Umweltbelästigung durch VEB Philopharm
[ohne Datum]
Information Nr. 267/83 über eine Umweltbelästigung durch den VEB Philopharm Quedlinburg, [Bezirk] Halle, am 4. August 1983
Am 4.8.1983, in der Zeit von 9.00 Uhr bis 10.00 Uhr, verbrannten Angehörige des VEB Philopharm Quedlinburg, [Bezirk] Halle, unter Kontrolle der Betriebsfeuerwehr auf einer Mülldeponie im Betrieb anfallende 3 600 Liter chlorhaltige Abprodukte. Gegen 10.10 Uhr bildete sich eine gelbliche, nach vorläufigen Aussagen aus Chlor- und Nitrogasen bestehende Rauchgaswolke, die aufgrund der aus Richtung Nordwest anstehenden Windrichtung mit einer Geschwindigkeit von 8 m/s (ca. 28 km/h) von Quedlinburg beginnend über die Kreise Aschersleben, Hettstedt in Richtung Halle abzog und zwischen 12.00 Uhr und 13.00 Uhr das Stadtzentrum von Halle erreichte, wo sie sich aufgrund der meteorologischen Bedingungen (Regen) auflöste.1
Nach vorliegenden Hinweisen trat beim überwiegenden Teil der in den betroffenen Territorien wohnenden Bevölkerung keine Beeinträchtigung des gesundheitlichen Allgemeinzustandes ein.
Einzelne Bürger der betroffenen Gebiete wandten sich an die zuständigen Räte der Kreise bzw. Organe der Zivilverteidigung und forderten, die Ursachen plötzlich auftretender Reizwirkungen auf die Atmungsorgane und Erbrechen zu untersuchen. (Bei einer Reihe von Bürgern der Stadt Halle sind merkliche Belastungen entstanden.)
Untersuchungen einzelner Kinder der Stadt Quedlinburg bezüglich festgestellter Symptome2 von Hustenreiz erbrachten keine Anzeichen auf eingetretene Schädigungen.
Nach bisherigen Aussagen der Kreisärzte der Kreise Quedlinburg, Aschersleben, Hettstedt und Halle waren keine stationären Behandlungen notwendig. Die medizinischen Untersuchungen bei beschwerdeführenden Bürgern ergaben, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen (Husten, Übelkeit, Erbrechen) nach ca. 30 Minuten wieder abklangen und keine weiteren Folgen festgestellt wurden.
Unverzüglich gemeinsam mit der DVP, Experten der Chemischen Industrie und den örtlichen Organen einschließlich des Bezirkshygieneinstitutes geführte Untersuchungen ergaben:
Der VEB Philopharm Quedlinburg verfügt über eine Globalgenehmigung zur Verbrennung chemischer Abprodukte, wobei u. a. festgelegt ist, dass ein Verbrennen hoher Konzentrationen etappenweise und unter Aufsicht der Feuerwehr zu erfolgen hat. Zur Sicherstellung der Teilnahme der Feuerwehr hat eine rechtzeitige Anmeldung der Verbrennung beim Volkspolizeikreisamt Quedlinburg zu erfolgen.
Beachtenswert ist die Tatsache, dass der VEB Philopharm Quedlinburg am 23.12.1982 beim Rat des Kreises Quedlinburg einen Antrag zur Verbrennung von 100 t Abprodukten (ca. 75 t Lösungsmittel und 25 t Feststoffe) für 1983 stellte. Dieser Antrag lag am 4.2.1983 dem Rat des Bezirkes, Abteilung Umweltschutz, vor.
Da von dieser Seite keine Lösung zum Verbrennen derartiger Mengen Abprodukte gefunden wurde, erfolgte bisher keine Genehmigung. Auf Anfrage des VEB Philopharm an den Rat des Kreises Quedlinburg erfolgte durch diesen am 5.7.1983 eine Mahnung an den Rat des Bezirkes zur Entscheidung, die jedoch bisher ausblieb.
Die verantwortlichen Leiter des VEB Philopharm entschlossen sich deshalb nach formaler Abstimmung mit dem Rat des Kreises, Abteilung Umweltschutz, entsprechend der langjährig3 geübten Praxis zur Verbrennung der Abprodukte.4
Wie von den Beteiligten erklärt wurde, waren die möglichen Auswirkungen der Verbrennung der 3 600 l Abprodukte (in Fässer abgefüllt) nicht voraussehbar. Entgegen den Festlegungen in der vorliegenden Globalgenehmigung war die Berufsfeuerwehr des VPKA Quedlinburg am Verbrennungsort nicht anwesend.
Aufgrund der festgestellten Auswirkungen gehen Experten der Chemischen Industrie nach den bisherigen Untersuchungen davon aus, dass es nach normalem Verlauf des Verbrennungsprozesses abschließend erstmalig zu einer bisher nicht bekannten, unkontrollierten chemischen Reaktion kam. (Da keine Proben der Rauchgaswolke vorhanden sind, müssen aus den verbliebenen Restbeständen der Abprodukte auf experimentelle Weise Versionen über die Ursache der bisher erstmalig beim Verbrennungsprozess aufgetretenen, nicht beherrschten chemischen Reaktion erarbeitet werden.)5
Der Minister für Chemische Industrie der DDR veranlasste zwischenzeitlich zu prüfen, inwieweit sich aus den Abprodukten des VEB Philopharm chemische Stoffe für eine Weiterverarbeitung wiedergewinnen lassen.
Mit sofortiger Wirkung wurde deshalb die Verbrennung solcher Abprodukte untersagt.
Auf Veranlassung der Minister für Gesundheitswesen und Wasserwirtschaft und Umweltschutz6 erfolgt der Einsatz von Experten zur Prüfung möglicher Verletzungen staatlicher Regelungen auf dem Gebiet des Gesundheits- und Umweltschutzes.
Die Untersuchungen der Schutz- und Sicherheitsorgane konzentrieren sich insbesondere auf die7 Prüfung möglicher Pflichtverletzungen.