Tagung katholische Berliner Sicherheitskonferenz
23. Dezember 1983
Information Nr. 439/83 über die Tagung der katholischen Berliner Bischofskonferenz am 5./6. Dezember 1983 in der Hauptstadt der DDR, Berlin
Am 5. und 6. Dezember 1983 trat im Bernhard-Lichtenberg-Haus in der Hauptstadt der DDR, Berlin, die Berliner Bischofskonferenz zu einer planmäßigen Tagung zusammen.
Nach dem MfS streng intern vorliegenden Informationen berichtete Kardinal Meisner1 (Berlin) im Verlaufe der Tagung über sein Gespräch mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR, Genossen Gysi,2 am 28. November 1983.
Meisner äußerte, dass er um dieses Gespräch gebeten hatte, um in einigen wichtigen Fragen erneut die Standpunkte der katholischen Kirche deutlich machen zu können. Das betraf vorrangig Vorstellungen der katholischen Kirche zu wehrpolitischen Fragen, wie z. B., dass Frauen nicht in den Wehrdienst einbezogen werden sollten3 und dass auch den Reservisten die Möglichkeit eingeräumt sein müsste, sich für die weitere Ableistung des Wehrdienstes ohne Waffe entscheiden zu können4 sowie Fragen der kommunistischen Erziehung, der Benachteiligung katholischer Christen in der Schule und in der Wahl eines Berufes.
Staatssekretär Gysi habe darauf verwiesen, dass alle sozialistischen Bildungseinrichtungen streng nach den Verfassungsgrundsätzen zu handeln haben. Er hätte sich jedoch bereit erklärt, solche Fragen und Probleme – auch gebündelt – zur Klärung entgegenzunehmen, wo es nach Auffassung der Bischöfe Verfassungsverletzungen gäbe.
Zur Frage des Reservistenwehrdienstes habe Staatssekretär Gysi eine Prüfung generell mit der Begründung abgelehnt, ein Aufwerfen dieser Frage würde die Wehrpflicht in der DDR überhaupt infrage stellen.
In der Diskussion zu diesem Punkt aus dem Bericht von Kardinal Meisner äußerten die anwesenden Bischöfe, derartig anstehende Probleme und weitere Sachfragen regelmäßig an die Regierung der DDR heranzutragen. Aufgegriffen wurde der Vorschlag, festgestellte angebliche Benachteiligungen katholischer Christen Kardinal Meisner mitzuteilen und den Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR davon in Kenntnis zu setzen. (Vorerst wurde davon Abstand genommen, das Problem Wehrdienst von Theologiestudenten in den Priesterausbildungsstätten an die Regierung der DDR heranzutragen. In dieser Frage solle erst die Reaktion der Wehrkreiskommandos abgewartet werden.)
Bischof Huhn5 (Görlitz) informierte in diesem Zusammenhang über Gespräche mit kirchenleitenden Personen der evangelischen Kirche in der DDR, in deren Ergebnis ihm bekannt wurde, dass diese Personen intensiv bemüht sind, unmittelbare Gespräche mit den Organen der Volksbildung in der DDR zu führen und auf dieser Ebene bestimmte Grundsatzfragen zu behandeln.
Ferner wurde von den Bischöfen festgestellt, dass es bei evangelischen und katholischen Christen gleiche oder ähnliche Probleme bezogen auf die Benachteiligung gäbe. So erklärte Bischof Wanke6 (Erfurt), Eltern katholischen und evangelischen Glaubens hätten Schwierigkeiten, in den Elternaktivs an den Schulen mitzuarbeiten und würden dort hinausgedrängt.
Zustimmung fand die Absicht Kardinal Meisners, den Bischöfen und den katholischen Christen aktiv behilflich zu sein, ihre sich aus internationalen Dokumenten und den Gesetzen der DDR ergebenden Rechte besser zu begreifen und durchzusetzen. Zu diesem Zweck beabsichtigt Kardinal Meisner, Aussagen, die sich auf die Rechte der Ausübung religiöser Freiheiten beziehen, u. a. aus solchen Völkerrechtsdokumenten wie der UN-Charta sowie aus dem innerstaatlichen Recht der DDR zusammenzustellen.
Zum Vorschlag Kardinal Meisners, jährlich den katholischen Gläubigen die Position der katholischen Kirche zu bestimmten Fragen, wie z. B. der Jugendweihe,7 kundzutun, wurde keine Entscheidung getroffen. (Den Bischöfen bleibt überlassen, ob und wie sie diese Anregung in ihren Amtsbereichen verwirklichen.)
Bischof Meisner berichtete der Bischofskonferenz, dass er in seinem Gespräch mit Staatssekretär Gysi weiter anstehende Sachfragen erörtert habe. So habe er den Vorschlag unterbreitet, Ordensjubiläen analog wie Ehejubiläen zu behandeln und als Antragsgrund für Reisen in nichtsozialistische Staaten und nach Westberlin durch die staatlichen Organe der DDR zu akzeptieren.8 Ferner habe er auf notwendige Veränderungen in der Tarifgestaltung bei Mitarbeitern des »St.-Benno-Verlages« in Leipzig hingewiesen. Weiter habe er angeregt, anlässlich der Jugendwallfahrt im Rahmen des außerordentlichen Heiligen Jahres vor Ostern 1984 nach Rom auch 15 Jugendlichen aus der DDR die Genehmigung zur Reise zu erteilen.9
Zu den aufgeworfenen Sachfragen wäre ihm durch den Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR eine Prüfung zugesagt worden.
Meisner bezeichnete das gesamte Gespräch als sehr nützliche und gute Basis für die kontinuierliche Weiterführung der loyalen Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Staat. Er hätte die genannten Fragen freimütig und in aller Deutlichkeit darlegen können und habe auch genauso offene Antworten erhalten. So wären die gegenseitigen Standpunkte »ohne Herumzureden« zur Sprache gebracht worden, und das sei positiv zu bewerten.
Meisner verwies ferner auf die Veröffentlichung der gemeinsam vereinbarten Pressemitteilung am 29. November 1983 über das Gespräch, in der »vor aller Öffentlichkeit der Hirtenbrief vom 2. Januar 198310 als Friedenshirtenbrief«11 bezeichnet wurde. Damit seien frühere Veröffentlichungen zu diesem Hirtenbrief (ND vom 7.1.1983)12 gegenstandslos und es gelte, diese Feststellung in der Friedensproblematik zu beachten.
Im weiteren Verlauf der Tagung teilte Kardinal Meisner der Bischofskonferenz mit, dass es einen Vorschlag des Leiters der kirchlichen Kommission für Friedensarbeit, Monsignore Grande13 (Dresden), gäbe, wonach in den Gottesdiensten am 1. Januar (katholischer Weltfriedenstag) die Kerze als Licht des Friedens stärker genutzt werden solle. Die Bischofskonferenz stimmte diesem Vorschlag zu, hob aber hervor, dass es hierzu keine »Aktivitäten der Bischofskonferenz« geben könne. In den Gottesdiensten sollte man sich lediglich wieder mehr auf die Pflege von manchmal vergessenen Kulthandlungen besinnen.
Übereinstimmend wurden in diesem Zusammenhang von den Bischöfen politische Demonstrationen abgelehnt. Sie orientierten darauf, Kerzen, Fasten, Wallfahrten usw. in der Seelsorge ausschließlich als kirchliche Riten zu nutzen.
Kardinal Meisner informierte des Weiteren, das ZDF der BRD sei über das Ordinariat in Westberlin an die Katholische Kirche in der DDR herangetreten, um festzustellen, ob die Bischöfe in der DDR bereit seien, an der Berichterstattung des Senders über katholische Fragen mitzuarbeiten. Es sei vorgesehen, im Jahr 1984 14-tätig Freitagabends (20.00–20.30 Uhr) Kirchensendungen auszustrahlen und in diesem Zusammenhang auch über den kirchlichen Raum der DDR zu berichten (drei Sendungen zur evangelischen und eine Sendung zur katholischen Kirche). Die Bischöfe lehnten im Ergebnis der Diskussion eine unmittelbare Mitarbeit an der Programmgestaltung des ZDF wegen einer möglichen tendenziösen Berichterstattung, der man nicht entgegenwirken könne, ab. In diesem Zusammenhang wurde von der Bischofskonferenz erneut bestätigt, dass es weiterhin dabei bleibe, die Tätigkeit von Medien (Fernsehen, Rundfunk u. a.) bei den Gottesdienstfeiern nicht zuzulassen. Deren Tätigkeit könne sich lediglich außerhalb der Kirchen vollziehen.
Im Verlaufe der Beratung auf der Tagung der Bischofskonferenz sind eine Vielzahl von innerkirchlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des neuen Vatikanischen Gesetzbuches (27.11.1983)14 behandelt worden.
Beschlossen wurde, das Priesterseminar in Neuzelle, [Kreis] Eisenhüttenstadt, Bezirk Frankfurt/O., zu zentralisieren und der Bischofskonferenz direkt zu unterstellen. (Es unterstand bisher Bischof Huhn/Görlitz.)
Eine ebenfalls geplante Unterstellung des Priesterseminars auf der Huysburg, [Kreis] Halberstadt, Bezirk Magdeburg, scheiterte an der Ablehnung von Bischof Braun15 (Magdeburg), der mit der Beibehaltung der rechtlichen Unterstellung unter dem Amtsbereich Magdeburg eine Stärkung seines Amtsbereiches anstrebt.
Wegen dieser ablehnenden Haltung von Bischof Braun war die Bischofskonferenz nicht in der Lage, ihr Gesamtvorhaben, die Priesterausbildung zu zentralisieren und dadurch die Ausbildung noch fester an die Bischofskonferenz zu binden, voll zu verwirklichen.
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