118. Tagung der Konferenz Evangelischer Kirchenleitungen
14. Juli 1988
Information Nr. 352/88 über die 118. Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (KKL) in der DDR am 1. und 2. Juli 1988 in der Hauptstadt der DDR, Berlin
An der 118. Tagung der KKL, die im üblichen Teilnehmerkreis durchgeführt wurde, nahmen aus dienstlichen Gründen die Bischöfe Leich, Hempel und Gienke nicht teil, während die Bischöfe Rogge und Demke nur zeitweilig anwesend waren.
Die Tagung befasste sich mit der Vorbereitung des Berichtes der KKL an die 4. Tagung der V. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR (16. bis 20. September 1988 in Dessau), nahm weitere Berichte entgegen, erarbeitete Stellungnahmen und behandelte bzw. entschied über innerkirchliche und theologische Fragen. Dazu wurde streng intern bekannt:
Der Berichtsentwurf der KKL an die 4. Tagung der V. Synode des BEK – erarbeitet von Bischof Rogge, Oberkonsistorialrat Harder/Greifswald, Pfarrer Schorlemmer/Wittenberg und Pressereferent Pfarrer Günther/Berlin – beinhaltet in sechs Abschnitten die Themen »Verhältnis Staat und Kirche«, »Zusammenwirken im Bund«, »Gemeinsame Worte des BEK und der EKD«, »Kirche und Gruppen«, »Ökumene« und »Kirchentage«.
Die Verfasser orientieren darauf zu verzichten, auf alle Phänomene kirchlichen Lebens in den Gliedkirchen Schwerpunkte setzen zu wollen, mit denen »Geschehen eingeschätzt und gedeutet« werden solle. Bei ausführlicher Behandlung gesellschaftspolitischer Aspekte – so im Zusammenhang mit Aussagen zur kirchlichen Medienarbeit und der Übersiedlungsproblematik – wird dem besonders in den Abschnitten »Verhältnis Staat und Kirche« sowie »Kirche und Gruppen« Rechnung getragen. Der Entwurf des Konferenzberichtes enthält u. a. folgende Textpassage: »Die Konferenz vertritt die Auffassung, dass ein sogenannter Tabukatalog für Themen in der Informationsarbeit der Kirche nicht akzeptiert werden kann und dass es auch den entwickelten Beziehungen zwischen Staat und Kirche unangemessen ist, wenn über Beschwernisse vonseiten des Presseamtes nicht diskutiert wird, sondern pauschal Beiträge zurückgewiesen werden …
Die Konferenz bedauert, dass durch diese Eingriffe nicht nur die kirchliche Öffentlichkeit in der DDR beunruhigt wurde, sondern darüber hinaus auch die Berichterstattung in westlichen Medien von den Synoden und Kirchentagen erheblich beeinflusst wurde …«
Zur Übersiedlungsproblematik wird im Berichtsentwurf konstatiert, diese sei durch die Inhaftierung und schnelle Ausbürgerung von Personen am Rande der Luxemburg/Liebknecht-Demonstration durch staatliche Organe zu einer »neuen Öffentlichkeit« gekommen. In der Hoffnung, durch demonstratives Verhalten die Ausreise beschleunigen zu können, würden Betroffene seitdem die Öffentlichkeit suchen. Neben der seelsorgerlichen Betreuung solcher Personen wolle die Kirche mithelfen, unverantwortlichen und entwürdigenden Umgang mit Übersiedlungsersuchenden zu vermeiden.
Zu angeblichen Ursachen von Übersiedlungsersuchen, die im Leben und Zusammenleben unserer Gesellschaft begründet seien, wird im Berichtsentwurf festgestellt: »Obwohl in unserer Gesellschaft viele Möglichkeiten der Mitarbeit gegeben sind, klaffen die erlebte Wirklichkeit und die vorgegebene Möglichkeit weit auseinander. So wird bei vielen Bürgern der Eindruck erweckt, als würden die tatsächlichen Fragen und Probleme von den Verantwortlichen nicht oder nur unzureichend erkannt.«
In der Diskussion, in deren Ergebnis festgelegt wurde, dass die Verfasser des Berichtsentwurfes diesen bis zur nächsten Tagung der KKL im September 1988 nochmals zu überarbeiten haben, gab es u. a. folgende beachtenswerte Wortmeldungen:
Pfarrer Günther/Berlin und andere Tagungsteilnehmer wiesen darauf hin, im Bericht müsse deutlicher werden, dass die Kirche zu außenpolitischen Fragen mit dem Staat keine Meinungsverschiedenheiten habe. Die KKL solle den Staat in Fragen der Außenpolitik ermutigen.
Konsistorialpräsident Stolpe bemerkte, die Kirche müsse berücksichtigen, dass der Generalsekretär des ZK der KPdSU, Gorbatschow, mit seinem Programm durchgekommen sei und Veränderungen auch in der DDR notwendig wären. Die Kirche wolle den Staat nicht stürzen, sondern mithelfen, ihn zu reformieren.
Pfarrer Adolph/Neustadt, in seiner Auffassung unterstützt von Bischof Forck, warf die Frage auf, ob die Zeit nicht reif wäre, wonach die Kirche ein Wort zur gesellschaftlichen Situation in der DDR sagen sollte.
Oberkonsistorialrat Harder wandte sich gegen vorgenannte und andere Bestrebungen hinsichtlich einer politischen Verschärfung des Berichtes und verwies auf die staatliche Reaktion zur Herbstsynode des BEK 1987 in Görlitz, nach der »alle Beziehungen zwischen Staat und Kirche abgebrochen waren«. Man sei dabei, darüber hinweg zu finden. Deshalb weigere er sich, an einem Bericht mitzuwirken, der gleichartige negative Reaktionen auslösen würde.
In Aufnahme einer entsprechenden Beschlussfassung der Frühjahrssynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg wurde in der KKL zur Übersiedlungsproblematik beraten und ein diesbezüglich vorgelegter Beschlussentwurf verabschiedet. (Über den Inhalt des Beschlusses der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg wurde in der Information des MfS Nr. 189/88 vom 14. April 1988 informiert.)
Im genannten Beschluss war der BEK aufgefordert worden, die Evangelische Kirche in Deutschland/BRD zu gewinnen, um »in der BRD die indirekte Mitverantwortung für die Ausbürgerungsproblematik zu bedenken«.)
Der auf Antrag des synodalen Konferenzmitgliedes Dr. Nollau/Dresden stark gekürzte Beschlussentwurf fand in folgender Fassung Zustimmung:1
»Die Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen hat den Beschluss der Synode von Berlin-Brandenburg zur Ausbürgerungsproblematik und ihre Bitte erörtert, mit der Evangelischen Kirche in Deutschland in Gespräche über diese Frage einzutreten. Die Konferenz konnte feststellen, dass in Begegnungen mit Vertretern der EKD und den einzelnen Partnerkirchen in der Bundesrepublik die Frage bereits vielfältig besprochen wird. Die Konferenz ist dankbar dafür, dass dabei erneut die Übereinstimmung in dem Willen deutlich geworden ist, zu einem Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten beizutragen, das auch der Entspannung im internationalen Rahmen dient.«
Gestrichen worden waren u. a. Passagen, in denen von der »Notwendigkeit der Einbeziehung des mündigen Bürgers in die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens«, von »durchschaubaren Rechten in Fragen der Besuchsreisen« und der »Diskriminierung von Antragstellern« gesprochen wurde.
Kirchenpräsident Natho und Oberkirchenrat Große/Eisenach sprachen sich gegen eine »öffentliche Antwort« der KKL gegenüber der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg aus.
Im Rahmen der geführten Diskussion wurde auch auf Reaktionen der BRD-Seite eingegangen. Äußerungen von Oberkirchenrat Ziegler/Berlin zufolge, habe es bezüglich der Feststellung zu einer »indirekten Mitverantwortung der BRD an der Antragsteller-Problematik« in den BRD-Kirchen heftigen Widerstand gegeben. Bischof Forck erklärte demgegenüber, dass ihm der Bundesminister für Verkehr, Warnke, anlässlich eines Treffens am Vortage der KKL-Tagung die »Mitverantwortung der Bundesregierung für die Ausreisewelle« bestätigt habe.
Zur Berichterstattung aus den Landeskirchen – in deren Mittelpunkt Probleme der durchgeführten Kirchentage standen – liegen u. a. folgende beachtenswerte Hinweise vor:
In Einschätzung des Kirchentages in der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebietes nahm Oberkirchenrat Völz/Görlitz besonders Bezug auf den darin eingebetteten Kirchentagskongress. Dieser sei wenig gefragt gewesen, und die Erwartungshaltungen der Kirche seien nicht erfüllt worden. Beachtung bei der Kirche fanden gezielte Aktivitäten von in Gemeindekirchenräten tätigen Mitgliedern der CDU im Rahmen des Kirchentagskongresses und des Kirchentages insgesamt.
Oberkirchenrat Große/Eisenach verwies in Einschätzung des Evangelischen Kirchentages der Region Thüringen auf Probleme hinsichtlich des angeblich von der Bezirksleitung Erfurt der SED ohne Rücksprache mit dem Staatsapparat veranlassten Einsatzes von ca. 7 000 Parteiaktivisten zu Veranstaltungen des Kirchentages, um »den Gläubigen und kirchlichen Kirchentagsteilnehmern eine Teilnahme an Veranstaltungen unmöglich zu machen«.
Die Kirchenleitungen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der Evangelischen Landeskirche Greifswalds seien in ihren Erwartungen zum Rostocker Kirchentag bestätigt worden. Oberkirchenrat Plath/Greifswald verwies darauf, dass von den Teilnehmern biblisch orientierte Themen den politisch orientierten vorgezogen worden seien. Die Präsidien der Kirchentagsausschüsse beider Landeskirchen beabsichtigen, nochmals die Frage zu erörtern hinsichtlich der Präsenz von BRD-Vertretern und der »Überfremdung« kirchlicher Veranstaltungen durch Politiker.
Wie bereits Oberkirchrat Völz, so stellte Konsistorialpräsident Kramer/Magdeburg bezogen auf den Kirchentag der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in Halle fest, seitens kirchlicher Mitarbeiter und Pfarrer habe es Unwillen und Widerstand gegen die geplante Durchführung des Kirchentages gegeben. Kramer äußerte u. a., das Gesprächsforum von Bischof Demke und Kanonikus Oestreicher/Großbritannien mit Personen des »Kirchentages von unten« sei nicht sehr erfolgreich gewesen, da es u. a. von einer »Hundertschaft« der Berliner Gruppierung »Kirche von unten«2 negativ geprägt worden war. Ferner informierte Kramer darüber, dass Demke die während dieser Veranstaltung an ihn gerichtete Frage nach Etablierung eines sogenannten Kontaktbüros für Ausreisewillige im Bereich der Kirche mit der Begründung abgelehnt habe, eine derartige Einrichtung würde den Aufbau einer Oppositionspartei fördern, und die Übersiedlungsproblematik sei nicht Aufgabe der Kirche. Diskussionen um die Möglichkeit der Bildung einer Sektion DDR von »Amnesty International« wären verflacht, nachdem Oestreicher erläuterte, nationale Sektionen dieser internationalen Organisation dürften sich nicht um Inhaftierte im eigenen Land kümmern.
Eingeordnet in diese Berichterstattung war die Behandlung von Problemen im Zusammenhang mit Einsprüchen durch das Presseamt beim Vorsitzenden des Ministerrates der DDR zu geplanten Veröffentlichungen in evangelischen Kirchenzeitungen sowie deren teilweises Nichterscheinen.
Oberkirchenrat Ziegler informierte sachlich über das durch Bischof Demke, in dessen Eigenschaft als stellvertretender Vorsitzender der KKL, und ihn, als Leiter des Sekretariats des BEK, am 24. Juni 1988 mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen geführte Gespräch zu diesem Problem. Nach Ziegler sei besonders deutlich geworden die staatliche Erwartungshaltung, diesbezügliche Kanzelabkündigungen zu unterbinden.
In der Diskussion, in der u. a. darüber informiert wurde, dass in einigen Landeskirchen bereits öffentliche Erklärungen zum Nichterscheinen von Kirchenzeitungen erfolgten, wurde von auf realistischen Positionen stehenden Beratungsteilnehmern versucht, Einfluss auf den Beschluss der KKL zu dieser Problematik zu nehmen. So erklärte Oberkirchenratspräsident Müller/Schwerin, was die Kirchenzeitungen in den letzten Wochen und Monaten veröffentlicht hätten, sei nicht immer verantwortungsbewusst gewesen. Die Kirchenzeitungen, die »Mecklenburgische Kirchenzeitung« eingeschlossen, hätten nicht den »schmalen Weg zwischen weiser Selbstbeschränkung und neuen Möglichkeiten« gefunden und oft zu plakativ Dinge gebracht, die man hätte auch vorsichtiger bringen können und müssen. Konsistorialpräsident Kramer erklärte, dass er zwar nicht den staatlichen Einspruch zum sogenannten Krusche-Artikel verstehe, aber ungeachtet dessen die Auffassung vertrete, die Kirche hätte eine Reihe der beanstandeten Artikel »nicht sofort in einem teilweise aggressiven Ton« zur Veröffentlichung vorsehen sollen. Auf Einspruch der Oberkirchenräte Harder/Greifswald und Kirchner/Eisenach wurden bestimmte provokatorische Formulierungen (u. a. Nichtakzeptierbarkeit eines Tabukataloges für Themen kirchlicher Informationsarbeit …) im Beschlussentwurf beseitigt.
Im Ergebnis der Beratung wurde der vorgenannte Beschluss (als Anlage der Information beigefügt), in dem die Erwartung ausgesprochen wird, durch »Gespräche des Vorsitzenden der KKL die gegenwärtige Situation für die Kirchenzeitungen klären zu können«, einstimmig angenommen.
Im Verlaufe der 118. KKL-Tagung berichtete Bischof Demke über seine Teilnahme als offizielles Mitglied der DDR-Delegation am »Internationalen Treffen für kernwaffenfreie Zonen« in Berlin. Er sei von der inhaltlichen Gestaltung positiv überrascht worden, und es habe eine ausgezeichnete Sachvorbereitung gegeben. Beeindruckend für ihn sei auch die Beteiligung des Ministeriums für Nationale Verteidigung gewesen, dessen Vertreter sämtlich in Uniform auftraten, was positiv als demonstrativer Akt verstanden worden sei. Bezug nehmend auf das bisher nicht ermöglichte Informationsgespräch zu Fragen der Militärdoktrin mit dem Ministerium für Nationale Verteidigung schätzte Demke ein, er habe nicht den Eindruck, dass dies »vonseiten der NVA als unmöglich angesehen« werde. In Ergänzung dazu äußerte Kirchenpräsident Natho, er habe es als besonders bedeutungsvoll empfunden, dass Erich Honecker auf dem Treffen deutlich den Anspruch der sog. kleinen Nationen zum Ausdruck gebracht hat.
Bischof Forck teilte der KKL mit, er habe sich bezüglich der Wiedereinreise von Bohley/Fischer schriftlich an den Staat gewandt. Seiner Auffassung nach werde die Regierung der DDR ihr gegebenes Wort halten und der Wiedereinreise nichts in den Weg legen. Es seien lediglich noch Modalitäten der Einreise zu klären.
Zum neuen Sekretär der »Kommission für Ausbildung« beim Sekretariat des BEK wurde von der KKL Pfarrer Michael Jacob/Berlin berufen.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 352/88
– Abschrift –
118. Tagung der Ev. Kirchenleitungen in der DDR – 1./2. Juni 1988 in Berlin
Vorlage Nr. 16
Die Konferenz beschließt:
Im Rahmen der Berichte aus den Landeskirchen hat die Konferenz feststellen müssen, dass auch ein Gespräch mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen am 24. Juni nicht die erwartete Entspannung im Blick auf die Berichterstattung über kirchliches Geschehen in den Kirchenzeitungen und in ena brachte.
Die Konferenz vertritt die Auffassung, dass die kirchliche Presse die Möglichkeit haben muss, über kirchliche Vorgänge wie Synodalverhandlungen und ihre Themen und über kirchliche Veranstaltungen vollständig und uneingeschränkt zu berichten.
Der Verkündigungsauftrag der Kirche ist nicht eingegrenzt auf Seelsorge, sondern reicht in alle Bereiche menschlichen Lebens hinein. Für die entwickelten Beziehungen zwischen Staat und Kirche ist es unangemessen, wenn über Beschwernisse vonseiten des Presseamtes nicht diskutiert wird, sondern pauschal Beiträge zurückgewiesen werden.
Die Konferenz bedauert, dass durch diese Eingriffe nicht nur die kirchliche Öffentlichkeit in der DDR beunruhigt ist, sondern darüber hinaus auch die Berichterstattung in westlichen Medien über das kirchliche Geschehen erheblich negativ beeinflusst wird. Die Konferenz erwartet, dass Gespräche des Vorsitzenden der Konferenz die gegenwärtige Situation für die Kirchenzeitungen klären können.