Verletzung des Luftraums der DDR (1)
5. August 1983
Information Nr. 266/83 über das Ergebnis der Untersuchungen zur Verletzung des Luftraumes der DDR durch ein mit drei BRD-Bürgern besetztes Flugzeug im Raum Treffurt, [Bezirk] Erfurt, am 4. August 1983
Am 4. August 1983, um 10.35 Uhr, drang der Bürger der BRD [Name 1, Vornamen] (31), Beruf: Feinmechaniker, jetzige Tätigkeit: Pharma-Referent (Vertreter) der [Firma] München, wohnhaft 6737 Böhl-Iggelheim b. Speyer, [Straße, Nr.], mit dem einmotorigen viersitzigen Flugzeug vom Typ FUJI-FA-200–180, Kennzeichen D-EGEV, bei Treffurt, Bezirk Erfurt, in den Luftraum der Deutschen Demokratischen Republik ein, und wurde um 10.53 Uhr durch Kampfhubschrauber der GSSD zur Landung auf einem Getreidefeld bei Geisleden, Kreis Heiligenstadt, gezwungen.
Als Passagiere befanden sich des Weiteren die Cousine des [Name 1], [Name 2, geb. Name, Vorname 1] (31), Beruf: Sprechstundenhilfe, jetzt Hausfrau, wohnhaft 6720 Speyer, [Straße, Nr.], und deren sechsjähriger Sohn [Vorname 2 Name 2] an Bord.
Die durch das MfS geführten Untersuchungen haben ergeben:
Für den 4. August 1983 plante [Name 1] einen Flug nach Kassel, da er einerseits Flugstunden zwecks Verlängerung seiner Fluglizenz benötigt, er gleichzeitig in Kassel Geschäftsabschlüsse tätigen und andererseits die [Name 2] und deren Kind dorthin bringen wollte, die sich zu Erholungszwecken bei Verwandten in Uslar bei Kassel aufhalten wollten.
Nach ordnungsgemäßer Flugvorbereitung startete [Name 1] am 4.8.1983, 9.12 Uhr, vom Flugplatz Speyer. Für die Strecke nach Kassel, die er bereits wiederholt zurückgelegt hatte, veranschlagte er eine Flugzeit von 90 Minuten und legte entsprechende Orientierungspunkte fest. Nach Erreichen einer Flughöhe zwischen 800 und 1 000 Metern erkannte er als letzten Orientierungspunkt rechts seiner Fluglinie gegen 10.20 Uhr die Stadt Fulda. In der Annahme, bei Beibehaltung des eingeschlagenen Nordkurses (4°) mit Sicherheit seinen Zielflugplatz Kassel-Calden zu erreichen, flog er etwa 15 Minuten weiter, wobei er die Navigation vernachlässigte, in östliche Richtung abgetrieben wurde, die Orientierung verlor und von ihm unerkannt im Raum Treffurt die Staatsgrenze der DDR überflog. Sich noch über BRD-Territorium wähnend, bemerkte [Name 1] einen auf seinen Kurs einschwenkenden Hubschrauber, dessen Nationalität er zunächst nicht erkannte und dessen Signale zur Landeaufforderung er anfangs nicht verstanden haben will. Als der Landeaufforderung jedoch durch zwei Warn-Feuerstöße Nachdruck verliehen worden war und der Luftfahrzeugführer die sowjetischen Hoheitszeichen erkannt hatte, setzte er unverzüglich zur Landung an, die er um 10.53 Uhr auf einem noch nicht abgeernteten Getreidefeld vollzog, wobei weder Personenschaden noch Sachschaden am Flugzeug entstanden. Die Einflugtiefe in das DDR-Territorium betrug 26 km.
Im Ergebnis der geführten Untersuchungen wird das Vorliegen einer gegnerischen Provokation bzw. einer Straftat ausgeschlossen. Nach Einschätzung der Kommission der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung liegen die Ursachen für das Zustandekommen der Luftraumverletzung in einer ungenügenden Navigation des Luftfahrzeugführers und daraus resultierendem zu spätem Erkennen des Orientierungsverlustes begründet.
Zum Persönlichkeitsbild des Luftraumverletzers wurde bekannt, dass er kleinbürgerlichen Verhältnissen entstammt, die Volksschule besuchte, den Beruf eines Feinmechanikers erlernte und die Hochschulreife erwarb. [Name 1] war 1974/75 bei der Bundesluftwaffe Ausbilder für die militärische Grundausbildung. Sein letzter Dienstgrad war Unteroffizier. Anschließend studierte er vier Semester Maschinenbau, brach das Studium jedoch wegen mangelhafter Leistungen ab und nahm 1977 die Tätigkeit als Pharma-Referent bei der Firma [Firmenname] München auf. Er ist ledig, gehört keiner Partei an und bezeichnet sich als politisch desinteressiert. Verbindungen zu Bürgern der DDR unterhält er nicht.
Im Oktober 1979 begann [Name 1] seine fliegerische Ausbildung an der Motorflugschule Kammerlohr in Landshut und erwarb 1980 die Privat-Piloten-Lizenz (PPL) zum Führen von Motorflugzeugen.
Bisher absolvierte er 265 Flüge mit einer Gesamtflugzeit von 110 Stunden. Seit September 1982 ist er innerhalb einer aus vier Personen bestehenden Haltergemeinschaft mit einem Anteil von 15 000 DM Miteigentümer an dem Flugzeug D-EGEV des japanischen Typs FUJI-FA-200–180.
Nach Abschluss der Untersuchungen wird – in Abstimmung mit dem Ministerium für Nationale Verteidigung – vorgeschlagen,
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den Luftfahrzeugführer und seine Passagiere unverzüglich in die BRD zurückzuführen und die Rückführung des Flugzeuges auf dem üblichen Wege zu veranlassen;
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[Name 1] die Untersuchungs-, Transport- und Wartungskosten in Rechnung zu stellen sowie
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wegen der neuerlichen Verletzung der Lufthoheit der DDR gegenüber der BRD in geeigneter Form Protest einzulegen.