Störung Elektroenergieversorgung VEB Leuna-Werke »Walter Ulbricht«
6. Januar 1983
Information Nr. 21/83 über eine Störung der Elektroenergieversorgung im VEB Leuna-Werke »Walter Ulbricht« Merseburg, [Bezirk] Halle
Am 3. Januar 1983, gegen 14.45 Uhr, kam es durch eine Fehlschaltung in der Schaltzentrale der Betriebsdirektion Energiewirtschaft des VEB Leuna-Werke zu einer Störung der Elektroenergieversorgung in den Betriebsbereichen Sauerstoffproduktion, Öldruckvergasung und Gastrennanlage I.
Dadurch gingen die Anlagen in diesen Bereichen außer Betrieb. Infolge dieser Energiestörung im VEB Leuna-Werke mussten die Sauerstofflieferungen nach Buna und die Methanlieferungen nach Bitterfeld eingestellt werden. Das führte im VEB Chemische Werke Buna zum Ausfall der Äthylenoxidanlage und im VEB Chemisches Kombinat Bitterfeld zum Ausfall der Methanchlorierung.
Gegen 15.45 Uhr konnten alle ausgefallenen Anlagen im VEB Leuna-Werke zum Wiederanfahren freigegeben werden. Nach Einschätzung der Kombinatsleitstelle des VEB Leuna-Werke kann der entstandene Produktionsausfall in wenigen Tagen aufgeholt werden. Das trifft lt. Auskunft des Ministeriums für Chemische Industrie auch für die Produktionsausfälle in Buna und Bitterfeld zu.
Wie die geführten Untersuchungen ergaben, ist die Fehlschaltung infolge von Pflichtverletzungen verursacht worden. Dazu im Einzelnen:
Nach Beendigung planmäßiger vorbeugender Instandsetzungsarbeiten an einem 30-kV-Leistungsschalter hat der Reparaturelektriker, [Name 1, Vorname] (24), Mitglied der SED, seit 1979 Schaltanlagenmonteur im VEB Leuna-Werke, die betreffende Schaltzelle mit nicht ordnungsgemäß ausgefülltem Rückgabeschein an die nicht übernahmeberechtigte Schaltelektrikerin, [Name 2, Vorname] (23), seit 1979 in dieser Tätigkeit im VEB Leuna-Werke, übergeben.
Dem [Name 1] ist bekannt, dass er den Abschluss der Arbeiten an den vorgesetzten Reparatur-Ingenieur zu melden hat, der die Beendigung der Arbeiten mit Unterschrift bestätigen muss und der seinerseits mit Unterschrift die Schaltzelle an den Schichtleiter der Schaltzentrale zu übergeben hat. Das ist jedoch durch [Name 1] in der vorgeschriebenen Weise nicht erfolgt. Stattdessen hatte er die [Name 2] bedrängt, die Schaltzelle zu übernehmen und Schalthandlungen durchzuführen, woran er sich unberechtigterweise selbst beteiligte.
Die [Name 2] (besitzt Schaltberechtigung 2, die nicht zum alleinigen bzw. selbstständigen Schalten berechtigt) hat in Übertretung ihrer Befugnisse sich durch ihr Verhalten und Handeln selbst als sogenannte Schaltkommandostelle eingesetzt und Schalthandlungen an der betreffenden Zelle ohne Schaltbefehl durchgeführt. Während der Schalthandlungen machte sie eine Reihe Fehler. Sie führte die Schalthandlung entgegen den bestehenden Vorschriften ohne den erforderlichen zweiten Schaltelektriker selbstständig aus, verschloss die Gittertür der Schaltzelle nicht und baute die für die Reparaturarbeiten notwendige Erdungs- und Kurzschlusseinrichtungen aus der Zelle nicht aus. Bei der Zuschaltung des 30-kV-Leistungsschalters kam es dabei zu einem Kurzschluss, wodurch Sachschaden an dieser Schaltzelle in Höhe von ca. 1 000 Mark entstand.
Die [Name 2] hatte nach Übernahme der Schaltzelle den Dispatcher in der Netzbefehlsstelle, [Name 3, Vorname] (39), Mitglied der SED, seit 1964 als Schaltberechtigter in den Leuna-Werken tätig, telefonisch davon unterrichtet. [Name 3] bestätigte die Übernahme und die Schalthandlungen entgegen den Vorschriften bzw. unter Verletzung seiner Pflichten. [Name 3] hätte der [Name 2] die Übernahme und die Schalthandlungen untersagen und sie belehren müssen, dass ihr Vorgesetzter Schaltbefehle zu beantragen hat. (Jede Schalthandlung muss gemäß den bestehenden Weisungen bei der Netzbefehlsstelle beantragt werden.)
[Name 3] verfügt über langjährige Berufserfahrungen als Schaltelektriker und befindet sich gegenwärtig in der Qualifizierung zum Ingenieur. Sein Einsatz in der Netzbefehlsstelle erfolgte aufgrund von Dispatchermangel und zum Zwecke der Qualifizierung als Dispatcher. In seiner Eigenschaft als Dispatcher ist er für die Bestätigung von Schalthandlungen hauptverantwortlich.
[Name 3] verursachte bereits in der Vergangenheit Fehlschaltungen, wodurch in einem Fall ein Produktionsausfall von 600 TM eintrat. Das im Zusammenhang damit gegen [Name 3] durch die Deutsche Volkspolizei eingeleitete Ermittlungsverfahren war eingestellt worden, da keine Kausalität zwischen seinen Handlungen und den Folgen nachgewiesen werden konnte. Es war bei diesen Untersuchungen herausgearbeitet worden, dass außerdem eine Reihe von Sicherheitseinrichtungen nicht funktionsfähig waren.
Die Untersuchungen zur Energiestörung am 3. Januar 1983 werden im engen Zusammenwirken mit einer betrieblichen Untersuchungskommission intensiv fortgesetzt. In Abhängigkeit vom Ergebnis wird über die Einleitung strafprozessualer Maßnahmen gegen [Name 3] entschieden. Der staatlichen Leitung wurde empfohlen, gegen die anderen beteiligten Personen disziplinarische Maßnahmen einzuleiten. Des Weiteren werden im Ergebnis der geführten Untersuchungen der staatlichen Leitung konkrete Hinweise zur Verbesserung des Betriebsregimes in der Betriebsdirektion Energiewirtschaft gegeben.