Anti-IWF-Woche der DDR-Opposition in Ostberlin
15. Oktober 1988
Information Nr. 446/88 über einige beachtenswerte Probleme im Zusammenhang mit der Durchführung einer sogenannten Anti-IWF-Aktionswoche (23. September bis 30. September 1988) in der Hauptstadt der DDR, Berlin
Die Durchführung der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank (27.9.–29.9.1988) in Westberlin nahmen im Sinne politischer Untergrundtätigkeit wirkende, namentlich bekannte Kräfte, besonders aus der Hauptstadt Berlin – offensichtlich in Anlehnung an ihnen bekannt gewordene geplante Gegenaktionen in Westberlin – zum Anlass, eine sogenannte Anti-IWF-Aktionswoche (23.9.–30.9.1988) zu organisieren.1
Das Ziel dieser Aktivitäten bestand nach vorliegenden Hinweisen darin, unter dem Deckmantel dieser sogenannten Anti-IWF-Aktionswoche feindlich-negative und oppositionelle Kräfte zu mobilisieren, deren Aktivitäten zu koordinieren sowie eigene sozialismusfeindliche Auffassungen zu verbreiten. Dabei stellten die Inspiratoren und Organisatoren in Rechnung, mittels öffentlichkeitswirksamer Aktionen und Veranstaltungen in kirchlichen Einrichtungen Konfrontationen mit den Schutz- und Sicherheitsorganen zu provozieren und die DDR wegen ihrer nach außen gezeigten politischen Haltung zur Jahrestagung des IWF und der Weltbank in Westberlin zu diskreditieren.
Mit der Methode der polemischen Auseinandersetzung zu Problemen des IWF, der Ausbeutung der Dritten Welt und der Wirtschaftspolitik der sozialistischen Staaten gegenüber den Entwicklungsländern sahen sie geeignete Ansatzpunkte, an Veranstaltungen der sogenannten Anti-IWF-Aktionswoche teilnehmende Personen zu gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR gerichteten Handlungen zu inspirieren.
An der Vorbereitung und Durchführung der wesentlichsten Aktivitäten der »Anti-IWF-Aktionswoche« waren maßgeblich die wiederholt als Inspiratoren und Organisatoren feindlich-negativer Aktivitäten in Erscheinung getretenen Pfarrer Hülsemann und Gartenschläger sowie Reinhard Schult, Wolfgang Wolf, Bodo Wolff, Frank-Herbert Mißlitz, Thomas Klein, Mario Schatta und Martin Böttger beteiligt.
Die Teilnehmer an den durchgeführten Veranstaltungen sind insbesondere der »Kirche von Unten«, der »Solidarischen Kirche«, dem »Friedenskreis« Berlin-Friedrichsfelde, der »Umweltbibliothek« der Zionskirchgemeinde sowie der feindlich-negativen Gruppierung »Initiative Frieden und Menschenrechte« zuzuordnen.
Die im Rahmen der sogenannten Anti-IWF-Aktionswoche geplanten Veranstaltungen und Aktivitäten waren langfristig insbesondere durch die von Mißlitz gebildete »IWF-Gruppe« vorbereitet und zum größten Teil mit Kontaktpersonen aus Westberlin abgestimmt.
Nach internen Hinweisen erfolgte zur Koordinierung öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten im Rahmen der »Aktionswoche« in der Hauptstadt Berlin darüber hinaus eine planmäßige Abstimmung mit Vertretern sogenannter autonomer Gruppen, vor allem aus Westberlin, sowie Mitgliedern der »Alternativen Liste«. Bereits während der Berliner Konferenz für atomwaffenfreie Zonen erfolgte ein Zusammentreffen zwischen dem Westberliner Teilnehmer Wolf, Mitglied der »Alternativen Liste« Westberlins, und dem Mißlitz. Gleichzeitig wurden Informationsbeziehungen zu Vertretern westlicher Medien aufgebaut, um durch deren Einbeziehung die angestrebte Öffentlichkeit für die beabsichtigten provokatorischen Aktionen zu erreichen. (Vertreter westlicher Medien nahmen an verschiedenen Veranstaltungen der »Aktionswoche« teil.)
Zur vorbeugenden Verhinderung öffentlichkeitswirksamer, die Ordnung und Sicherheit gefährdender und die DDR international diskreditierender Handlungen wurden angemessene staatliche und gesellschaftliche Maßnahmen eingeleitet.
Wie der Verlauf der »Anti-IWF-Aktionswoche« bestätigte, hat sich die rechtzeitige Einflussnahme staatlicher Organe und gesellschaftlicher Kräfte auf den Inhalt und Verlauf der »Aktionswoche« als zweckmäßig erwiesen. Die auf zentralen Entscheidungen basierenden Maßnahmen, vor allem die kirchenleitenden Personen mitgeteilte staatliche Erwartungshaltung im Zusammenhang mit den Veranstaltungen in Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen anlässlich der »Anti-IWF-Aktionswoche«, haben sich bewährt.
Es wird eingeschätzt, dass die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg die staatliche Erwartungshaltung hinsichtlich ihres Auftretens und Einflusses auf die Organisatoren der »Anti-IWF-Aktionswoche« zur Verhinderung des politischen Missbrauchs kirchlicher Einrichtungen umgesetzt und erfüllt hat.
Auch der Einsatz und das Auftreten gesellschaftlicher Kräfte zu Veranstaltungen der »Anti-IWF-Aktionswoche« hat deutlich politisch positive Wirkungen gezeigt und Inhalt sowie Verlauf im progressiven Sinne beeinflusst. Die Erfahrungen zeigten, dass insbesondere der Einsatz von fachkundigen Experten, Wissenschaftlern und Spezialisten geeignet ist, den Inhalt solcher Veranstaltungen zu versachlichen bzw. im politisch positiven Sinne zu verändern. Durch die Darlegung der Probleme aus marxistisch-leninistischer Sicht erreichten die Organisatoren nicht die gewünschte Zielstellung, und die vorhandenen echten Informationsbedürfnisse eines Teils der Teilnehmer wurden auf der Grundlage unserer Weltanschauung befriedigt.2
(Diese Praxis sollte auch zukünftig differenziert zur Anwendung gebracht werden.)
Im Ergebnis verschiedener Einflussnahmen auf die Organisatoren der »Anti-IWF-Aktionswoche«, staatlicher Auflagen, Belehrungen sowie spezifischer Maßnahmen des MfS und der DVP wurde die von feindlich-negativen Kräften angestrebte Zielsetzung nicht erreicht, so vor allem die Absicht, ihr Aktionsprogramm, ausgehend von seminaristischen Veranstaltungen im kirchlichen Rahmen, zu provokativen Handlungen eskalieren zu lassen, zu denen es bereits konkrete Vorhaben gab (Demonstrationen vor der USA-Botschaft oder Marienkirche, Pilgermarsch, Ad-hoc-Veranstaltungen usw.).3
Dessen ungeachtet gelang es feindlich-negativen Kräften, eine »Presseerklärung« zu verfassen und zur Veröffentlichung an westliche Medien zu lancieren, eine sogenannte Potsdamer Erklärung zu formulieren, zu vervielfältigen und zu verteilen sowie anderweitig feindlich-negative Auffassungen im Rahmen der »Anti-IWF-Aktionswoche« zu verbreiten.
Die im Rahmen der Veranstaltungen vorgetragenen sowie in schriftlichen Materialien enthaltenen Probleme enthielten Angriffe
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gegen die Wirtschaftspolitik der DDR, insbesondere gegenüber Entwicklungsländern und
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gegen die angebliche direkte Unterstützung der Jahrestagung des IWF und der Weltbank in Westberlin durch die Bereitstellung von Hotelkapazitäten und Fahrzeugen in der Hauptstadt Berlin.
Der DDR und anderen sozialistischen Staaten wurde eine »Mitschuld« an der Lage der Entwicklungsländer unterstellt. Die Wirtschaftspolitik der DDR, so wurde behauptet, »würde in ihren Praktiken gegenüber Entwicklungsländern denen der kapitalistischen Länder ähneln und immer mehr kapitalistische Formen annehmen«. Diese Politik müsse man »kritisch verfolgen«.
In diesem Zusammenhang wurden auch – jedoch nur vereinzelt – das sozialistische System der DDR insgesamt angegriffen und »Veränderungen« gefordert. Es käme darauf an, »Missstände im eigenen Land zu beseitigen« und in der DDR »gewollt unbequem zu sein«. Da der reale Sozialismus kein »Gegengewicht zum IWF« sein könnte, müsste er »mehr demokratisiert« und nicht von den »Herrschenden«, sondern von den breiten Massen getragen werden.
So wurde u. a. gefordert, die Produktion neu zu organisieren, ein gesichertes Mindesteinkommen für jedermann (unabhängig davon, ob er arbeitet oder nicht) zu sichern, mehr Informationsfreiheit zu gewährleisten sowie ein Gremium »unterschiedlicher Menschen« einzusetzen, welches »Empfehlungen« für alle staatlichen Entscheidungen erarbeiten soll. Insgesamt seien die Wertsysteme im realen Sozialismus inhaltlich anders auszugestalten, vor allem unter stärkerer Berücksichtigung der Rechte des Einzelnen (»Weniger Ökonomie – mehr Sinn für den Menschen«).
Besonders in der als Gottesdienst bezeichneten Veranstaltung in der Berliner Sophienkirche am 25.9.19884 (Teilnehmer ca. 800 Personen, darunter eine große Zahl Übersiedlungsersuchender) wurde in der vom Pastor Stauß, Mitarbeiter der Studienabteilung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, gehaltenen Predigt, die kaum religiöse Ansatzpunkte enthielt, die Wirtschaftspolitik der DDR hinsichtlich ihrer Praktiken gegenüber Entwicklungsländern verleumdet. In Lesungen im Verlaufe der Veranstaltung wurde an Beispielen versucht darzustellen, dass die Hilfe sozialistischer und kapitalistischer Staaten für Entwicklungsländer keine Unterstützung wäre. Hilfsmaßnahmen der DDR wurden am Beispiel Mosambik verunglimpft. So wurde behauptet, dass in der DDR Ausländerfeindlichkeit herrsche und die Ausbildung von Bürgern aus Mosambik wertlos sei.
Die Texte der während der »Aktionswoche« verbreiteten nichtlizensierten Druck- und Vervielfältigungserzeugnisse wie »Schuldenkrise«, »Friedrichsfelder Feuermelder« (Ausgabe September 1988) und »Friedrichsfelder Extrablatt« (Ausgabe September 1988) richteten sich vordergründig gegen die Tagung des IWF und der Weltbank in Westberlin. Einige Passagen enthielten jedoch in unterschiedlicher Weise Angriffe gegen die Wirtschaftspolitik sozialistischer Staaten (Behauptung, sie würde immer stärker Formen kapitalistischer Wirtschaftspolitik annehmen). Das trifft auch auf einige Formulierungen der sogenannten Potsdamer Erklärung sowie der »Presseerklärung oppositioneller Gruppen aus der DDR, der BRD und Westberlin« zu. In diesen »Erklärungen« wenden sich die Unterzeichner auch »gegen Strukturen und Länder des realen Sozialismus«, die angeblich dazu beitragen, die Völker der Entwicklungsländer »den Wirkungen und Folgen der kapitalistischen Weltwirtschaft auszusetzen«. In diesem Zusammenhang wird von der Regierung der DDR gefordert, »die Praktiken dieser Mordmaschine (IWF) anzuprangern« und der IWF-Jahrestagung »keine Unterstützung zu gewähren«.
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