Veterinärhygienische Situation Friedrich-Loeffler-Institut
7. Januar 1983
Information Nr. 23/83 über die gegenwärtige veterinärhygienische Situation im Friedrich-Loeffler-Institut für Tierseuchenforschung Insel Riems (FLI Riems) – Institut der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR (AdL)
In Auswertung der Seuchenlage im Frühjahr 1982 wurde durch das Sekretariat des ZK der SED am 24.8.1982 der »Beschluss zum Abschlussbericht zum Maul- und Klauenseuche-Verlauf 1982 mit Schlussfolgerungen für eine Erhöhung der Wirksamkeit des Veterinärwesens einschließlich der Erweiterung der Rechte der Tierärzte« gefasst.1
Dieser Beschluss enthält u. a. bedeutsame materiell-technische Maßnahmen zur Erhöhung der veterinärmedizinischen Sicherheit im FLI Riems.
Im Verlaufe von Untersuchungen durch das MfS unter Einbeziehung staatlicher Kontrollorgane und Beauftragter des Präsidenten der AdL zur Einschätzung der Durchsetzung vorgenannten Beschlusses sowie zur Aufklärung der Ursachen des Auftretens von Maul- und Klauenseuche in der LPG Groß Schoritz, Kreis Rügen, am 13.9.1982 wurden Erkenntnisse gewonnen, wonach im FLI Riems die veterinärmedizinische Ordnung, die Betriebs- und Produktionsordnung und die Einhaltung staatlicher Normative in einem Forschungs- und Produktionszentrum von zentraler Bedeutung keinesfalls den notwendigen Erfordernissen entsprechen.
(Der Ausbruch der Maul- und Klauenseuche in der LPG Groß Schoritz wurde deshalb in die Untersuchungen einbezogen, weil er Expertenmeinungen zufolge im Zusammenhang mit einer möglichen Verschleppung des Maul- und Klauenseuchen-Virus aus dem Infektionsbereich des FLI Riems stehen könne. Dabei wurde insbesondere auf eine zeitliche Übereinstimmung des Ausfalls der automatischen Steuerung der thermischen Abwasserdesinfektionsanlage im FLI Riems in der Zeit vom 1.9. bis 8.9.1982 mit der Inkubationszeit für eine Infektion mit Maul- und Klauenseuche verwiesen.
Nach den geführten Untersuchungen schätzen Experten jedoch ein, dass ein Nachweis der Kausalität zwischen der Störung an der thermischen Abwasserdesinfektionsanlage im FLI Riems, dem Austritt von infektiösem Abwasser in die Ostsee und dem Ausbruch der Maul- und Klauenseuche in der LPG Groß Schoritz nicht mehr möglich ist.)
Das schmälert durchaus nicht die vom FLI Riems seit 1970 erzielten beachtlichen Erfolge bei der wirksamen Einschränkung des Seuchengeschehens und der Verhinderung von Seuchenzügen in der DDR.
So wurden z. B. seit 1970 zehn neue bzw. verbesserte Impfstoffe entwickelt und in die Produktion überführt.
Die industrielle Warenproduktion entwickelte sich von 20,7 Mio. Mark im Jahre 1971 auf ca. 62,0 Mio. Mark im Jahre 1982. Der Export in das sozialistische Wirtschaftsgebiet stieg im Zeitraum 1971 bis 1981 von 0,14 Mio. Valutamark auf 22,8 Mio. Valutamark.
Dabei ist zu beachten, dass die gestiegenen Anforderungen an das FLI Riems in Forschung und Produktion mit teilweise veralteter und begrenzt vorhandener Technik und Bausubstanz bewältigt wurden.
Neben materiell-technisch bedingten seuchenhygienischen Unsicherheitsfaktoren wurden im Verlaufe der Expertenuntersuchungen insbesondere folgende Schwerpunkte herausgearbeitet:
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überaltertes, nicht kontrollfähiges Abwassersystem;
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mangelnde technische Sicherheit und veterinärhygienische Wirksamkeit der thermischen Abwasserdesinfektionsanlage.
(Dazu stellten z. B. Spezialisten fest, dass die Anlage in ihrem wesentlichen Aufbau und in ihrer Kapazität noch dem Stand der 30er-Jahre entspricht und die Funktionstüchtigkeit der Anlage infolge vieler technischer Mängel, Überalterung und Verschleiß sowie unzureichender Wartung nicht in vollem Umfang gewährleistet ist.)
Darüber hinaus besitzt die Anlage aufgrund des Fehlens eines Regelsystems keine Sicherheitseinrichtung.
Die sichere Begrenzung der Flüssigkeitsbestände in den Rückhaltebecken und die Absicherung der erforderlichen Verweilzeit sowie das Temperaturniveau sind nicht garantiert.
Eine wasserrechtlich geforderte voll biologische Abwasserreinigung aller Abwässer des FLI Riems erfolgt nicht.
Durch mangelnde Notstromversorgung ist ein ordnungsgemäßes Betreiben der Anlage bei Stromausfall nicht möglich.
Diese materiell-technische Situation wird durch Missstände verschärft, die ursächlich auf die ungenügende Qualität der Leitungstätigkeit im FLI Riems zurückzuführen sind.
Das bezieht sich insbesondere auf, die unzureichende Durchsetzung von Ordnung und Sicherheit innerhalb des Infektionsbereiches sowie in den anderen Arbeitsbereichen des Institutes.
(So erfolgt z. B. die forschungs- und produktionsmäßige Bearbeitung von verschiedenen virusbedingten Tierseuchen nach wie vor gleichzeitig auf engstem Territorium, ohne dass eine konkrete materiell-technische und personelle Abgrenzung vorliegt.
Die Personen- und Materialschleusen vom und in den Infektionsbereich sind nur unzureichend gesichert.
Das in den über 10 Personenschleusen vorherrschende Kontrollregime gewährleistet nicht die Einhaltung der vorgeschriebenen Duschzeiten. Lediglich zwei Personenschleusen sind bewacht. Dadurch ergeben sich Möglichkeiten zur unbefugten und unkontrollierten Ausschleusung von Gegenständen und Materialien aus dem Infektionsbereich.)
Die Einhaltung der Festlegung einer Mindestsolltemperatur von 80°C bei einer Einwirkzeit von 20 Minuten für die thermische Abwasserdesinfektionsanlage.
(Zur Behandlung von Abwässern aus Tierkörperverarbeitungsbetrieben sind nach den gültigen Fachbereichsstandards zur thermischen Desinfektion der Abwässer Temperaturen von 110°C bei einer Einwirkzeit von 20 Minuten vorgeschrieben.)
Eine gültige Entscheidung der Organe der Veterinärhygiene über die Abweichung von den vorgeschriebenen Normen liegt nicht vor.
Die mangelhafte Organisation der Arbeitsprozesse und ungenügende Schaffung qualitativer Voraussetzungen für die kadermäßige Besetzung der einzelnen Bereiche des Institutes.
Das kommt u. a. darin zum Ausdruck, dass
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sowohl die Struktur als auch die kadermäßige Besetzung der Leitung nicht den Erfordernissen entspricht,
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die Anzahl erfahrener Wissenschaftler im Bereich MKS zu gering ist,
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die Trennung der Forschung in die Bereiche Rind und Schwein sich nicht bewährt hat und
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der Heranbildung und Förderung qualifizierter Nachwuchskader zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Die unzureichende Realisierung der Festlegungen im Ergebnis einer Kontrolle durch die Zentrale Parteikontrollkommission Ende 1981.
(Die danach durchgeführten kadermäßigen Veränderungen im FLI Riems – Ablösung des Institutsdirektors und des Parteisekretärs – haben bei leitenden Wissenschaftlern bisher nicht im erforderlichen Maße zur eigenverantwortlichen Einhaltung und Durchführung der seuchenhygienischen Bestimmungen geführt.)
Von Experten wird auch übereinstimmend darauf hingewiesen, dass die realisierten und noch vorgesehenen Maßnahmen zur Beseitigung begünstigender Bedingungen und zur Herstellung von Sicherheit und Ordnung im Forschungs- und Produktionsprozess des FLI Riems lediglich auf eine Verringerung der Gefährdung der Tierbestände des Territoriums von Tierseuchen gerichtet sein können.
Als Risiken für ein mögliches Ausschleppen des MKS-Virus seien nach wie vor zu sehen:
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der ständige Umgang mit aktiven Viren im Forschungsprozess,
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das trotz Rekonstruktion und Neubau von einzelnen Produktions- bzw. Forschungsobjekten notwendig weiterbestehende Arbeitsregime ergebe keine umfassende Sicherheit, da weiterhin auf begrenztem Raum mit den vorhandenen Kapazitäten mehrere virusbedingte Seuchenerreger bearbeitet werden müssten.
Bereits im Verlaufe der Untersuchungen wurden durch die beteiligten Organe Festlegungen zur unmittelbaren Beseitigung bzw. zum Abbau begünstigender Bedingungen sowie zur Herstellung von Sicherheit und Ordnung im Forschungs- und Produktionsbereich des FLI Riems getroffen und deren Durchsetzung kontrolliert.
Weiterhin ist seitens des Ministeriums für Staatssicherheit vorgesehen, mit den zuständigen staatlichen Leitern die herausgearbeiteten Untersuchungsergebnisse zur weiteren Qualifizierung ihrer Leitungstätigkeit auf dem Gebiet des Seuchenschutzes auszuwerten.
Über die bisher durchgeführten Maßnahmen hinaus und unter Berücksichtigung der gegenwärtigen volkswirtschaftlichen Situation sollten die zur Stabilisierung der Forschung und Produktion im FLI Riems im eingangs genannten Beschluss festgelegten Investitions- und Rekonstruktionsmaßnahmen konsequent durchgesetzt und durch die verantwortlichen Staats- und Wirtschaftsorgane unter ständigen Kontrolle gehalten werden.