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116. Tagung der Konferenz Evangelischer Kirchenleitungen

21. März 1988
Information Nr. 146/88 über die 116. Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (KKL) in der DDR vom 11. bis 13. März 1988 in Buckow

An der 116. Tagung der KKL, die im Erholungsheim »Haus Wilhelmshöhe« der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg in Buckow stattfand, nahmen mit Ausnahme von Landesbischof Hempel/Dresden alle anderen Bischöfe, die Leiter der kirchlichen Verwaltungseinrichtungen sowie alle synodalen KKL-Mitglieder teil.

Im Mittelpunkt der Tagung, die als sogenannte Klausurtagung durchgeführt wurde, standen in Fortführung der Diskussion auf der Sondersitzung der KKL am 3. März 1988 Probleme der Einschätzung des derzeitigen Standes des Verhältnisses Staat – Kirche in der DDR. Es erfolgte u. a. eine weitere Auswertung des Gespräches des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, mit Landesbischof Leich/Eisenach am 3. März 1988, der Ereignisse im Zusammenhang mit dem Gottesdienst in der Berliner Sophienkirche am 6. März 19881 und der 1. Vollversammlung der »Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung« vom 12. bis 15. Februar 1988 in Dresden sowie eine Beratung von Standpunkten zur Übersiedlungsproblematik.2

(Das ursprünglich vorgesehene Hauptthema der Klausurtagung »Zum Verhältnis zwischen Kirche und Gruppen« soll aufgrund dieser »aktuellen Beratungsgegenstände« auf einer der nächsten Tagungen der KKL behandelt werden.)3

Unter Bezugnahme auf die von Landesbischof Hempel auf der Sondersitzung der KKL an die Teilnehmer gerichtete Aufforderung, sich zu den Ausführungen von Landesbischof Leich gegenüber Genossen Erich Honecker am 3. März 1988 zu äußern und einen gemeinsamen Standpunkt zu erarbeiten, gab Landesbischof Leich vor Beginn der Diskussion eine Stellungnahme ab. Dabei bezog er sich besonders auf seine Ausführungen gegenüber dem Genossen Erich Honecker: »Wir wollen Gottes Willen annehmen, in einer sozialistischen Gesellschaft mit einem sozialistischen Staat als Kirche Gott zu dienen. Wir wollen dies tun als ein an den Willen Gottes gebundener, konstruktiv mitarbeitender Partner, der das Wohl des Gemeinwesens und die Möglichkeit des Sozialismus als einer gerechteren Form des Miteinanders von Menschen bejaht.«

Landesbischof Leich legte dar, dass diese Formulierung von ihm im Zusammenhang mit dem Wort »Möglichkeit« und nicht im Sinne einer Feststellung, die keine Alternative zuließe, gebraucht worden sei. Der verwandte Begriff »Sozialismus« sei nicht als der real existierende zu verstehen, sondern hier werde von einem Sozialismus ausgegangen, der sich in der Entwicklung befände und keineswegs mit dem Sozialismus identisch sei, der bis jetzt in der DDR vorhanden wäre. Weiterhin sei natürlich der von ihm gewählte »Komparativ« der »gerechteren Form des Miteinanders von Menschen« immer in der Relation zu anderen möglichen Gesellschaftsformen und nicht in seiner Absolutheit zu verstehen. Seine Formulierung sei auch im Zusammenhang mit den weiteren Ausführungen zu sehen. Diese würden zeigen, nicht die zurzeit bestehende Realität sei gemeint, sondern das, was nach »Abhilfe« an einigen »gravierenden Punkten« der Sozialismus als real existierender in der DDR sein könnte.

In der danach folgenden Diskussion wurde insgesamt den Ausführungen von Landesbischof Leich gegenüber Genossen Erich Honecker sowie seinen erläuternden Darlegungen auf der Tagung zugestimmt.

Lediglich Präsident Domsch/Dresden und Pfarrer Adolph/Neustadt erhoben entschieden Einspruch gegen die genannte Formulierung von Landesbischof Leich. Sie vertraten die Auffassung, die Kirche sei aufgrund ihres »begrenzten politischen Mandates« nicht berechtigt, solche politischen Positionen in einem Gespräch mit dem höchsten Repräsentanten des Staates einzunehmen.

Durch die Stellvertreter des Vorsitzenden der KKL, Bischof Demke/Magdeburg und Konsistorialpräsident Stolpe/Berlin wurde in der Diskussion nochmals darauf verwiesen, dass von den in der Liste mit Sachfragen aufgeworfenen Problemen (am 25. Mai 1987 dem Staatssekretär für Kirchenfragen übergeben) einige Fragen bisher noch keiner Klärung zugeführt wurden. Dazu gehöre u. a. die Bilanzierung von Mitteln zur Erhaltung kirchlicher Gebäude, die Entsendung kirchlicher Mitarbeiter in das Ausland zum Dienst in Partnerkirchen, der Verkauf von Kirchenzeitungen an Kiosken, die Auflagenerhöhungen für den Druck von Bibeln und sogenannten Jahreslosungen und die Regelung offener Grundstücks- und sonstigen Vermögensfragen (es handele sich hierbei um ca. 400–500 offene Fälle).

Im weiteren Verlauf der Beratungen wurde der KKL seitens der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg ein schriftlicher Bericht von Pfarrer Passauer/Berlin zu den Ereignissen im Zusammenhang mit dem Gottesdienst in der Berliner Sophienkirche vorgelegt, mit dem internen Hinweisen zufolge die »Stimmung angeheizt« werden sollte.

Im Ergebnis der dazu geführten Diskussion wurde einstimmig eine »Stellungnahme« der KKL angenommen, in der zum Ausdruck gebracht wird, dass »in Bezug auf die Ereignisse an der Sophienkirche in Berlin einmal schon zu viel« wäre und weiterhin deutlich zu machen sei, dass sich die KKL »äußerste Zurückhaltung bei der Beurteilung dieser und ähnlicher Vorgänge auferlegt« habe. Sie wolle dies als »Zeichen ihres guten Willens und ihrer Zurückhaltung« verstanden wissen. Dementsprechend sei auch die Formulierung in der Pressemitteilung über die Klausurtagung der KKL (Wortlaut siehe Anlage) zu verstehen, in der es ohne konkrete Benennung des Gottesdienstes in der Sophienkirche heißt:

»Der Sendungsauftrag weist die Kirche an alle Menschen; jeder muss freien Zugang zu Gottesdienst und Seelsorge haben. Jede Einschränkung dieses Zuganges hindert die Kirche in der Ausübung ihres Dienstes und entspricht nicht den Zusagen der Verfassung. Die öffentliche Verkündigung des Wortes Gottes, gemeinsames Gebet und Lobpreis sind erkennbare Lebensvollzüge der christlichen Gemeinde, die weder beeinträchtigt noch entstellt werden dürfen. Das gilt auch von der Fürbitte für Bedrängte und von der Aufgabe der Kirche, für die Nöte der Welt vor Gott einzutreten.«

Kirchenpräsident Natho/Dessau informierte die KKL über ein mit ihm in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (AGCK) in der DDR im Beisein weiterer Leitungsmitglieder der AGCK durch den Staatssekretär für Kirchenfragen, Genossen Gysi, geführtes Gespräch in Auswertung der 1. Vollversammlung der »Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung« in Dresden. Bei diesem Gespräch sei staatlicherseits eine außerordentlich negative Einschätzung der »Ökumenischen Versammlung« erfolgt. Der Kirche sei u. a. der Vorwurf gemacht worden, während der Veranstaltung nichts gegen politisch negative Tendenzen unternommen und den Staat getäuscht zu haben.

Entgegen der Zusicherung, die Tagung der »Ökumenischen Versammlung« unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchzuführen, seien die »Zeugnisse der Betroffenheit« in öffentlicher Sitzung bekannt gemacht und damit den westlichen Medien praktisch auf kürzestem Wege zur Verfügung gestellt worden.

In der sich anschließenden Diskussion wurde mehrheitlich die Auffassung vertreten, es sei eine »einseitige und schiefe Optik« auf die »Ökumenische Versammlung« entstanden, da »vorwiegend DDR-Probleme und Beschwernisse und kaum der ökumenische Horizont und die Weltlage diskutiert« worden seien.

Kirchenpräsident Natho hob ergänzend in der Diskussion hervor, er habe den Eindruck, die Kirchenleitung sollte durch das Gespräch mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen »nun auch in der aus anderen Zusammenhängen bekannten Weise der Vorladung und Gesprächsführung vermahnt werden«.

Breiten Raum nahm in der Diskussion auf der Klausurtagung der Meinungsaustausch zur Übersiedlungsproblematik ein. Dabei wurden mehrheitlich Haltung und Aktivitäten der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg kritisiert.

Durch Bischof Forck und Konsistorialpräsident Stolpe wurde das Verhalten der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg jedoch u. a. damit gerechtfertigt, dass aufgrund der »besonderen Berliner Situation« keine anderen Handlungsvarianten möglich gewesen seien. Ihre Tätigkeit habe mit dazu beigetragen, »schrittweise den Damm abzubauen«.

Im Verlaufe der weiteren Diskussion wurde durch Vertreter aus allen Landeskirchen darauf verwiesen, dass nach wie vor durch die Räte der Kreise in Gesprächen mit Übersiedlungsersuchenden den betreffenden Personen »Verpflichtungserklärungen« abverlangt würden, sich nicht an die Kirche zu wenden und in deren Räumlichkeiten zu versammeln, um Unterstützung für ihre Übersiedlungsersuchen zu erreichen.

Durch Landesbischof Leich wurde im Ergebnis dieser Diskussion die einheitliche Position der KKL zu diesem Problem in folgenden fünf Punkten zusammengefasst:4

  • 1.

    Die Kirche setze sich weiterhin für die Lösung von Härtefällen im Sinne von humanitären und menschlichen Problemen ein.

  • 2.

    Auf jeden Fall müsse die ungehinderte Teilnahme an Gottesdiensten und anderen kirchlichen Veranstaltungen auch für Übersiedlungsersuchende garantiert werden. Für die Seelsorge und weitere kirchliche Aktivitäten spiele die »Antragstellung« erst einmal überhaupt keine Rolle. Dies ergebe sich aus der nicht zu schmälernden Offenheit der Kirche für alle.

  • 3.

    Es sei ganz klar festzuhalten, dass es keine kirchlichen Selbsthilfegruppen und auch keine Aufnahme sogenannter Selbsthilfegruppen von Übersiedlungsersuchenden in die Kirche geben dürfe. Seelsorgestellen, wie in Berlin-Brandenburg im Ansatz eingerichtet, dürften in den Kirchen nicht errichtet werden, es seien auch keine Räume für Treffen von Übersiedlungsersuchenden zur Verfügung zu stellen.

  • 4.

    Seelsorge an Übersiedlungsersuchenden solle individuell, persönlich erfolgen. Dabei müsse allerdings dem staatlichen Missverständnis gewehrt werden, dass der Auftrag der Kirche auf Seelsorge in dem Sinne zu begrenzen sei, dass die Kirche eine »Kultuskirche sei und sich nicht für den ganzheitlichen Menschen« einsetze.

    Dies sei natürlich von einer Beratung zur »Beförderung von Ausreiseantragstellungen« abzugrenzen. Im Regelfall sei Einzelseelsorge zu betreiben. Sollte es für notwendig erachtet werden, Gruppenseelsorge durchzuführen, könne es sich nur darum handeln, dass eine kleinere Gruppe von Übersiedlungsersuchenden mit Seelsorgern oder mit Seelsorge Befassten gemeinsam über ihre Probleme spreche.

    Dies dürfe jedoch nicht dergestalt erfolgen, dass sich eine große Gruppe von Übersiedlungsersuchenden mit einem Pfarrer treffe und im Grunde genommen damit die Übersiedlungsersuchenden sich zu eigenständigen Gruppen formieren.

  • 5.

    In der Seelsorge ist jeder, ob Übersiedlungsersuchender oder nicht, darauf hinzuweisen, dass mit der Anwendung der in der DDR vorhandenen Gesetze gerechnet werden müsse und dies weder durch die Kirche abgewendet werden könne noch durch die Kirche abgewendet werden wird.

Präsident Domsch schätzte in einem internen Gespräch während der Klausurtagung der KKL zum Übersiedlungsproblem ein, dass in Leipzig mit den Übersiedlungsersuchenden eine geradezu »explosive Situation« heranreife, mit der die Kirche nicht mehr fertig werde. Er äußerte die Absicht, mit dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, während dessen Aufenthalt in der DDR anlässlich der Leipziger Frühjahrsmesse darüber zu sprechen.

(Nach vorliegenden Hinweisen ist Domsch am Abend des 13. März 1988 mit Rau im Hotel »Merkur« in Leipzig zusammengetroffen. Über den Inhalt des Gespräches liegen keine Hinweise vor.)

In Fortsetzung der Diskussion zu der bereits auf der Sondertagung der KKL aufgeworfenen Frage nach dem aktuellen Stand des Verhältnisses Staat – Kirche in der DDR unter Berücksichtigung der Ereignisse im Zusammenhang mit der Zionskirche und der Kampfdemonstration am 17. Januar 1988 sowie der sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen wurde in der KKL eine langwierige und kontroverse Diskussion geführt, die sich über den gesamten Verlauf der Klausurtagung der KKL erstreckte. Dabei ist einzuschätzen, dass die Meinungsäußerungen so divergierend waren, dass eine eigens dafür eingesetzte Arbeitsgruppe der KKL, der u. a. Oberkirchenrat Große/Eisenach, Oberkirchenrat Ziegler/Berlin und Pfarrer Passauer/Berlin angehörten, beauftragt wurde, eine einheitliche Position vorzubereiten, die – auf der Klausurtagung diskutiert sowie bestätigt – in der genannten Pressemitteilung über die Klausurtagung der KKL – Teil I – ihren Niederschlag fand.

Während der weiteren Beratungen wurde eine Vorlage der ständigen Vorbereitungsgruppe für die »Friedensdekade« behandelt, die an die Vorbereitungsgruppe mit der Aufforderung, das Thema der »Friedensdekade« 1988 zu verändern, zurückverwiesen wurde. Das vorgeschlagene Thema »Er bricht ab den Zaun – er nimmt weg die Feindschaft« wurde als zu lang und zu unkritisch abgewiesen. Durch die KKL wurde gefordert, ein neues Thema im Sinne des Bibelwortes »Christus ist unser Friede« zu finden. Weiterhin wurde durch die KKL festgelegt, dass der Schwerpunkt der »Friedensdekade« 1988 auf jeden Fall der 50. Jahrestag der Wiederkehr der »Reichskristallnacht« sein müsse.

Dabei ginge es um eine »Aufarbeitung dieses faschistischen Pogroms«, wobei das Problem des Antisemitismus bis zu gegenwärtig in der DDR vorhandenen aktuellen Tendenzen der Ausländerfeindlichkeit behandelt werden solle. Nicht entschieden wurde auf der Klausurtagung, ob während der »Friedensdekade« 1988 eine Aufnahme des Themas »Israel und die Palästinenser« erfolgen müsste. Die erneute Behandlung der Vorlage zur »Friedensdekade« 1988 ist auf der 117. Tagung der KKL vom 13. bis 15. Mai 1988 vorgesehen.

Durch die KKL wurde erneut die Besetzung der Funktion des Referenten für Kirche und Gesellschaft beim Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirche (BEK) in der DDR behandelt, da Oberkirchenrätin Lewek/Berlin nach ihrer Versetzung in den Ruhestand noch immer diese Aufgabe wahrnimmt. Der KKL wurde mitgeteilt, dass durch den Vorstand Gespräche mit drei Kandidaten (Dr. Nollau/Dresden, Superintendent Magirius/Leipzig und Pfarrer Wohllebe/Wurzen) geführt wurden.Da Superintendent Magirius die meisten Stimmen erhielt, wurde er durch den Vorstand befragt, ob er bereit sei, diese Berufung anzunehmen, woraufhin er sich Bedenkzeit ausbat. Durch die beiden anderen Kandidaten war bereits vorher ihre Zustimmung zu einer Berufung in diese Funktion erklärt worden.

Streng internen Hinweisen zufolge wurde am Rande der Klausurtagung der KKL im engsten Kreis über nachfolgend genannte, besonders beachtenswerte Probleme gesprochen:

  • Unter Bezugnahme auf die nach Meinung kirchenleitender Kräfte besonders in letzter Zeit nicht durchschaubaren und unberechenbaren Handlungsweisen des Staates gegenüber den evangelischen Kirchen wurden von einzelnen kirchlichen Amtsträgern Erfordernisse und Möglichkeiten des Abschlusses eines »Staatsvertrages« zwischen Staat und evangelischen Kirchen in der DDR erörtert. Ihrer Auffassung nach würde ein derartiger Vertrag die Beziehungen Staat – Kirche berechenbarer gestalten.

  • Kirchenleitende Amtsträger, darunter Präsident Domsch, Oberkirchenrat Völz/Dessau und Oberkirchenrat Kirchner/Eisenach, vertraten die Auffassung, dass erst dann ein »Ende in den Spannungen zwischen Staat und Kirche sowie zwischen Gesellschaft und Gruppen abzusehen« sei, wenn das »derzeitige Reglementieren, die Gängelei und das Bevormunden« durch die staatlichen Organe abgestellt werde. Wenn die »Art des Regierens« sich ändern würde, dann käme auch wieder »Ruhe ins Land«.

  • Einzelne Mitglieder des Vorstandes der KKL äußerten die Befürchtung, es könne am 1. Mai 1988 zu »unliebsamen Vorkommnissen« kommen. Da dieser Tag auf einen Sonntag falle, werde es für möglich gehalten, dass die sonntäglichen Gottesdienste durch Übersiedlungsersuchende als Sammelpunkte genutzt werden. Man habe sich unter den Bischöfen und weiteren Mitgliedern des Vorstandes der KKL verabredet, eine interne Orientierung an die Pfarrer zu geben, die am 1. Mai Predigtdienste haben. In den Predigten solle auf die »Achtung der Würde« des 1. Mai hingewiesen und »verschlüsselt« vor Zusammenrottungen an diesem Tag gewarnt werden.

Die Information ist wegen äußerster Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

Anlage zur Information Nr. 146/88

Abschrift

Presseinformation des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR

– Aus der Arbeit der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen –

Die Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen hat auf ihrer Klausurtagung vom 11. – 13.3.1988 in Buckow über die gegenwärtige Situation der Kirchen in unserer Gesellschaft beraten. Sie hörte dazu Berichte aus den Gliedkirchen über die Auswirkungen der Ereignisse am Rande der Demonstration zum Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 17.1.1988 in Berlin und über Gespräche, die staatliche Vertreter mit kirchlichen Mitarbeitern auf allen Ebenen in den meisten Bezirken seit dem 19. Februar geführt haben. Ebenso wurde der Konferenz über Reaktionen auf das Gespräch zwischen dem Staatsratsvorsitzenden und dem Vorsitzenden der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen am 3. März 1988 berichtet.

Im Mittelpunkt der Beratungen standen folgende Fragen:

  • Wie ist vom Auftrag der Kirche her die Trennung von Staat und Kirche zu bestimmen und aktuell durchzuhalten?

  • Wie erfahren und beurteilen Gemeindeglieder die Entwicklungs- und Veränderungschancen unserer Gesellschaft?

  • Wie können die Kirchen an solcher Veränderung mitarbeiten?

  • Wie sollen sich Kirchen und Gemeinden zu denen verhalten, die Anträge auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft stellen?

  • Wie ist die Stellung zu geltendem Recht zu bestimmen, wenn dieses als veränderungsbedürftig erkannt wird?

  • Welche Maßstäbe kann es für den Umgang mit Gruppen für Gemeinden und Kirchen geben?

In den Verhandlungen der Konferenz bestand Übereinstimmung darüber, dass Ausgangspunkt für das Nachdenken über alle, zum Teil strittigen Fragen, der Auftrag sein muss, das Evangelium von Jesus Christus zu bezeugen. Dabei hat das, was die Konferenz 1973 am Ende der ersten Legislaturperiode der Synode des Bundes erklärte, auch heute als Orientierung seine Gültigkeit:

»Jesus Christus geht uns auch in die für uns neue gesellschaftliche Situation voran und erschließt sie uns als Auftragsfeld und Dienstchance. Wir sind Bürger eines sozialistischen Staates und Glieder einer sozialistischen Gesellschaft. Hier haben wir als Christen zu leben und zu handeln – in der Liebe, die offene Augen hat für alle Not, wo sie auch zutage tritt, die für alles Bessere und Gerechtere eintritt, woher es auch kommt, und in der Hoffnung, die sich in dieser Liebe durch nichts irremachen lässt. Auf eine Formel gebracht, die auf der Synode des Bundes in Eisenach 1971 gebraucht wurde: ›Wir wollen nicht Kirche neben, nicht gegen, sondern im Sozialismus sein.‹«

Der Sendungsauftrag weist die Kirche an alle Menschen; jeder muss freien Zugang zu Gottesdienst und Seelsorge haben. Jede Einschränkung dieses Zuganges hindert die Kirche in der Ausübung ihres Dienstes und entspricht nicht den Zusagen der Verfassung. Die öffentliche Verkündigung des Wortes Gottes, gemeinsames Gebet und Lobpreis sind elementare Lebensvollzüge der christlichen Gemeinde, die weder beeinträchtigt noch entstellt werden dürfen. Das gilt auch von der Fürbitte für Bedrängte und von der Aufgabe der Kirche, für die Nöte der Welt vor Gott einzutreten.

Die verfassungsmäßige Trennung von Kirche und Staat bedeutet für beide eine Chance, in freimütigen und offenen Dialog Lebensfragen des Volkes zu erörtern. Die Kirche bleibt dadurch frei von dem Verdacht, als Kirche die Probleme lösen zu wollen, deren Lösung Aufgabe des Staates ist. Gebunden an das Wort und den Willen Gottes will sie ein konstruktiver Gesprächspartner sein, der mit seinen Erkenntnissen dem Wohl des Gemeinwesens dient.

Wenn sie für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung eintritt, hilft sie, Bewusstsein zu wecken für die Last der Verantwortung, die die Regierung und die Gesellschaft haben. Wenn sie sich mit ihrer Diakonie Schwachen, Kranken und Behinderten zuwendet, setzt sie hilfreiche Zeichen für den notwendigen Dienst am Nächsten. Wenn sie mit ihrer Seelsorge Menschen begleitet, die in ihrem Leben nicht zurechtkommen, verdeutlicht sie ihnen, dass uns Gott durch andere Menschen nahe kommt. Wenn sie für Bedrängte und Gescheiterte eintritt, macht die Kirche darauf aufmerksam, dass keiner in Not allein gelassen werden darf und dass täglich Neuanfang möglich ist. Die Kirche ist immer an den ganzen Menschen gewiesen. Dazu gehören auch seine gesellschaftlichen Belange. Ihnen kann sich die Kirche um des Liebesgebotes Jesu Christi willen nicht entziehen, Trennung von Staat und Kirche darf nicht als Trennung der Kirche von den Menschen verstanden werden.

Mit Dank stellt die Konferenz fest, dass der Grundsatz der Gleichberechtigung und Gleichachtung des Bürgers mit christlichem Bekenntnis vom Vorsitzenden des Staatsrates, Erich Honecker, nicht nur am 6. März 1978 als Norm des Zusammenlebens von Christen und Nichtchristen in der DDR betont wurde, sondern auch bei den danach folgenden Begegnungen mit den Vorsitzenden der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen von ihm bekräftigt wurde. Daraus sollten sich Christen in ihrem Willen um Mitgestaltung berufen, wenn sie Chancengleichheit mit anders denkenden Bürgern erwarten.

Die Konferenz beschäftigte auch die Situation der Menschen, die Anträge auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR gestellt haben und oft jahrelang auf die Bearbeitung und Entscheidung ihres Anliegens warten.Um den Auftrag unserer Kirche erfüllen zu können, so wurde in den Beratungen erneut betont, brauchen wir jedes Gemeindeglied. Darum bitten wir, in der Gemeinschaft zu bleiben und die DDR nicht zu verlassen. Unsere Gesellschaft braucht jeden Menschen mit seinen Gaben und Fähigkeiten. Sie verliert an Vielfalt, und unser Land wird ärmer, wenn Menschen sich zurückziehen und ausreisen. Jeder, der geht, lässt andere einsamer zurück. Jeder, der ihm Anvertraute verlässt, schafft eine nur schwer schließbare Lücke, Schmerz und Zorn über solchen Verlust dürfen aber nicht zu moralischer Verurteilung und Ausgrenzung führen.

Die Kirche sieht ihre Aufgabe darin, zu Verhältnissen in der Gesellschaft beizutragen, unter denen Menschen gerne leben können und Anträge auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft nicht mehr stellen wollen. Dazu wird die Mitarbeit gerade auch derer gebraucht, die unter Defiziten unserer Gesellschaft leiden und Veränderungen anstreben.

Die Seelsorge an Menschen in äußerer oder innerer Not ist Aufgabe aller Gemeindeglieder, kirchlicher Mitarbeiter und Pfarrer. Dies gilt unabhängig davon, wie die jeweilige Notlage zustande gekommen ist. Seelsorge kann vom Auftrag der Kirche her nicht auf bestimmte Gruppen oder Anlässe eingegrenzt werden. Besondere Kontakt- oder Seelsorgestellen für Personen, die einen Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR gestellt haben, werden deshalb nicht eingerichtet. Vielmehr kommt es darauf an, dass Menschen in dieser Lage in alle Lebensformen der Gemeinde integriert bleiben oder integriert werden.

Die Konferenz unterstreicht die Feststellung ihres Vorsitzenden, dass in innenpolitischen Fragen Entscheidungen mit »Signalwirkungen für die Zukunftserwartung vieler Bürger« dringlich sind. Dazu gehören auch die seit geraumer Zeit angekündigten Informationsgespräche. Die Konferenz erwartet, dass die Vorarbeiten für Gespräche über die Fragen, die Landesbischof Dr. Werner Leich dem Staatsratsvorsitzenden vorgetragen hat, in Angriff genommen werden. Die Konferenz bekräftigt die Aussage ihres Vorsitzenden: »Wo wir sagen können ›Gott sei Dank‹, werden wir zur Mitarbeit bereit sein, wo wir dies nicht vermögen, werden wir uns zu Wort melden und freimütig sprechen.«

  1. Zum nächsten Dokument Gewaltsamer Übergriff auf den Sohn eines Pastors

    21. März 1988
    Information Nr. 147/88 über eine gegenüber dem Sohn eines Pastors der [Kirche] am 12. März 1988 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, begangene Körperverletzung

  2. Zum vorherigen Dokument Bericht Oppositionelle Tendenzen in Ostberliner Jugendklubs

    18. März 1988
    Information Nr. 145/88 über einige beachtenswerte Erscheinungen in Jugendklubs der Hauptstadt der DDR, Berlin