Situation in den Brikettfabriken
10. Januar 1983
Information Nr. 26/83 über die gegenwärtige Situation in den Brikettfabriken der Braunkohlenindustrie der DDR
Die hohe Anzahl von Havarien, Störungen und Bränden in Brikettfabriken der Braunkohlenindustrie der DDR besonders in den Jahren 1980 bis 1982 (68 Vorkommnisse mit z. T. beträchtlichen Personen- und Sachschäden) waren Anlass für die Durchführung entsprechender gemeinsamer Untersuchungen bzw. Prüfungsmaßnahmen durch staatliche Kontrollorgane, Organe der Deutschen Volkspolizei und des MfS.
Im Ergebnis dieser Untersuchungen bzw. Prüfungsmaßnahmen vor allem zu den Ursachen und begünstigenden Bedingungen der Vorkommnisse in Brikettfabriken wurden folgende wesentliche Feststellungen getroffen:
Die Bausubstanz der Brikettfabriken weist einen schlechten Zustand auf. Die technischen Ausrüstungen und Anlagen unterliegen einem hohen Verschleißgrad. Das ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass der Bau- und Erhaltungszustand der Anlagen und Betriebseinrichtungen der meisten Brikettfabriken im zurückliegenden Zeitraum nicht wesentlich verbessert werden konnte. Die hohe Reparaturanfälligkeit der überalterten Anlagen und Betriebseinrichtungen wirkte sich einschränkend auf die Produktions- und Anlagensicherheit aus. Aufgrund des hohen Betriebsalters der Bauwerke und Einrichtungen der überwiegenden Zahl der 49 produzierenden Brikettfabriken (durchschnittlich 65 bis 70 Jahre) nimmt der Instandhaltungsaufwand progressiv zu, sodass eine planmäßige, vorbeugende Instandhaltung aus Kapazitätsgründen nur schwer realisierbar ist.
Zu einem neuralgischen Punkt in den Brikettfabriken hat sich der mangelhafte Zustand der Entstaubungsanlagen entwickelt. Der Bedarf an derartigen Anlagen für den Ersatz verschlissener Aggregate kann durch die Zulieferindustrie nicht gedeckt werden. Die dafür vorhandenen Projektierungskapazitäten entsprechen ebenfalls nicht den Anforderungen. Der schlechte Zustand der Entstaubungsanlagen hat unmittelbare negative Auswirkungen auf den Betriebsablauf, die Sauberkeit, vor allem der Brikettpressen, der Trockner und der Rohkohleaufbereitungsanlagen sowie auf die Brand- und Explosionssicherheit und die Umwelt.
Trotz der Bedeutung einer ordnungsgemäßen Entstaubung wurde bei der Erneuerung der Entstaubungsanlagen der im »Beschluss über die Grundlinie der Entwicklung der Braunkohlenindustrie im Zeitraum 1981 bis 1985 und bis 1990«1 des Politbüros des ZK der SED vom 24. März 1981 für die Jahre 1981 und 1982 vorgesehene Wertumfang in Höhe von 42 Mio. Mark lediglich mit 17,8 Mio. Mark realisiert. (Von dem für den Zeitraum 1981 bis 1985 vorgesehenen Gesamtwert in Höhe von 120 Mio. Mark erfolgte die Bilanzierung lediglich in einer Höhe von 47 Mio. Mark.)
Infolge der unzureichenden Realisierung von Rekonstruktionsmaßnahmen in den Brikettfabriken – insbesondere durch die ungenügende materiell-technische Sicherstellung – arbeitet gegenwärtig die Mehrzahl der Brikettfabriken auf der Grundlage von Sonderregelungen und Ausnahmegenehmigungen, die von der Obersten Bergbehörde zum Betreiben der Anlagen befristet erteilt wurden und die in der Regel Abweichungen von den in der Arbeits- und Brandschutz-Anordnung 125/2 festgelegten Normen darstellen.2
Es sind Fälle bekannt geworden, in denen Brikettfabriken bzw. Braunkohlenkombinate für befristete Ausnahmeregelungen Terminverlängerungen bis 1986 beantragen mussten.
(Von im Jahre 1980 noch bestandenen 201 Sonderregelungen konnten im Jahre 1981 lediglich insgesamt 44 nach Erfüllung erteilter Auflagen aufgehoben werden.)
In den Brikettfabriken der Braunkohlenindustrie der DDR herrscht akuter Arbeitskräftemangel, die Qualifikation der Werktätigen ist teilweise unzureichend.
Die aus der Überalterung der Mehrzahl der Brikettfabriken resultierenden Probleme hinsichtlich der Produktionssicherheit sowie des Gesundheits- und Arbeitsschutzes wirken sich zunehmend negativ auf die Arbeitskräftesituation und in Abhängigkeit davon auf den Qualifizierungsstand der Werktätigen aus.
In vielen Brikettfabriken kann der Arbeitskräfteplan seit Jahren nicht erfüllt werden und es herrscht eine permanente Unterbesetzung.
Ursächlich dafür sind offensichtlich die geschilderten Bedingungen, die einschließlich der Entlohnung keinen Anreiz für die Aufnahme einer Tätigkeit in diesen Betrieben bieten. Darüber hinaus ist in einer Reihe von Brikettfabriken eine hohe Fluktuation sowohl von ingenieurtechnischem Personal als auch von Facharbeitern zu verzeichnen, wodurch die Bildung von Stammbelegschaften außerordentlich erschwert wird. Weiterhin ist zu beachten, dass der Anteil ehemaliger straffälliger Personen in den Brikettfabriken bis zu 20 % beträgt.
Ausgehend von dieser Arbeitskräftelage ist unter anderem erklärbar, dass der überwiegende Teil der aufgetretenen Störungen in den Brikettfabriken subjektiven Charakter trägt. Das zeigt sich besonders
- –
in der Nichtbeachtung bestehender Vorschriften und Bedienungsanweisungen,
- –
in der psychischen, physischen bzw. fachlichen Überforderung der Werktätigen sowie
- –
in unerlaubten Handlungen, Disziplinverstößen u. a.
Die Situation in den Brikettfabriken der Braunkohlenindustrie ist von einer ungenügenden Leitungstätigkeit gekennzeichnet. Es zeigte sich, dass selbst leitende und mittlere leitende Kader in den Brikettfabriken nicht immer im notwendigen Maße die betrieblichen Bestimmungen und Weisungen zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung kennen und gegenüber den Werktätigen durchsetzen bzw. deren Umsetzung im Produktionsprozess kontrollieren.
Auseinandersetzungen mit Werktätigen bei Verletzungen von Arbeitspflichten und der Arbeitsdisziplin werden oftmals nicht mit der notwendigen Konsequenz geführt, wobei allerdings die geschilderte angespannte Arbeitskräftesituation keine unwesentliche Rolle spielen dürfte.
Es ist weiter einzuschätzen, dass ein Teil der Leiter sich offensichtlich mit der materiell-technischen und kadermäßigen Situation im Betrieb bzw. Verantwortungsbereich abgefunden hat und nicht mit der erforderlichen Initiative zur Veränderung der jeweiligen Situation beiträgt.
Auf die dargestellte Gesamtsituation in den Brikettfabriken wurde bereits mehrfach, unter anderem auf Veranlassung des Ministeriums für Staatssicherheit, durch staatliche Organe und Kontrollorgane aufmerksam gemacht.
Ausgehend von diesen bereits seit Jahren bestehenden Situation erhielt der Minister für Kohle und Energie in den Jahren 1979 bis 1980 durch die Partei- und Staatsführung den Auftrag, die notwendigen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Verbesserung der Situation in den Brikettfabriken entsprechend den materiell-technischen und kadermäßigen Möglichkeiten der Bereiche des Ministeriums für Kohle und Energie und der Zulieferindustrie vorzuschlagen und zu veranlassen.
Im Ergebnis der Realisierung dieses Auftrages wurden entsprechende Beschlüsse des Politbüros des ZK der SED bzw. des Präsidiums des Ministerrates der DDR gefasst, die zur Veränderung der entstandenen Situation beitragen sollten.
So wurden z. B. im Beschluss des Politbüros des ZK der SED vom 24. März 1981 zur Gewährleistung des Weiterbetriebes aller Brikettfabriken und der Versorgung der Bevölkerung sowie zur Deckung des steigenden Energiebedarfes der Volkswirtschaft der DDR unter anderem nachstehende Maßnahmen festgelegt:3
1. Bereitstellung von Ausrüstungen im Zeitraum 1981 bis 1985:
- –
mechanische und elektrische Entstaubungsanlagen im Wert von 120 Mio. M,
- –
Brikettpressen: 120 Stück,
- –
Röhrentrockner: 41 Stück.
Im Rahmen der Abstimmung mit der Staatlichen Plankommission, dem Ministerium für Schwermaschinenbau und Anlagenbau und dem Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik erfolgte unter Zugrundelegung der volkswirtschaftlichen Möglichkeiten eine Bedarfsminimierung bei Brikettpressen auf 79 Stück und bei Röhrentrocknern auf 17 Stück. (Davon sind bisher lediglich 34 Stück Brikettpressen und 6 Stück Röhrentrockner vertraglich gesichert.)
2. Neubau der Brikettfabrik Süd im VEB Gaskombinat Schwarze Pumpe mit einer Gesamtkapazität von 4,4 Mio. t/a Briketts (ca. 8 % der Leistung aller Brikettfabriken) – Inbetriebnahme der ersten Baustufe im Jahre 1985 und Abschluss des Endausbaus im Jahre 1988.
Mit der Errichtung dieser neuen Kapazität sollen Voraussetzungen für die geplante Stilllegung einiger Brikettfabriken im Zeitraum 1986 bis 1990 geschaffen werden, deren Weiterbetrieb infolge Überbaggerung, des Ausgehens der Bekohlungsbasis und des beträchtlichen Verschleißgrades zunehmend unökonomisch wird.
Unter Berücksichtigung der gegenwärtigen volkswirtschaftlichen Möglichkeiten und des erreichten Standes der materiell-technischen Sicherstellung wurden zur Fortführung des Rekonstruktionsprogramms für die Brikettfabriken im Jahre 1983 durch das Präsidium des Ministerrates der DDR durch einen entsprechenden Beschluss vom 9.12.1982 unter anderem folgende Festlegungen getroffen:4
Für den Ersatz verschlissener Hauptausrüstungen sind 18 Stück Brikettpressen (bisher acht Stück in Bilanzen eingeordnet) und Entstaubungsanlagen im Wert von 17 Mio. Mark vorgesehen.
(Bis zum jetzigen Zeitpunkt wurden Entstaubungsanlagen lediglich im Wert von 9,34 Mio. Mark bilanziert, darüber hinaus erfolgte durch das Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik die Mitteilung, dass nur Anlagen im Wert von ca. drei Millionen Mark geliefert werden können.)
Der Neubau der Brikettfabrik Süd im VEB Gaskombinat Schwarze Pumpe wird um zwei Jahre verschoben. (Dadurch müssen die zur Stilllegung vorgesehenen Brikettfabriken weiterbetrieben werden.)
Ausgehend von den Neufestlegungen zur Rekonstruktion bzw. zum Neubau von Brikettfabriken wird im Beschluss vom 9. Dezember 1982 darauf hingewiesen, dass sich durch diese Neuregelungen das vorgesehene Rekonstruktionsprogramm verzögert und dadurch das vorhandene Produktionssicherheitsrisiko im Wesentlichen bestehen bleibt.