Verletzung des Luftraums der DDR (2)
[ohne Datum]
Information Nr. 195/83 über die provokatorische Verletzung des Luftraumes der DDR und die geplante Ausschleusung einer Bürgerin der DDR durch ein Sportflugzeug der BRD am 21. Mai 1983
Am 21. Mai 1983, gegen 7.45 Uhr, drang ein einmotoriges Sportflugzeug vom Typ »Piper P-18«, Kennung D-EHCK, im Kreis Lobenstein, Bezirk Gera, in ca. 200 Meter Flughöhe, aus Richtung Nordhalben/BRD kommend, in provokatorischer Art und Weise in den Luftraum der DDR ein. Das Eindringen des Luftfahrzeuges in den Luftraum der DDR war durch Grenzsicherungskräfte visuell beobachtet und vom zentralen Gefechtsstand der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung der DDR bestätigt worden. Nach in der Folgezeit noch nicht eindeutig geklärter Flugroute kreiste das Sportflugzeug gegen 8.25 Uhr mehrfach über der Stadt Pößneck, Bezirk Gera, und setzte den Flug in Richtung der Ortschaften Moxa und Schmorte, Kreis Pößneck, sowie in den Räumen Kahla, Kreis Jena, Stadtroda und Neustadt/Orla in ca. 60 Meter Höhe fort.
Nach einer weiteren gefährlichen Verringerung der Flughöhe auf ca. 30 Meter über der Ortschaft Moxa wurde das Sportflugzeug gegen 8.40 Uhr durch den Piloten eines zu dieser Zeit im Raum Moxa im Einsatz befindlichen Agrarflugzeuges festgestellt und mit dem Ziel, dessen Typ und Kennung zu identifizieren, bis kurz vor Lobenstein verfolgt. Nach ca. einstündigem Flug im Luftraum der DDR wurde das Sportflugzeug gegen 8.45 Uhr in der Nähe von Lobenstein durch zwei Kampfhubschrauber der GSSD festgestellt und der Pilot des Sportflugzeuges durch den Abschuss von Signalraketen zur unverzüglichen Landung aufgefordert.
Unter gröblichster Missachtung dieser eindeutigen Landeaufforderung setzte der Pilot mit dem Sportflugzeug den Flug fort, bedrohte durch direkten Anflug beide Kampfhubschrauber und versuchte, sich durch gefährliche Flugmanöver (bis auf drei bis fünf Meter Höhe, vertikal und horizontal fliegend) der weiteren Verfolgung zu entziehen. Aufgrund dieser nach Einschätzung der Besatzungen der Kampfhubschrauber der GSSD mit äußerster Risikobereitschaft geführten Flugmanöver erfolgte daraufhin durch einen Kampfhubschrauber der GSSD – als nachdrückliche Aufforderung zur Landung – der Abschuss einer Garbe Sperrfeuer.
Nachdem der Pilot auch auf diese Signalgebung nicht reagiert hatte, gab der zweite Kampfhubschrauber der GSSD unmittelbar nach dem Überfliegen der Ortschaft Wurzbach, Kreis Lobenstein, mit dem Ziel, die Landung zu erzwingen, gezielte Garben auf das Sportflugzeug ab, wodurch es am Rumpf und an den Tragflächen beschädigt wurde.
Trotz dieser Beschädigungen setzte der Pilot den Flug fort und überquerte gegen 8.51 Uhr im Raum Wurzbach mit dem Sportflugzeug im Tiefflug die Staatsgrenze der DDR in Richtung Carlsgrün/BRD.
Vorliegenden Erkenntnissen zufolge war der Pilot am 21. Mai 1983 angeblich ohne Starterlaubnis vom Flugplatz Fulda-Jossa/BRD gestartet und nach der provokatorischen Verletzung des Luftraumes der DDR auf dem gleichen Flugplatz wieder gelandet. Unmittelbar nach der Landung soll der Pilot den Flugplatz verlassen haben und seit diesem Zeitpunkt unbekannten Aufenthaltes gewesen sein. Zwischenzeitlich vorliegenden Meldungen zufolge soll durch die BRD-Staatsanwaltschaft der Aufenthalt des Piloten ermittelt worden sein.
Im Ergebnis der durch das MfS unverzüglich eingeleiteten Maßnahmen zur Identifizierung und Aufklärung der Zusammenhänge dieser provokatorischen Luftraumverletzung wurden als Organisatoren die Bürger der BRD Schmitt, Gert-Michael1 (40), wohnhaft Frankfurt/Main, [Straße, Nr.], Ingenieur bei der Firma Mec, Frankfurt/Main, und Späth, Friedemann2 (43), wohnhaft 7956 Rot an der Rot, [Straße, Nr.], Busfahrer bei der Autovermietung – Omnibusverkehr Hans Waibel in Rot an der Rot, bekannt,
Bisherigen Untersuchungen zufolge hatte Schmitt, der die DDR 1964 ungesetzlich verließ, den Späth beauftragt, am 21. Mai 1983 rechtswidrig in den Luftraum der DDR einzudringen, im Raum Pößneck zu landen, dort die Bürgerin der DDR [Name 1, Vorname 1] (20), wohnhaft Pößneck, [Straße, Nr.], Pädagogik-Studentin Mathematik/Physik, Friedrich-Schiller-Universität Jena (Tochter des Bürgers der BRD Schmitt, Gert-Michael), in das Flugzeug aufzunehmen und nach der BRD auszuschleusen.
Die [Name 1, Vorname 1], die aufgrund ihrer negativen Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung in der DDR Ende 1982 ihre Großmutter, die BRD-Bürgerin [Name 1, Vorname 2] (Rentnerin), beauftragt hatte, ihre Ausschleusung nach der BRD zu organisieren, war in der Folgezeit durch mündliche Instruktionen ihrer Großmutter sowie durch einen handschriftlich codierten Brief des Schmitt, Gert-Michael auf ihre Ausschleusung entsprechend vorbereitet worden.
Instruktionsgemäß hatte sie sich am 21. Mai 1983 zum vorgesehenen Aufnahmeort bei der Ortschaft Schweinitz, Kreis Pößneck, begeben und gegen 8.35 Uhr während drei Umkreisungen des Sportflugzeuges in ca. 20 Meter Höhe Sichtkontakt mit dem Piloten. Eine Landung des Sportflugzeuges erfolgte nicht, was offensichtlich damit im Zusammenhang steht, dass Späth bei seinem Landeanflug durch den Piloten des Agrarflugzeuges – der das Sportflugzeug dann weiter verfolgte – gestört wurde.
Gegen die [Name 1, Vorname 1] wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und Haftbefehl erlassen.
Bereits am 3. Juli 1982 hatte Späth, nach vorliegenden internen Informationen, im Auftrag des Schmitt unter völkerrechtswidriger Verletzung des Luftraumes der ČSSR im Raum Cheb die Bürger der DDR Schmidt, Helmut (39), wohnhaft Rudolstadt, [Straße, Nr.], bis zur Ausschleusung Technischer Leiter im VEB Isola Rudolstadt und Mitglied der SED (mit Schmitt, Gert-Michael eng befreundet, beide kennen sich seit der Kindheit und aus gemeinsamer sportlicher Tätigkeit), und [Name 2, Vorname] (29), wohnhaft Rudolstadt, [Straße, Nr.], bis zur Ausschleusung tätig gewesen als Koch und Gaststättenleiter der HOG »Alte Garküche« in Rudolstadt, [Bezirk] Gera (Stiefbruder des Schmidt, Helmut), ebenfalls in einem Sportflugzeug vom Typ »Piper P-18«, Kennung D-EHC, aufgenommen und nach der BRD ausgeschleust.
Bei dem als Pilot des Sportflugzeuges identifizierten Bürger der BRD Späth, Friedemann handelt es sich um einen, den zuständigen Behörden der BRD hinreichend bekannten Kriminellen, der unter anderem
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in den Jahren 1965 bis 1967 wegen Gefährdung der Luftsicherheit und unerlaubter Tiefflüge in der BRD mit mehreren Ordnungsstrafen belegt wurde,
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am 13.10.1968 in der BRD, bei einem Tiefflug über eine Gruppe Kinder, mit einem Rad des Fahrgestelles ein 11-jähriges Kind am Kopf erfasste und dabei tödlich verletzte, wofür er am 3.10.1969 wegen fahrlässiger Tötung zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt worden war,
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während eines ihm von der Anstaltsleitung des Landesgefängnisses Heilbronn am 26.9.1970 gewährten Tagesurlaubes flüchtig wurde und am 5.10.1970 mit einem vom Flugplatz Cobold-Heinrücken unbemerkt entwendeten Sportflugzeug vom Typ »Piper PA-18«, Kennung D-EDYK, rechtswidrig in den Luftraum der DDR eindrang und im Kreis Wanzleben, [Bezirk] Magdeburg, landete (Späth wurde festgenommen, durch das Stadtbezirksgericht Berlin-Lichtenberg zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und am 1. November 1972 – im Zusammenhang mit der Amnestie – nach der BRD ausgewiesen.)
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am 24.9.1977 in den Mittagsstunden mit dem Sportflugzeug »Piper PA-18«, Kennung D-EHCK, von Ronne/Bornholm/Dänemark aus, unter Verletzung des Luftraumes der VR Polen erneut rechtswidrig in den Luftraum der DDR eindrang, in der Nähe von Groß-Behnitz, [Kreis] Nauen, [Bezirk] Potsdam, landete (wo die Aufnahme eines Kindes aus der DDR und dessen Ausschleusung nach der BRD vorgesehen war), am 25.9.1977 seinen Flug im Luftraum der DDR fortsetzte, kurzzeitig im Raum Beyern, [Kreis] Herzberg, [Bezirk] Cottbus, landete und nach einem Aufenthalt von ca. 24 Stunden in der DDR wieder nach der BRD entkommen konnte.
(Durch das Landgericht Kassel war Späth wegen fortgesetzter unbefugter Führung eines Luftfahrzeuges in Tateinheit mit unerlaubter Mitführung einer Waffe an Bord, unerlaubter Führung einer Waffe sowie Zuwiderhandlungen gegen Anordnungen über ein Gebiet mit Flugbeschränkungen zu einer banalen »Freiheitsstrafe« von sechs Monaten – ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung – verurteilt worden.)
Die permanenten provokatorischen Luftraumverletzungen wurden in Massenmedien der BRD (u. a. in einer Artikelserie des »Spiegels«, Nr. 38 bis 40/78) in großer Aufmachung glorifiziert.
Die erneute schwere Verletzung der Lufthoheit der DDR durch Späth belegt, dass seitens der zuständigen Behörden der BRD weder wirksame Maßnahmen zur Unterbindung von vorsätzlichen Verletzungen des Luftraumes der DDR durch Luftfahrzeuge aus der BRD noch zur Verhinderung der ständigen Provokationen des gerichtsbekannten Kriminellen Späth unternommen wurden.
Nach dpa-Verlautbarungen vom 26. Mai 1983 konzentrieren sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Fulda/BRD auf die »unerlaubte Nutzung eines Luftfahrzeuges, unerlaubten Einflug in das Sperrgebiet entlang der DDR sowie auf mögliche Verstöße der DDR-Grenzorgane«. Nach Auskunft der Ermittlungsbehörden habe es eine Vernehmung des Späth nicht gegeben und es sei »nicht geplant, einen Haftbefehl zu beantragen oder ihn vorläufig festnehmen zu lassen«.