VI. Synode der Ev.-Luth. Kirche Thüringen
9. Dezember 1983
Information Nr. 417/83 über die 11. Tagung der VI. Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen vom 1. bis 4. Dezember 1983 in Eisenach, [Bezirk] Erfurt
Die Herbsttagung der VI. Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen fand vom 1. bis 4. Dezember 1983 im Haus Hainstein in Eisenach statt. Die Öffentlichkeit war gemäß der Thüringer Kirchenverfassung ausgeschlossen.
Als Gäste nahmen an der Synodaltagung teil:
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Oberkirchenrat Tompert1 (BRD), Württembergische Landeskirche
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Prof. Ottmar2 (BRD), Seminar für Referendare Stuttgart
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Pastorin Radke,3 Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK)
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Kirchenrat Winkel,4 Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche in der DDR (VELK)
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Teichmann,5 Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen
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Pfarrer Ammer,6 Rektor der Predigerschule Erfurt
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Pfarrer Dr. Müller,7 Chefredakteur der Thüringer Kirchenzeitung »Glaube und Heimat«.
Die von den Gästen gehaltenen Grußworte an die Synode beinhalteten keine politisch-bedeutsamen Aussagen.
Im Mittelpunkt der Synodaltagung standen folgende inhaltliche Schwerpunkte:
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Bericht des Landesbischofs Dr. Leich,8
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Aussprache zum Bericht des Landesbischofs,
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Behandlung von Vorlagen zu innerkirchlichen Problemen, Aussprache zur Änderung von Kirchengesetzen (Kirchenverfassung, Pfarrerdienstrecht, Pfarrerwahlgesetz) sowie Verabschiedung von Beschlüssen.
Der Verlauf und die Diskussion auf der Synode waren im Wesentlichen geprägt durch
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eine umfassende Würdigung und Wertung der Luther-Ehrungen 1983 in der DDR9 durch Landesbischof Dr. Leich,
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innerkirchliche Auseinandersetzungen zur Friedensproblematik im Zusammenhang mit den Vorbereitungsmaßnahmen in der DDR zur Stationierung von Raketenkomplexen als Reaktion auf die Stationierung von neuen USA-Raketenwaffen in Westeuropa,10
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Versuche politisch-negativer Synodaler, Druck auf die Kirchenleitung und progressive Kräfte auszuüben, um die Synode auf eine ablehnende Haltung zur Friedens-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der DDR festzulegen.
Die während der Synode geführten Diskussionen blieben wesentlich auf innerkirchliche Probleme beschränkt; den politisch-negativen Kräften ist es nicht gelungen, ihre Zielstellung umfassend zu verwirklichen. Begünstigt durch erkennbare Unsicherheiten und Unklarheiten über die Notwendigkeit der eingeleiteten Gegenmaßnahmen bei progressiven und realistischen Synodalen und ihr darauf zurückzuführendes geringes Engagement in der Diskussion zur Friedensproblematik, gelang es jedoch politisch-negativen Kräften, pseudopazifistische Positionen in der Stellungnahme der Synode zur Raketenstationierung in der DDR durchzusetzen.
Im Folgenden werden politisch besonders beachtenswerte Probleme aus dem Verlauf der Synode hervorgehoben.
Unmittelbar nach ihrer Eröffnung wurden insgesamt zehn an die Synode gerichtete Eingaben verlesen. Sie beinhalteten vorwiegend Forderungen und Appelle pazifistischen Charakters, wie, die Synode solle für eindeutigere Maßnahmen zur Eindämmung des Wettrüstens eintreten, es sollten verstärkt »Friedensgespräche in großer Zahl« geführt werden, bis hin zu Forderungen, die Synode solle einen Beschluss gegen die Stationierung strategischer Raketen in der DDR fassen. Drei der genannten Eingaben waren Unterschriftenlisten beigefügt (insgesamt 193 Unterschriften).
Die Eingaben wurden ohne Diskussion an den Öffentlichkeitsausschuss der Synode zur Bearbeitung übergeben.
In seinem Bericht an die Synode (lag den Synodalen schriftlich vor) gab Landesbischof Dr. Leich einen ausführlichen Überblick über die Luther-Ehrungen 1983 in der DDR, würdigte dabei erneut das Zusammenwirken zwischen Staat und Kirche und hob besonders die umfassende staatliche Unterstützung hervor.
Im Zusammenhang mit der Friedensproblematik erklärte er, die »Sicherheitspolitik der Menschheitsgeschichte« habe sich nicht geändert. Überlegenheit an Waffen und Gewalt würde immer bedeuten, bestimmte innen- und außenpolitische Ziele durchsetzen zu wollen. Androhung von Gewalt sei grundsätzlich erfolgsorientiert. Einer solchen Politik müsse die Kirche eine eindeutige Absage erteilen. Landesbischof Dr. Leich vermied es jedoch, konkrete Bezüge zur aktuellen politischen Lage herzustellen. Abschließend erklärte er, die Thüringer Kirche werde den Politikern unseres Staates mit Vertrauen begegnen, wenn es um die Friedenssicherung gehe.
In der Aussprache zum Bericht des Landesbischofs unterstützte die Mehrheit der Diskussionsredner die Forderung nach einer verstärkten Hinwendung zur religiösen Tätigkeit im Gottesdienst und in der Gemeindearbeit.
Begrüßt wurde die Gesellschaftsbezogenheit der Aussagen des Berichtes. (In diesem Sinne äußerten sich Prof. Dr. Hertzsch,11 Superintendent Herbst12 sowie die Pfarrer Reimann13 und Zehner.14)
Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Stationierung neuer USA-Raketenwaffen in Westeuropa und die darauf bezogenen Maßnahmen der sozialistischen Staaten warnte Prof. Hertzsch vor einer »voreiligen Verurteilung von Politikern, in der DDR« und sprach sich gegen die Abfassung einer sogenannten Protestresolution aus. Ein derartiges Handeln würde die innenpolitische Lage destabilisieren. Es sei jedoch notwendig, Gespräche über Friedensfragen fortzuführen. Prof. Hertzsch trat für die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in beiden deutschen Staaten ein.
Kreiskirchenrat Kirchner15 (Gera) wandte sich in der Diskussion gegen die vorgesehene Formulierung im Beschluss der Synode, »Besitz, Herstellung und Aufstellung von Raketen sind ein Verbrechen« und stellte fest, man könne Politiker in diesem Zusammenhang nicht als Verbrecher bezeichnen. Mit politisch-negativen Auffassungen dazu reagierten die Synodalen Pfarrer Behr16 (Gera), Pfarrer Steinert17 (Häselrieth) und [Name, Ort]. Sie stellten die Behauptung auf, Politiker im sozialistischen Lager hätten ihre Versprechen nicht gehalten und nicht alles in ihren Kräften Stehende getan, um eine Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen auf dem Territorium der DDR zu verhindern. Diese Maßnahme bezeichneten sie als unnötigen Schritt zur Eskalation der Rüstung.
Im weiteren Verlauf der Tagung wurde von der Synode eine Veränderung der Geschäftsordnung beschlossen. Demzufolge wird ein »Ständiger Ausschuss« – bestehend aus dem Synodalvorstand und den Vorsitzenden aller Ausschüsse – gebildet, der zwischen den Synodaltagungen bestimmte Aufgaben zu realisieren hat. Internen Einschätzungen zufolge hat Landesbischof Dr. Leich mit dieser Regelung hartnäckige Forderungen oppositioneller Laienkräfte auf erweitertes Mitspracherecht in innerkirchlichen Angelegenheiten »neutralisiert«. Diese Kräfte waren in der Vergangenheit bestrebt, die Entscheidungsbefugnis zu aktuellen Problemen nicht allein dem Landesbischof zu überlassen. Es ist einzuschätzen, dass die Stellung von Landesbischof Dr. Leich stabilisiert und gefestigt wurde, weil zwar nach außen hin Forderungen nach »mehr Demokratie« entsprochen wurde, er jedoch nach wie vor die entscheidende Position auch in diesem neugebildeten Gremium einnimmt.
Oberkirchenrat Johannes18 berichtete vor der Synode über Gespräche des Landeskirchenrates mit Angehörigen des »Altendorfer Friedenskreises«19 (Träger der Vorbereitung für das im Mai 1984 vorgesehene Treffen von kirchlichen »Friedensarbeitskreisen« in der DDR in Eisenach).
Inhalt dieser Gespräche wäre u. a. die Diskussion um das theologische und kirchenpolitische Profil dieses »Friedenskreises« gewesen. Ferner wies er darauf hin, dass eine Stellungnahme des Landeskirchenrates zu den Vorschlägen des »Altendorfer Friedenskreises«, »Kontaktpfarrer« zu NVA-Angehörigen zu benennen und Materialien für weitere »Friedensdekaden« aufzuarbeiten, noch nicht erfolgte. Der Bericht enthielt keine politisch-negativen Bezüge.
In einem Bericht über Gespräche mit Bausoldaten20 führte Kreiskirchenrat Kirchner in sachlicher Form an, dass viele zukünftige und ehemalige Bausoldaten dafür eintreten, dass ihr Einsatz an bzw. in nichtmilitärischen Objekten erfolgen solle und dass gediente Reservisten zum Bausoldatendienst in zivilen Bereichen einberufen werden.
Kreiskirchenrat Kirchner erläuterte in diesem Zusammenhang staatliche Auffassungen zum Wehrdienstgesetz der DDR.21
Obwohl Landesbischof Dr. Leich auf realistischen Positionen stehende Mitglieder des Landeskirchenrates und progressive Synodale in den Ausschüssen und im Plenum ständig versuchten, pseudopazifistische Auffassungen und Forderungen politisch-negativer Synodaler zurückzuweisen, gelang es diesen Kräften, eine schriftliche Stellungnahme der Synode zur Raketenstationierung (Wortlaut als Anlage) durchzusetzen. Diese Stellungnahme widerspiegelt vorliegenden Einschätzungen zufolge die unter kirchlichen Mitarbeitern und engagierten Christen innerhalb der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen vorherrschenden Auffassungen. Sie ist als Kompromisslösung zwischen realistischen und politisch-negativen Kräften innerhalb der Synode einzuschätzen. Die Stellungnahme bezieht sich auf Beschlüsse der VI. Vollversammlung des ÖRK in Vancouver/Kanada22 und der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen der DDR (BEK) zum Besitz und zur Anwendung von Atomwaffen.23
Daraus ableitend wird u. a. festgestellt, dass es den Christen unmöglich sei, der Aufstellung von Raketenkomplexen in der DDR zuzustimmen. Ferner seien der Dienst mit der Waffe und eine militärische Friedenssicherung für viele Christen nicht mehr selbstverständlich.
(Die Stellungnahme wird als Brief an Absender von Eingaben an die Synode, an alle Pfarrämter und kirchlichen Mitarbeiter der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Thüringen mit der Auflassung versandt, deren Inhalt in geeigneter Weise bekanntzumachen.)
Weitere Berichte wurden zur Arbeit der Diakonie, zur Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in der DDR (VELK), der Synode des BEK sowie zu den Grundartikeln einer Vereinigten Evangelischen Kirche in der DDR24 gegeben. Sie enthielten keine bedeutsamen politischen Aussagen. Hinsichtlich der Schaffung einer Vereinigten Evangelischen Kirche in der DDR bestehen nach wie vor erhebliche Probleme im theologischen und auch im praktischen Bereich.
Die wesentlichsten Dokumente der Synode liegen dem MfS vor und können bei Bedarf abgefordert werden.
Als Termine der nachfolgenden Synoden wurden festgelegt:
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29. März bis 1. April 1984 (12. Tagung der VI. Synode),
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6. Dezember bis 9. Dezember 1984 (Konstituierende Sitzung der VII. Synode).
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 417/83
Wortlaut der von der Synode beschlossenen Stellungnahme (Brief)
Liebe Schwestern und Brüder
Gruppen aus unseren Gemeinden und einzelne Gemeindemitglieder haben sich an die Synode gewandt, weil durch die Stationierung von Mittelstreckenraketen in der BRD und von Raketensystemen operativ-taktischer Bestimmung in der DDR eine besonders bedrohliche Lage entstanden ist.
Wir sind mit ihnen und vielen anderen betroffen und enttäuscht darüber, dass es den Regierungen wieder nicht gelungen ist, den todbringenden Rüstungswettlauf zu stoppen. Die Großmächte konnten offenbar die dringenden Bitten und Forderungen vieler Menschen in Ost und West nach Rüstungsstopp nicht über ihr eigenes Sicherheitsbedürfnis stellen.
Wir verstehen die vielfältigen Zwänge, unter denen unsere Regierung in der derzeitlichen Lage entscheiden und handeln muss. Die Erklärung der 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Vancouver 1983 zu »Frieden und Gerechtigkeit« und die Stellungnahmen der Synode des Bundes der Evangelischen Kirche der DDR in Potsdam 1983 zur Friedensverantwortung und zur Frage der Raketenstationierung bleiben dennoch für uns gültig und werden von uns bekräftigt. Herstellung, Aufstellung und Anwendung von Atomwaffen stehen gegen Gottes Gebot. Darum ist es uns unmöglich, die Aufstellung von neuen Raketenkomplexen in unserem Lande gutzuheißen, geschweige denn, mit unserer Zustimmung zu unterstützen.
Wir sehen, dass viele Menschen nun resignieren. Dagegen steht unsere Hoffnung, die Landesbischof Dr. Leich vor unserer Synode ausgesprochen hat. Wir haben als Kirche zu bezeugen, dass es immer Gott ist, der regiert, gleichviel in welcher Weise. Darin liegt eine doppelte Hoffnung. Unsere Welt bleibt in Gottes Hand. Das Ende dieser Welt wird die Vollendung oder Anbruch des Reiches Gottes, das ewige Leben sein. Diese Hoffnung bestärkt uns, im Gebet für den Frieden nicht nachzulassen. Im täglichen Gebet zu Hause, im sonntäglichen Gottesdienet, im regelmäßigen Friedensgebet der Gemeinde. Werdet nicht müde und lasst die geringe menschliche Geduld nicht zum Maß unseres Betens werden. Die Hoffnung lässt uns Zeichen des Friedens unter uns erkennen:
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Während der Friedensdekade haben immer mehr Christen in ökumenischer Gemeinschaft um Frieden gebetet und sind durch solche Gebetsgemeinschaften bestärkt worden. Viele führen nun das Friedensgebet von Woche zu Woche weiter.
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Erwartungen und Eingaben, die an unsere Synode gerichtet werden, zeigen, wie viele Christen ihre Resignationen überwinden und ihre Mitverantwortung bewusster wahrnehmen.
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Glieder unserer Jungen Gemeinden finden sich vielerorts mit Kirchenältesten und der ganzen Jungen Gemeinde zusammen. Die Erfahrungen der Älteren und die Sehnsucht der Jüngeren verbinden sich zu der Einsicht, die Friede und Zukunft der Menschheit das Zusammenwirken aller Generationen erfordere.
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Dienst mit der Waffe und militärische Friedenssicherung sind für viele unter uns nicht mehr selbstverständlich.
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Wachsende Aufgeschlossenheit für Hilfsaktionen zugunsten der hungernden Völker zeigen das Bemühen, den verheerenden Folgen der Überrüstung wirksam zu begegnen.
Das alles lässt erkennen, dass Hoffnung zum Beten und Handeln befreit.
In dieser Hoffnung sind wir bereit, jeden Schritt auf Abrüstung hin zu unterstützen und auch den für das Wohl der Menschen unseres Staates Verantwortlichen in dem Vertrauen zu begegnen, dass sie in schwerster politischer Situation den Frieden wollen. Dieses Vertrauen schließt die Offenheit im Darlegen des eigenen Standpunktes ein. Die Verantwortlichen in der Welt und insbesondere in unserem Land brauchen Ermutigung, sich mit der eingetretenen Lage nicht abzufinden. Wir erkennen dankbar, dass es gerade in den letzten Monaten positive Ansätze gegeben hat, die ausweglose Konfrontation zu überwinden.
Dazu zählen wir:
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den Vorschlag zur Herstellung einer atomwaffenfreien Zone in Europa;25
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die Bereitschaftserklärung der Sowjetunion,26 nicht als erste Atomraketen anzuwenden und sich für weitere Verhandlungen offenzuhalten;
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die Fortsetzung der Verhandlungen über andere Waffensysteme;
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das Bemühen, in dieser schwierigen Situation die Gespräche zwischen politisch Verantwortlichen in beiden deutschen Staaten nicht abreißen zu lassen;
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das Abschlussdokument des Madrider KSZE-Folgetreffens und die darin vereinbarten Schritte und Konferenzen.27
Mit den uns gegebenen Möglichkeiten wollen wir dazu beitragen, dass diese und andere positiven Ansätze sorgsam und beharrlich genutzt und ausgebaut werden.
Wir wissen aus der Erfahrung unseres Lebens, dass äußerer und innerer Frieden zusammengehören. Wir ermutigen Euch, in allen Lebensbereichen zu zeigen, dass es uns mit unserem Einsatz für den Frieden ernst ist. Dazu gehört auch, dass wir uns bemühen,
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Vorurteile gegenüber Andersdenkenden zu überwinden;
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die Meinung anderer zu hören und zu bedenken, ohne die eigene Überzeugung zu verleugnen;
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unsere Ansprüche an das Leben zu überprüfen.
Wir stehen im Advent. Wir gehen der Zukunft unseres Herrn Jesus Christus entgegen. Er bestimmt unser Handeln heute. Wir bleiben verbunden in der Sorge um den Frieden und das Überleben der Menschheit, vor allem auch in der Gemeinschaft von Glaube, Liebe und Hoffnung.
Die Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche Thüringens