Gespräch des Abteilungsleiters im Ministerium für Kultur, Genossen Dr. Selbig, mit Lutz Rathenow
Gen. Dr. Selbig sollte einleitend den Eingang der Eingabe Rathenows an Gen. Prof. Kurt Hager bestätigen sowie ihm mitteilen, dass er mit deren Beantwortung zuständigkeitshalber beauftragt wurde.
Ausgehend vom Inhalt der Eingabe ist hervorzuheben, dass sich Gen. Dr. Selbig beim Generalstaatsanwalt der DDR sowie der Zollverwaltung der DDR sachkundig gemacht hat.
Im Ergebnis dessen ergibt sich eindeutig, dass Rathenow bereits in der mit ihm am 12.7.1983 durch einen beauftragten Staatsanwalt des Generalstaatsanwaltes der DDR geführten Aussprache ausführlich auf die tatsächliche Rechtslage hingewiesen wurde.
Gleichzeitig ergaben die geführten Rücksprachen, dass die von ihm in seiner Eingabe benannten DDR-Bürger, die im Zusammenhang mit der erfolgten selbstständigen Einziehung von Exemplaren des Buches »Zangengeburt«20 unmittelbar betroffen wurden, über ihre Rechte belehrt worden sind.
Ausgehend von den Befugnissen des Büros für Urheberrechte ist nochmals festzustellen, dass die Genehmigung des Büros für Urheberrechte zur Veröffentlichung von Publikationen im Ausland eine urheber- und devisenrechtliche Genehmigung ist und nicht die zollrechtliche Genehmigung für die Einfuhr von Druckerzeugnissen einschließlich von Belegexemplaren beinhaltet.
Die Einfuhr von Schriften ist nach den zollgesetzlichen Bestimmungen nur auf der Grundlage entsprechender Genehmigungen möglich. Derartige Genehmigungen liegen der Zollverwaltung der DDR nicht vor und wurden von ihr auch nicht erteilt, sodass durch die Sicherheitsorgane auf dem Territorium der DDR aufgefundene Exemplare der Einziehung unterliegen.
Es ist festzustellen, dass Rathenow, wie die geführte Rücksprache weiter ergab, in der Aussprache seitens des beauftragten Staatsanwaltes in aller Konsequenz auch darauf hingewiesen wurde, sich in seinem persönlichen Verhalten von den für jeden Bürger der DDR verbindlichen gesetzlichen Bestimmungen der DDR leiten zu lassen und sich insbesondere nicht an Handlungen zu beteiligen, die dazu dienen, die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR im Ausland zu diskriminieren.
Mit der am 12.8.1983 in der BRD-Zeitschrift »Die Zeit« erfolgten Veröffentlichung eines sogenannten Gedächtnisprotokolls über ein im Jahre 1980 mit Rathenow im Büro für Urheberrechte geführtes Gespräch hat er sich über diese ihm erteilte Belehrung in grober Weise hinweggesetzt.
Die in der Veröffentlichung enthaltenen Angriffe Rathenows gegen die Kulturpolitik der DDR, die Verleumdungen der Arbeitsweise des Büros für Urheberrechte und das vorsätzliche Zusammenwirken Rathenows mit einem kapitalistischen Publikationsorgan gegen die DDR sind energisch und konsequent zurückzuweisen.
Rathenows gegenwärtige Aktivitäten im Zusammenwirken mit Kräften im Ausland zur Formierung einer sogenannten staatlich unabhängigen Friedensbewegung in der DDR, insbesondere Handlungen zur rechtswidrigen Sammlung von Unterschriften, Vornahme von Veröffentlichungen, Organisierung und Teilnahme an Zusammenkünften, dienen ausschließlich dazu, westlichen Medien Anlässe zu Angriffen gegen die Friedens- und Verteidigungspolitik der DDR zu verschaffen.
Rathenow ist darauf hinzuweisen, dass zur Artikulierung des Friedenswillens der Bürger der DDR und ihres Staates keine gesetzwidrigen Aktivitäten geduldet werden. Die DDR und der Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzende des Staatsrates persönlich unternehmen alles zur Erhaltung und Sicherung des Friedens und haben den Standpunkt der DDR und ihrer Bürger zu den Grundfragen der Existenz der Menschheit umfassend und eindeutig vor der Weltöffentlichkeit dargelegt.
Abschließend ist Rathenow unmissverständlich zu erklären, dass bei Fortsetzung seiner politisch-negativen und rechtswidrigen Aktivitäten und Verhaltensweisen keine Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit seitens des Ministeriums für Kultur und seiner nachgeordneten Einrichtungen bestehen.