Begrenzung des Umtausches von DDR- in ČSSR- und UVR-Währung
22. Januar 1988
Erste Hinweise zu Reaktionen der Bevölkerung auf die Festlegungen über den Valutaerwerb bei privaten Reisen in die ČSSR und UVR [Bericht O/197]
Die am 15. Januar 1988 veröffentlichte Mitteilung der Staatsbank der DDR über Festlegungen beim Erwerb von Reisezahlungsmitteln für private Reisen in die ČSSR und die UVR für das Jahr 19881 hat in breitesten Kreisen der Bevölkerung Diskussionen in erheblichem Umfang ausgelöst. Nach vorliegenden Hinweisen, besonders aus den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Dresden, Halle, Erfurt und Leipzig wird von der Mehrzahl der sich dazu äußernden Personen, vorrangig Arbeiter und Angestellte aus Großbetrieben, Angehörige der Intelligenz – unter ihnen befinden sich auch viele Parteimitglieder – Unverständnis bis Ablehnung zu den Festlegungen zum Ausdruck gebracht.
Personen, die von Einsicht in diese Maßnahmen geprägte Standpunkte vertreten, befinden sich in der Minderzahl. Dennoch bewerten auch sie diese Entscheidung als unpopulär, die sich nachteilig auf das Stimmungsbild der Bevölkerung auswirken könnte.
Grundtenor aller diesbezüglichen Diskussionen ist die Feststellung, mit der Limitation der Reisezahlungsmittel seien die Reisemöglichkeiten für DDR-Bürger weiter drastisch eingeschränkt worden.
Vor allem Personen, die aus beruflichen Gründen keine Kontakte in das nichtsozialistische Ausland unterhalten und damit auch keine sogenannten Westreisen unternehmen dürfen äußerten, über diese Maßnahmen verärgert zu sein und kein Verständnis aufbringen zu können. Sie fühlen sich benachteiligt und – wie mehrfach betont – für ihr berufliches und politisches Engagement noch bestraft.
Mitglieder und Funktionäre der SED, u. a. tätig in Großbetrieben des Bezirkes Karl-Marx-Stadt, erklärten, sie hätten so eine schlechte Stimmung unter Parteimitgliedern, wie gegenwärtig im Zusammenhang mit diesen Maßnahmen stehend, noch nicht erlebt. Die Parteimitglieder hätten sich in ihren Arbeitskollektiven unglaubwürdig gemacht, indem sie die von westlichen Medien im Jahre 1987 verbreiteten Meldungen über bevorstehende Beschränkungen im Reiseverkehr in die ČSSR pauschal als Lügen des Gegners verurteilt haben. Jetzt werde ihnen in der Diskussion entgegengehalten, dass an den Meldungen, doch etwas Wahres gewesen sei.
Es sei – so äußern sich progressive Kräfte – der Eindruck entstanden, man habe sich an verantwortlicher Stelle gescheut, der Bevölkerung die Wahrheit zu sagen. Anstatt »gegnerische Gerüchte« nur zu dementieren, hätte bereits mit dem im Dezember 1987 erfolgten Dementi auf die bevorstehenden Veränderungen hingewiesen werden müssen.
Ein derartiges Vorgehen sei Ursache dafür, dass die permanente Kritik an der Informationspolitik ständig neu belebt und mit zunehmender Schärfe geführt und solche, unter Teilen der Bevölkerung vorhandenen Auffassungen wie, »wenn man sich über wichtige innenpolitische Vorgänge in der DDR informieren wolle, müsse man die Sendungen westlicher Medien intensiv verfolgen«, weiter erhärtet werden.
Insbesondere Arbeiter und Angestellte in Großbetrieben argumentieren vielfach, jetzt sei dem »kleinen Mann« die letzte uneingeschränkte Reisemöglichkeit genommen worden. Eine solche Entscheidung wirke keinesfalls stimulierend für höhere Arbeitsleistungen.
Mitarbeiter staatlicher Organe, Hochschullehrer, Studenten u. a. Personenkreise betonten, jetzt habe ein durchschnittlich verdienender DDR-Bürger kaum noch die Möglichkeit, einen niveauvollen Auslandsurlaub zu verbringen. Auch unter Hinweis auf die eingeschränkten Reisemöglichkeiten in die VR Polen und auf die hohen Preise bei Reisen in andere sozialistische Staaten wird oft spontan und mit einem gewissen Sarkasmus argumentiert, man solle doch gleich eine Mauer um die DDR ziehen. Die von der DDR propagierte Weltoffenheit treffe offenbar nur für in die DDR einreisende Ausländer zu. Die ČSSR sei – stellen die sich in diesem Sinne äußernden Personen häufig fest – das einzige Land, in dem DDR-Bürger bisher relativ unkompliziert und preisgünstig einen Auslandsurlaub verleben konnten. Mit den festgelegten Limitationen beim Erwerb von Reisezahlungsmitteln könne nicht einmal ein zweiwöchiger Urlaubsaufenthalt ermöglicht werden. Die Eigenfinanzierung von Reisen in die UVR sei durch die für das Jahr 1988 angekündigten umfangreichen Preiserhöhungen völlig unmöglich geworden.
Wiederholt wurde spekuliert, dass es nach 1988 zu einer weiteren Senkung des Höchstbetrages bei Reisezahlungsmitteln kommen werde. Vereinzelt wurde behauptet, die festgelegten Maßnahmen seien ein erster Schritt zur Aufhebung des pass- und visafreien Reiseverkehrs in die ČSSR.
Mehrfach wird auch die Ansicht vertreten, dass diese Entscheidung kein Beitrag im Sinne der Festigung der Freundschaft und Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen den sozialistischen Ländern sei. Unter Hinweise auf die Reisemöglichkeiten für Bürger der BRD wird festgestellt, dass DDR-Bürger immer stärker benachteiligt seien. Darüber hinaus sei es – so äußern sich z. B. Mitarbeiter des Bereiches Gesundheitswesen – deprimierend zu erleben, dass Bürger aus kapitalistischen Staaten im sozialistischen Ausland weitaus angesehener seien als DDR-Bürger, weil ihre Währung einen höheren Stellenwert habe.
Insbesondere Arbeiter aus Großbetrieben erklären unter Hinweis auf begrenzte Urlaubsplatzangebote in der DDR, dass die festgelegten Maßnahmen eine Verschlechterung des Lebensniveaus der Bürger nach sich ziehe und im Widerspruch stehe zur propagierten Politik zum Wohle des Volkes.
Angehörige der pädagogischen Intelligenz aus den Bereichen Volksbildung und Hoch- und Fachschulwesen argumentieren, dass ihnen als Erzieher der jungen Generation »Reiseverbote« in das nichtsozialistische Ausland auferlegt würden, FDGB-Urlaubsplätze nicht ausreichend zur Verfügung stünden und jetzt auch noch ein individueller Urlaub im Ausland unmöglich geworden sei. Ähnliche Auffassungen werden von Angehörigen der bewaffneten Organe sowie Mitarbeitern des Staatsapparates vertreten.
Vielfach, so von Arbeitern und Angestellten aus volkswirtschaftlichen Schwerpunktbetrieben, von Angehörigen der wissenschaftlich-technischen und medizinischen Intelligenz sowie von Werktätigen aus dem Bereich Verkehrswesen, wird die Auffassung vertreten, dass diese Maßnahmen das Ergebnis einer rückläufigen Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft der DDR seien, deren Auswirkungen auf die Werktätigen »abgewälzt« werden.
Viele der sich äußernden Personen stellen die Frage, warum die DDR nicht in der Lage sei, das Defizit in der Bilanz des Reiseverkehrs auszugleichen. Im Bericht der Zentralverwaltung für Statistik sei doch für das Jahr 1987 die Erwirtschaftung eines Außenhandelsüberschusses ausgewiesen worden. In diesem Zusammenhang werden erneut Zweifel an der Realität der in den Massenmedien der DDR veröffentlichten Berichte zur volkswirtschaftlichen Entwicklung zum Ausdruck gebracht.
In einer Reihe der Meinungsäußerungen von Mitarbeitern der Bankorgane widerspiegeln sich Befürchtungen, nun »Prellbock« für verärgerte Reaktionen von DDR-Bürgern zu sein. Obwohl sie selbst nicht von der Richtigkeit der Maßnahmen überzeugt sind, müssten sie in Kundengesprächen entsprechend der zentral vorgegebenen Argumentation auftreten und wirkten deshalb vermutlich nicht sehr überzeugend. Viele Mitarbeiter dieser Einrichtungen seien deshalb bestrebt, solchen Gesprächen auszuweichen.
Vorliegenden Hinweisen zufolge wenden sich zahlreiche Bürger und Vertreter von Betrieben und Organisationen mit überwiegend sachlichen Anfragen zu Detail- und Verfahrensfragen an die Mitarbeiter der Bankfilialen. Dabei wurden u. a. folgende Fragen und Probleme aufgeworfen:
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Der neu festgelegte Jahreshöchstbetrag an Kcs entspricht dem Wert von elf Tagessätzen, bei Forint von zwölf Tagessätzen. Warum war es nicht möglich, wenigstens die Finanzierung eines 14-tägigen Auslandsurlaubs zu gewährleisten?
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Mit dem Inkrafttreten dieser Maßnahmen werde in abgeschlossene Vorverträge des Reisebüros der DDR mit Bürgern eingegriffen, die Aufenthalte bis zu 20 Tagen vorsehen. Welche Regelungen sind in derartigen Fällen vorgesehen?
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Werden die in der UVR ab 1988 wirksam werdenden erheblichen Preissteigerungen zu einer Veränderung des Devisenumrechnungssatzes führen? Ergibt sich daraus eine mögliche Neufestlegung (Erhöhung) des gegenwärtig festgelegten Höchstbetrages?
Eine Reihe von Anfragen trug jedoch eindeutig provokatorischen Charakter. Diesbezüglich in Erscheinung getretene Personen äußerten u. a., dass die Masse der DDR-Bürger für die Unfähigkeit des Staates, die Volkswirtschaft in Ordnung zu bringen, büßen müsste und man ein Übersiedlungsersuchen stellen werde, um überallhin reisen zu können.
Darüber hinaus verleihen einige Werktätige, vereinzelt auch Arbeitskollektive ihrer ablehnenden Haltung mittels Eingaben an territoriale und zentrale staatliche Organe oder durch Androhung bzw. Begehung demonstrativer Handlungen Nachdruck.
So wurde aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt bekannt, dass
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einige Ärzte des Bezirkskrankenhauses beabsichtigen, in provokanter Weise zehn Tage ihres Urlaubs »zurückzugeben«,
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Arbeiter des VEB BARKAS-Werks das Abfassen einer Eingabe an den Staatsrat der DDR planen,
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einige Parteimitglieder der SDAG Wismut den Kauf von Parteiliteratur ablehnen,
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Ärzte und Angehörige des mittleren medizinischen Personals des medizinischen Versorgungsbereiches der SDAG Wismut demonstrativ die Tagespresse vernichteten,
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der Austritt aus gesellschaftlichen Organisationen angedroht wurde.
Übersiedlungsersuchende nahmen die Veröffentlichung der Regelungen zum Anlass, ihre ablehnende Haltung zu den gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR in ihren Arbeitskollektiven erneut zu bekunden und ihren Übersiedlungswillen zu bekräftigen.
(In relativ breitem Umfang werden von Werktätigen aus der Volkswirtschaft und Mitarbeitern staatlicher Organe Befürchtung und Besorgnis geäußert, dass die Zahl der Übersiedlungsersuchenden mit Hinweis auf diese Maßnahmen weiter ansteigen wird.)