Zusammentreffen, größerer Personenkreis
16. Juli 1983
Information Nr. 253/83 über ein organisiertes Zusammentreffen eines größeren Personenkreises vom 3. bis 5. Juni 1983 in Karolinenhof, [Kreis] Templin, [Bezirk] Neubrandenburg
Im Ergebnis durchgeführter Überprüfungen zu dem vom 3. bis 5. Juni 1983 auf einem Wochenendgrundstück in Karolinenhof, Kreis Templin, Bezirk Neubrandenburg, stattgefundenen Zusammentreffen (von den Organisatoren offiziell als »Sommerfest« deklariert) mit Künstlern, Kulturschaffenden und Angehörigen der medizinischen Intelligenz wurden folgende Einzelheiten bekannt:
An der Veranstaltung nahmen 153 namentlich bekannte Personen, insbesondere aus der Hauptstadt der DDR, Berlin (104), und aus dem Bezirk Dresden (32) teil.
Die Mehrzahl dieser Personen vertritt politisch-negative Grundpositionen zu Teilbereichen der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung und beteiligt sich aktiv an der Verbreitung pazifistischen Gedankengutes.
Circa 45 % der Teilnehmer sind dem MfS hinreichend bekannt u. a. durch
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Teilnahme an Zusammenkünften feindlich-negativer Personenkreise, besonders in der Hauptstadt der DDR, Berlin, und im Bezirk Dresden,
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Organisierung von bzw. Teilnahme an illegalen Lesungen,
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Teilnahme an Veranstaltungen in der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR,
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rechtswidrige Übersiedlungsersuchen.
Als Organisatoren fungierten der Besitzer des Wochenendgrundstückes, Dr. Rüth, Peter,1 47 Jahre, tätig als Laborleiter, Humboldt-Universität Berlin, Bereich Medizin (Charité), Institut für pathologische und Klinische Biochemie, und Panndorf, Ulrich,2 29 Jahre, tätig als freischaffender Grafiker (beide parteilos, beide wohnhaft Berlin).
Dr. Rüth gehörte zum engen Umgangskreis von Wolf Biermann3 und war Mitunterzeichner der sogenannten Biermann-Petition.4 Er unterhält Verbindungen zu Personen mit politischen-negativen Grundpositionen, insbesondere aus den Bereichen Kunst und Kultur.
Bei Diskussionen in »Freundeskreisen« propagierte er wiederholt Ideen eines »freiheitlichen und demokratischen Sozialismus«. Sein Auftreten in politischen Diskussionen auf seiner Arbeitsstelle wird als destruktiv eingeschätzt. Alle drei Geschwister des Rüth sind in der BRD wohnhaft. Zwei von ihnen verließen im Jahre 1973 ungesetzlich die DDR. Zu ihnen unterhält er intensive Kontakte.
Rüth organisierte seit 1976 bereits drei Zusammenkünfte, mit zwar wesentlich geringeren – jedoch von Treffen zu Treffen zunehmenden – Teilnehmerzahlen (ca. 20 bis 70 Personen),
Panndorf unterhält zahlreiche Verbindungen zu feindlich-negativen Kräften aus den Bereichen Kunst und Kultur in Berlin und im Bezirk Dresden. Er bemüht sich gegenwärtig um Kontakte zu Mitgliedern von sogenannten Friedensarbeitskreisen in Berlin. Seit 1981 besuchte er mehrfach Ausstellungen im Gartenhaus der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR. Seit November 1982 ist er rechtswidrig Übersiedlungsersuchender.5
Die während der Zusammenkunft dargebotenen kulturellen Beiträge beinhalteten hauptsächlich
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Filmvorführungen von selbstgedrehten 8-mm-Filmen durch einen Filmamateur,
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Kabarettprogramm, gestaltet durch einen freischaffenden Kabarettisten,
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Musik- und Dia-Ton-Schau, vorgeführt von einem an der Akademie der Wissenschaften der DDR tätigen Chemiker (Bruder einer nach Westberlin übersiedelten Person, die dem feindlich-negativen Personenkreis in Jena angehörte),
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Auftritt eines profilierten DDR-Jazz-Musikers, gemeinsam mit einem anlässlich eines DDR-Gastspiels anwesenden Jazz-Musikers aus den USA sowie der Punk-Rockgruppe »Juckreiz« aus Magdeburg,6
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Prosa-Lesung einer sich schriftstellerisch betätigenden Person.
Die kulturellen Darbietungen beinhalteten keine politisch-negativen Aussagen.
Während der Gesamtdauer der Veranstaltung war der Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Dehmel, Max,7 anwesend. Er führte in dieser Zeit zahlreiche Gespräche mit Teilnehmern. Außerdem bewahrte er in seinem Pkw einen Kassettenrekorder und mehrere besprochene Tonbandkassetten auf, die u. a. Darlegungen zur sogenannten Menschenrechtsproblematik und »Erlebnisschilderungen« von aus der DDR in die BRD bzw. nach Westberlin übergesiedelten Personen beinhalteten. Einige Teilnehmer der Veranstaltung spielten diese Kassetten im Pkw des Dehmel ab.
Entgegen der Behauptung des Dr. Rüth, dass es sich bei diesem Zusammentreffen um eine »traditionelle Zusammenkunft von Freunden« handelte, zu der er ihm bekannte Künstler, die »ihre Probleme mit der DDR« hätten, eingeladen habe, und die nicht meldepflichtig sei, ist – ausgehend vom Charakter und der Teilnehmerzahl – der Nachweis erbracht worden, dass es sich hierbei um eine anmelde- und erlaubnispflichtige Veranstaltung gemäß der Veranstaltungsverordnung vom 30. Juni 1980 handelte.
Im Ergebnis der Überprüfungen wurden Maßnahmen zur Einleitung eines Ordnungsstrafverfahrens gegen den Eigentümer des Wochenendgrundstückes, Dr. Rüth, (wegen Nichteinhaltung der Veranstaltungsverordnung) getroffen.
Es wird für zweckmäßig erachtet, dass der Prorektor der Humboldt-Universität Berlin/Bereich Medizin und eventuell weitere Leitungskader Aussprachen mit Dr. Rüth mit der Zielsetzung führen, künftig derartige Veranstaltungen zu unterlassen, zumal er damit das Ansehen der Humboldt-Universität schädigt. Gleichzeitig sollte ihm mitgeteilt werden, dass er im Wiederholungsfall mit Konsequenzen hinsichtlich der weiteren Ausübung seiner Funktion zu rechnen habe.
Darüber hinaus sollten auch mit anderen Teilnehmern an der o. g. Veranstaltung durch jeweils zuständige Funktionäre bzw. Leiter entsprechende Aussprachen geführt werden.