Stand und Probleme, Ausbildung libyscher Bürger
21. September1983
Information Nr. 309/83 über den Stand der Vertragsrealisierung zur Ausbildung libyscher Bürger in der DDR und dabei erneut auftretende Probleme
Durch das MfS wurde in der Information Nr. 96/83 vom 14.3.1983 über vorliegende Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Vertragsrealisierung zur Ausbildung libyscher Bürger in der DDR und dabei auftretende Probleme informiert.
Das Präsidium des Ministerrates der DDR hat am 24. März 1983 entsprechende Beschlüsse zur straffen Leitung der erforderlichen Maßnahmen durch die zuständigen zentralen und örtlichen Staatsorgane gefasst.1
Dem MfS wurden zwischenzeitlich weitere, die Vertragsrealisierung gefährdende Umstände bekannt, über die nachfolgend informiert wird.
Die mit der Militärischen Industrieorganisation (MIO) der Sozialistischen Libyschen Arabischen Volksjamahiriya (SLAVJ)2 vertraglich vereinbarte Ausbildung libyscher Bürger wurde in der 1. und 2. Etappe (Anreise von insgesamt 1 000 libyschen Bürgern in der Zeit von Oktober 1981 bis zum April 1982) mit geringfügigen Verzögerungen planmäßig realisiert.
Die in der 3. Etappe ab September 1982 vorgesehene Anreise von weiteren 400 libyschen Bürgern ist bisher noch nicht erfolgt.
Nach vorliegenden Hinweisen können die im Verlauf der Vertragsrealisierung von der MIO verschiedentlich erhobenen Forderungen – insbesondere Durchführung eines auf etwa vier bis fünf Monate begrenzten Betriebspraktikums in Betrieben der Speziellen Produktion in Vorbereitung des nach Ausbildungsabschluss in der DDR vorgesehenen Einsatzes der libyschen Bürger in mittlere Leitungsfunktionen der Verteidigungsindustrie der SLAVJ – und deren Nichtrealisierung seitens zuständiger staatlicher und wirtschaftsleitender Organe im Zusammenhang mit ihrer bisherigen Nichtanreise stehen.
Wie weiter dazu bekannt wurde, drängt die MIO; der SLAVJ seit etwa Dezember 1982 verstärkt auf eine verbindliche Zusage der DDR für die Durchführung eines vier- bis fünfmonatigen Praktikums in DDR-Betrieben der Speziellen Produktion.
Die MIO macht von einer diesbezüglichen Zusicherung der DDR die weitere Einhaltung des Vertrages vom 15. Juni 19813 (Gesamtpreis von 85 Mio. US-Dollar) abhängig und stellt bei der Gewährleistung der geforderten Ausbildungsziele weitere Verträge für die Ausbildung libyscher Bürger zu ähnlichen vorteilhaften ökonomischen Bedingungen in Aussicht.
Die von der MIO geforderte verbindliche Zusage wurde vonseiten der DDR bisher nur ausweichend, in abschlägigem Sinne beantwortet.
Eine von der DDR der libyschen Seite angebotene Variante, in Betrieben der Speziellen Produktion der SLAVJ die betriebspraktische Ausbildung der libyschen Bürger mit Unterstützung geeigneter Fachkader der DDR fortzusetzen und abzuschließen, wird von dieser strikt abgelehnt.
Von libyscher Seite wird der ablehnende Standpunkt damit begründet, dass in der SLAVJ sich die Produktionsstätten der Speziellen Produktion erst im Aufbau befinden und es bestünden deshalb objektiv keine Möglichkeiten, für diese in der DDR ausgebildeten libyschen Kader ein Betriebspraktikum durchzuführen. (Wie intern dazu auch aufmerksam gemacht wurde, widerspricht es allen Regeln und Erfahrungen der Berufsausbildung in der DDR, die theoretische und praktische Berufsausbildung zu trennen.)
Auch in einem Gespräch des Mitglieds des Politbüros und Präsidenten der Volkskammer der DDR, Genossen Sindermann,4 mit dem libyschen Ministerpräsidenten, Jalloud,5 anlässlich des Aufenthaltes einer Delegation der DDR zum libyschen Nationalfeiertag waren Probleme zum Stand der Vertragsrealisierung Gegenstand der Erörterung, wobei zu erkennen war, dass die Ausbildung libyscher Bürger in Betrieben der Speziellen Produktion Dreh- und Angelpunkt weiterer Verhandlungen bleiben wird.
Die libysche Seite verwies darauf, dass mit der Ungarischen VR ein ähnlicher Vertrag bestehe, der die praktische Ausbildung libyscher Bürger in Betrieben der Speziellen Produktion der Ungarischen VR einschließe.
Es sei deshalb unverständlich, dass die DDR bisher keinen Weg gefunden habe, den Forderungen der libyschen Seite nach betriebspraktischer Ausbildung bei der Herstellung von Einzelteilen für die Maschinenpistole »Kalaschnikow« zu entsprechen. (Zur Bekräftigung dieses Standpunktes wurde von libyscher Seite auch auf die Lieferung moderner Panzer vom Typ T 62 durch die ČSSR aufmerksam gemacht.)
In den für die Vertragsrealisierung verantwortlichen zentralen staatlichen Organen, insbesondere in den Ministerien für Allgemeinen Maschinenbau, Landmaschinen- und Fahrzeugbau, für Werkzeug- und Verarbeitungsmaschinen und für Nationale Verteidigung, bestehen unterschiedliche Auffassungen und Standpunkte über die Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit einer praktischen Ausbildung libyscher Bürger in Betrieben der Speziellen Produktion der DDR, die letztlich die Herbeiführung notwendiger zentraler Entscheidungen über das zweckmäßigste Vorgehen zur Gewährleistung einer den libyschen Forderungen weitestgehend entsprechenden Vertragsrealisierung erschweren bzw. zeitlich verzögern.
In Anbetracht der geschilderten Situation wird vorgeschlagen, unverzüglich die betreffenden staatlichen Organe zu veranlassen, eine kurzfristige Entscheidung über die Möglichkeiten und Bedingungen für die berufspraktische Ausbildung libyscher Bürger in Betrieben der Speziellen Produktion herbeizuführen und diese Entscheidung der libyschen Seite mitzuteilen.